- Otto Beckmann & Co
-
Otto Beckmann & Co, Automobil-Fabrik, Breslau war ein von 1882 bis 1926 in Breslau (Schlesien) ansässiges Unternehmen, das zunächst Fahrräder, später Automobile produzierte.
Inhaltsverzeichnis
Firmengeschichte
Der Fabrikant Otto Beckmann (1841–1889) begann im Jahr 1882 in Breslau (Schlesien) mit der Produktion von Fahrrädern, damals Velocipede genannt, weshalb er seiner Firma den Namen „Erste Schlesische Velociped-Fabrik“ gab. Bereits sieben Jahre später, im Jahr 1889, starb er, und sein ältester Sohn Paul Beckmann (1866–1914) übernahm die Firmenleitung.
Wie einige andere Hersteller von Fahrrädern begann auch Paul Beckmann bereits sehr früh, in den 1890er Jahren, mit dem Bau von motorisierten Fahrzeugen zu experimentieren. Schon bald verwarf er die Entwicklung von zwei- und dreirädrigen Fahrzeugen wieder und beschränkte sich auf vierrädrige Motorwagen. Nachdem er bereits 1898 – als einer der Pioniere des Kraftfahrzeugbaus – die erste Voiturette in Vis-à-Vis-Bauweise mit französischem Einzylindermotor produziert hatte, nannte er die Firma um in „Otto Beckmann & Co, Erste Schlesische Velociped- und Automobil-Fabrik“. Für die beginnende Motorwagen-Produktion musste er die Firmengebäude in der Breslauer Tauentzienstraße erheblich erweitern. Über dem Portal, das ebenso wie einige der Gebäude die schweren Zerstörungen Breslaus im Zweiten Weltkrieg überstanden hat, prangt noch heute die Jahreszahl der Errichtung „1898“.
Als 1904 die Herstellung von Fahrrädern zugunsten der Ausweitung der Motorwagenproduktion aufgegeben wurde, bekam die Firma den neuen kürzeren Namen „Otto Beckmann & Co, Motorwagen-Fabrik“. Nur noch einmal (1913) änderte sich die Firmenbezeichnung, als der Bestandteil „Motorwagen“ durch den moderneren Begriff „Automobil“ ersetzt wurde.
In der Zeit von der Jahrhundertwende bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte Beckmann eine Vielzahl von Modellen - Voituretten, Tonneaus, Phaetons, Limousinen, Coupés, Droschken, Lieferungs- und Sportwagen - auf den Markt, die dank ihrer hohen Qualität und Zuverlässigkeit einen sehr guten Ruf hatten. Die ersten Motoren wurden von Bouchet & Aster bzw. von De Dion bezogen, bevor man auf Lizenzfertigung und schließlich auf Entwicklung und Bau eigener Motoren überging. Über einen kurzen Zeitraum (1907) wurden Mutel-Motoren eingebaut.
Beckmann-Autos galten als besonders gute Bergsteiger und die selbst gefertigten 3-Gang-Getriebe (damals auch Geschwindigkeitswechsel genannt) wurden von der Fachpresse als vorbildlich gelobt.
Paul Beckmann kann als Erfinder des Auto-Sicherheitsgurtes angesehen werden, denn er stattete bereits um die Jahrhundertwende seine eigenen Voituretten mit Lederriemen aus, mit denen er seine drei Kinder bei jeder Ausfahrt festschnallte.
Von 1902 an wurden Beckmann-Motorwagen auf den Automobil-Ausstellungen in Leipzig, Berlin und Frankfurt ausgestellt.
Nach Ende des 1. Weltkrieges war die Breite des Produktprogramms deutlich reduziert. Die Fertigung eigener Motoren gab man 1922 auf und es wurden Aggregate von Basse & Selve, Altena/Westfalen, bezogen.
