Megaherbivorenhypothese

Megaherbivorenhypothese
Schutzgebiet Oostvaardersplassen, das durch die Beweidung mit Megaherbivoren offen gehalten wird

Die Megaherbivorenhypothese ist eine viel diskutierte Hypothese aus den Bereichen Ökologie und Geobotanik zum Einfluss großer Pflanzenfresser, der Megaherbivoren (von altgriech. mega ‚groß‘, lat. herba ‚Kraut‘ und vorare ‚verschlingen‘) auf die Vegetation und Landschaftsstruktur, vor allem im Übergang vom späten Pleistozän (Eiszeitalter) zur anschließenden Warmzeit (etwa 12.000 bis 8.000 Jahre vor heute), und die Folgerungen, die daraus möglicherweise für die heutige Vegetation und Landschaft zu ziehen wären.[1]

Die Hypothese geht davon aus, dass große Pflanzenfresser dort, wo sie in großen Zahlen vorkommen, die Vegetation und das Landschaftsbild ganz entscheidend beeinflussen. Insbesondere können sie vorher geschlossene Wälder so stark auflockern, dass an ihre Stelle eine halboffene, parkartige Weidelandschaft entsteht. Dies zeigt sich z.B. an den afrikanischen Baumsavannen, die von Elefanten als Schlüsselart waldfrei gehalten werden. Dass etwa Mitteleuropa in vorhistorischer Zeit im Holozän (Erdgeschichtliche Epoche nach der letzten Kaltzeit) keine savannenartige Parklandschaft, sondern ein geschlossenes Waldgebiet war, liegt der Hypothese zufolge daran, dass der Mensch die Tierbestände durch Jagd niedrig gehalten hat, beziehungsweise daran, dass die größten Megaherbivoren (Elefanten, Nashörner) hier zum Ende der letzten Eiszeit ausgestorben sind. Ähnliches gilt für vergleichbare Vegetationsgebiete Nord- und Südamerikas, sowie Australiens. Nur in Afrika blieb die ursprüngliche Großtierfauna erhalten (living Pleistocene) und formt auf diese Weise ein großflächig ein vielfältiges Mosaik aus Grasland und Baumbeständen. Für das Aussterben der Megaherbivoren sei vor allem der steinzeitliche Mensch verantwortlich zu machen (overkill-Hypothese beziehungsweise Ausrottungshypothese). Afrika blieb verschont, weil der Mensch von dort stammt, so dass die heimischen Arten an ihn als Jäger angepasst waren (Koevolution). Bei der Auswanderung in die anderen Kontinente war er bereits ein effektiver Jäger, der auf eine unvorbereitete Beutewelt traf.

Die Hypothese ist umstritten und wird in Details uneinheitlich dargestellt. Die meisten Forscher sehen die Hypothese zumindest als einen durchaus fruchtbaren Forschungsansatz an. Ein praktischer Bezug ergibt sich vor allem durch den Einsatz von großen Weidetieren zum Erhalt von Offenlandflächen.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Definition von Megaherbivoren

Megaherbivoren mit über 1000 kg Körpergewicht leben heute nur noch in Afrika und Südasien.

Die Megaherbivoren sind große Pflanzenfresser, aus den (Über)-Ordnungen Huftiere (Ungulata), Rüsseltiere (Proboscidea), in Amerika außerdem Edentata (v.a. die Riesenfaultiere), in Australien verschiedene ausgestorbene riesenhafte Beuteltiere. Die Definition, was zu den Megaherbivoren zu zählen ist, wird nicht ganz eindeutig gehandhabt. Für viele Autoren sind nur riesenhafte Weidetiere über 1.000 kg Körpermasse Megaherbivoren (das sind vor allem Elefanten und ihre ausgestorbenen Verwandten, Nashörner und die größten Formen der ausgestorbenen amerikanische Riesenfaultiere und Glyptodonten)[2]. Viele Autoren rechnen auch kleinere bis mittelgroße Säugetiere ab etwa 44 kg Körpermasse bereits dazu. Im Sinne der Hypothese zählen diese Arten ebenfalls dazu, da sie sich vielfach auf den Einfluss von Rindern, Pferden und Hirschen, die alle unter 1000 kg wiegen, bezieht[3]

