Overkill-Hypothese

Overkill-Hypothese

Die Quartäre Aussterbewelle war ein Massenaussterben, bei dem zahlreiche Arten auf verschiedensten Kontinenten verschwanden. Der Prozess, bei dem vor allem große und sehr große Arten betroffen waren, erreichte seinen Höhepunkt am Übergang des Pleistozän ins Holozän. Die Wissenschaft ist in zwei Hauptlager zerstritten, die zur Erklärung des Phänomens einerseits menschliche Einflüsse (Overkill-Hypothese) und andererseits Klimaveränderungen verantwortlich machen.

Inhaltsverzeichnis

Die ausgestorbenen Arten

Bis ins späteste Pleistozän waren alle Kontinente von einer derart reichen Großtierfauna bevölkert, wie wir sie heute nur noch aus Afrika kennen. Vor etwa 100.000–10.000 Jahren setzte eine Aussterbewelle ein, die zahlreiche Großtierarten für immer auslöschte. Nur in Afrika und zum Teil in Südasien überlebten einige Tiergiganten wie Nashörner und Elefanten, und auch wesentlich mehr andere Großsäugerarten als auf anderen Kontinenten. Mit Ausnahme Afrikas und des südlichen Asiens starben weltweit alle Arten mit über 1.000 Kilogramm Gewicht und 80 % aller Arten mit 100 bis 1.000 Kilogramm Gewicht, meist zeitgleich mit dem allmählichen Vordringen des modernen Menschen aus. Der Anteil ausgestorbener Arten unter 45 kg Gesamtgewicht ist verschwindend gering.

Die Ausbreitung des modernen Menschen (Homo sapiens) über die Erde (Die Zahlen geben das erste Auftreten in Jahren vor heute an)

Betroffen waren nicht nur die Mammuts und Mastodonten in Eurasien und Nord- wie Südamerika vor etwa 11.000 Jahren, sondern auch vor etwa 100.000 Jahren einige Großtierarten Afrikas und vor rund 51.000 bis 38.000 Jahren etliche Großtierarten Australiens, unter anderem Diprotodons (nashorngroße Beuteltiere), Beutellöwen (Thylacoleo carnifex) und bis zu drei Meter hohe Riesenkänguruhs (Gattung Procoptodon). Erst vor rund 2.000 Jahren starben die Großtiere Madagaskars aus und weitere gut tausend Jahre später diejenigen Neuseelands.

In Eurasien erstreckte sich dieser Vorgang über einen längeren Zeitraum, von vor 50.000 bis 10.000 Jahren, und erreichte mit dem Ende des Pleistozäns seinen Höhepunkt. Zu den in Europa vor rund 10.000 Jahren ausgestorbenen Tieren zählen unter anderem das Wollhaarmammut (Mammuthus primigenius), das Wollnashorn (Coelodonta antiquitatis), der Riesenhirsch (Megaloceros giganteus), das Steppenwisent (Bison priscus), der Höhlenlöwe (Panthera spelaea) und der Höhlenbär (Ursus spelaeus). Der Eurasische Altelefant (Elephas namadicus), das Waldnashorn (Dicerorhinus kirchbergensis) und das Steppennashorn (Dicerorhinus hemiotechus) starben schon etwas früher, wahrscheinlich am Beginn der Würm-Eiszeit aus. In Amerika lag das Aussterben in einem engen Zeitrahmen (vor rund 10.000 Jahren), hier verschwanden unter anderem Mammuts, Mastodonten, Kamele, Helm-Moschusochsen, Buschochsen, Toxodonten, Macrauchenien, Säbelzahnkatzen, Riesenfaultiere und Riesengürteltiere (Glyptodon). Mindestens 17 Gattungen der ausgestorbenen Megafauna Amerikas verschwanden vor 11.400-10.800 Radiocarbonjahren [1].

Der Mensch als Verursacher

Für ein Aussterben dieser Arten durch menschliche Bejagung sprechen die Tatsachen, dass der Zeitpunkt des Aussterbens auffällig mit der weltweiten Ausbreitung des Menschen korreliert und dass bei keiner der früheren Aussterbephasen eine derartige Einschränkung hinsichtlich der Größe beobachtet werden konnte.

