- Joachim Kaiser
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Joachim Kaiser (* 18. Dezember 1928 in Milken, Ostpreußen) ist seit 1959 leitender Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung und war von 1977 bis 1996 Professor für Musikgeschichte an der Hochschule für Musik und Darstellende Künste in Stuttgart. Er gehört dem internationalen Salzburg Seminar an. Kaiser zählt zu den einflussreichsten deutschsprachigen Musik-, Literatur- und Theaterkritikern.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Joachim Kaiser wurde als Sohn eines Landarztes geboren. Im Alter von acht Jahren begann er mit dem Klavierspiel. Das gemeinsame Musizieren mit seiner Familie zählte er später zu seinen glücklichsten Momenten in seinem Leben. Literatur und Musik begannen ihn schon früh zu interessieren. Er besuchte das Wilhelm-Gymnasium in Hamburg. Er studierte Musikwissenschaft, Germanistik, Philosophie und Soziologie in Göttingen, Frankfurt am Main und Tübingen. Im Juni 1951 begann er seine journalistische Laufbahn als Theater-, Literatur- und Musikkritiker. Den Weg dazu ebnete ihm eine einzige Besprechung einer Veröffentlichung von Theodor W. Adorno: Musik und Katastrophe. Über die „Philosophie der Neuen Musik“. Adorno empfahl Kaiser Alfred Andersch vom Hessischen Rundfunk, was wiederum die Frankfurter Hefte aufmerksam machte. Auf Einladung von Hans Werner Richter hin durfte Kaiser ab 1953 an Veranstaltungen der Gruppe 47 teilnehmen. 1958 wurde er in Germanistik an der Universität Tübingen über Grillparzers dramatische[n] Stil promoviert. Auf Initiative des damaligen SZ-Journalisten Erich Kuby konnte Kaiser dann ab 1959 in der Kulturredaktion der Süddeutschen Zeitung arbeiten.
Kaiser zählt neben Marcel Reich-Ranicki zu den einflussreichsten Kritikern Deutschlands. Sein Buch Große Pianisten in unserer Zeit wird gelegentlich als „Klavier-Michelin“ bezeichnet. Neben wegweisenden Pianisten wie Arthur Rubinstein, Vladimir Horowitz, Swjatoslaw Richter, Glenn Gould oder Friedrich Gulda stellt er junge Interpreten vor und erläutert Entwicklungen in der Klavierkunst. „Noch niemals habe ich erlebt, daß musikalische Interpretation mit derartiger Genauigkeit und Liebe zum Detail analysiert und beschrieben wurde.“ (Arthur Rubinstein).[1] Andererseits klagte Alfred Brendel, den Kaiser immerhin in einen von ihm herausgegebenen Kanon der 14 bedeutendsten Pianisten aufnahm, nach Auskunft von Joachim Fest darüber, der Kritiker habe ihm „durch seine missgelaunten Rezensionen mindestens zehn Jahre seines Lebens gestohlen.“ (Fest: Begegnungen, S. 299)
Kaiser fühlte sich auch in besonderer Weise dem Werk Richard Wagners verbunden und unterstützte und begleitete den Neubeginn der Bayreuther Festspiele im Jahre 1951 unter der Regie der Wagnerenkel Wieland und Wolfgang.
Joachim Kaiser war seit Dezember 1958 mit der Übersetzerin und Romanautorin Susanne Kaiser († 2007) verheiratet [2] und hat mit ihr zwei Kinder: die Regisseurin Henriette (* 30. Dezember 1961) und den Sportredakteur Philipp (* 29. August 1963). Kaiser wohnt in München am Rande des Englischen Gartens.[3]
2009 übergab er sein umfangreiches Privatarchiv dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar als Vorlass. Neben Briefen von Theodor W. Adorno und Alfred Andersch enthält es Korrespondenz mit Ingeborg Bachmann, Ernst Bloch und Heinrich Böll.[4]
Von Mai 2009 an beantwortete Kaiser in seiner Video-Kolumne Kaisers Klassik-Kunde auf der Website des SZ-Magazines wöchentlich Fragen der Leserinnen und Leser. Infolge einer Erkrankung musste er dies im Januar 2011 vorläufig aufgeben.[5]
Auszeichnungen
- 1966: Theodor-Wolff-Preis, siehe 1966 in: [1]
- 1993 Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland
- 1993 erhielt er den erstmals verliehenen Ludwig-Börne-Preis. Anlässlich dieser Ehrung schrieb Reich-Ranicki über Kaiser:
„Er, der Sachwalter der Vernunft und der Toleranz, der leidenschaftliche und heitere Aufklärer im Reich der Kunst, ist der einzige deutschsprachige Kritiker von Rang und Format, der gleichermaßen unterhaltsam und belehrend, geistreich und urteilssicher über Musik, Literatur und Theater zu schreiben vermag.“ - 1997 erhielt er den Kulturellen Ehrenpreis der Landeshauptstadt München.
