- Kulturrevolution
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Die chinesische Kulturrevolution (chinesisch 無產階級文化大革命 / 无产阶级文化大革命 wúchǎnjiējí wénhuà dàgémìng ‚Große Proletarische Kulturrevolution‘, oder kurz 文革 wéngé) war eine politische Kampagne zwischen 1966 und 1976, die von Mao Zedong ausgelöst wurde. Zunächst wurde die Kulturrevolution als eine Bewegung zur Beseitigung von Missständen in Staat und Gesellschaft von großen Teilen der Bevölkerung begrüßt. Mao setzte jedoch statt der von Politikern wie Liu Shaoqi gewünschten Erneuerung innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) eine Massenbewegung zur Zerstörung der alten KPCh in Gang. Die meisten der alten Kader wurden ihrer Ämter enthoben. Nur 28 % der Politbüro- und 34 % der ZK-Mitglieder sowie 29 % der Provinzsekretäre konnten sich bis Ende 1966 in ihrer Position halten.
Die Kulturrevolution bestand aus einer Reihe von Massenkampagnen, die sich ablösten und teilweise widersprachen. Ursprünglich sollte die Kulturrevolution nur ein halbes Jahr dauern, dann wurde sie 10 Jahre lang, bis zu Maos Tod, immer verlängert. Konnte Mao zu Beginn der Kulturrevolution noch wesentliche Teile der Bevölkerung für die Kulturrevolution begeistern, so waren in den letzten Jahren die angeordneten Massenbewegungen zu lustlos abgehaltenen Pflichtritualen verkommen.
Die Kulturrevolution wird oft in drei Phasen eingeteilt: die Zeit der Roten Garden (Mai 1966 bis 1968), die Lin-Biao-Zeit (1968 bis August 1971) und die Zhou-Enlai-Phase (August 1971 bis Oktober 1976).
Anders als bei der Kampagne des Großen Sprungs nach vorn mit über 20 Millionen Toten wurde die Wirtschaft und die Landwirtschaft von der Kulturrevolution weitgehend ausgenommen. Man hatte gelernt, dass die Produktion möglichst ungestört weiterlaufen musste. Die Kampagnen konzentrierten sich auf Politik, Kultur, öffentliche Meinung, Schule und Universitäten. Die Universitäten stellten zu Beginn der Kulturrevolution ihre Arbeit ein, und ein normaler Universitätsbetrieb, mit Eingangs- und Abschlussprüfungen sowie qualifizierten Zeugnissen, wurde erst 1978 wieder eingeführt.
Auch bei den führenden Politikern gab es diese Arbeitsteilung zwischen Kulturrevolution und Produktion. Für die Kulturrevolution waren, unter der Anleitung von Mao, Politiker wie Jiang Qing und Lin Biao zuständig, für die Wirtschaft, von der Mao wenig verstand und die er anderen überließ, waren Politiker wie Zhou Enlai und Deng Xiaoping verantwortlich.
Inhaltsverzeichnis
Konzept und Begriff
Forderungen nach einer Kulturrevolution gab es in China bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mitglieder der Neuen Kulturbewegung forderten in der Bewegung des vierten Mai eine radikale und fundamentale Transformation der bis dahin feudalen Gesellschaft und Kultur Chinas. Angesichts des hohen Bedarfs an Reformen, um aus dem jahrtausendealten Feudalsystem Chinas eine moderne Gesellschaft zu machen, lehnten sie jegliches Fortbestehen von althergebrachten Traditionen ab und legten einen starken Akzent auf die menschliche Vernunft für den Fortschritt in Politik, Kultur und Wirtschaft.
In den 1960er Jahren war China nach Maos Vorstellungen, wie zuvor bereits die UdSSR, auf dem Weg des Revisionismus. In der UdSSR hatte, nach Ansicht Maos, eine neue Bürokratenklasse die Macht, abgehoben von der Masse der Bevölkerung, übernommen. Nach Maos Auffassung war das Hauptproblem der osteuropäischen Länder, dass die Klassenkämpfe nicht gründlich genug durchgeführt und dann abgebrochen worden waren. Mao wies darauf hin, dass die Klassenkämpfe das leitende Prinzip der Politik sein müssten und dass der Klassenkampf „täglich, monatlich und jährlich“ durchgeführt werden müsste. In China sah Mao jedoch ein Erstarren im erreichten Zustand mit einer Bürokratenklasse, die ihre Position, abgehoben von den Volksmassen, zementierte.
Daher forderte Mao einen neue sozialistische Revolution im Bereich des politischen, gesellschaftlichen wie kulturellen Überbaus – die Kulturrevolution. Der Grund für die Ausrufung der Kulturrevolution lag daher nicht nur im Sturz einiger Politiker der „pragmatischen Linie“ wie Liu Shaoqi oder Deng Xiaoping, deren Entmachtung war bereits zu Beginn der Kulturrevolution im Mai 1966, als sich eine große Mehrheit im neuen Politbüro gegen sie stellte, erledigt, sie konnten zwar in der Wirtschafts- und Tagespolitik weiterarbeiten, den Rückhalt im Politbüro hatten sie verloren. Mao hatte ein größeres gesellschaftliches Ziel vor Augen. Die ganze Gesellschaft und die Partei sollten proletarisch erneuert werden und ein weiterer Schritt hin zum idealen Sozialismus sollte vollbracht werden.
Anders als nach der Vorstellung der Politiker um Liu Shaoqi sollten nach Maos Vorstellung die notwendigen Erneuerungen nicht innerhalb und durch die Kommunistische Partei, sondern durch die Volksmassen herbeigeführt werden. Mao war der Meinung, dass, wenn man sich auf den Ansturm der Volksmassen verlässt, eine Änderung der gesellschaftlichen Gesamtsituation herbeigeführt und damit eine wahre sozialistische Gesellschaft geschaffen werden könne. Daher der Ausdruck Maos: „Mit Chaos auf Erden erreicht man große Ordnung im Land“.[1]
Mao hoffte mittels der Kulturrevolution zum Vater und Führer der sozialistischen Weltrevolution zu werden und betrachtete deshalb die Kulturrevolution als entscheidendes Ereignis der Menschheitsgeschichte. In der Zeitschrift „Rote Fahne“ schrieb er dazu im Jahr 1967:
„Die Große Proletarische Kulturrevolution ist eine Revolution, die die Seelen der Menschen erfasst hat. Sie trifft die grundsätzliche Position der Menschen, bestimmt ihre Weltanschauung, bestimmt den Weg, den sie bereits gegangen sind oder noch gehen werden und erfasst die gesamte Revolutiongeschichte Chinas. Dies ist die größte, in der Geschichte der Menschheit noch nie dagewesene, Umwälzung der Gesellschaft. Sie wird eine ganze Generation von standhaften Kommunisten heranbilden.“[2]
Die Verheißung Maos an Chinas Jugend, mit der Kulturrevolution ein neues Kapitel der Geschichte der Menschheit hin zu einer idealen Welt aufzuschlagen, verbunden mit dem täglichen Personenkult um Mao, gab der Bewegung Begeisterung, Fanatismus und, gegen die angeblichen Feinde, Brutalität, Hass und Zerstörungswut.
Ein wesentliches Merkmal der Kulturrevolution war deren Unbestimmtheit. Es sollten „kapitalistische Machthaber“ und „Revisionisten“ entlarvt werden, die den „falschen Weg“ gingen, es war aber nirgends festgelegt, was diese Begriffe zu bedeuten hatten. Gleichzeitig waren die gefällten Urteile absolut. Bei einer Person, welcher vorgeworfen wurde, auf dem falschen Weg zu gehen, war alles falsch, bei Personen, die „auf dem richtigen Weg waren“, war alles richtig. Daher auch die oft sinnlose Brutalität gegen alte verdiente Genossen und Kämpfer im Bürgerkrieg, die angeblich den „richtigen Weg verlassen hatten“. Selbst zwischen den Antreibern der Kulturrevolution waren gewaltsame Konflikte nicht außergewöhnlich.
Anders als bei der Kampagne des „Großen Sprungs nach vorn“ wurden die Wirtschaft und die Landwirtschaft von der Kampagne möglichst ausgenommen. Man hatte gelernt, dass die Produktion möglichst ungestört weiterlaufen musste. Die Kampagnen konzentrierten sich auf Politik, Kultur, öffentliche Meinung, Schule und Universitäten. Das Kulturleben und die höhere Bildung kamen fast völlig zum Erliegen. Die Universitäten hielten von 1966 bis 1978 keinen normalen Bildungsbetrieb ab. Wichtiger als die Wissensvermittlung war, die Entstehung einer neuen Bildungsschicht zu vermeiden und Klassenkampf zu propagieren.