Haastadler greift Moas an

Seit langem wird für das Aussterben der Eiszeitlichen Megafaunen der Mensch als Verursacher diskutiert. Unter dem Namen Overkill-Hypothese wurde das Konzept Paul S. Martin in den 1960er Jahren ausgearbeitet. Bis heute ist das Konzept jedoch heftig umstritten.

Vertreter der Bejagungshypothese führen auch einen analogen Vorgang auf Inseln, die erst später besiedelt wurden, an. So sind auf Madagaskar, wo erst seit rund 1.500 Jahren Menschen leben, in den darauffolgenden Jahrhunderten unter anderem die dortigen Flusspferde, die Elefantenfußvögel, zwei Arten endemischer Erdferkel, eine Krokodilart, die Riesenfossas und zahlreiche große Primatenarten, darunter die Riesenlemuren Megaladapis verschwunden. In Neuseeland verschwanden neben den Moas auch viele andere flugunfähige Vögel und der Riesenadler Harpagornis bald nach der Besiedlung durch die Māori um etwa 800.

Kritik an der Ausrottungs-Hypothese

Gegner der Bejagungshypothese verweisen auf die primitiven Jagdmethoden der frühen Menschen, die keinen so großen Einfluss auf die Populationsgröße haben können und verweisen auf Afrika, wo es schon viel länger Menschen gegeben hat und wo es zu keinem nennenswerten Massenaussterben gekommen ist. Zwar zeigen Modellrechnungen, dass gerade große und sich langsam reproduzierende Tiere selbst bei geringer Bejagung sehr anfällig für vorzeitiges Aussterben sind, insbesondere dann, wenn sie keinerlei Fluchtreflexe gegenüber dem Menschen besitzen. Zudem haben Versuche mit nachgebauten Speeren mit Feuersteinspitzen gezeigt, dass selbst so große Tiere wie Elefanten mit ihnen getötet werden können, die steinzeitlichen Jäger also durchaus in der Lage waren, praktisch jedes Tier zu erlegen.

Auch ist nicht klar, wieso einige große Arten, die in Größe und Lebensweise den ausgestorbenen Arten ähnlich waren und auch nachgewiesenermaßen Jagdbeute des Menschen waren, bis in die Gegenwart beziehungsweise in die historische Neuzeit, auch in Mitteleuropa, überlebten, zum Beispiel der Elch (entspricht der Größe von Megaloceros), die großen Rinderarten wie Bison, Wisent oder Ur (die der Größe des ausgestorbenen Buschochsen (Euceratherium) entsprachen). Gerade in der Nordpolarregion Nordamerikas, das die Ureinwohner Amerikas als erstes betraten und wo außer der Jagd keine effektive Nahrungsaufnahme (etwa durch Früchte) möglich war, gibt es auch heute noch eine reichhaltige Fauna mit Großwild, etwa Eisbär, Moschusochse, Elch oder Walross.

Ein Hauptkritikpunkt der Gegner der Hypothese besteht darin, dass in Amerika nur relativ wenige Jagd-Plätze mit ausgestorbenen Arten bekannt sind, während man solche Plätze aus Eurasien (Nashörner, Pferde ect.) in großer Zahl kennt. Die Befürworter der Ausrottungshypothese erklären diese Tatsache damit, dass die nordamerikanischen Faunen innerhalb weniger hundert Jahre ausstarben und somit kaum Potential für Fossilnachweise blieb[1].

Einige Forscher nehmen an, dass sowohl klimatische als auch menschliche Einflüsse für das Aussterben der Großtierarten am Ende des Pleistozäns verantwortlich waren und erst im Zusammenspiel so viele Arten auslöschten. Demnach hätten die Urmenschen dann nur die ohnehin schon geschwächten Populationen ausgelöscht. Befürworter der Overkill-Hypothese bemerken hierzu aber, dass die meisten dieser Arten sich ohne den Einfluss des Menschen wohl wieder erholt hätten, wie nach den vorherigen Klimawechseln des Eiszeitalters auch. Im Grunde wäre also auch bei dieser abgeschwächten Form der Overkill-Hypothese der Mensch wohl der ausschlaggebende Faktor für das Massensterben gewesen.