Vegetationsgeschichte

Kältesteppe des Pleistozän

Ausgangspunkt der Hypothese ist die Betrachtung des Quartärzeitalters, einer erdgeschichtlichen Epoche, die je nach Definition etwa die letzten 2 Millionen Jahre der Erdgeschichte umfasst. Während dieses gesamten Zeitalters war das Erdklima von periodischen Schwankungen geprägt, bei denen sich Warmzeiten und Kaltzeiten im Wechsel von einigen zehn- bis hunderttausend Jahren abwechselten. Während warmer Zeitabschnitte konnten in den gemäßigten Breiten Europas größere Baumbestände gedeihen, während in den kältesten Phasen baumlose Kältesteppen aus Gräsern und Zergsträuchern das Landschaftsbild prägten. Die letzte Kaltzeit begann vor etwa 115.000 Jahren, als die Eem-Warmzeit zu Ende ging. Während der letzten Warmzeit lebten in Europa neben den heutigen Arten auch Waldelefanten, Waldnashörner, Riesenhirsche, Auerochsen und Damhirsche in sehr warmen Phasen auch Wasserbüffel und Flusspferde. Während der Kaltzeiten wurden sie durch Wollhaarmammuts, Wollnashörner, Moschusochsen und Rentiere ersetzt. Die großen Raubtiere, wie Löwen, Leoparden, Hyänen und Wölfe kamen in beiden Abschnitten vor. Der jüngste noch andauernde Abschnitt des Quartär wird Holozän genannt und entspricht klimatisch gesehen einer Warmzeit. Dieser Abschnitt begann vor etwa 12.000 Jahren als die letzte Kaltzeit und damit das Pleistozän zu Ende ging. Damals wurden in den Mittelbreiten die Kältesteppen, die für die Kaltzeit typisch waren zuerst durch Parklandschaften, dann durch Wälder ersetzt. Wie üblich am Beginn einer Warmzeit verschwanden die typischen Arten der Mammutsteppe in den südlichen Gebieten. Im Gegensatz zu den früheren Warmzeiten wurden sie allerdings nicht vollständig durch warmzeitliche Tiere ersetzt und starben wenig später auch in ihren nördlichen Rückzugsarealen aus. Darüber hinaus verschwanden die großen Raubtiere, wie Großkatzen und Hyänen aus weiten Gebieten der nördlichen Hemisphäre. Mit der Wiedererwärmung breiteten sich Wälder immer weiter südwärts aus. Im Gegensatz zur Vegetation des Pleistozän, die stark von Mischformen zwischen Offenland und Baumbeständen dominiert war, stellen die Lebensräume des Holozän, die den heutigen Naturlandschaften entsprechen, meist relativ einheitliche Zonen dar, die von einzelnen Pflanzentypen (Wälder, Grasländer) dominert werden[4].

Naturbelassener Rotbuchenwald im Nationalpark Biogradska Gora, Montenegro als Beispiel einer Klimaxvegetation.

Der Großteil Mitteleuropas beispielsweise war seit 9000 v. Chr. vor allem von Birken- und Kiefernwäldern bewachsen. Ab etwa 6000 bis 5000 v. Chr. war das land flächendeckend von Eichen, Ulmen, Linden, Eschen und Ahornen, etwas später vor allem Rotbuchen beherrscht. Allerdings wurden schon um 5000 v. Chr. einzelne Flächen durch den Menschen als landwirtschaftliche Nutzflächen offengehalten. Im Lauf der Zeit öffneten Rodungen und Waldweidewirtschaft die Wälder immer weiter, bis spätestens bei der Ankunft der Römer um die Zeitenwende, diese auf halboffene Kulturlandschaften trafen. Diese waren zwar von dichten Wäldern und Mooren durchbrochen oder umgeben, aber ausgedehnte Offenlandbereiche werden zum Beispiel durch das Vorkommen des Feldhasen in dieser Zeit bestätigt[3]. Die Intensivierung menschlicher Kulturtätigkeit führte immer mehr zum Rückgang der großflächigen Wälder und zu einer Anreicherung der Landschaft mit kleingliedrigen Strukturen und aus Wiesen und Feldern, sowie einer Vielzahl von Wäldern, Gehölzgruppen und Hecken und damit zu einem Anstieg der Artenvielfalt. Häufig werden deshalb die "Kulturlandschaften" Mitteleuropas aus der Zeit des 14. bis 16. Jh. und zu Beginn des 20. Jh. zur Veranschaulichung als Beispiel angeführt. Diese Landschaften waren gebietsweise sehr strukturreich und boten einer Vielzahl einwandernder Offenlandarten einen neuen Lebensraum.

