Ortega-Hypothese

Ortega-Hypothese

Als Ortega-Hypothese wird eine Aussage des spanischen Philosophen José Ortega y Gasset über die Bedeutung der Beiträge einzelner Wissenschaftler für den wissenschaftlichen Fortschritt in einem Fachbereich bezeichnet. Der Begriff wurde erstmals von den Brüdern Jonathan R. und Stephen Cole 1972 in einem Artikel in der Wissenschaftszeitschrift Science (178, S. 368-375) verwendet; über häufige Zitationen dieses Artikels in Beiträgen zur Szientometrie wurde er verbreitet.

In La rebelión de las masas (Madrid 1929; dt. Der Aufstand der Massen, Stuttgart 1936) hätte Ortega y Gasset ausgeführt, dass wissenschaftlicher Fortschritt auf der Arbeit von allen Wissenschaftlern beruhe, d. h. vor allem auch auf der Arbeit einer großen Masse von Wissenschaftlern mit mittelmäßigem Talent, die nur weniger bedeutende Ergebnisse erzielen würden, wobei die Summe all dieser kleineren Fortschritte aber einen wesentlichen Teil des gesamten wissenschaftlichen Fortschritts ausmache.

Die Coles versuchten diese Hypothese anhand einer Zitationsanalyse in der Fachliteratur der Physik zu widerlegen. Aus der Beobachtung, dass aus der breiten Masse an Wissenschaftlern nur wenige Wissenschaftler zitiert werden, diese wenigen dafür aber sehr häufig, schlossen sie, dass entgegen der Ortega-Hypothese wesentliche Fortschritte in der Wissenschaft v.a. auf der Arbeit weniger, hochbegabter Wissenschaftler basiere.

Ihre Interpretation der angeblichen Ortega-Hypothese ist allerdings umstritten; nach Endre Száva-Kováts folgt sie aus einer Missinterpretation Ortegas. Die Coles hätten die Zitate aus dem Zusammenhang genommen und somit die ursprüngliche Bedeutung verfälscht, um ihre eigene Hypothese zu stützen.

Literatur

  • Jonathan R. Cole, Stephen Cole: The Ortega Hypothesis. In: Science 178, Oktober 1972, S. 368-375
  • Endre Száva-Kováts: The false ‘Ortega Hypothesis’: a literature science case study. In: Journal of Information Science, Band 30 (2004), Nummer 6, S. 496-508
  • Marco Fuhrländer: José Ortega y Gasset. In: Joachim Kaiser (Hg.): Das Buch der 1.000 Bücher. Autoren, Geschichte, Inhalt und Wirkung, Harenberg, Dortmund 2002, ISBN 3-611-01059-6, S. 830 f.

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