Durch das Ausklammern der Wirtschaft aus der Kulturrevolution war es möglich, dass Deng Xiaoping, der in der Kulturrevolution als besonders übler „Revisionist“ angefeindet wurde, von den 10 Jahren der Kulturrevolution 5 Jahre lang, von 1966 bis 1968 als Generalsekretär der Partei und 1973 bis 1976 als Stellvertreter und später Nachfolger von Zhou Enlai, an führender Stelle politisch aktiv sein konnte. Auf der anderen Seite war der Zugriff im Bereich der Kultur total. Jiang Qing wählte z. B. eigenmächtig acht Opern, in welchen proletarische Helden mit ihren Heldentaten präsentiert wurden, als vorbildlich aus und die Aufführung aller anderen Opern wurde verboten.
Kurz vor seinem Tod empfing Mao noch einmal seinen Nachfolger Hua Guofeng und seine wichtigsten Mitstreiter für die Kulturrevolution, die spätere „Viererbande“ Wang Hongwen, Zhang Chunqiao, Jiang Qing und Yao Wenyuan und gab folgendes Urteil über sein Lebenswerk ab:
„In China gibt es ein altes Sprichwort: Erst wenn der Sarg geschlossen ist, lässt sich ein Urteil über ihn fällen. Bei mir wird es auch langsam Zeit, nun kann man doch eine Bewertung abgeben. In meinem Leben kann ich auf zwei Leistungen zurückblicken. Ich habe Chiang Kaishek jahrzehntelang bekämpft und ihn auf einige Inseln vertrieben. Nach einem achtjährigen Krieg habe ich die Japaner nach Hause geschickt. Schließlich bin ich nach Peking, bis in die Verbotene Stadt vorgedrungen. […] Wie ihr wisst, ist die andere Leistung die Kulturrevolution. Nur wenige unterstützen sie, viele sind gegen sie.“[3]
Vier Wochen nach Maos Tod wurden Wang Hongwen, Zhang Chunqiao, Jiang Qing und Yao Wenyuan als „Viererbande“ verhaftet und ein Jahr nach Maos Tod wurde Deng Xiaoping wieder in seine früheren Ämter eingesetzt. Die Kulturrevolution, für die Mao zehn Jahre lang stritt, war zu Ende.
Hintergründe
Seit Gründung der Volksrepublik China standen sich in der KPCh im Wesentlichen zwei Gruppen mit stark voneinander abweichenden Positionen gegenüber. Mao betonte, dass auch nach dem Sieg im Bürgerkrieg der Klassenkampf nicht aufgehört habe und dass es das revolutionäre Bewusstsein der Massen zu fördern gelte. Die Politiker um Liu legten den Arbeitsschwerpunkt darauf, das Land schnell aufzubauen und hohes Wirtschaftswachstum zu erzielen.
Auf dem 8. Parteikongress der Kommunistischen Partei Chinas (1956) wurde die Leitung Chinas neu geordnet. Nach Mao, der als Parteivorsitzender in der politischen Hierarchie die Nummer eins blieb, wurde Liu Shaoqi die Nummer zwei. Er war Staatspräsident und wurde offiziell als Nachfolger von Mao eingesetzt. Auch Deng Xiaoping bekam als Generalsekretär eine wichtige Position in der Partei. Die Veränderungen waren im Einklang mit Maos Vorstellungen, der sich aus der Tagespolitik etwas zurückziehen und mehr an den großen Linien arbeiten wollte. Auf Vorschlag von Mao wurde beschlossen, dass das Zentralkomitee in zwei Fronten eingeteilt wurde. In der ersten Front waren Liu Shaoqi, Zhou Enlai, Zhu De, Chen Yun und Deng Xiaoping. Offiziell trat Mao in die zweite Front ab, war jedoch auch noch in der ersten Front tätig. Später gab Deng über das damalige Verhältnis zu Mao folgende Erklärung ab:
„Im Allgemeinen kann man sagen, dass bis 1957 die Führung Mao Zedongs richtig war, doch häuften sich ab diesem Zeitpunkt die Fehler.“
Nach 1957 entwickelte Mao die „linksgerichtete Theorie des Klassenkampfes“ die in der Partei immer weiteren Raum einnahm. In ihr wird dargelegt, dass sich in China auf „politischer und ideologischer Ebene eine neue Ausbeuterklasse“ entwickele. Zu dieser neuen Ausbeuterklasse gehörten, nach Mao, Funktionäre, Verwaltungsfachleute, Techniker, Intellektuelle usw. die „den Kontakt zu den Volksmassen“ verloren hätten.
Nach der Katastrophe des Großen Sprungs nach vorn verschärfte sich der Richtungsstreit. Die Methode der wirtschaftlichen Anreize mit der Liu die Wirtschaft wieder ankurbelte, wurde von Mao als revisionistisch gebrandmarkt. Die Wirtschaft erholte sich zwar und die Versorgungslage besserte sich. Das starke Wachstum wurde jedoch unter anderem durch die Wiedereinführung von Akkordlöhnen, Bonussystemen und nichtständige Beschäftigung erreicht. Gleichzeitig wurden viele der während des Großen Sprunges nach vorn am Land aufgebauten Wirtschaftsbetriebe, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen geschlossen. Das während des Großen Sprunges rückläufige Stadt-Land-Gefälle stieg wieder stark an. Mit dem Zuzug zahlreicher Landbewohner stieg die Arbeitslosigkeit in den Städten an und es entstanden soziale Spannungen zwischen den fest angestellten Arbeitern in den Industriebetrieben und jenen, die jederzeit entlassen werden konnten.
Zwischen der Konzeption Lius und Maos gab es aber noch weitere bedeutende Unterschiede.
Meinungsverschiedenheiten zwischen Mao und Liu
Liu betrachtete die Position der Partei und des einzelnen Parteimitglieds folgendermaßen:
- Mit der Machtübernahme der kommunistischen Partei endet der Klassenkampf in China. Die Kommunistische Partei ist keine Klassenpartei mehr, sondern eine Partei des ganzen Volkes. Falls noch von Klassen die Rede ist, so können sie in Harmonie nebeneinander existieren.
- Die Parteimitglieder sind der Partei zu bedingungslosem Gehorsam verpflichtet.
- Der Einzelne kann in die Partei um einer Karriere willen eintreten.
- Der innerparteiliche Frieden ist Pflicht.
- Die Volksmassen sind rückständig und müssen von der Partei geleitet werden.
- Die kollektiven Interessen sollen mit den persönlichen Interessen der Einzelnen möglichst fruchtbar kombiniert werden.
Liu stellte seine Ansichten in dem Buch „Über die Selbstkultivierung eines kommunistischen Parteimitglieds“ dar, welches bis 1962 ein Auflage von 20 Millionen erreichte.
Maos Vorstellung von der Partei und der Gesellschaft sah anders aus:
- Klassenkampfbereitschaft auch im neuen China
- flexiblen Umgang mit Parteibeschlüssen
- Glaube an die Volksmassen
- Revolution aus Selbstmotivation
- permanente Bereitschaft zur innerparteilichen Auseinandersetzung
- Verzicht auf jeglichen persönlichen Vorteil.
Liu war ein Apostel der Organisation, für den der Weg zum Sozialismus nicht über Massenbewegungen, sondern über eine wohlorganisierte und durch ihre Praxis glaubhafte kommunistische Elitepartei führte. Mao war ein Apostel der Massen, ohne deren Kontrolle die Partei den revisionistischen Weg einschlagen würde.
Auf wirtschaftlichem Gebiet forderte Mao eine strenge Planwirtschaft. Nichts sollte dem Markt überlassen werden, während Liu eher eine Marktwirtschaft anstrebte. Nur die strategischen Schlüsselpositionen sollten streng geplant werden.
Vorgeschichte der Kulturrevolution
In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre wurde das alte feudalistische China in ein sozialistisches umgebaut. Industrie und Handwerksbetriebe wurden schrittweise verstaatlicht. Nun war die Frage wie weiter vorangegangen werden soll.