Geschichte der Hypothese

Am Beginn des 20. Jahrhunderts ging man davon aus, dass sich ein Lebensraum, den man sich ungestört entwickeln lässt früher oder später von den größten und höchsten Pflanzen beherrscht wird, die potentiell im Gebiet vorkommen können. Dieser Vegetationstyp wird als Klimaxvegetation bezeichnet. In den meisten Gebieten Mitteleuropas würden demnach seit dem Ende der Eiszeit flächendeckend dichte Hochwälder in verschiedenen Sukzessions-Stadien (Mosaik-Zyklus-Konzept) dominieren. Erst die Rodung der Wälder für Ackerbau und Weidewirtschaft führte nach dieser Ansicht dazu, dass die dichten Wälder aufgebrochen wurden. Demnach werden Wälder in Mitteleuropa in der Regel als natürliche Vegetationsform angesehen, während Offenlandbereiche in der Regel als durch menschlichen Einfluss entstanden gelten[5]. Diese Ansicht wird durch die Megaherbivorenhypothese in Frage gestellt, die davon ausgeht, dass große Pflanzenfresser, die nicht durch menschliche Jagd kontrolliert sind, ihre Lebensräume entscheidend mit beeinflussen. In ihrer modernen Form geht die Megaherbivorenhypothese vor allem auf Professor Vera zurück, der die These im Jahr 1997 in niederländisch ausformulierte und später in englisch veröffentlichte[5]. Allerdings ging bereits der amerikanische Biologe Paul S. Martin, der als Begründer der Ausrottungshypothese gilt, davon aus, dass die ausgestorbene Megafauna des Pleistozän die Vegetation ihrer Lebensräume stark geformt haben könnte. Die Ausrottungshypothese geht davon aus, dass der Mensch für das Verschwinden der pleistozänen Megafauna verantwortlich ist[6]. Bis heute ist die Fachwelt allerdings darüber zerstritten, ob diese Hypothese zutrifft[7]. Die Megaherbivorenhypothese hängt eng mit der Ausrottungshypothese zusammen und gründet zum Teil auf ihr.

Darstellung der Hypothese

Speerschleuder als effektive, prähistorische Fernkampfwaffe

Diese Hypothese geht davon aus, dass der Mensch während des späten Pleistozän durch die Bejagung von Pflanzenfressern und Fleischfressern bei deren Aussterben mitgewirkt habe. Demnach würden diese Arten noch zur potentiellen heutigen Fauna zählen. Insgesamt sind während dieser großen Quartären Aussterbewelle zahlreiche große Pflanzenfresser verschwunden. In Europa starben etwa Mammut und Wollnashorn vor etwa 12.000 Jahren aus. Auch Arten, die während der letzten Warmzeit, die vor etwa 115.000 Jahren zu Ende ging, in Mitteleuropa lebten, starben im späten Pleistozän in ihren Rückzugsarealen im Mittelmeergebiet aus. Dazu zählen etwa Europäischer Waldelefant und Waldnashorn. Nach der Megaherbivorenhypothese dürfte der Mensch auch für deren Aussterben verantwortlich sein.

Darüber hinaus soll der zunehmende Jagddruck des Menschen während des späten Pleistozän insgesamt zu relativ niedrigen Bestandsdichten an überlebenden Weidetieren, wie Wildrindern, Pferden und Hirschen geführt haben. Erst die verringerten Arten- und Bestandszahlen an Pflanzenfressern hätten nach der Erderwärmung am Beginn des Holozän nun dazu geführt, dass sich flächendeckend dichte Wälder ausbreiten konnten.

In einigen Gebieten Amerikas und Australiens ließ sich ein stärkerer Bewuchs von Bäumen nach dem Aussterben einiger Pflanzenfresser feststellen. Nach der letzten Eiszeit könne so eine dichte Bewaldung (Wiederbesiedelung) Mitteleuropas eingesetzt haben, da der Fraß der Pflanzenfresser zu gering geworden war, um einen wesentlichen Einfluss auf die Vegetation auszuüben. Dieses sich in Mitteleuropa einstellende Klimax der Sukzession war größtenteils Buchenwald, Buchen-Mischwälder, Mischwälder, Nadelwälder sowie azonale und extrazonale Waldgesellschaften.

