Politisches System der EU

Politisches System der EU

Das politische System der Europäischen Union hebt sich von einzelstaatlichen politischen Systemen deutlich ab. Als supranationaler Zusammenschluss souveräner Staaten stellt die Europäische Union in politischer Hinsicht eine universalgeschichtliche Neuerung eigener Prägung dar.

Bereits in der Entstehungsphase des europäischen Einigungsprojekts nach dem Zweiten Weltkrieg waren die bis heute fortwirkenden konzeptionellen Unterschiede angelegt, deren einer Pol auf eine bundesstaatliche Ordnung zielt (die Vereinigten Staaten von Europa im Sinne Churchills), während der andere auf einen mehr oder minder losen Staatenbund hinausläuft (das Europa der Vaterländer im Sinne de Gaulles). In diesem Spannungsfeld von Zielvorstellungen hat sich auf der Grundlage von Verträgen zwischen den zum jeweiligen Zeitpunkt zugehörigen Mitgliedstaaten das derzeit bestehende Institutionengefüge herausgebildet.

Die Europäische Union basiert gegenwärtig auf zwei Verträgen: dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag), der 1957 in Rom als „EWG-Vertrag“ geschlossen und 1992 umbenannt wurde, und dem Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag), der 1992 in Maastricht geschlossen wurde. Daneben existiert noch der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG- oder Euratom-Vertrag), der ebenfalls 1957 in Rom geschlossen wurde. Seit der Fusion von Europäischer (Wirtschafts-)Gemeinschaft und Europäischer Atomgemeinschaft zu den Europäischen Gemeinschaften 1967 kommt dem EAG-Vertrag jedoch kaum noch eigene Bedeutung zu.

Mit diesen völkerrechtlichen Verträgen vereinbarten die Mitgliedstaaten, die Institutionen der EU zu schaffen und ihnen bestimmte Souveränitätsrechte und Gesetzgebungskompetenzen zu übertragen. Man bezeichnet sie deshalb als europäisches „Primärrecht“. Das gesamte „Sekundärrecht“, das die EU selbst gemäß ihren eigenen Rechtsetzungsverfahren erlässt, ist aus diesen Verträgen und den darin genannten Kompetenzen abgeleitet.

Die beiden Gründungsverträge der EU wurden zuletzt 2001 durch den Vertrag von Nizza geändert. Die nachfolgende Darstellung zeigt daher die Funktionsweise der EU auf Grundlage des Vertrags von Nizza. Im Rahmen des noch nicht ratifizierten Vertrags von Lissabon sollen die EU-Organe weiteren Modifikationen unterliegen, deren Ziel vor allem die Bewahrung und Verbesserung der politischen Handlungsfähigkeit der Union und der Ausbau demokratischer Strukturen sind.

Die wichtigsten politischen Institutionen auf europäischer Ebene sind die Europäische Kommission, der Rat der EU (auch „Ministerrat“ genannt), das Europäische Parlament, der Europäische Gerichtshof und der Europäische Rat. Die Kommission ist ein unabhängiges Organ, das dem Interesse der gesamten Union verpflichtet ist und im wesentlichen Exekutivaufgaben wahrnimmt. Die Gesetzgebung liegt hauptsächlich beim Rat, in dem Minister der einzelnen Mitgliedstaaten versammelt sind und die Interessen ihrer jeweiligen Regierungen vertreten, sowie beim Europäischen Parlament, das seit 1979 direkt gewählt wird und daher unmittelbar die europäische Bevölkerung repräsentiert. Die Rechtsprechung in der EU erfolgt durch den politisch unabhängigen Europäischen Gerichtshof. Der Europäische Rat schließlich, in dem sich seit 1969 die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zu regelmäßigen Gipfeltreffen versammeln, legt die allgemeinen Richtlinien der EU-Politik fest und beschließt etwa über Reformen im EU-Vertragssystem. Er ist erst seit 1993 formell institutionalisiert; im Gegensatz zu den übrigen Organen ist seine Funktionsweise nicht im EG-, sondern im EU-Vertrag geregelt (Art. 4 EUV).

Inhaltsverzeichnis

Völkerrechtliche Stellung der Europäischen Union

Die Europäische Union entspricht hinsichtlich der Verteilung der Kompetenzen zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten weder einer Konföderation, also einem losen Bund souveräner Staaten, noch einer Föderation, also einem Bundesstaat.

So hat die Union, anders als ein Staatenbund, in manchen Politikbereichen echte Souveränitätsrechte. In einigen Politikfeldern wie Außen- und Sicherheitspolitik oder Inneres und Justiz agieren die Mitgliedsländer der Union zwar intergouvernemental, das heißt, sie treffen als souveräne Staaten einstimmig gemeinsame Entscheidungen. In anderen Bereichen wie in der Binnenmarkt- oder der Zollpolitik haben die Staaten der Union aber die teilweise oder vollständige Zuständigkeit für die Gesetzgebung übertragen, so dass die EU in diesen Bereichen als supranationale Institution handelt.

