- Near Miss
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Der Begriff Near Miss stammt ursprünglich aus der Luftfahrt und bezeichnet dort einen Beinahezusammenstoß, also eine kritische Annäherung zweier Luftfahrzeuge, die nicht zu einem Zusammenstoß in der Luft (engl. midair collision) und einem zwangsläufig folgendem Absturz geführt hat. Heute wird der Begriff in den Sicherheitswissenschaften breiter verwendet. Als Near Miss (Beinahefehler) werden folgende Ereignisse bezeichnet, die rechtzeitig entdeckt und daher ohne Folgen geblieben sind:
- unsichere Zustände
- unsichere Handlungen
- versteckte Gefahren
- Risikopotenziale
- Beinaheunfälle
- Schwachstellen
- sicherheitswidriges Verhalten
Inhaltsverzeichnis
Beinahefehler
Ein Beinahefehler ist ein Fehler, wobei das Abweichverhalten rechtzeitig erkannt wird und so ein tatsächlicher Fehler vermieden wird. Als Beinahefehler gilt jedes Vorkommnis, das unerwünschte Folgen hätte haben können, es im konkreten Fall jedoch nicht hatte. Beinahefehler unterscheiden sich von Fehlern durch das Ergebnis.
Arbeitnehmerschutz
Arbeitnehmerschutz und Sicherheitsmanagement beginnt bereits bei der Betriebsanlagenplanung und der Arbeitsvorbereitung und hört nie auf. Nur durch laufende Verbesserungen kann ein hohes Sicherheitsniveau erreicht und gehalten werden. Die betriebliche Praxis zeigt, dass ernste Unfälle nur die Spitze des Eisberges - der Unfallpyramide - darstellen. Die Basis bilden "Near Miss". Um zu vermeiden, dass aus möglichen Gefahrenquellen tatsächlich Unfälle werden, wurde ein System zur vorbeugenden Unfallverhütung entwickelt.
Near Miss System
Hauptaussagen der Risiko/Unfall-Theorie
- Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Risiko zu einem Unfall wird.
- Unfälle passieren nicht, sie werden verursacht.
- Die Schwere des Unfalls ist dem Zufall unterworfen.
Durch den Aufbau eines Near Miss System kann die Anzahl der Unfälle, gemessen durch die internationale Kennzahl für Arbeitsunfälle (TRI = Total Recordable Injuries = Summe der Verletzungen), deutlich reduziert werden. Die weltbesten Unternehmen erreichen eine TRI von 2,5 pro 1 Million geleisteter Arbeitsstunden. Zum Vergleich: Der Durchschnitt in Österreich liegt bei rund 30 Unfällen. In einem erfolgreichen Near Miss System lässt sich deutlich die Korrelation der Unfallhäufigkeit mit der Near Miss Anzahl nachweisen, d.h. mit einer steigenden Anzahl der gesammelten, ausgewerteten und klassifizierten Near Miss Anzahl sinken die tatsächlichen Unfallzahlen.
Fehlerkultur
Anhand von Erfahrung aus den ultra-safe Industrien wurde ersichtlich, dass eine Null-Fehlerkultur nicht zweckmäßig und auch nicht zielführend ist, sondern die Zukunft der Risikoverminderung in einem positiven Umgang mit Fehlern liegt, der so genannten Fehlerkultur.
Null-Fehler ja, Null-Fehlerkultur nein!
Wir lernen viel mehr aus unseren Fehlern als aus unseren Erfolgen! Die eigene Erfahrung ermöglicht ein viel fundamentaleres Lernen als Verbote und schlecht verstandene Regeln, oder dogmatisch praktizierten Anweisungen die Fehlern vorbeugen sollen. Bei der Verbreitung dieser Einstellung in der Arbeitswelt haben einige europäische Länder im Vergleich zu den anglosächsisch geprägten Ländern Aufholbedarf. Zum Beispiel ist es in der Venture Capital Industry in den USA anerkannt wenn ein Unternehmer schon einmal einen Misserfolg in seiner Erfolgsgeschichte hatte. Es wird sogar in vielen Fällen davon ausgegangen, dass ein Unternehmer der einmal die Erfahrung gesammelt hat etwas falsch gemacht zu haben und mit einem früheren Start Up Misserfolg hatte, in Zukunft denselben oder einen ähnlichen Fehler mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr machen wird. Er gewinnt dadurch Vertrauen der Venture Capital Investoren, wenn er vermitteln kann, aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben.
