- Nationalbolschewisten
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Mit dem Begriff Nationalbolschewismus bezeichnete man zur Zeit der Weimarer Republik die politischen Gruppen, die eine Anlehnung an die Sowjetunion anstrebten, aber keine weltweite kommunistische Revolution forderten. Das Wort Nationalbolschewist wird auch als Schimpfwort für kommunistische oder für sozialrevolutionäre Nationalisten gebraucht. Erfinder des Wortes ist Karl Radek, er definierte damit abfällig die syndikalistisch orientierte kommunistische Politik von Heinrich Laufenberg und Fritz Wolffheim.
Als Hauptbegründer des Nationalbolschewismus gelten zwei Gründungsmitglieder der KPD, Dr. Heinrich Laufenberg und Fritz Wolffheim, in Hamburg. Ihre Grundthese besagte, dass die „Verstümmelung des deutschen Reichskörpers“ durch das „Versailler Diktat“ und die Bedingungen der Entente zwangsweise zu einer Proletarisierung des gesamten deutschen Volkes, mit Ausnahme einer kleinen Zahl von Kapitalisten, führen müsse. Dementsprechend sahen sie nicht mehr nur die Arbeiterklasse, sondern fast das gesamte Volk als revolutionäres Subjekt, dessen Zukunft das sozialistische Rätesystem sei. Dabei betrachteten sie Nation und Sozialismus als untrennbar miteinander verbunden. Der Begriff eines Volksganzen taucht 1919 erstmals in ihren Schriften auf. Sie sehen den Klassenkampf als eine Vorstufe zum Volkskampf an. Die Arbeiterklasse, als fortschrittlichster Teil des Volksganzen, sollte die Befreiung aller unterdrückten Volksmassen anführen, wobei die kommunistische Organisation eine Avantgardefunktion innehabe, ohne jedoch neue Führer zu schaffen. Damit werde aus der proletarischen Klassenorganisation eine „proletarische Volksorganisation“. Laufenberg und Wolffheim waren auch von syndikalistischen Ideen beeinflusst.
Otto-Ernst Schüddekopf (siehe Literatur) versteht unter Nationalbolschewismus einerseits nationalistische Tendenzen im Kommunismus, andererseits sozialistische Bestrebungen im völkischen Lager – und drittens das zeitweilige Bündnis beider Strömungen im innenpolitischen Kampf gegen Weimar und im außenpolitischen Wunsch nach deutsch-sowjetrussischer Kooperation.
Der Begriff Nationalbolschewismus bezeichnet auch die Verschmelzung von konservativen und nationalistischen Gedanken mit dem Bolschewismus. Die Überwindung des Klassenkampfes, der vom Marxismus propagiert wird, war Teil der Ideologie der rechten Nationalbolschewisten. Linke Nationalbolschewisten wiederum traten für den Klassenkampf ein, wie z.B. Karl Otto Paetel.
Teile des Nationalbolschewismus waren auch in der NSDAP beheimatet oder standen derem linken Flügel um Ernst Röhm, Gregor Strasser und Otto Strasser zeitweise nahe: Diese waren zwar Antisemiten[1], stellten aber das Ziel eines nationalen Sozialismus in den Vordergrund. Otto Strasser trat bereits am 4. Juli 1930 gemeinsam mit einigen Gesinnungsgenossen aus der NSDAP aus und veröffentlichte den Aufruf "Die Sozialisten verlassen die NSDAP", in der irrigen Hoffnung, die Partei damit zu spalten.
Ein Kopf des Nationalbolschewismus war Ernst Niekisch, der Herausgeber der Zeitschrift Widerstand. Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik, Widerstands-Verlag, Berlin. Manche Vertreter der heutigen Neuen Rechten beziehen sich auf diese Ideologie und greifen deren Ideen auf. Neben der Gruppe um Ernst Niekisch firmierte ein Kreis um Karl Otto Paetel als Gruppe Sozialrevolutionärer Nationalisten. Für Ruth Fischer waren alle Nationalbolschewisten "Wanderer ins Nichts". (1959 schrieb Ruth Fischer, in den Frankfurter Heften, über den National-Bolschewismus am Beispiel Ernst Niekischs.)
Seit den 1990er Jahren zeigt sich der Nationalbolschewismus in der umstrittenen Nationalbolschewistischen Partei Russlands.
Inhaltsverzeichnis
Fußnote
- ↑ Robert S. Wistrich: Wer war wer im Dritten Reich. Ein biographisches Lexikon, Harnack Verlag München 1983, S. 262ff; zum grundsätzlichen Antisemitismus der nationalsozialistischen Linken siehe das Glossar Rechtsextremismus der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung
Literatur
- Hans von Hentig: Die Besiegten. Zur Psychologie der Masse auf dem Rückzug. dtv, München 1966 (nach dem Ersten Weltkrieg war von Hentig ein führender Nationalbolschewist).
- Ernst Niekisch & Andreas Paul Weber (Hrsg.): Widerstand. Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik. Widerstands-Verlag, Berlin (Juli 1926 bis September 1934).
- Gerd Koenen: Der Russland-Komplex. Die Deutschen und der Osten 1900–1945. Beck, München 2005, ISBN 3-406-53512-7 (Inhalt, PDF).
- Otto-Ernst Schüddekopf: Linke Leute von Rechts. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik. Stuttgart 1960 (Neuauflage Nationalbolschewismus in Deutschland 1918–1933. Frankfurt am Main 1973, ISBN 3-548-02996-5).
- Karl Radek: Leo Schlageter, der Wanderer ins Nichts. [ohne Ort] 1923. In: Herrmann Weber (Hrsg.): Der deutsche Kommunismus. Dokumente 1915–1945. Köln 1972, S.142–147 (online).
- Karl Otto Paetel: Nationalbolschewismus und nationalrevolutionäre Bewegungen in Deutschland. Geschichte, Ideologie, Personen. Verlag Siegfried Bublies, Schnellbach 1999, ISBN 3-926584-49-1 (Erstveröffentlichung 1965 unter dem Titel Versuchung oder Chance? Zur Geschichte des deutschen Nationalbolschewismus).
- Erich Müller: Nationalbolschewismus. Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg 1933.
Siehe auch
Weblinks
- Was ist Nationalbolschewismus? analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis
- Nick Brauns: Die Schlageter-Verwirrung: Der Flirt der KPD mit dem Nationalbolschewismus im Ruhrkampf 1923; Junge Welt 21. Juni 2003
- Dino Albani: Über Alexander Dugin und Nationalbolschewismus heute, aus: Bruchlinien - Zeitschrift für eine neue revolutionäre Orientierung
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