Ab 1956 begann Mao das sozialistische Aufbaumodell der Sowjetunion zu kritisieren und wurde immer unzufriedener mit der Arbeit des Parteikomitees der „ersten Front“ (besonders Liu und Deng). Mao wollte ein Übergreifen des sowjetischen Musters der „friedlichen Evolution“ mit dem Ende des Klassenkampfes auf China verhindern. Im Herbst 1957 verkündete Mao während des 3. Plenums des 8. Zentralkomitees der KPCh: „Der Widerspruch zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie, zwischen dem sozialistischen und dem kapitalistischen Weg, ist derzeit zweifellos der Hauptwiderspruch in der Gesellschaft unseres Landes.“
Im Jahr 1957 wurde im Anschluss an die Kampagne „Laßt 100 Blumen blühen“ der „Kampf gegen den rechten Flügel“ gestartet. Im Rahmen dieser Kampagne wurden über 500.000 Menschen dem Rechten Flügel zugeordnet, zu dem es antagonistische, unversöhnliche Widersprüche gäbe.
Nach der Katastrophe des Großen Sprungs nach vorn wurde die politische Linie um den Staatspräsidenten Liu Shoaqi vorherrschend. Liu schaffte mit seiner Politik das dringend gebrauchte Wirtschaftswachstum. Die Schaffung eines neuen Menschen mit sozialistischem Bewusstsein, wie es Mao wünschte, geriet ins Hintertreffen. Mao blieb jedoch oberster politischer Führer innerhalb der Partei mit hoher ideologischer Autorität. Seine Auffassungen zum Sozialismus stellten gleichzeitig die Parteilinie dar, auch wenn die Tagespolitik dann deutlich anders verlief. Mao befürchtete nun, dass die chinesische sozialistische Revolution am Ende nichts anderes bewirken würde, als die alte Klasse der Grundbesitzer und der städtischen Bourgeoisie durch eine neue Ausbeuterklasse zu ersetzen, die Funktionäre der kommunistischen Partei- und Verwaltungsbürokratie. Mao strebte eine Gesellschaft geringer Arbeitsteilung, Autarkie, vereinheitlichten Einkommen mit einer Überbrückung der gesellschaftlichen Unterschiede an. Es war eine Variante des Versuchs Maos, im „Großen Sprung nach vorn“ Volkskommunen aufzubauen.
Um den revolutionären Elan neu zu entfachen, setzte Mao auf Massenkampagnen. So wurden im Jahr 1962 die Kampagnen zur „sozialistischen Erziehung“, zur „Erziehung von Millionen Nachfolgern der proletarischen Revolution“ und zum „Lernen von der Volksbefreiungsarmee“ gestartet.
1962 machte Mao die Gegner der sozialistischen Gesellschaft in der Kommunistischen Partei selbst aus, indem er diejenigen Parteifunktionäre kritisierte, die den „kapitalistischen“ Weg gehen wollten. Er prangerte die Staats- und Parteibürokratie als eine neue Klasse an, die sich von den normalen Bürgern durch die von der Partei verliehenen Privilegien – nach genauen Rangunterschieden klassifiziert – unterschied. Mit seiner Kritik an den „privilegierten Funktionären“ bekam Mao auch innerhalb der Partei Zustimmung. Auf dem 10. Plenum des 8. Zentralkomitees der KPCh im September 1962 wurden die Auffassungen Maos zum Klassenkampf von der Partei angenommen. Sie besagten, dass der Klassenkampf während des gesamten Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus vorherrschte. Die sozialistische Erziehung müsste deshalb unter dem Leitgedanken der Ausweitung des Klassengedankens erfolgen.
Auf der Tagung des Zentralkomitees der KPCh im Februar 1963 wurde wieder beklagt, dass innerhalb der KPCh eine „privilegierte Schicht“ und eine „bürokratische Klasse“ herrschten. Leitende Kader wurden als „kapitalistische Elemente“ bezeichnet und Mao gab die Parole aus: „Mit dem Klassenkampf jede Aufgabe meistern“.
Im Juli 1964 wurde auf Wunsch Mao Zedongs ein kleines Komitee, die so genannte Fünfergruppe, ins Leben gerufen, welches eine Kulturrevolution vorbereiten sollte. Diesem Komitee gehörten Peng Zhen (Bürgermeister von Peking, Mitglied des Parteisekretariats), Lu Dingyi (Propagandachef der Partei), Kang Sheng (Stellvertretender Parteisekretär), Zhou Yang (stellvertretender Propagandachef) und Wu Lengxi (Chef der Nachrichtenagentur Xinhua) an. Unter diesen fünf Personen kann jedoch nur einer (Kang Sheng) als enger Verbündeter Maos gewertet werden und die Vorstellungen von einer Kulturrevolution waren sehr unklar und unterschiedlich. Politikern wie Peng Zhen schwebte unter Kulturrevolution eher eine Überprüfung der Verwaltung und Partei auf Korruption und Vetternwirtschaft unter Leitung der KPCh und keine Massenbewegung vor.
1965 gaben Mao und das Zentralkomitee der KPCh eine Bewertung der Lage des Landes ab, die überhaupt keinen Bezug mehr zur realen Situation hatte. Demnach würde sich bereits ein Drittel der politischen Macht nicht mehr in den Händen der KPCh befinden, Marxisten und Arbeiter hätten ihren Einfluss in den Führungsebenen der Betriebe verloren, Schulen würden von Bourgeoisie und Intellektuellen kontrolliert und Gelehrten- und Künstlerkreise würden sich am Rande des Revisionismus bewegen. Im Land würden „arbeiterblutsaugende“ Bürokratenklassen und in der Partei „Machthaber, die den kapitalistischen Weg eingeschlagen haben“ herrschen. Während also die Regierung unter Liu ihre markt- und leistungsorientierte Wirtschaftspolitik weiterbetrieb, brachte Mao, der legendäre Parteiführer und Subjekt des Personenkults, die Partei gegen die eigene Regierung in Stellung.
Im September 1965 stellte Mao den Antrag, den Kampf in der Partei gegen oppositionelle Tendenzen zu verschärfen. Dieser Antrag wurde vom Politbüro zurückgewiesen. Mao erkannte, dass er aktuell in Peking keine weitere Möglichkeiten gegen die innerparteiliche Opposition um Liu Shaoqi, Deng Xiaoping und das Pekinger Stadtkomitee unter Peng Zhen besaß. Mao reiste daraufhin nach Shanghai, Süd- und Ostchina und startete mit der Unterstützung des Shanghaier Stadtkomitees eine publizistische Kampagne gegen die intellektuelle Opposition. Mao wollte ein Klima schaffen, bei welchem er die Mehrheit des Politbüros, die ihn zwar als Politiker mit großen Verdiensten ehrte, die aber den Kurs der „Regulierten Marktwirtschaft“ Lius nicht gegen neue Massenkampagnen eintauschen wollte, hinter sich bekam. Daher griff Mao zunächst nicht Liu direkt, sondern eine abstrakte, angeblich neu entstandene Klasse an, die es zu beseitigen gelte.
Beginn der Kulturrevolution
Ein Schauspiel Wu Hans wird als Startsignal benutzt
Am 10. November 1965 erschien in der Shanghaier Literaturzeitung Wenhui bao ein Artikel Yao Wenyuans, der Wu Hans Schauspiel Hai Rui wird seines Amtes enthoben angriff. Stücke wie dieses waren damals sehr populär. Sie kritisierten implizit Vorgänge im gesellschaftlichen Leben, besonders jedoch Korruption und Machtmissbrauch, obwohl die Stücke zeitlich meist in der Kaiserzeit angesiedelt waren. Wu Han, der Vizebürgermeister von Peking war, wurde bezichtigt, Gift in der Gesellschaft zu verbreiten. Nach einigen Machtproben innerhalb der Führungsriege setzte Mao durch, dass Yao Wenyuans Artikel in allen Zeitungen gedruckt wurde. Mehrere Zeitungen fügten diesem Artikel Kommentare hinzu, die den Inhalt des Artikels teils unterstützten und teils vorschlugen, Yao Wenyuans Artikel rein akademisch zu diskutieren.
Im März und April 1966 begannen mehrere Artikel in verschiedenen Zeitungen, Wu Han und Peng Zhen schärfstens anzugreifen und sie antisozialistischer Aktivitäten zu beschuldigen.
Die Liuisten versuchten, diesen Vorstoß in eine „akademische Diskussion“ umzuwandeln. Der Pekinger Bürgermeister Peng Zhen legte im Februar 1966 ein eigenes Programm für die Kulturrevolution vor („Februar-Thesen“). Es enthielt Kritik an der Parteiführung und am Vorgehen gegen Intellektuelle. „Säuberungsaktionen“ sollten nur nach dem Parteistatut vorgenommen werden.
