Nazoräer

Nazoräer

Nazarener bzw. Nazoräer ist eine bereits im Neuen Testament oft verwendete Bezeichnung (Beiname) Jesu und der Name religiöser Gruppen.

Zwischen den beiden Formen des Wortes wird in etlichen Bibelübersetzungen und vielfach auch in Literatur und Sprachgebrauch nicht unterschieden, wobei „Nazarener“ die in den westeuropäischen Sprachen am häufigsten vorkommende Form ist.

Inhaltsverzeichnis

Nazoräer als Bezeichnung religiöser Angehörigkeit

Das Wort Nazoräer wird zuerst im Neuen Testament – einmal in Apg 24,5 Elb – dazu verwendet, um Anhänger von Jesus zu bezeichnen: In diesem Text wird die Wendung Sekte der Nazoräer von jüdischen Führungskreisen aus Jerusalem verwendet. Sie beschuldigen den Apostel Paulus als einen Anführer der Nazoräer, der unter den Juden Unruhe stifte:

Denn wir haben diesen Mann als eine Pest befunden und als einen, der unter allen Juden, die auf dem Erdkreis sind, Aufruhr erregt, und als einen Anführer der "Sekte der Nazoräer" (Apg 24,5 Elb).

Im Judentum wurde später Nazoräer (נצרים‎, nōṣrīm) die geläufige Bezeichnung von Judenchristen, während in der patristischen Literatur das Wort meist dazu verwendet wurde, um als nicht häretisch betrachtete Judenchristen von den Ebioniten zu unterscheiden.[1] In der Bedeutung von Bewahrer ist Nazoräer auch als Selbstbezeichnung der Mandäer überliefert worden. Zudem ist năṣrayāʿ bis heute die Bezeichnung der syrischsprachigen Christen und ist auch im Koran und in dem arabischen Sprachgebrauch belegt (‏نَصْرانِىّ‎, naṣrānīj, pl.: ‏نَصارَى‎, naṣārā, Sure 2,110f u.a.; ‏نَصْرَانيًّا‎, naṣrānjā, Sure 3,67). Die einzige Erwähnung von einer religiosen Gruppe, die diesen Namen (als Νασαραῖοι, nasaraioi) in vorchristlicher Zeit getragen haben soll, befindet sich in Epiphanius (Haereses XVIII): Dabei habe es sich um eine jüdische Gruppe gehandelt, aus denen später die Mandäer hervorgegangen sein sollen.[1] Der Name Nazarener wird in neuster Zeit auch von neu gegründeten christlichen Kirchen verwendet.[2]

Begriffe: Nazarener, Nazoräer, Nazara, Nazaret

Insbesondere im angelsächsischen Sprachraum wird von Bibelübersetzern häufig der Begriff Nazarener (engl. Nazarene) verwendet, unabhängig davon, ob in den griechischen Texten Nazoräer (griech. Ναζωραῖος) oder Nazarener (griech. Ναζαρηνός) geschrieben steht. Diese Übersetzungspraxis betrifft sowohl biblische als auch kirchengeschichtliche Texte. Wortgetreue Übersetzungen unterscheiden dagegen zwischen den beiden Formen des Namens.

Vorkommen der Begriffe in der Bibel

Nach dem etablierten Text des Novum Testamentum Graece kommt im gesamten Neuen Testament der Begriff Nazarener sechsmal und Nazoräer dreizehnmal vor – davon siebenmal in der Apostelgeschichte. Mit der einzigen Ausnahme von Apg 24,5 EU, wo als Nazoräer die Anhänger Jesu bezeichnet werden, wird das Wort immer als Attribut für Jesus verwendet. Im Matthäus- und Johannesevangelium wird nur den Begriff Nazoräer benutzt. Die Bezeichnung Nazarener wird ausschließlich im Markus- und im Lukasevangelium verwendet (Mk 1,24 EU par.: Lk 4,34 EU; Mk 10,47 EU; Mk 14,62 EU; Mk 14,62 EU vgl. Lk 24,19 EU). Andererseits wird der Begriff Nazoräer im Markusevangelium nie verwendet. Markus betont wahrscheinlich bewusst die Herkunft Jesu aus dem Hause Davids (der Spross Isais) gemäß Jes 11,1-10 Elb. Jesus wird denn auch des Öfteren als Sohn Davids angesprochen (Mk 10,47 Elbf; Mk 11,10 Elb; Mk 12,35 Elb.