Einfluss von Megaherbivoren auf die Vegetation

Frühe Beobachtungen zum Einfluss von Weidevieh auf ursprünglich geschlossene Wälder stammen aus der Zeit der frühmittelalterlichen Waldhutung, die innerhalb von wenigen Jahrzehnten, also bereits im Zeitraum eines Menschenlebens, zu einer sehr deutlichen Landschaftsumformung beitragen kann[8]. Um Siedlungen herum entstand durch im Wald weidendes Vieh wie Rinder, Schweine, Schafe usw. ein zunächst aufgelichteter Wald ohne Kleinbewuchs und Unterholz, der zunehmend von wenigen großen, alternden Bäumen mit ausladenden Kronen (sinkender Konkurrenzdruck) und bald zahlreichen, für offene Landschaften typische Wiesenpflanzen getragen wurde. Mit dem Absterben der größeren Bäume schließlich verschwand der Wald vollständig, womit das Areal dem Ackerbau zur Verfügung stand ohne gerodet werden zu müssen. Art und Weise dieser landschaftlichen Umformung, Geschwindigkeit und Form des Endresultats hängt jedoch von zahlreichen Faktoren wie Beweidungsintensität, Haustierarten, zeitliche Kontinuität usw. ab. So führt eine Beweidung mit Schafen schnell zum Verschwinden sämtlicher nachwachsender Keimlinge, während Pferde auch größere Bäume verbeißen und zu ihrer Wuchsform beitragen. Während der Kolonialzeit wurde erkannt, dass dieser Effekt auch einen Einfluss auf Landschaften und Wuchsformen von Bäumen überall auf der Welt hat.

Man nimmt daher an, auch die prähistorische Flora und Vegetation dürfte durch die damals lebenden Pflanzenfresser maßgeblich mitbestimmt worden sein. Da die Vegetation auch einen Effekt auf geologische Veränderungen wie Erosion, Widerstand gegen exogene Kräfte und Sedimentierung hat, werden Megaherbivoren auch als geologisch relevante Einflüsse diskutiert. Hierbei müssen jedoch sehr große Zeiträume und langfristige Wirkungen in Betracht gezogen werden.

Wald-Grasland-Mosaik, das im Tennenloher Forst durch die Beweidung mit Wildpferden vor der Wiederbewaldung bewahrt werden soll

Die Megaherbivorenhypothese hält es für wahrscheinlich, dass ohne menschlichen Einfluss in weiten Teilen Europas ein Mosaik aus Flächen in unterschiedlichen Sukzessionsstadien vorherrschen würde. Durch den Verbiss von großen Pflanzenfressern (Megaherbivoren) würden nicht ausschließlich Wälder, sondern auch mehr oder weniger offene Wiesenlandschaften entstehen. Vom Verhalten rezenter Arten abgeleitet wird ein Herdenverhalten angenommen, was durch Umherwandern örtlich stark differenzierte Einflüsse auf die Vegetation erzeugt. Nahrungspräferenzen (Bevorzugung von gewissen Pflanzen) unterscheiden sich je nach Tierart und überlagern das soziale Verhalten. Der Standort spiele eine entscheidende Rolle, so sei die natürliche Waldgesellschaft (vgl. potenzielle natürliche Vegetation) nicht überall gleichermaßen resistent gegen Verbiss.

Hochwald sei der Theorie zufolge eher auf nährstoffarmen Böden zu erwarten, da die dort wachsenden Pflanzen schlechter verdaulich sind und außerdem über Strategien zur Abwehr verfügen. In solchen Gebieten könnte eine waldreiche und heterogene Landschaft entstanden sein. Sofern häufig Jungwuchs abgefressen wird, lichtet sich der Wald auf, ohne dass nachwachsende Bäume die absterbenden ersetzen können; es entsteht eine offene Landschaft. Auch an Stellen, die bevorzugt von Tieren aufgesucht werden, zum Beispiel an Gewässern, könnten Trittstellen entstanden sein. Weitläufige halboffene Landschaften könnten dort vorgeherrscht haben, wo auf nährstoffreichen und frischen Böden eiweiß- und nährstoffreiche krautige Vegetation besser wächst. Diese Gebiete könnten periodisch aufgesucht worden sein, so dass relativ homogene Landschaftsteile für wahrscheinlich gehalten werden. Weitere Faktoren kämen hinzu: Mastjahre, Seuchen, Schädlinge, Dürren und nasse Jahre, Wanderungen/territoriales Verhalten von Beutegreifern, Flächen- und Waldbrände, Überweidung, so dass eine sehr deutliche Differenzierung entstanden sein könnte.