Entfernung der Kritiker Maos aus dem Politbüro
Mao ging im Mai 1966 zum offenen Angriff über. Auf der „Erweiterten Tagung des Politbüros“ wurden gleich vier Politbüro- und sieben der dreizehn Sekretariatsmitglieder, die alle dem liuistischen Flügel angehörten, entlassen. Unter ihnen befanden sich der Bürgermeister von Peking Peng Zhen und der Generalstabschef der Volksbefreiungsarmee Luo Ruiqing, der Rivale von Lin Biao. Mao hatte sich ein ihm genehmes Politbüro wählen lassen. Es hatte sich gezeigt, dass der Nimbus Maos immer noch ausreichte, um genügend Mitglieder des Politbüros durch Vier-Augen-Gespräche auf seine Seite zu ziehen.
Auf der gleichen Tagung wurde die „Gruppe für die Kulturrevolution beim ZK“ unter der Leitung der Maoisten Jiang Qing, Chen Boda, Zhang Chunqiao und Kang Sheng gegründet und das alte Revolutionskomitee abgeschafft.
In der vom Politbüro veröffentlichten „Mitteilung des 16. Mai“ wurde Bilanz gezogen. Es wurde behauptet, dass die Leitung in den verschiedensten Bereichen, wie Wissenschaft, Bildung, Literatur, Kunst sowie Nachrichten und Publikationswesen nicht mehr in den Händen der proletarischen Klasse liege. Die Mitglieder der intellektuellen Opposition wurden zu einem „Haufen antikommunistischer, volksfeindlicher Konterrevolutionäre“ erklärt, mit denen man einen „Kampf auf Leben und Tod“ führen müsse. Die „Vertreter des Kapitals“ hätten sich in die Partei, die Regierung und in die Armee eingeschlichen und dort eine Fraktion von Machthabern innerhalb der Partei gebildet, die den kapitalistischen Weg gingen. Sie hätten Zeitungen, Rundfunksendungen, Zeitschriften, Bücher, Lehrmaterial, Reden, literarische Werke, Filme, Opern, Schauspiele, Kunst, Musik und Tanz mit ihrem kapitalistischen Gedankengut verseucht, weshalb man solche kapitalistischen Gedanken in allen Bereichen des geistigen und politischen Lebens entlarven und vernichten müsse. In der ersten Periode waren die Opfer der Kulturrevolution vorwiegend Intellektuelle.
Des Weiteren wurde festgestellt, dass ein großer Teil der leitenden Kader in sämtlichen Verwaltungsebenen kapitalistische Interessen vertrete und gegen Partei und Sozialismus handeln würden. Sie wurden zu konterrevolutionären revisionistischen Elementen deklariert.
Aufrufe der Partei zu Massenbewegungen waren in China die Form, die politische Linie der Partei darzustellen. Mit den „Mitteilungen des 16. Mai“ rief Mao die Bevölkerung zur Aufdeckung und Ausmerzung von Missständen innerhalb von Partei und Gesellschaft auf. Anschließend sollten dann echte proletarische Nachfolgeorganisationen aufgebaut werden.
Diese Ausweitung des Klassenkampfes rief einerseits Angst und Ablehnung hervor, viele junge Menschen folgten jedoch diesem Aufruf zur sozialistischen Revolution im Bereich des politischen Überbaus Chinas, dem Aufruf zur Kulturrevolution.
Über diese durch die Machtkonzentration bei und den Personenkult um Mao geprägte Zeit erklärte Deng Xiaoping später: „Die Struktur ist der entscheidende Faktor. Die damalige Struktur war einfach so. Zu jener Zeit wurden die Verdienste einer einzigen Person zugesprochen. Bei einigen Themen hatten wir tatsächlich nicht widersprochen und sollten daher einen Teil der Verantwortung tragen. [...] Natürlich konnten wir uns unter den damaligen Bedingungen in Wahrheit nur schwer widersetzen.“ [4]
Die erste Phase der Kulturrevolution
Von den Initiatoren der Kulturrevolution wurde betont, dass der beginnende Aufruhr unter den Schülern und Studenten spontan, ohne Einwirkung von außen eingetreten wäre. Nach heutiger Sichtweise ist dies jedoch höchst unwahrscheinlich. Dass Schüler sich von sich aus, ohne Anleitung maßgeblicher Kräfte von außen, organisiert und gegen ihre Lehrer erhoben hätten, ist für das damalige China nicht vorstellbar. Heute nimmt man an, dass das Kulturrevolutionskomitee die entsprechenden Leute in die Schulen und Universitäten schickte, um die Schüler und Studenten gemäß der neuen politischen Linie, den Vorgaben des kultisch verehrten Mao, zu aktivieren und zu organisieren.
Aufruhr in den Schulen und Universitäten Pekings
Am 25. Mai 1966 erschien die erste Wandzeitung (大字报, dàzibào, wörtl. „Große-Zeichen-Plakat“) an der Peking-Universität. Dieses Plakat wurde von Nie Yuanzi geschrieben, der Parteisekretärin des Philosophieinstituts. Dazu wurde sie von Kang Sheng ermuntert, einem Mitglied der Gruppe für die Kulturrevolution beim ZK. Sie beschuldigte den Rektor der Universität, Lu Ping, und einige seiner Kollegen, die Kulturrevolution zu sabotieren. Am 1. Juni wurde der Inhalt des Plakats in einer von Mao persönlich modifizierten Form im Radio und am 2. Juni im Parteiorgan Renmin Ribao veröffentlicht. Das Plakat forderte unter anderem, „die große rote Flagge des Mao-Zedong-Denkens hochzuhalten, sich um die Partei und Vorsitzenden Mao zu vereinen und (…) alle Subversionspläne der Revisionisten zu zerstören“.
An den 55 höheren Bildungseinrichtungen in Peking formierten sich daraufhin Gruppen aus Gymnasialschülern und Studenten. Plakate ähnlich dem von Nie Yuanzi erschienen an allen Schulen der Stadt. Eines dieser Plakate wurde mit „Rote Garde“ unterzeichnet. Der Name wurde später überall populär, obwohl sich in der Anfangsphase der Kulturrevolution Rebellengruppen mit allen möglichen Namen bildeten. Diese Gruppen waren keineswegs homogen. Die Gründe, warum sich Schüler den Gruppen anschlossen, reichten vom Glauben an die von Mao propagierten revolutionären Ideale über akademische oder soziale Interessen bis hin zur einfachen "Lust zur Rebellion" gegen ungeliebte Lehrer.
Die Parteiführung um Liu Shaoqi versuchte, den Aufruhr in geordnete Bahnen zu lenken und vor allem vor der Öffentlichkeit zu verbergen, und entsandte ab dem 5. Juni Parteigruppen zu den Roten Garden, um mit ihnen zu arbeiten. Das vorrangige Ziel war es, den Parteiapparat und dessen privilegierte Mitglieder, die Mao angreifen wollten, vor den Roten Garden zu schützen. Auch sollten die Rebellengruppen voneinander isoliert werden, was jedoch nicht gelang. Die Arbeitsgruppen der Partei waren freilich bei den Rebellen sehr unbeliebt und wurden aus einigen Pekinger Universitäten nur wenige Tage später schon wieder vertrieben. Trotzdem wurden die Energien auf Intellektuelle und Kommilitonen mit schlechtem Klassenhintergrund gelenkt. Am 18. Juni wurden bei der ersten „Kampf- und Kritiksitzung“ etwa 60 höhere Universitätslehrer durch Schläge, Fußtritte und andere physische Gewalt gedemütigt und dann mit großen Postern durch die Straßen getrieben. Diese Aktion wurde durch die Partei-Arbeitsgruppen bald beendet und sowohl durch die Mao-Fraktion als auch durch die Liu-Fraktion innerhalb der Partei verurteilt. Im ganzen Land begann eine Hatz auf die vermeintlichen Feinde der Entwicklung der arbeitenden Klasse. Angesichts der Rebellion an den Universitäten und Schulen wurden am 18. Juni die Aufnahmeprüfungen für die Universitäten ausgesetzt.