Der Name der Stadt, in der Jesus aufgewachsen sei, wird im Neuen Testament zweimal – in Mt 4,13 EU und in der Parallelstelle Lk 4,16 EU[3] – als Nazara (Ναζαρά) angegeben. An beiden Stellen ist dies der Name der Ortschaft, die zuerst in den Berichten vom Wirken Jesu genannt wird. Auch Origenes verwendet in Anlehnung an das Matthäus- und Lukasevangelium den Namen Nazara.[4] An allen anderen Stellen wird der Name der Ortschaft als Nazaret (Ναζαρέτ oder Ναζαρέθ[5]) angegeben. Hierbei wird im Allgemeinen angenommen, dass Naz(a)rā mit der hebräischen Hauptform des Namens נַצְרַת‎ (naṣ rat) in Zusammenhang stehe und dass der Name der Stadt mehrere Nebenformen – unter anderen נָצֶרֶת‎ (nāṣæræt) – gehabt habe.[6]

Etymologie der Begriffe

Die etymologische Ableitung der Begriffe Nazarener und Nazoräer wird in der Literatur in unterschiedlicher Weise begründet und ist noch nicht vollständig geklärt. Zwei hebräische Grundbegriffe gelten als Ausgangspunkt: Das hebräische Verb natsar (hebr. נצר‎) und das aus dieser Wurzel gebildete Nomen netser (hebr. נֵצֶר‎), das im Konsonantenbestand identisch ist mit dem Verb.

Das hebräische Verb natsar bedeutet beobachten, bewachen, hüten. Dem entspricht die hebräische Bezeichnung Notsri (hebr. נצרי‎), „Wächter“, „Hüter bzw. Bewahrer“, und mit der gleichen Bedeutung das aramäische Natsaraya.

Der hebräische Ausdruck netser bedeutet Spross, Trieb, Schößling und wird gelegentlich als messianischer Begriff verwendet (so in Jes 11,1 EU; 4QIs 3,15ff.). Viel häufiger begegnet in dieser Verwendung das gleichbedeutende צֶמַח‎ (ṣæmaḥ).[7] Nach einigen Interpreten sei aus dem Namen netser und seinem Bezug zur messianischen Prophezeiung in Jes 11,1 auch der Name der Stadt Nazaret zu erklären, die im 2. Jahrhundert vor Chr. durch Mitglieder der davidischen Familie (neu) gegründet worden sei.[8]

Es fällt außerdem auf, dass die Orts- bzw. Herkunftsbezeichnungen Nazaret, Nazara, Nazoräer und Nazarener alle auf den Wortstamm der hebräischen Begriffe natsar und netser zurückgeführt werden können. Diese Ähnlichkeit der Begriffe ermöglicht Wortspiele (wie z.B. in Mt 2,23 Elb), die auch sonst vielfach aus der biblischen und rabbinisch-jüdischen Tradition bekannt sind.

Einzelne Autoren haben auch eine Verbindung zum Begriff Nasiräer (hebr. נָזִיר‎, nāzīr) in Erwägung gezogen. Ein Nasiräer ist ein Gottgeweihter, der strenge Regeln befolgt Ri 13,5-7 Elb. Abstinenz gehört mit dazu. Hauptsächlich aus zwei Gründen kann man die Ableitung des Wortes Nazoräer vom Begriff Nasir ausschließen: Erstens schreibt sich Nasir im Hebräischen mit Sajin, natsar (wachen) und netser (Spross) hingegen schreiben sich mit Zade. Im Griechischen werden Sajin mit Sigma und Zade mit Zeta wiedergegeben. Dementsprechend werden die Begriffe Nazara, Nazarener und Nazoräer ins Griechische mit Zeta transkribiert. Zweitens stimmen die Beschreibungen Jesu in den Evangelien nicht mit den Merkmalen eines Nasirs überein.

Nazarener / Nazoräer als Bezeichnung Jesu

Nach der traditionellen Auffassung, der in der neueren Forschung vielfach gefolgt wird, sind Nazarener und Nazoräer Appositionen, die sich auf die Herkunft Jesu beziehen und damit dem Ausdruck „von bzw. aus Nazaret“ (Mt 21,11 EU; Joh 1,45 EU; Apg 10,38 EU) gleichzusetzen sind. Für die Form „Nazarener“ wird die Herleitung aus dem Ortsnamen Nazaret als gesichert betrachtet, während für „Nazoräer“ ist die Abstammung aus einer Nebenform naṣōr von dem gleichen Ortsnamen vorgeschlagen worden.[9] Ein direkter Bezug auf diese Bedeutung von Nazarener / Nazoräer wird explizit in Matthäusevangelium (2,23 EU) genommen:

(Josef) ließ sich in einer Stadt namens Nazaret nieder. Denn es sollte sich erfüllen, was durch die Propheten gesagt worden ist: Er wird Nazoräer genannt werden.