Kaum in Frage gestellt wird, dass der Untergang der Großtierfauna einiger abgelegener Inseln wie Madagaskar und Neuseeland durch das erste Eintreffen des Menschen in historischen Zeiten verursacht war. Verfechter der Ausrottungshypothese stellen die Kolonisation dieser Inseln in eine Reihe mit der Besiedelung Amerikas und Australiens. Die Gegner der Ausrottungshypothese betonen, dass das Massensterben am Ende der Eiszeit nicht mit dem Aussterben von Tieren auf diesen Inseln zu vergleichen sei. Das Aussterben auf den Inseln wurde vermutlich vor allem dadurch bedingt, dass diese Tiere keine Fluchtreflexe hatten, sie oft wenige natürliche Feinde hatten oder Menschen nicht als solche erkannten. Zudem konnten sie aus ihrem Lebensraum (meist Inseln) nicht fliehen und waren für die jagenden Menschen somit eine leichte und ungefährliche Beute. Teilweise wurden sie auch durch die mitgebrachten Haustiere oder miteingeschleppten Tiere wie Ratten oder Schlangen ausgerottet. Beispiele für einen solchen "Overkill" sind Madagaskar (ca. 500 n. Chr.), Mauritius (ca. 1650 n. Chr.), Neuseeland (ca. 1300 n. Chr.), Guam (ca. 1950 n. Chr.) sowie die meisten Pazifikinseln. Auch Inseln wie Malta, Sizilien oder die Wrangel-Insel, wo die letzten, verzwergten, Altelefanten lebten, ereilte dieses Schicksal, als die ersten Menschen ankamen. Auf solchen Inseln betraf dies sämtliche leicht zu erlegenden Riesentiere, seien es Säugetiere, Vögel oder Reptilien gewesen, andere (kleinere) Tierarten starben durch die folgend aufkommende landwirtschaftliche Nutzung aus. Dies auf die Vorgänge am Ende des Pleistozäns zu übertragen ist jedoch schwierig: erstens sind Inselpopulationen sehr viel anfälliger (auch für Naturkatastrophen), da das Habitat im Vergleich zu Kontinenten sehr klein und die Populationsgröße sehr gering ist (was auch zu einer niedrigen Reproduktionsrate führt), zweitens waren diese Inselpopulationen für Jäger nicht nur eine leichte Beute (aufgrund des fehlenden Fluchtreflexes), sondern stellten wegen des fehlenden Verteidigungstriebs auch keine Gefahr dar (im Gegensatz zum Beispiel zu Nordamerika, wo das Wild zwar nicht den Menschen, aber sehr wohl Raubtiere wie Wölfe oder Bären gewöhnt war).

Das Klima als Verursacher

Die Klimahypothese ist neben der Ausrottungshypothese die mit Abstand am häufigsten genannte Erklärung des Massensterbens am Ende des Pleistozän. Auf dem Amerikanischen Doppelkontinent fallen das Auftreten des Menschen und die Klimaveränderungen am Ende des Pleistozän in denselben Zeitraum und sind somit nur schwer zu trennen. Das Aussterben der Großtierfauna Australiens vor rund 45.000 Jahren korreliert überhaupt nicht mit bekannten Klimaschwankungen, wohl aber mit dem erstmaligen Auftreten des Menschen. Allerdings sind die Daten für die Australischen Vorgänge weniger präzise, da sie länger zurückliegen. Problematisch ist weiter, dass es während des gesamten Pleistozän zahlreiche Klimaschwankungen gab, die nicht zu Massenausstereben führten. Daten aus Eisbohrkernen belegen, dass frühere Klimaschwankungen jenen am Ende des Pleistozän, die für das Aussterben der Megafauna verantwortlich gemacht werden, weder an Stärke noch Geschwindigkeit nachstanden [1].

Weitere Erklärungshypothesen

Eine neuere Hypothese US-amerikanischer Wissenschaftler besagt, dass nicht die Bejagung allein, sondern durch den Menschen und seine Haustiere bzw. Kulturfolger eingeschleppte Seuchen für das Aussterben der Großtiere ausschlaggebend gewesen sei. Diese Tiere hätten ihr Immunsystem im Gegensatz zu den kleineren mit rascheren Generationsfolgen nicht rechtzeitig an die Krankheitserreger anpassen können.