Der Firmeninhaber Paul Beckmann kann nicht nur als Hersteller, sondern auch als aktiver Fahrer zu den Pionieren des Automobilismus gezählt werden. Er nahm mit seinen Produkten erfolgreich an verschiedenen Wettbewerben teil, wie z. B. der „Qualitätsfahrt Breslau – Wien“ im Jahr 1902, bei der die drei ersten Plätze von Beckmann-Wagen errungen wurden, und der „Zuverlässigkeitsfahrt Breslau–Frankfurt“ im Jahr 1904, wo er selbst mit einem Ehrenpreis bedacht wurde. Auch an den Herkomer-Konkurrenzen in den Jahren 1906 und 1907 nahm er mit einem dafür entwickelten Spezialtyp mit 6,9-Liter-Vierzylindermotor mit 40 PS teil. Dabei errang er 1906 eine silberne Plakette und 1907 strafpunktfrei eine goldene Plakette.
Paul Beckmann betätigte sich auch als Beisitzer, dann als Schatzmeister des Schlesischen Automobil-Clubs, war „Sachverständiger für Automobilismus“ und gehörte zum Kreis der Mitglieder des Vereins Deutscher Motorfahrzeug-Industrieller (später: Reichsverband der Automobilindustrie).
Paul Beckmann starb, ebenso wie sein Vater Otto, bereits im frühen Alter von 48 Jahren im September 1914, unmittelbar nach Beginn des Ersten Weltkrieges. Keines seiner drei Kinder Otto, Erna und Ilse war zu diesem Zeitpunkt volljährig und geschäftsfähig. Nach einer für das Unternehmen sehr nachteiligen Übergangsphase mit Treuhänder-Verwaltung, die zudem noch mit dem Ersten Weltkrieg zusammen fiel, führte dann dessen Sohn Otto (1894-1963) die Firma weiter, bis sie wegen der äußerst schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der viele andere Produzenten ebenfalls aufgeben mussten, im Jahr 1926 die Produktion eigener Fahrzeuge einstellen musste und 1927 mitsamt den 150 Beschäftigten von der Adam Opel AG übernommen wurde.
Seine Schwester Ilse Beckmann (1898–1988) fuhr auf Beckmann-Fahrzeugen in den 1920er Jahren bei verschiedenen Automobilrennen – als Pionierin in diesem Metier - erfolgreich mit. Sie absolvierte diese, wie damals üblich, mit einem Beifahrer („Schmiermaxe“). Vorübergehend war ein gewisser Rudolf Caracciola ihr Beifahrer, der – drei Jahre jünger als sie - gerade als Ingenieurstudent bei den Fafnir-Werken (Aachen) volontierte. Kurz darauf begann dessen eigene große Rennfahrerkarriere. Auch mit und gegen Hans Stuck, dem ebenfalls zum damaligen Zeitpunkt noch eine große Karriere bevor stand, fuhr Ilse Beckmann einige Rennen. Ihre eigenen Rennfahreraktivitäten musste sie jedoch bald nach dem Verkauf der Firma beenden.
Die Rüsselsheimer Adam Opel AG richtete in den vorherigen Produktionsstätten der Firma Otto Beckmann ihre schlesische Verkaufs- und Kundendienst-Werks-niederlassung ein. Otto Beckmann wurde deren Geschäftsführer bis zum kriegsbedingten Ende. Schlesien (und damit auch Breslau) kam 1945 unter polnische Verwaltung und gehört inzwischen zu Polen. In der alten Beckmannschen Produktionsstätte befindet sich heute ein großer Zeitschriftenvertrieb.