Jene Studenten, die offiziell aus „revolutionären“ Verhältnissen stammten, also in der existierenden Gesellschaft privilegiert waren, waren plötzlich an der Erhaltung des existierenden Systems interessiert und deshalb zu konservativen Kräften in der Kulturrevolution wurden. Demgegenüber wurden Studenten mit weniger Privilegien, weil sie z. B. einer früheren Landbesitzerfamilie entstammen, häufig sehr radikal, weil sie sich davon einige Vorteile für ihr späteres Vorankommen versprachen.
Degradierung von Liu Shaoqi im Zentralkomitee
Obwohl es zwischen den führenden Politikern stets Meinungsverschiedenheiten gab, wurde der Bevölkerung wie auch den Parteimitgliedern bis 1966 ein Bild der friedlichen und konfliktfreien KPCh dargestellt. Als Mao den ideologischen Streit mit Liu an die Öffentlichkeit brachte, hatte Liu dem nichts entgegenzusetzen. Mao beherrschte die Medien. Liu hatte keine Möglichkeit, in den Medien oder vor der Bevölkerung seine Meinung darzustellen oder sich zu verteidigen. Mao hingegen konnte stets seine neuen Weisungen veröffentlichen, wie Liu zu bekämpfen sei. Schließlich wurde Liu von den Parteimitgliedern wie auch der Bevölkerung als der „den kapitalistischen Weg gehende oberste Parteimachthaber“ beschimpft.
Anfang Juli 1966 rief Liu das Zentralkomitee zu einer Sitzung nach Peking ein. Die Sitzung wurde jedoch durch das Militär verhindert. Am 18. und 19. Juli riegelten Soldaten die Gebäude des ZK der KPCh und den Wohnbezirk der Mitglieder der Führungsspitze ab. Zwei Wochen später rief Mao das 11. Plenum der Zentralkomitees ein. Viele reguläre Mitglieder wurden zu diesem Zeitpunkt bereits verfolgt und konnten an den Sitzungen nicht mehr teilnehmen.
Im neu gewählten Politbüro sank Liu Shaoqi in der Hierarchie vom 2. auf den 8. Rang. Die neue Nummer zwei wurde der Verteidigungsminister Lin Biao. Im neuen ständigen Ausschuss hatten die Maoisten nun 9 der 11 Sitze. Der Richtungsstreit zwischen den Liu Shaoqi und Mao war damit entschieden.
Im August 1966 schrieb Mao selbst eine Wandzeitung mit dem Titel „Das bürgerliche Hauptquartier bombardieren“, in dem er sich direkt gegen Liu Shaoqi und Deng Xiaoping wandte.
Die Zeit der Roten Garden
Die Ereignisse vor der Kulturrevolution, wie die Erziehung zum Klassenkampf, die Verherrlichung eines revolutionären Ideals, der Personenkult um Mao, die Atmosphäre an den Schulen und Hochschulen sowie der Glaube, an einer entscheidenden Aktion für die Weltgeschichte mitzuarbeiten, machten viele Schüler und Studenten empfänglich für die Aufrufe zur Revolution und zur Errichtung einer "neuen Welt". So konnte am 29. Mai 1966 an der Qinghua-Universität die erste Gruppe der Roten Garden gebildet werden, die sich danach schnell ausbreiteten. In einem Brief an die Roten Garden des Gymnasiums der Qinghua-Universität schrieb Mao, dass es „gerechtfertigt ist, gegen die reaktionären Elemente zu rebellieren“ und dass er die Bewegung unterstütze. Der Brief wurde sofort publiziert. Rote Garden bildeten sich daraufhin im ganzen Land. Dies wird als Geburtsstunde der Roten Garden angesehen. Der „Eid der Roten Garden“ lautete:
„Wir, die Roten Garden, treten für die Verteidigung der roten Staatsführung ein. Die Partei und der Vorsitzende Mao sind unsere Beschützer. Die Befreiung der gesamten Menschheit ist unsere unabweisliche Pflicht. Die Mao-Zedong-Ideen sind unsere oberste Anweisungen. Wir schwören, dass wir fest entschlossen sind, für den Schutz der Partei und des großen Führers Mao Zedong unsere letzten Tropfen Blut zu vergießen.“ [5]
Das Motiv für die Bewegung der Roten Garden lag anfänglich primär in der „Zerstörung der vier Relikte“ (die sogenannten alten Gedanken, alte Kultur, alte Gebräuche und alte Gewohnheiten), doch weiteten sie ihre Aktionen schnell aus. Aufgrund der Anfeuerung durch Lin Biao und Maos Frau Jiang Qing gingen die Roten Garden im ganzen Land in die Öffentlichkeit, um Wandzeitungen anzukleben, Flugblätter zu verteilen und Reden zu halten. Das Militär half bei Transport, Unterbringung und Verpflegung, die Benutzung der Bahn war für die Roten Garden kostenlos, zu den Großereignissen gab es Sonderfahrten und der Staat gab den Roten Garden Zuschüsse für den Lebensunterhalt. Die von den Roten Garden als Klassenfeinde deklarierten Personen wurden bekämpft, verprügelt, verhöhnt und ihr Eigentum beschlagnahmt. Gegenstände, die die Roten Garden als feudalistisch, kapitalistisch oder revisionistisch betrachteten, wurden zerstört. Bis Ende September 1966 wurden in Peking über 30.000 Haushalte von den Roten Garden durchsucht und von Büchern, Bildern, unproletarischer Kleidung, von falschem Geschirr oder auch von Lippenstift „gesäubert“.
Solche Besuche konnten aber auch noch ganz anders ablaufen. Jung Chang berichtet in ihrem Buch „Wilde Schwäne“, wie ihre Gruppe der Roten Garden eine Frau aufsuchte, der eine Nachbarin angehängt hatte, sie habe ein Porträt des Antikommunisten und ehemaligen Militärdiktators Chiang Kai-sheks in der Wohnung. Über das „Verhör“ schreibt Frau Jung Chang: "....Dann sah ich die beschuldigte Frau. Sie war um die vierzig und kniete nackt bis zur Taille......Auf ihrem Rücken war des Fleisch aufgeplatzt, sie war mit Wunden und Blutflecken übersät.... Ich konnte den Anblick nicht ertragen und wandte mich schnell ab. Doch noch mehr erschrak ich, als ich sah, wer sie folterte – ein fünfzehnjähriger Junge aus meiner Schule, den ich bisher recht gut hatte leiden können. Er lümmelte in einem Sessel, in der rechten Hand hielt er einen Ledergürtel und spielte nachlässig mit der Messingschnalle. „Sag die Wahrheit, sonst schlage ich dich nochmal...“ drohte er in einem Tonfall, in dem er auch hätte sagen können: „Es ist recht gemütlich hier.“" Jung Changs Interpretation dieser Vorgänge ist, dass die Generation der Roten Garden nach dem Grundsatz erzogen wurde, Recht und Unrecht nach den Prinzipien des Klassenkampfes zu beurteilen und mit dem Klassenfeind gnadenlos zu sein.[6]
Die Aussage Maos „mit Chaos auf Erden erreicht man Ordnung im Land“ veranlasste die Roten Garden, ihren Kampfeinsatz noch radikaler zu gestalten. Die Roten Garden duldeten keine abweichende Meinung. Da jedoch nicht festgelegt war, wer zu bekämpfen und welche Meinung die falsche war, bildeten sich innerhalb der Roten Garden schnell Fraktionen, die sich gegenseitig verprügelten.
Gegenüber Lehrern und Intellektuellen galt als einigendes Band die Verurteilung Maos: „Je mehr jemand studiert, desto törichter wird er. Intellektuelle sind Parasiten, die keinen Bezug zu Arbeit haben und sie müssen daher umerzogen werden.“
Mao Zedong traf das erste Mal mit den Roten Garden am 18. August 1966 auf dem Tiananmen-Platz zusammen. Seitdem empfing er bis Ende November insgesamt achtmal über 11 Millionen Lehrkräfte, Studenten sowie Mittelschüler aus dem ganzen Land.
Nach dem Empfang bei Mao kamen die Roten Garden der Aufforderung des "Großen Steuermanns", "das Alte niederzureißen, um Neues aufzubauen", gründlich nach. Tempel, Kirchen, Museen, Kunstgegenstände wurden zerstört, das Grab von Konfuzius wurde geschändet, die konfuzianischen Klassiker verbrannt, die Benutzung von Schmuck und Kosmetika wurde verboten, Menschen öffentlich gedemütigt und Politiker auf Wandzeitungen verhöhnt.