Neueste Indizien weisen auch darauf hin, dass ein möglicher Asteroideinschlag vor ca. 12.900 Jahren im heutigen Kanada Grund gewesen sein könnte für das Massensterben der Eiszeit-Megafauna. Der Asteroideinschlag könnte auch der zeitgleich existierenden steinzeitlichen Clovis-Kultur ein Ende bereitet haben.[2]

Literatur

  • Paul S. Martin: Quaternary Extinctions. The University of Arizona Press, 1984. ISBN 0-8165-1100-4
  • Göran Burenhult: Die ersten Menschen. Weltbild Verlag, 2000. ISBN 3-8289-0741-5
  • Peter D. Ward: Ausgerottet oder ausgestorben? Warum die Mammuts die Eiszeit nicht überleben konnten. Birkhäuser Verlag, 2001. ISBN 3-7643-5915-3
  • Oakes, Ted: Land of Lost Monsters: Man Against Beast. The Prehistoric Battle for the Planet, 2003
  • Jagen und sammeln: Festschrift für Hans-Georg Bandi zum 65. Geburtstag (3. September 1985), gewidmet von den Mitarbeitern des bernischen historischen Museums, des Seminars für Urgeschichte der Universität Bern, sowie von Freunden und Fachkollegen im in- und Ausland, von Bernisches Historisches Museum, Hans-Georg Bandi, Rudolf Fellmann, Georg Germann, Karl Zimmermann; Veröffentlicht von Stämpfli & Cie
  • Ewe, Thorwald: Das große Sterben, in Focus-online.de (23. März 2008), abgerufen am 10. Februar 2009

Einzelnachweise

  1. a b c Stuart Fiedel , Gary Haynes: A premature burial: comments on Grayson and Meltzer’s “Requiem for overkill” Journal of Archaeological Science 31 (2004) 121–131. online
  2. Exploding asteroid theory strengthened by new evidence. In: Space Daily, online, 7. Juli 2008.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Overkill (Begriffsklärung) — Overkill steht für: Overkill, im Kalten Krieg verwendete Bezeichnung für die Fähigkeit, den Gegner mehr als einmal vernichten zu können. Overkill (Kriminalistik), Handlungen eines Täters an seinem bereits verstorbenen Opfer, die ebenfalls… …   Deutsch Wikipedia

  • Quartäre Aussterbewelle — Die Quartäre Aussterbewelle war ein Massenaussterben der letzten Eiszeit, bei dem zahlreiche Tierarten auf verschiedenen Kontinenten verschwanden. Der Prozess, bei dem vor allem große und sehr große Arten der eiszeitlichen Megafauna betroffen… …   Deutsch Wikipedia

  • Wollhaarmammut — Skelettrekonstruktion eines Wollhaarmammuts im Mammutheum in Siegsdorf Bayern. Systematik Klasse: Säugetiere (Ma …   Deutsch Wikipedia

  • Megaherbivorenhypothese — Schutzgebiet Oostvaardersplassen, das durch die Beweidung mit Megaherbivoren offen gehalten wird Die Megaherbivorenhypothese ist eine viel diskutierte Hypothese aus den Bereichen Ökologie und Geobotanik zum Einfluss großer Pflanzenfresser, der… …   Deutsch Wikipedia

  • Beuteltier — Beutelsäuger Koala (Phascolarctos cinereus) Systematik Stamm: Chordatiere (Chordata) …   Deutsch Wikipedia

  • Beuteltiere — Beutelsäuger Koala (Phascolarctos cinereus) Systematik Stamm: Chordatiere (Chordata) …   Deutsch Wikipedia

  • Marsupialia — Beutelsäuger Koala (Phascolarctos cinereus) Systematik Stamm: Chordatiere (Chordata) …   Deutsch Wikipedia

  • Marsupialien — Beutelsäuger Koala (Phascolarctos cinereus) Systematik Stamm: Chordatiere (Chordata) …   Deutsch Wikipedia

  • Metatheria — Beutelsäuger Koala (Phascolarctos cinereus) Systematik Stamm: Chordatiere (Chordata) …   Deutsch Wikipedia

  • Mammuts — Mammut Zeitraum Pliozän bis Holozän 4,5 Mio. Jahre bis etwa 4.000 Jahre Fundorte Nordamerika Europa Asien Afrika …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”