Viele Ausleger sehen in diesem Passus eine Anspielung auf Jes 11,1 EU, wo der Messias „Spross“ (nēṣer) Davids genannt wird. Es wird aber nicht ausgeschlossen, dass hier ein Verweis auf mehrere Prophezeiungen vorliegen könnte, wobei andere Stellen der Bücher Jesaia (Jes 42,6 EU; 49,6 EU; u.a.) und Jeremias (Jer 31,6f EU) herangezogen worden sind.[10]

Einer von vielen Kommentatoren vertretenen Auffassung zufolge ist es möglich, dass die Evangelien eine damals herabsetzend gemeinte Fremdbezeichnung Jesu als Nazoraios umzudeuten versucht haben (z. B. in Mt 26,71 EU; Joh 19,19 EU). Dass dieser Beiname im Umfeld der Evangelisten wiederum einen Bezug auf Nazaret hatte, lege Joh 1,46 EU nahe:[11]

Da sagte Natanaël zu ihm: Aus Nazaret? Kann von dort etwas Gutes kommen?

Einen ähnlichen Ansatz hatte anfangs des 20. Jahrhunderts Mark Lidzbarski vorgeschlagen. Nach Lidzbarski weise der aramäische Name נאצוראיא‎ (naṣōraijē) eine Form auf, die sonst hauptsächlich in den Bezeichnungen für Vertreter bestimmter Lehrtätigkeiten – wie Amoräer und Saboräer für Talmudlehrer – vorkam. Erst die Evangelisten hätten ihn bewusst oder irrtümlich auf Nazaret bezogen, um den Ausdruck „Nazoraios“ zu erklären.[12]

Referenzen und Anmerkungen

  1. a b Vgl.: N. Riesner, Nazarener, in: NBL, 909.
  2. Siehe die Internet Seiten der Kirche des Nazareners: http://www.nazarene.org und http://nazarener.de.
  3. Die Lesung Nazara bietet Papyrus P70 auch in Mt 2,23 EU.
  4. Johannes-Kommentar, Buch X (eine englische Übersetzung des Texts findet sich unter: http://www.newadvent.org/fathers/101510.htm).
  5. Für die meisten Vorkommen dieses Ortsnamens im Neuen Testament sind beide Lesungen – im Codex Alexandrinus auch Nazarat (Ναζαρατ/θ) – in verschiedenen Textzeugen zu finden.
  6. Vgl.: N. Riesner, Nazaret, in: NBL, 910.
  7. So in Jes 4,2 EU: „Spross Jahwe“; Jer 23,5 EU, 33,15 EU: „Spross Davids“; Sach 3,8 EU, Sach 6,12 EU: „Spross“ als eigentlicher Name des Messias;„Patriarchensegen“ (4QPatr.); 15. Segnung des „18-Gebets
  8. B. Pixner, Wege des Messias, Gießen: 1994 (zit. in: N. Riesner, Nazaret, NBL, 910).
  9. Vgl.: N. Riesner, Nazarener, in: NBL, 908; dort zitiert: Hans Peter Rüger, in: ZNW, 72, 1981, S. 262.
  10. Vgl.: N. Riesner, Nazarener, in: NBL, 909.
  11. W. Wiefel, Das Evangelium nach Matthäus, S. 49.
  12. M. Lidzbarski, Ginzā. Der Schatz oder Das große Buch der Mandäer, Göttingen/Leipzig: 1925, S. IX mit Anm. 2

Literatur

  • Das neue Testament: Interlinearübersetzung griechisch-deutsch; griechischer Text nach der Ausgabe von Nestle-Aland; übersetzt von Ernst Dietzfelbinger. 5. korrigierte Auflage, 1994. Hänssler-Verlag, Neuhausen-Stuttgart. ISBN 3-7751-0998-6.
  • NBL: N. Riesner, Nazarener, Nazaret, in M. Görg, B. Lang (Hrsg.), Neues Bibel-Lexikon, Bd. 2, Benziger, Zürich: 1995, Kol. 908-912.
  • Wolfgang Wiefel, Das Evangelium nach Matthäus (Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament; 1), EVA: Leipzig, 1998

Siehe auch

Weblinks (englisch)


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