Allerdings sei der Einfluss der Pflanzenfresser durch deren Bestandsregulierung durch Beutegreifer, Krankheiten, Parasiten und nicht zuletzt durch Futtermangel im Winter niemals so groß geworden, dass der Wald hätte vollständig zurückgedrängt werden können. In manchen Gebieten (z. B. Serengeti) regulieren sich heute lebende (rezente) Pflanzenfresser ausschließlich durch das Nahrungsangebot in Trockenzeiten und die Wasserversorgung. Für Mitteleuropa stehen harte Winter mit ihrer Nahrungsknappheit sowie Beutegreifer stärker im Vordergrund. Durch den Vergleich mit bekannten Kulturlandschaften oder Naturlandschaften, die für ähnlich gehalten werden, wird ein größerer Artenreichtum einer solchen, auch durch Pflanzenfresser geprägten, Landschaft vermutet.

Kritik

Gegen die Megaherbivorenhyopthese spricht, dass es Arten gibt, die auf über Jahrhunderte ungestörte Waldentwicklung angewiesen sind. In Mitteleuropa gibt es zudem, im Gegensatz zum Mittelmeerraum oder den Steppenlandschaften des Ostens so gut wie keine endemischen Pflanzenarten und -unterarten des Offenlands, was auf ein relativ geringes Alter der Offenvegetation hindeutet. Zu diesem Einwand existieren allerdings auch gegenteilige Auffassungen.[9]. Ein weiteres Argument, dass gegen die Hypothese zu sprechen scheint, ist die Tatsache, dass aus der Pollenforschung keine Hinweise auf offene Landschaften nach dem Ende der letzten Kaltzzeit vorliegen(vgl. z.B[10] und [11]). Im Holozän treten Pollen von Offenlandarten (wie z.B. Gräsern) gut nachweisbar erst am Beginn der Jungsteinzeit (mit der Einführung von Ackerbau und Viehzucht in Mitteleuropa) häufiger auf. Dies deutet darauf hin, dass seit dem Verschwinden der Mammutsteppen zunächst dichte Wälder dominierten. Allerdings ist dieses auf den ersten Blick schlagkräftige Argument von anderer Seite relativert worden. Paradoxerweise gleichen nämlich Pollenproben aus gemischten Grasland-Wald-Landschaften mitunter solchen aus dichten Waldländern sobald Rinder das ganze Jahr über dort weiden. Die Gäser werden dann offenbar stark abgeweidet und kommen kaum zum blühen, weshalb in der Folge die Baumpollen auch auf den offenen Grasflächen stark dominieren. Dies würde bedeuten, dass Offenlandgebiete, die mit Bäumen durchsetzt sind und zugleich stark von Großtieren beweidet werden, im Pollendiagramm kaum von geschlossenen Wäldern zu unterscheiden sind[12]. Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf einige Argumente, die sich auf Vergleiche mit anderen offene Lebensräumen stützen, in denen heute noch zahlreiche Großherbivoren vorkommen. So können Ost- und Südafrikanische Ökosysteme vermutlich nur eingeschränkt mit mitteleuropäischen Ökosystemen verglichen werden.

Es kann nicht eindeutig nachgewiesen werden, ob die angenommenen Verhältnisse wirklich zutreffen, so kann z. B. die Paläobotanik nur unvollständige Angaben über die Größe der Mosaike und damit zur räumlichen Verteilung machen. Auch über soziales Verhalten der Tierarten und deren Populationsgrößen gibt es nur Ableitungen von denen heute lebender, verwandter Arten. Schließlich werden Vermutungen zu den Ursachen des Aussterbens der Tierarten angestellt. Die Behauptung, der Mensch habe dazu wesentlich beigetragen, wird häufig kritisiert und ist bisher unbewiesen. So konnte z.B. gezeigt werden, dass der Riesenhirsch (Megalocerus giganteus) in Irland bereits einige Hundert Jahre vor der Einwanderung des Menschen ausstarb, vermutlich aufgrund von Vegetationsveränderungen in Folge der Klimaänderung[13]. Ähnliche Zweifel an der Ausrottungshypothese der Pleistozänen Megafauna gibt es für viele andere Arten auch.