Das Ende der Roten Garden
Von Januar 1967 bis September 1968 übernahmen in den Provinzen, nach lokalen Machtkämpfen, sogenannte "Revolutionskomitees" die lokale Macht. Der Aufruhr der Roten Garden wurde nicht mehr gebraucht. Ab Oktober 1967 begannen die Schulen wieder Unterricht abzuhalten. Die Schulen wurden von Arbeitern geleitet - ihr Unterricht bestand darin, dass die Schüler die Werke Maos zu studieren und alte Lehrbücher zu kritisieren hatten. Die Roten Garden wollten jedoch nicht auf ihre bisherige Gewaltausübung verzichten. Um die Gewalt zu beenden, wurden allein in Peking 30.000 Arbeiter sowie Soldaten-Propagandatruppen an die Schulen geschickt.
Am 28. Juli 1968 empfingen Mao Zedong, Lin Biao und Zhou Enlai die Führer der Roten Garden der Stadt Peking. Mao wies sie streng zurecht:
„Ich habe euch hergebeten, um die Gewalt an den Hochschulen zu beenden.[..] In einigen wenigen höheren Bildungsinstituten gibt es noch immer gewalttätige Auseinandersetzungen. Falls einige wenige sich nicht von der Gewalt abbringen lassen, sind sie Banditen, dann sind sie die Kuomintang. Diese Gestalten müssen umzingelt werden. Wenn sie weiterhin hartnäckig Widerstand leisten, müssen sie vernichtet werden.“[7]
Die Führer der Roten Garden mussten erkennen, dass ihre Mission zu Ende war. Ende 1968 rief Mao Zedong die intellektuelle Jugend dazu auf, „in die weite Welt hinauszugehen“. Zehn Millionen Mittelschüler wurden auf das Land geschickt, um "von den Bauern zu lernen". Sie verließen nun die Städte, in denen sie als Rote Garden Geschichte gemacht hatten.
Die Lin Biao-Phase der Kulturrevolution
Bildung von Revolutionskomitees
Nach den Roten Garden an den Schulen und Universitäten wurden in Fabriken und Dörfern Verbände von „Revolutionären Rebellen“ gegründet. Im Januar 1967 besetzten „Arbeiterrebellen“ das Verwaltungsgebäude der Stadt Shanghai und übernahmen die Macht in der Stadt. Das Vorgehen wurde von Mao als „Revolutionärer Sturm“ ausdrücklich gelobt, und so entfalteten sich ähnliche Machtergreifungsaktionen von organisierten Arbeitern schnell im ganzen Land. Teilweise trafen diese Machtergreifungen aber auf erbitterten Widerstand anderer Rebellengruppen, die verdiente Kader schützten. Die Rebellengruppen begannen sich zu bewaffnen, und das Land stürzte in eine ernste Krise. Der Putschismus der Kulturrevolutionäre geriet ins Stocken.
In dieser Situation griff die Volksbefreiungsarmee (VBA) ein. Die VBA als einziges landesweit noch intaktes Organ entschied die lokalen Machtkämpfe. Als neue Verwaltungsorgane wurden Revolutionskomitees gegründet, die aus Soldaten der VBA, Funktionären und Vertretern der Rebellenorganisationen bestanden. Die oft gewaltsame Machtübernahme durch die Revolutionskomitees dauerte landesweit von 31. Januar 1967 – der Errichtung des Revolutionskomitees in Shanghai – bis zum 5.September 1968, der Errichtung der Revolutionskomitees in Xinjiang und Tibet. Mithilfe der VBA konnte die Situation zwar stabilisiert werden, aber die Soldaten der VBA waren jetzt in allen zivilen Verwaltungsorganen vertreten.
Lin Biaos Anspruch auf das Amt des Staatspräsidenten
Mit dem Einsatz der VBA zum Aufbau der Revolutionskomitees weitete sich der Einfluss der Armee in ganz China rasch aus und gewann auch deren Leiter, Verteidigungsminister Lin Biao, politisch an Gewicht. Ein Großteil der Führer in den 29 Provinzen und autonomen Regionen waren nun Armeeangehörige und von Lin Biao ausgesucht. In dieser Situation brauchte Mao Lin zur Stabilisierung des Staates. Lin besetzte immer mehr Posten in der Armee mit seinen Vertrauensleuten.
Auf dem 9. Parteitag der KPCh im April 1969 wurde Lin Biao anstelle von Liu Shaoqi zur Nummer 2 in der Partei und zum Nachfolger Maos im Parteistatut ernannt. Lin Biao erhob nun auch den Anspruch auf das Amt des Staatspräsidenten, welches der gestürzte Liu bisher innehatte. Mao verweigerte dies und plädierte dafür, das Amt zunächst einmal unbesetzt zu lassen.
Da Lin Biao auf dem Posten des Staatspräsidenten beharrte und dieses Thema öffentlich aufwarf, wurde der Konflikt öffentlich bekannt. Anfang 1970 veröffentlichte Lin nach der Mao-Bibel ein weiteres kleines rotes Buch, die „Wichtigen Dokumente der Großen Proletarischen Kulturrevolution“, in dem er seine eigenen Aussagen zum Kult erhob. Während Lin seine Position als Nachfolger Maos zementieren wollte, ging Mao zu Lin auf Distanz und begann, ihm zu misstrauen. Ohnehin war Lin mit seinem militärischen Anhang für Mao, nachdem nach dem chaotischen Beginn der Kulturrevolution Ruhe und Ordnung wieder hergestellt waren, entbehrlich geworden. Die Situation spitzte sich zu.
Mao griff Lin Biao noch nicht persönlich an, dafür aber Chen Boda, das „Sprachrohr“ von Lin, und forderte dessen Entlassung.
Der Attentatsversuch auf Mao
Mao entzog Lin zunehmend das Vertrauen und baute auf die spätere „Viererbande“ um seine Ehefrau Jiang Qing. Lin, für den eine normale Machtübernahme damit immer mehr unmöglich wurde, wollte nicht zurückstecken, sondern versuchte am 12. September 1971 ein Attentat auf Mao durchzuführen. Mao sollte während einer Reise nach Shanghai ermordet werden. Die Pläne wurden jedoch bekannt.
Als Maos Zug in Hangzhou und Shanghai eintraf, empfing Mao die regionalen Führungskader nur in seinem Zugabteil. Mao sagte zu den Provinzführern:
„Jemand möchte unbedingt Staatspräsident werden, die Partei spalten und die Macht erringen… Ich glaube nicht, dass unsere Armee rebellieren wird. Es wird Huang Yongsheng (Anm.: einem Gefolgsmann Lin Biaos) nicht gelingen, die Truppen zur Rebellion anzustacheln.“
Kurz darauf fuhr Mao wieder zurück nach Peking, ohne dass der Zug einen Zwischenhalt einlegte. Am Nachmittag des 12. September 1971 traf der Zug im Bahnhof des Pekinger Vorortes Fengtai ein. Dort bestellte Mao die Leiter der Pekinger Stadtregierung und der Pekinger Armeeeinheit Wu De und Wu Zhong zu sich und führte ein langes Gespräch mit ihnen über das weitere Vorgehen. Am Abend traf der Zug wieder am Pekinger Bahnhof ein.
Lin erkannte, dass das Attentat fehlgeschlagen war, und flüchtete am 13. September um 1:50 Uhr mit einem Flugzeug. Es stürzte wegen Treibstoffmangels in der Nähe der Stadt Öndörchaan in der Mongolischen Volksrepublik ab. Der Tod Lins wurde erst nach vier Monaten durch die chinesische Regierung bekanntgegeben. Viele Anhänger Lin Biaos in den Streitkräften wurden entlassen und zu Beginn der Kulturrevolution entfernte Generäle nahmen ihre Stellungen wieder ein.
Die Zhou-Enlai-Phase
In der Zeit von September 1971 bis zu Maos Tod im September 1976 gab es zwei Strömungen. Auf wirtschaftlicher und außenpolitischer Ebene hatte Zhou Enlai das Ruder fest in der Hand, die ideologische und kulturelle Ebene sowie die Medien wurden von der späteren „Viererbande“ um Jiang Qing dominiert. Wang Hongwen von der "Gruppe der Vier" wurde 1973 stellvertretender Parteivorsitzender und hinter Mao und Zhou die Nummer drei in der Parteihierarchie.