Fehler kann man weder erlauben noch verbieten! Die Kultur der Organisation muss ein solches Umfeld schaffen, Handeln, welches zu Fehlern führt, nicht zu strafen, sondern das Potenzial in den begangenen Fehlern zu erkennen. Daher ist es eine zwingende Notwendigkeit, den Umgang mit Fehlern zu systematisieren und eine Fehlerkultur aufzubauen. Diese Kultur kann als Summe des gesamten Wissens, aller Werte, Grundsätze und Symbole in einem gesellschaftlichen System verstanden werden. Fehler zu akzeptieren und als Verbesserungspotenzial bzw. Wegweiser zu betrachten muss somit in das Wertebild der Organisation aufgenommen und als Fehlerkultur gelebt werden. Eine Fehlerkultur ist nur ein Bestandteil der Unternehmenskultur. Sie formt gemeinsam mit anderen Aspekten eine Vertrauenskultur, welche ein Allgemeingut der Organisation ist von der alle profitieren. Respekt, offene Kommunikation, Zuhören und eine schuldzuweisungsfreie Fehlerkultur bilden eine symbiotische Wechselwirkung, welche zu einem sozialen Gut der Organisation wird.
Near Miss - Beinahefehler als Verbesserungspotenzial
Jedem ernsthaften Unfall gehen eine Vielzahl kleinerer Unfälle und Zwischenfälle voraus. Die Früherkennung und Behebung dieser Near Miss ermöglicht eine effektive Vermeidung des Erreichens höhere Stufen in der Sicherheitspyramide. Um die große Zahl an Near Miss in einer Organisation erfassen und bearbeiten zu können ist ein systematisches Vorgehen unabdingbar. Es muss ein Near Miss System vorhanden sein welches die folgenden Stufen umfasst.
- Identifizieren: Ein Near Miss wird erkannt und aufgedeckt.
- Melden: Der Near Miss wird gemeldet (Reporting) und in einer Datenbank erfasst. In dieser Stufe ist es wichtig dass die richtigen Anreize in der Organisation gesetzt sind, sodass es zu Meldungen kommt. Der Meldende muss die Wahl haben zwischen einer anonymen Meldung (Angst vor Folgen) oder einer namentlichen Meldung (Anreiz-/Belohnungssysteme).
- Info verteilen: Die Information wird in einem Morgen-Meeting verarbeitet und an die Zuständigen zur Weiterbearbeitung und Analyse weitergeleitet.
- Analysieren: Die Ursache des Near Miss wird unter Einbeziehung der Umstände festgestellt.
- Entwickeln von Lösungsansätzen: Ansätze zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen des Near Miss werden entwickelt.
- Verlautbaren der Lösungsansätze: Die Lösungsansätze werden verlautbart um die Aufmerksamkeit auf den Vorfall zu lenken.
- Lösung: Implementierung der Aktionen die auf den Lösungsansätzen aufbauen. Erledigung der in den Lösungsansätzen festgelegten Maßnahmen
- Kontrolle: Überprüfung der Wirksamkeit der durchgeführten Maßnahmen. Eventuell Iteration und Wiedereinstieg in den Prozess bei Schritt Analyse.
Entwicklung einer Fehlerkultur
- Reduktion von Fehlern im Ablauf und Schadensfällen.
- Reduktion von Risiken, die mit der betrachteten Organisation in Verbindung stehen.
- Identifikation sonstiger Verbesserungspotenziale in Hinblick auf Anlagenverfügbarkeit, Personensicherheit und -gesundheit.
- Verbesserung der Fehlerkultur.
- Implementierung einer bedienungsfreundlichen Software zur Erfassung, Auswertung und Verfolgung von Fehlern und Near Miss.
- Erstellen eines Maßnahmenprogramms zur Erreichung der gewünschten Verbesserungen.
Weblinks
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