Praktischer Bezug der Hypothese

Beweidungsprojekt mit Koniks

Die Hypothese hat über die Paläoökologie und Paläontologie hinaus in den Bereichen Ökologie und Geobotanik großes Interesse gefunden. Dies liegt an den Folgerungen für Vegetation und Landschaftsveränderung. Trifft die Hypothese zu, wären die Urwälder Mitteleuropas vor dem Neolithikum gar nicht die „eigentliche“ Urnatur Mitteleuropas, sondern gehen „nur“ auf menschlichen Einfluss (der Steinzeitjäger) zurück. Wird die Landschaft später vom Menschen und seinem Weidevieh geöffnet oder offen gehalten, wäre das dann nur ein Wiederherstellen des eigentlichen natürlichen Zustands. Die Weidetiere wären also der ökologische Ersatz für die ausgestorbenen Megaherbivoren. Die Hypothese erfreute sich deshalb bei solchen Naturschützern besonderer Beliebtheit, die mit Weidetieren zur Landschaftspflege arbeiten. So lässt sich beispielsweise mit dieser Theorie erklären, wieso sowohl typische Weide- und Wiesenpflanzen, als auch typische Waldpflanzen zur selben Zeit in mitteleuropäischen Gebieten vorkamen, von denen man annimmt, sie wären vor dem Einsetzen der Kulturtätigkeit des Menschen (bis auf Moore, Gewässer und Hochgebirge) von zusammenhängenden Wäldern bedeckt gewesen.

Praktische Anwendungen dieser Theorie gibt es deshalb beispielsweise für den Naturschutzbereich, wo oft die Forderung abgeleitet wird, struktur- und artenreiche Landschaften, die nicht mehr landwirtschaftlich bewirtschaftet werden, mit Hilfe von Pflanzenfressern zu erhalten.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. eine neuere Übersicht in C.N. Johnson: Ecological consequences of Late Quaternary extinctions of megafauna. In: Proceedings of the Royal Society, Series B 276, 2009, Seiten 2509-2519
  2. Owen-Smith, Norman: Pleistocene Extinctions: The Pivotal Role of Megaherbivores. Paleobiology 13 (1987): 351-362
  3. a b Bunzel-Drüke, M., Drüke, J. & H. Vierhaus: Quaternary Park - Überlegungen zu Wald, Mensch und Megafauna. (1994). ABUinfo 17/18, Heft 4/93, 1/94, 35 Seiten online
  4. Owen-Smith, N: Pleistocene extinctions: The pivotal role of megaherbivores. Paleobiology. Vol. 13, no. 3, pp. 351-362. 1987.
  5. a b Vera, F., W., M. (2000). Grazing ecology and forest history. Cab Intl ISBN 0-85199-442-3
  6. Paul S. Martin (Editor), Richard G. Klein (Editor): Quaternary Extinctions: A Prehistoric Revolution. Arizona University Press 2004. ISBN 0816508127
  7. Donald K. Grayson & David J. Meltzer: A requiem for North American overkill. Journal of Archaeological Science 30 (2003): 585-593.
  8. Pott, Richard & Hüppe, Joachim: Die Hudelandschaften Nordwestdeutschlands. Abhandlungen aus dem Westfälischen Museum für Naturkunde Münster 53. ISBN 3924590273
  9. Helge Walentowski & Andreas Zehm: Reliktische und endemische Gefäßpflanzen im Waldland Bayern – eine vegetationsgeschichtliche Analyse zur Schwerpunktsetzung im botanischen Artenschutz. Tuexenia 30: 59–81. Göttingen 2010 [1]
  10. H.John B. Birks: Mind the gap: how open were European primeval forests? Trends in Ecology & Evolution 20(4)2005: 154-156
  11. Litt, Thomas: Waldland Mitteleuropa. Die Megaherbivorentheorie aus paläobotanischer Sicht. In: Großtiere als Landschaftsgestalter. LWF-Bericht 27 (2000). Herausgegeben von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft.[2]
  12. F. W. M. Vera: Grazing Ecology and Forest History. CABI Publishing, 2000. (S. 88) ISBN 0-85199-442-3
  13. Anthony D. Barnosky: “Big game” extinction caused by late Pleistocene climatic change: Irish elk (Megaloceros giganteus) in Ireland. Quaternary Research 25 (1986): 128-135.

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