- 2001 wurde Kaiser mit dem Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik ausgezeichnet,
- 2004 mit dem Julius-Campe-Preis der Kritik.
- 2009 erhielt Kaiser die Goldene Ehrenmünze der Landeshauptstadt München, die seit 1928 vergeben wird.
- 2010 erhielt er für sein Lebenswerk erneut den Theodor-Wolff-Preis; siehe 2010 in: [2]
Werke
- Große Pianisten in unserer Zeit. Piper Verlag, München 1965/2004, ISBN 978-3-492-22376-8
- Leben mit Wagner. Knaus Verlag München, ISBN 3-8135-1151-0
- Von Wagner bis Walser. 1999, ISBN 3-85842-358-0
- Kaisers Klassik. 1997, ISBN 3-442-72766-9
- Kaisers Klassik. Da Capo. Schneekluth, München 1999, ISBN 978-3795117320
- Beethovens zweiunddreißig Klaviersonaten und ihre Interpreten. 1984, ISBN 3-10-038601-9
- Erlebte Musik. Von Bach bis Strawinsky. 1977, ISBN 3-455-08942-9
- Klavier Kaiser. 14 große Pianisten auf 20 CDs. Ausgewählt und kommentiert von Joachim Kaiser. Süddeutsche Zeitung, München 2004, ISBN 978-3-937793-76-4 (enthält u.a. das gesamte Chopin-Konzert, das Arthur Rubinstein 1964 in Moskau gab, zwei von dem legendären Solomon gespielte späte Beethoven-Sonaten und die drei letzten Schubert-Sonaten, gespielt von Alfred Brendel (D958), Claudio Arrau (D959) und Artur Schnabel (D960).)
- Klavier Kaiser II. Süddeutsche Zeitung, München 2008, ISBN 978-3866156883
- Was mir wichtig ist. Deutsche Verlags-Anstalt DVA, 1996, ISBN 978-3421050564
- Imaginäre Gespräche mit Dichtern, Denkern, Musikern. Piper, München 1998, ISBN 978-3492227278
- Vieles ist auf Erden zu thun. Piper, 1994 (4. Auflage), ISBN 978-3492034906
- Mein Name ist Sarastro. Die Gestalten in Mozarts Meisteropern von Alfonso bis Zerlina. Piper, München 1989, 4. Auflage, ISBN 978-3492028189
- Kleines Theatertagebuch. Rowohlt, Reinbek 1965
- Henriette Kaiser und Joachim Kaiser: „Ich bin der letzte Mohikaner.“ Ullstein, München 2008, 352 S., ISBN 978-3-550-08697-7, Biographie
- als Herausgeber: Harenberg. Das Buch der 1000 Bücher. Autoren, Geschichte, Inhalt und Wirkung. Harenberg, Dortmund 2002, ISBN 978-3411761180
- Nachwort zu: Fünf Gedichte von Mathilde Wesendonk. In Musik gesetzt von Richard Wagner. Insel Verlag, Frankfurt a.M. 1961 (Insel-Bücherei 107/B)
- Schriftenverzeichnis: Gesa Anssar, Gert Rabanus, Helmut Kreuzer: Kaiser-Verzeichnis. Verzeichnis sämtlicher Werke. München, Allitera Verlag, 2003, 360 Seiten, ISBN 3-86520-019-2
Vortragsreihen
Zu Kaisers langjähriger Vortragstätigkeit im Münchner Gasteig gehören seine ausführlichen Vortragsreihen zu bestimmten Künstlern und Kunstformen, vor allem zum Thema Musik:
- Über Ludwig van Beethoven in den 1970er Jahren in München (Gymnasium Fürstenried, 60 Vorträge)
- Über Mozarts Opern in den 1990er Jahren in Vaterstetten
- Über Richard Wagner im Münchner Gasteig (Carl Orff Saal) von 1989 bis 11. Mai 1993 (63 Vorträge)
- Zum Thema Symphonie und Sonate zwischen Beethoven, Brahms und Mahler
- Das Geheimnis großer Streichquartette - Beethoven und Schubert als Schöpfer klassischer Kammermusikwerke (im Münchner Gasteig, die Reihe wurde in „Die grossen Spätwerke“ überführt, vom 18. September 2007 bis 16. November 2010).