In den Jahren 1972 und 1973 kamen allmählich wieder die Pragmatiker in ihre Ämter zurück. Wissenschaftler und Gelehrte wurden rehabilitiert, die alten Kader nahmen wieder ihre früheren Posten ein. Deng Xiaoping wurde wieder in das Amt des Vize-Ministerpräsidenten eingesetzt. Da Zhou Enlai, der Ministerpräsident, im Krankenhaus lag, übernahm Deng die Tagesgeschäfte der Regierung; ab 1975 vertrat Deng Zhou Enlai auch im Staatsrat.
Deng leitete eine umfassende Neuorganisation der Wirtschaft ein, berief zahlreiche alte Kader zurück auf ihre Posten und erreichte erkennbare wirtschaftliche Erfolge. Der inzwischen schwerkranke Mao betrachtete die Entwicklung jedoch mit Sorge. Mao befürwortete zwar die Leitung des Staatsrates durch Deng, jedoch in der Erwartung, dass Deng im Rahmen der Kulturrevolution die Wirtschaft ankurbelte. Aus Dengs Sicht war jedoch eine Entwicklung der Volkswirtschaft unmöglich, solange die Fehler der Kulturrevolution nicht korrigiert wurden.
Während Zhou und Deng die wirtschaftliche Lage des Landes voranbrachten, versuchte die „linke Fraktion“ unter Jiang Qing die Position Zhous und Dengs zu schwächen. Andererseits wies Zhou oftmals darauf hin, dass die ideologischen Strömungen der extremen Linken ins Leere führen und ins Extreme verfallen würden. Die Ausrichtung von politischen Bewegungen dürfe nicht im Widerspruch zur wirtschaftlichen Produktion stehen.
Im Gegensatz dazu startete die Linke unter Jiang Qing mit Unterstützung Maos die Kampagne zur „Kritik an Lin Biao und Konfuzius“, die sich gegen Zhou als "modernem Konfuzius" richtete. Für die Vierergruppe ging es letztlich darum, Zhou auszuschalten, um im erwarteten Nachfolgekampf nach Mao die Führung zu übernehmen. Mao hingegen glaubte nicht an die Fähigkeit der Gruppe, das Land zu regieren, und hielt stets an Zhou als Mann für die Wirtschaft fest. Im Jahr 1974 wurde eine unheilbare, tödliche Erkrankung bei Mao festgestellt.
Im November 1975 berief das Politbüro auf Anweisung Maos eine Konferenz ein, auf der festgestellt wurde, dass einige Personen die Kulturrevolution immer noch ablehnten. Man rief dazu auf, dass das ganze Land und die gesamte Partei „einen Angriff gegen die Revision der Rechtsabweichler“ starten müsse. Am 25. Februar 1976 übermittelte das Zentralkomitee die „wichtigen Anweisungen des Vorsitzenden Maos“, die eine scharfe Kritik an Deng Xiaoping beinhalteten. Mao schrieb:
„Deng Xiaoping ist jemand, der den Klassenkampf nicht aufgreift und von jeher das Programm des Klassenkampfes abgelehnt hat.[...] Doch wofür steht die Kulturrevolution? Sie steht nun mal für Klassenkampf. Wieso verstehen einige die Widersprüche in der sozialistischen Gesellschaft nicht? Der Grund liegt darin, dass diese Personen selber kleine Kapitalisten mit einer rechtsgerichteten Gesinnung sind. Sie repräsentieren die Kapitalistenklasse, daher ist es nur logisch, dass sie den Klassenkampf nicht verstehen.“[8]
Viele von Maos alten Kampfgefährten konnten Mao erneute Angriffe gegen Deng als Rechtsabweichler nicht mehr verstehen. Über sie ließ Mao das Zentralkomitee feststellen:
„Einige Genossen, besonders die alten, sind in der Phase der kapitalistischen Demokratie stehengeblieben. Sie verstehen den Sozialismus nicht und stehen im krassen Widerspruch dazu […] Sie führen die sozialistische Revolution aus, wissen jedoch nicht, wo sich der Kapitalismus befindet. Ich sage euch, er ist mitten in der Partei, in Gestalt der gegenwärtigen kapitalistischen Machthaber […], immer noch.[9]“
Mao versuchte von Neuem, das Volk zu mobilisieren und rief die „Bewegung zur Kritik Deng Xiaopings sowie zum Angriff auf die Revision der Rechtsabweichler“ aus. Die Unterstützung vonseiten der Bevölkerung war mäßig, aber die wirtschaftliche Konsolidierung wurde beeinträchtigt.
Am 8. Januar 1976 starb der chinesische Ministerpräsident Zhou Enlai. Die große Anteilnahme der Bevölkerung Pekings war auch eine Kritik an den Gegnern Zhous und Dengs, also eine Kritik an den Trägern der Kulturrevolution. Jiang Qing und ihre Anhänger wiesen deshalb die Medien an, über die Trauerfeierlichkeiten um Zhou Enlai nicht zu berichten. Am 30. März 1976 wurde auf dem Tiananmen-Platz in Peking eine Trauerrede zu Ehren Zhou Enlais angebracht, die direkte Angriffe auf die „Viererbande“ enthielt. Es entwickelten sich auf dem Platz Kundgebungen - bis zum 4. April hatten bereits 2 Millionen Menschen auf den Veranstaltungen des Platzes teilgenommen. Die Demonstrationen auf dem Tiananmen-Platz waren die ersten Massendemonstrationen gegen die Parteiführung seit Gründung der Volksrepublik.
Am 5. April wurde der Platz durch das Militär geräumt, Deng wurde für den „parteifeindlichen Aufruhr“ verantwortlich gemacht. Am 7. April wurde Deng aller politischen Posten enthoben. Hua Guofeng wurde zum Ministerpräsidenten und zum ersten Vizevorsitzenden des Zentralkomitees ernannt. Am 9. September 1976 verstarb Mao Zedong.
Beendigung der Kulturrevolution
Nach Maos Tod bewaffnete die "Gruppe der Vier" ihre Anhänger. Allein in den Provinzen Shanghai und Anhui wurden 50.000 Gewehre beschafft und es wurde geplant, den Partei-Linken ergebene Regimenter zusammenzuziehen. Eine Anweisung des Neffen Maos, Mao Yuanxin, eine Panzerdivision nach Peking zu verlegen, wurde von Marschall Ye Jianying, der seinerseits einen Putsch plante, wieder annulliert. Wang Hongwen, bisher hinter Mao die offizielle Nummer Zwei im Staat, behauptete, dass in Shanghai 400.000 bewaffnete Milizsoldaten bereit stünden, um in den Krieg zu ziehen. Er sei bereit, das Kommando zu leiten und die Führung des Landes zu übernehmen.
Am 29. September 1976 stellte Jiang Qing bei einer Konferenz des Politbüros offiziell die Nachfolgefrage. Wang Hongwen und Zhang Chunqiao schlugen vor, dass Jiang Qing bis auf Weiteres die Führungsaufgaben übernehmen sollte. Eine Entscheidung wurde jedoch aufgeschoben. Damit war auch innerhalb des Politbüros der Kampf um die Nachfolge Maos eröffnet. Anschließend erschien in allen großen Zeitungen des Landes ein Artikel der Parteilinken mit dem Titel „Ewig nach den festgelegten Richtlinien des Vorsitzenden Mao handeln“. Die Parteilinke versuchte mittels der von ihr beherrschten Massenmedien, Jiang Qings Anspruch auf die Parteiführung durchzusetzen.
Auf der anderen Seite hatten die Gegner der Vierergruppe seit Monaten ihrerseits Vorbereitungen getroffen. Seit den Neubesetzungen nach dem Sturz Lin Biaos waren die Streitkräfte bei allen Schwenks Maos in der Regierungsbildung ein Bollwerk für Stabilität und sehr reserviert gegenüber den „Flausen“ der Parteilinken. Marschall Ye Jianying, der Verteidigungsminister, hatte, basierend auf führende Militärs, ein Netzwerk für einen Putsch gegen die Vierergruppe aufgebaut. Es umfasste unter anderem 3 Vize-Vorsitzende der ZK-Militärkommission, den Verteidigungsminister und dessen Stellvertreter, den Generalstabschef und vier führende Generäle aus Marine und Luftwaffe. Auch aus Partei und Regierung gehörten wichtige Personen zum Netzwerk. Nach Maos Tod wurde auch Hua Guofeng eingeweiht, der sich der Gruppe anschloss.
