Nü Shu

Nü Shu
女書, nǚshū

Frauenschrift (chin. 女書 / 女书, nǚshū oder chin. 江永女書 / 江永女书, Jiāngyǒng nǚshū) ist ein Schriftsystem, das in der südchinesischen Provinz Hunan im 15. Jahrhundert entwickelt und ausschließlich von Frauen benutzt wurde.

Mit dieser Schrift, die – anders als die auf Logogrammen aufbauende chinesische Standardschrift – auf phonetischen Syllabogrammen aufbaut, wurden vor allem Briefe geschrieben und Erzählungen aufgezeichnet. Jedes der etwa 600-700 Zeichen repräsentiert eine Silbe des lokalen Chéngguān-Dialekts.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung

Die Frauen in den kleinen chinesischen Dörfern hatten Jahrhunderte lang kaum Rechte. Von ihren Eltern zwangsverheiratet, mussten sie ihren Mann und die Familie umsorgen. Da sie weder Schreiben und Lesen, noch ihre Meinung äußern durften, erfanden sie eine eigene, ganz besondere Schriftsprache, die niemand außer ihnen verstand. Die eingeweihten Frauen konnten in ihrer Geheimsprache endlich das ausdrücken, was ihnen am Herzen lag: Sie machten sich über ihre ungeliebten Ehemänner lustig, beschwerten sich über die bösen Schwiegermütter, trösteten sich gegenseitig über die täglichen Sorgen hinweg und teilten ihre geheimen Sehnsüchte und Ängste. Auf religiösen Festen sangen und beteten sie in Nüshu. So entwickelte sich dieses Kommunikationssystem weiter - von Generation zu Generation.

Schriftbild

Schriftbeispiel

In mancher Weise erinnert Nüshu an die chinesische Schriftsprache, als wären deren Zeichen abgeändert und langgezogen. Auch Nüshu wird von oben nach unten in Reihen von rechts nach links geschrieben. Doch bei näherer Betrachtung erschließt sich die grundlegende Differenz: während chinesische Zeichen auf Morphemen basieren, ist Nüshu phonetisch – die Zeichen repräsentieren also Laute, und zwar die des Cheng Guan Tuhua Dialekts der Region.

Nüshu heute

Chinesische Sprachwissenschaftler begannen 1982 die Nüshu-Schriftzeichen zu erforschen. Die meisten basieren auf der damals gängigen chinesischen Hanzi-Schrift, die nur Männer lernen durften. Forscher nehmen an, dass Mädchen und Frauen die chinesischen Schriftzeichen kopierten und in eine vereinfachte Form abwandelten oder aber durch kunstvolle Gestaltung zu neuen Schriftzeichen weiterentwickelten. Bis heute wurden etwa 1.500 Schriftzeichen und 20.000 Wörter identifiziert.

Das Problem ist, dass Nüshu-Dokumente sehr schwierig zu finden sind, da sie traditionell mit den Toten verbrannt oder begraben wurden. In den 1930er Jahren zerstörten außerdem japanische Soldaten viele Gegenstände, die als Familienerbstücke aufbewahrt worden waren. Hinzu kommt, dass während der Kulturrevolution die Roten Garden wichtiges Textmaterial verbrannten und den Frauen verboten, sich religiös-spirituell zu betätigen.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es zu drastischen Veränderungen der soziokulturellen Bedingungen, immer mehr Mädchen gingen zur Schule und die Nüshu-Schrift starb langsam aus. Yang Huanyi, die letzte aktive Nutzerin von Nüshu, starb am 20. September 2004. Ihr Alter blieb ein Geheimnis - Nachbarn aus ihrem Dorf schätzten sie auf 98 Jahre.

Literatur

  • Lisa See: Der Seidenfächer. C. Bertelsmann, 2005, aus dem Englischen übersetzt von Elke Link
  • Alma Alexander: Die Drachenkaiserin. Rowohlt Verlag, 2006, aus dem Englischen übersetzt von Christiane Bergfeld, ISBN 978-3-499-23609-9 (Originaltitel: en:The Secrets of Jin Shei)

Weblinks


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