Vom 11. Oktober 1994 bis 17. Juli 2007 gab Kaiser 206 Vorlesungen, insgesamt 322. Mit 170000 Zuhörern sind Kaisers Vorträge die erfolgreichste Veranstaltung der Münchner Volkshochschule aller Zeiten.
Filme
- Der letzte Kaiser. Fernseh-Feature, 2008, 5:25 Min., Buch: Peter Gerhardt, Produktion: hr, ttt – titel, thesen, temperamente, Erstsendung: 16. November 2008, Inhaltsangabe und online-Video
- Musik im Fahrtwind. Dokumentarfilm, 2006, 87 Min., Buch und Regie: Henriette Kaiser, Produktion: Lemuel Film, Erstausstrahlung: 5. November 2006, BR, Inhaltsangabe vom BR
- Der Klassik-Kaiser. Dokumentarfilm, 1997, Buch und Regie: Eckhart Schmidt, Produktion: Raphaela Film GmbH
- Im Spielfilm Bruckners Entscheidung (1995) von Jan Schmidt-Garre übernahm Kaiser die Rolle von Richard Wagner.
Rundfunkreihen
In wöchentlichen Rundfunksendungen (einstündig, z. B. „Kaisers Corner“ in Bayern4-Klassik) befaßte er sich beispielsweise ein halbes Jahr lang mit Chopin und ein ganzes Jahr mit „Beethoven - Werk und Wirkung“. Dazu kamen regelmäßige Wortsendungen, wie etwa „Kaisers Zeitschriftenschau“.
Einzelnachweise
- ↑ Joachim Kaiser über Arthur Rubinstein: „Wunderbar, erstaunlich, unbegreiflich aber mutet nicht bloß technische Klarheit seines Spiels an, die rührende, in langsamen Sätzen herzbewegende Erlauchtheit seiner Phrasierung, das stürmische Temperament seiner Ausbrüche. Das alles wiegt viel, will erobern, bewahren und lebendig gehalten sein...“ In: Große Pianisten in unserer Zeit, S. 60, 5. Auflage, 1996
- ↑ „Autoren - Susanne Kaiser“, dtv
- ↑ Interview, FAZ, 24. Oktober 2005
- ↑ Pressemitteilung PM 019, Deutsches Literaturarchiv, März 2009
- ↑ Erklärung der SZ-Redaktion vom Januar 2011 zu Kaisers Erkrankung (im Anschluss an einen der üblichen Kommentare zu „Kaisers Klassik-Kunde“)
Weblinks
Wikiquote: Joachim Kaiser – Zitate- Literatur von und über Joachim Kaiser im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Ausstellung anlässlich seines 75. Geburtstags im Literaturhaus München 2003/04
- Kaisers Klassik-Kunde
- Interviews
- „Ich weiß, dass ich sterben muss. Und zwar relativ bald“, Süddeutsche Zeitung Magazin, 12. Dezember 2008, Nr. 50, Interview in neun kleinen Teilen
- „Ich habe nichts gegen Dackel“, FAZ, 24. Oktober 2005
- Joachim Kaiser - Im Gespräch mit Ernst Emrich, BR-alpha, 26. April 2004
- Joachim Kaiser - Im Gespräch mit Frank Stepanek, 4. Januar 1995
Kategorien:- Träger des Theodor-Wolff-Preises
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