Am 6. Oktober wurde die Vierergruppe samt weiterer wichtiger Anhänger verhaftet. Das Militär besetzte wichtige politische Schaltstellen wie die amtliche Nachrichtenagentur und die Rundfunkstationen. Die Parteilinken verloren damit die Kontrolle über die Massenmedien. Der von den Parteilinken erhoffte Aufstand zur Unterstützung der Vier fand nicht statt. Auf dem 3. Plenum des 10.Zentralkomitees der KPCh in Jahr 1977 wurden Wang Hongwen, Zhang Chunqiao, Jiang Qing und Yao Wenyuan aus der Partei ausgeschlossen, während Deng Xiaoping, der Favorit der Putschisten des Oktobers 1976, wieder in alle Positionen eingesetzt wurde. Die Kulturrevolution war damit zu Ende.
Ergebnisse der Kulturrevolution
Die Kulturrevolution verfehlte letztlich alle ihre Ziele. Die Maoisten verloren den Richtungsstreit auf der ganzen Linie. Kämpften vor der Kulturrevolution noch die Linien Maos und Liu Shaoqis um die Macht, so wurden nach dem Tod Maos die führenden Kulturrevolutionäre ohne weiteres Aufbegehren in der Bevölkerung verhaftet. Der "Kampf der zwei Linien" war beendet, die „Viererbande“ im Gefängnis, und Deng Xiaoping kam wieder zurück nach Peking.
Auch der Kampf gegen Amtsanmaßung, Bürokratismus und Privilegien der Parteikader verlief im Sande, zumal die „Linken“ ihre eigenen Privilegien nicht in Frage stellen lassen wollten. Ein Beispiel hierfür gab Jiang Qing, Maos Ehefrau, die nach außen stets die "Solidarität mit den Volksmassen" beschwor und in grob geschnittener Uniform auftrat, hinter den Kulissen aber ein sehr feudal-luxuriöses Leben führte. Eigene Einkaufsgelegenheiten, Dienstleistungsstellen, eigene Wohnbezirke und Erholungsheime, besondere Krankenhäuser und Schulen – Dinge, welche in den Anfangsjahren der Volksrepublik verpönt gewesen waren – blieben für die Kulturrevolutionäre bestehen.
Das gemeine Volk wiederum verhielt sich dazu spiegelbildlich. Nach außen wurde der Schein gewahrt, aber wichtig waren Beziehungen, damit man durch die „richtigen Hintertüren“ gehen konnte. Das Gehen durch die Hintertür wurde zur Devise des kleinen Mannes. Beziehungen, notfalls auch mittels Verfilzung und Korruption - das war es, worauf es ankam.
Die Volksmassen, die ursprünglich zum Träger des Fortschritts ernannt und zur „Selbstbefreiung“ aufgerufen worden waren, wurden zum Objekt eines von oben verordneten Schauspiels. Auf Zuruf wurde das kleine rote Buch geschwungen oder wurden „begeistert“ unglaubliche neue Errungenschaften bejubelt. Die Massen jubelten, als Deng gestürzt wurde, sie jubelten, als Deng wieder eingesetzt wurde und sie jubelten wieder, als Deng wieder gestürzt wurde. In Wirklichkeit war die Bevölkerung all dieser Kampagnen schon lange überdrüssig, aber es rentierte sich nicht, nicht mitzumachen - lieber den Schein wahren und über die "Hintertüren" für das eigene Leben nachdenken. Das politische Leben war zu einem Schauspiel verkommen. Eine ganze Generation war vor dem Hintergrund einer tiefen Verachtung von Wissen und Können, von Bildung und Berufsethik durch die führenden Kulturrevolutionäre aufgewachsen. Millionen junger Menschen taten sich schwer, nach der Kulturrevolution wieder Fuß zu fassen.
Auf dem Land - und dort lebte die große Mehrheit der Chinesen - gab es freilich auch positive Ergebnisse. Die kommunalen Einrichtungen in den damals in ihren Aufgaben weit reduzierten Volkskommunen wurden wieder ausgebaut. So wurden im Rahmen der „Patriotischen Gesundheitskampagnen“ ländliche Gesundheitsdienste aufgebaut und semiprofessionelle Barfußärzte ausgebildet. Die Mechanisierung der Landwirtschaft wurde vorangetrieben, die Schulausbildung der Arbeiter und Bauern verbessert.
Angeleitet von der Kampagne „Lernen von Dazhai“ wurden von den Bauern der Volkskommunen Gemeinschaftsarbeiten wie Abtragen der Hügel zur Gewinnung von neuem Ackerland, Reparatur von Deichen und Straßen oder der Bau von neuen Häusern in Eigenregie durchgeführt. Der Aufbau von Kindergärten und Kommunenpersonal trugen zur Emanzipation der Frauen bei, die nun besser innerhalb der Kommune mitarbeiten konnten und eigene Arbeitspunkte gutgeschrieben bekamen.[10] Trotzdem, als sich die Möglichkeit schließlich dazu ergab, wollte die Mehrheit der Bauern weg von den Kollektiven und wieder ihr eigenes Land bewirtschaften.
Siehe auch
Literatur
- Guenther Roth: Politische Herrschaft und Persönliche Freiheit. Frankfurt/M. 1987, S. 87–136
- Li Zhensheng: Roter Nachrichtensoldat.; Phaidon-Verlag, Berlin 2004, ISBN 0-7148-9381-1.
- Y. C. Kuan: Mein Leben unter zwei Himmeln. Knaur, München 2001; ISBN 3-426-77661-8. Der 1931 in Kanton geborene und heute in Deutschland lebende Y. C. Kuan erzählt seine Lebensgeschichte, wie er als hoher politischer Beamter zur Zeit der Kulturrevolution in Verdacht gerät, ein Konterrevolutionär zu sein, und über Nacht aus seiner Heimat fliehen muss.
- Jung Chang: Wilde Schwäne. Knaur, München 2001, ISBN 3-426-62640-3.
- Ken Ling, Miriam London, Li Ta-ling: Maos Kleiner General. Die Geschichte des Rotgardisten Ken Ling. Deutscher Taschenbuch Verlag, 1974, ISBN 3-423-01024-X.
- Dai Sijie: Balzac und die kleine chinesische Schneiderin. Piper Verlag, München/Zürich 2007, ISBN 978-3-492-25079-5. (Belletristik)
- Emily Wu: Feder im Sturm. Meine Kindheit in China. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007, ISBN 978-3-455-50034-9.
- Gao Xingjian: Das Buch eines einsamen Menschen. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2006, ISBN 978-3-596-15241-4.
Weblinks
- Evi Zingraf: Die „Große Proletarische Kulturrevolution“ – Hintergründe, Verlauf und Auswirkungen; Chinafokus, München 2000
- Die chinesische Kulturrevolution, Inaugural- Dissertation an der Universität Bonn von Changshan Li, Harbin, China
- Thomas Scharping, Universität Köln: Chinas Militär in der Kulturrevolution
- History of The Cultural Revolution
- Morning Sun – Multimediale Dokumentation zur Kulturrevolution
- Schwerpunktthema „Kulturelles Gedächtnis“, Deutsch-chinesisches Kulturnetz
Einzelnachweise
- ↑ Die chinesische Kulturrevolution, Inaugural- Dissertation an der Universität Bonn von Changshan Li, Harbin, China, Seite 100
- ↑ Changshan Li: Die chinesische Kulturrevolution, Inaugural-Dissertation an der Universität Bonn; Harbin, China, Seite 99
- ↑ Changshan Li: Die chinesische Kulturrevolution- Inaugural-Dissertation an der Universität Bonn; Harbin, China, S. 195
- ↑ Die chinesische Kulturrevolution, Inaugural- Dissertation an der Universität Bonn von Changshan Li, Harbin, China, Seite 110
- ↑ Die chinesische Kulturrevolution, Inaugural- Dissertation an der Universität Bonn von Changshan Li, Harbin, China, Seite 123
- ↑ Jung Chang: Wilde Schwäne, Knaur Taschenbuchverlag, Kapitel 17
- ↑ Die chinesische Kulturrevolution, Inaugural- Dissertation an der Universität Bonn von Changshan Li, Harbin, China, Seite 129
- ↑ Die chinesische Kulturrevolution, Inaugural- Dissertation an der Universität Bonn von Changshan Li, Harbin, China, Seite 190
- ↑ Die chinesische Kulturrevolution, Inaugural- Dissertation an der Universität Bonn von Changshan Li, Harbin, China, Seite 190
- ↑ Gun Kessle: Frauenleben in einem chinesischen Dorf. Verlag Neuer Weg, 1984
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