Ortolf von Baierland

Ortolf von Baierland

Ortolf von Baierland war ein hochangesehener Arzt und Verfasser eines volkssprachigen medizinischen Lehrbuches, das regional bis zum Ende des 16. Jahrhunderts benutzt wurde. Über die Lebensdaten Ortolfs liegen bislang nur zwei direkte urkundliche Zeugnisse vor, die belegen, dass er lange vor dem Jahre 1339 in einem Domherrenhof neben dem Würzburger Dom wohnte und als Arzt tätig war. Für sein hohes Ansehen spricht neben indirekten Nennungen die Tatsache, dass sein Wohnhaus noch 50 Jahre nach seinem Tod als Ortolfs hûs bekannt war. Infolge seines guten Rufes wurden noch im 15. und 16. Jahrhundert Texte mit seinem Namen versehen, um ihnen „einen gewissen gelehrten Glanz zu verleihen“. Zu den Pseudo-Ortolfica gehört auch ein geburtshilflicher Traktat des späten 15. Jahrhunderts, das sogenannte Ps.-Ortolfische Frauenbüchlein.

Inhaltsverzeichnis

Das Arzneibuch Ortolfs von Baierland

Der Entstehungszeitraum des ortolfischen Arzneibuches lässt sich nicht genau festlegen. Man geht aber von einer Entstehungszeit um 1280 aus, da als sicher gilt, dass es sich dabei nicht um ein Jugendwerk handelt und dass es auf Grund der fehlenden Pestrezepte vor den großen Pestzügen - und damit vor 1348 - verfasst worden sein muss. Das Arzneibuch zeichnet sich durch hohe Fachkompetenz auf dem neuesten Stand seiner Zeit aus, seine Konzeption als volkssprachiges Lehrwerk kann als Pioniertat bezeichnet werden, da es bis dahin üblich war, medizinische Lehrbücher in lateinischer Sprache zu verfassen. Ortolf von Baierland, der gelegentlich auch Ortolf von Würzburg genannt wird, war ein ausgezeichneter Kenner der lateinischen Fachliteratur, der wahrscheinlich an einer Universität - man zieht Salerno oder Paris in Betracht - studiert hatte. Zugleich lässt sein Werk darauf schließen, dass er ein erfahrener Praktiker war, was für studierte Mediziner des Mittelalters keineswegs selbstverständlich war. Fertig ausgebildete Praktiker, vornehmlich Wundärzte, waren es auch, an die Ortolf sich mit seinem Lehrwerk richtete. Ihnen vermittelte er auf humoralpathologischer Grundlage profundes Wissen über Diagnose, Prognose und Therapie für das gesamte breite Spektrum von Krankheiten, das die Wundärzte und Wundärztinnen des Mittelalters behandelten (Allgemeinkrankheiten, Verletzungen, Augenkrankheiten, Frauenkrankheiten bis hin zur Zahnmedizin und Chirurgie). Jenseits seiner medizinischen Qualitäten gilt Ortolfs Arzneibuch als brillantes sprachliches Kunstwerk. Ortolf greift für sein Werk in erster Linie auf Salerner Quellen zurück, weiterhin benutzt er medizinische Schriften aus Parma, Toledo und Paris.

Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte

Die Überlieferungsgeschichte des Arzneibuches erstreckt sich vom 14. bis zum 17. Jahrhundert: mittlerweile sind über 70 Voll- und etwa 130 Streuüberlieferungen der Handschrift bekannt, dazu kommen acht Druckausgaben mit mehr als 200 Auflagen von 1472 bis 1658. Räumlich konzentriert sich die Verbreitung des Arzneibuches bis etwa 1500 auf den bairisch-ostfränkischen Sprachraum.

Edition

  • James Follan (Hrsg.): Das Arzneibuch Ortolfs von Baierland nach der ältesten Handschrift (14. Jahrhundert) (Stadtarchiv Köln W 4° 24*). Stuttgart 1963.

Literatur

  • Gundolf Keil: Ortolfs Arzneibuch. Ergänzungen zu James Follans Ausgabe, Sudhoffs Archiv 53 (1969), S. 119-152
  • Gundolf Keil: "ich, meister Ortolf, von Beierlant geborn, ein arzet in Wirzeburc". Zur Wirkungsgeschichte Würzburger Medizin des 13. Jahrhunderts, in: Jahresbericht der bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg über das akademische Jahr 1975/76, Würzburg 1977, S. 17-42 (= Würzburger Universitätsreden, 56)
  • Gundolf Keil: Ortolf von Baierland (Würzburg). In: Verfasserlexikon. Bd. 7, 19892, Sp. 68-82.
  • Günter Kallinich und Karin Figala: "Ortolf von Baierland": Ein Beweis seiner Existenz, in: Medizin im mittelalterlichen Abendland, hrsg. von Gerhard Baader und Gundolf Keil, Darmstadt 1982 (= Wege der Forschung, 363), S. 293-296
  • Karl Ernst Hermann Krause: Dr. „Ortolf von Bayrlandt oder Beyerlande“. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 24, Duncker & Humblot, Leipzig 1887, S. 454.
  • Ortrun Riha: Ein Buch machen aus allen Büchern. Die Konzeption von Ortolfs ‚Arzneibuch’. In: Gundolf Keil (Hg.): „ein teutsch puech machen“. Untersuchungen zur landessprachlichen Vermittlung medizinischen Wissens. Wiesbaden 1993, S. 15-38. (= Wissensliteratur im Mittelalter, Bd. 11; Ortolf Studien 1).

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