Produkte und deren Verbreitung
Fahrzeugmodelle (Auswahl)
Typ/Karosserie Bauzeitraum Zylinder Motor-Hersteller Leistung vmax Leichter Beckmann-Wagen (Vis-à-vis) 1898-1905 1 De Dion (Lizenz) 6,5 PS - Voiturette 1902-1905 2 Aster 10/12 PS - Tonneau Typ XVII 1902-1904 4 Aster 12/16 PS - Droschke 12/14 HP 1904-1907 2 Aster 12/14 PS - Coupé-Limousine 22/30 HP (Oberteil abnehmbar) 1904-1907 4 Beckmann 22/30 PS 75 km/h Lieferungswagen 1904-1906 2 Beckmann 6 PS - Phaeton 20/22 PS 1905-1907 4 Beckmann 20/22 PS - Phaeton 40/50 PS 1905-1907 4 Beckmann 40/50 PS 90 km/h Doppel-Phaeton „Herkomer-Typ“ 1906-1907 4 Beckmann 40 PS 95 hm/h Doppel-Phaeton 29/50 PS 1907-1909 6 Beckmann 29/50 PS 90 hm/h Phaeton 1907-(?) 4 Mutel 28 PS - Droschke 10/14 PS 1907-1908 4 Beckmann 14 PS 60 km/h Doppel-Phaeton 31/50 PS 1909-(?) 4 Beckmann 50 PS 100 km/h Limousine 21/40 PS (Oberteil abnehmbar) 1908-1912 4 Beckmann 42 PS 90 km/h Landaulet 8/20 PS 1912-1914 4 Beckmann 20 PS 65 km/h Sport-Phaeton 10/30 PS 1912-1914 4 Beckmann 30 PS 80 km/h Sport-Limousine 22/50 PS 1912-1914 4 Beckmann 50 PS 95 km/h Lieferungswagen 8/20 PS 1911-1914 4 Beckmann 20 PS - Sportwagen SL 40 1924-1926 4 Selve 42 PS 115 km/h Phaeton Typ 8/32 1925-1926 4 Selve 40 PS - Beckmann erreichte nie besonders hohe Produktionszahlen. Die Autos wurden überwiegend im Osten des Deutschen Reiches verkauft, insbesondere in Schlesien, Pommern und Ostpreußen. In einige Städte wurde eine größere Anzahl Droschken (Taxis) geliefert, nach Berlin gingen beispielsweise im Jahr 1908 insgesamt 50 Stück. Aber auch weit darüber hinaus wurden Beckmann-Autos vertrieben, allerdings in geringen Stückzahlen. Beckmann hatte Verkaufsstützpunkte in Berlin, zeitweise auch in München, Leipzig, Karlsruhe, Posen (Poznan) und Moskau. Selbst der russische Zarenhof hat einige Beckmann-Autos bezogen. Auch Skandinavien wurde beliefert, vor allem Schweden.
Produktions- und Exportzahlen sind wegen Totalverlustes der Unterlagen durch die Kriegsfolgen nicht mehr verfügbar. Lediglich aus Norwegen sind genaue Zahlen bekannt: Insgesamt fünf Fahrzeuge sind dorthin geliefert worden. In Oslo befindet sich auch (nach derzeitigem Informationsstand) das einzige noch existierende Beckmann-Auto, ein Phaeton 21/45 PS aus dem Produktionsjahr 1911, der ursprünglich nach Schweden geliefert worden war. Es ist in Privatbesitz.
Quellen und Literatur
- Halwart Schrader: Deutsche Autos 1885 – 1920, Band 1, Motorbuch Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-613-02211-7,
- Werner Oswald: Deutsche Autos Band 2 - 1920-1945. 2. Neuauflage, Motorbuch Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-613-02170-6,
- Hans-Heinrich von Fersen: Autos in Deutschland 1885 – 1920, Motorbuch Verlag, Stuttgart 1965,
- Hans-Heinrich von Fersen: Autos in Deutschland 1920 - 1939, Motorbuch Verlag, Stuttgart 1963,
- Hans-Heinrich von Fersen: Sportwagen in Deutschland, Motorbuch Verlag, Stuttgart 1968,
- Wolfgang H. Gebhardt: Deutsche Lieferwagen, Motorbuch Verlag, Stuttgart 1998, ISBN 3-613-01878-0
- Hans-Christoph von Seherr-Thoss: Die Deutsche Automobil-Industrie, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1974,
- Aleksander Marian Rostocki: Historia Starych Samochodów, Wydawnictwa Komunikacji i Łączności, Warszawa 1987, ISBN 83-206-0696-9,
- Gustav Braunbeck (Hrsg.): Braunbeck’s Sport-Lexikon Automobilismus, Motorbootwesen, Luftschiffahrt, Berlin 1910, neu aufgelegt: dbm Media-Verlag, Berlin 1994, ISBN 3-930541-041,
- Handbuch des Reichsverbandes der Automobilindustrie, Teil I: Typentafeln für Personenwagen, Dr. Ernst Valentin Verlag, Berlin 1926,
- Otto Beckmann & Co, Automobil-Fabrik Breslau: Beckmann Automobile, Katalog, Breslau 1912 (in: Deutsches Museum Archiv, München),
- Allgemeine Automobil-Zeitung (AAZ), Jahrgänge 1902 - 1921
Weblinks
Wikimedia Foundation.