Anders als ein nationaler Bundesstaat kann die Europäische Union die Verteilung der Zuständigkeiten in ihrem politischen System allerdings nicht selbst gestalten. Sie besitzt lediglich diejenigen Kompetenzen, die sich ihr aus der vertraglichen Übertragung von Souveränitätsrechten durch die Mitgliedstaaten ergeben; die Kompetenzkompetenz zur Gestaltung der Zuständigkeiten der Union bleibt bei den Mitgliedsländern. Dies ist auch der Grund, warum die EU zwar staatliche Funktionen erfüllt, bisher aber nicht als Staat gilt: Sie ist kein originäres, sondern ein sogenanntes „derivatives Völkerrechtssubjekt“. Das Bundesverfassungsgericht hat aufgrund dieser besonderen Stellung der Europäischen Union und um eine rechtliche Einordnung zu vermeiden im Maastricht-Urteil von 1993 auf den Begriff „Staatenverbund“ zurückgegriffen, den Paul Kirchhof, der Berichterstatter dieses Verfahrens, bereits ein Jahr zuvor in einem Beitrag für das Handbuch des Staatsrechts geprägt hatte.

Nach wie vor besitzt die Europäische Union außerdem nach dem Vertrag von Nizza keine eigene Rechtspersönlichkeit. Sie kann daher nicht selbst Verträge mit anderen Staaten abschließen und auch nicht selbst Mitglied einer internationalen Organisation sein.

Politikbereiche der EU: Drei-Säulen-Modell

Die Gründungsverträge der Europäischen Union sehen je nach Politikbereich unterschiedliche Kompetenzen und Verfahren für die Entscheidungsfindung in der Union vor. So sind manche Politikbereiche intergouvernemental geordnet, d.h. die Regierungen der Mitgliedstaaten müssen alle Entscheidungen einstimmig treffen. Diese Politikbereiche, nämlich die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS), sind nur im EU-Vertrag genannt. In anderen Bereichen dagegen stimmen die Mitgliedstaaten nach dem Mehrheitsprinzip ab, dafür hat hier das supranationale Europäische Parlament echte Mitspracherechte. Da diese supranationalen Politikbereiche in den Europäischen Gemeinschaften (also dem EG- und dem EAG-Vertrag) geregelt sind, spricht man auch von den „vergemeinschafteten“ Politikfeldern.

Aufgrund dieser Dreiteilung in EG, GASP und PJZS spricht man auch vom Drei-Säulen-Modell der EU. Es wurde 1992 durch den EU-Vertrag von Maastricht eingeführt. Zuvor hatte es lediglich die EG gegeben; die Bereiche Außen- und Sicherheitspolitik bzw. Inneres und Justiz waren allein der nationalstaatlichen Souveränität überlassen.

Die Europäischen Gemeinschaften

Die Europäischen Gemeinschaften sind supranationale Organisationen; sie bestehen aus der Europäischen Gemeinschaft (EG) sowie der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom/EAG). Bis zu ihrem Auslaufen im Jahr 2002 war auch die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) Teil der Gemeinschaften.

Zu den Politikfeldern, die der EG zugeordnet sind, gehören insbesondere die Zollunion, der Europäische Binnenmarkt, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, die Forschungs- und Umweltpolitik, das Gesundheitswesen, der Verbraucherschutz, die Sozial- und Einwanderungspolitik sowie die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen.

Anders als die „Dachorganisation“ EU besitzen die Europäischen Gemeinschaften eine eigene Rechtspersönlichkeit. Die EG kann daher im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und nach den im EG-Vertrag vorgeschriebenen Verfahren selbst Verträge abschließen oder auch unmittelbar gültiges Recht setzen (sogenannte Verordnungen oder Richtlinien).

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (GASP)

Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union stellt die zweite Säule der EU dar. Dabei handelt es sich um eine rein intergouvernementale Zusammenarbeit, die nicht unmittelbar verpflichtend ist.

Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)

Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen dient der Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität (Artikel 29 EUV). Ihre Institutionen sind Europol und Eurojust, die der Koordination zwischen den Mitgliedstaaten dienen. Im Rahmen der PJZS können die EU-Regierungen einstimmig sogenannte Rahmenbeschlüsse fassen. Diese haben keine unmittelbare Rechtsgültigkeit, müssen aber von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.

Nach dem Vertrag von Maastricht umfasste diese „dritte Säule“ der EU zunächst den gesamten Bereich Justiz und Inneres. Durch die Vertragsreformen von Amsterdam und Nizza wurden jedoch die übrigen darin enthaltenen Politikbereiche (nämlich die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen und die flankierenden Maßnahmen zum freien Personenverkehr) vergemeinschaftet, d.h. in den Bereich der EG übertragen. Der Vertrag von Lissabon sieht vor, dass auch über die PJZS künftig supranational entschieden wird, sodass damit die „dritte Säule“ vollständig aufgelöst würde.

Übersicht über die Politikbereiche im Einzelnen

Europäische Union
  Erste Säule   Zweite Säule   Dritte Säule  
Europäische Gemeinschaften (EG) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)

Europäische Gemeinschaft (EG, bis 1993: EWG)

EURATOM:

  • Zusammenarbeit im Bereich Kernenergie

EGKS (2002 ausgelaufen, aber in EG-Vertrag übernommen):

  • Gegenseitige Kontrolle von Kohle und Stahl

 Außenpolitik:

 Sicherheitspolitik:

 


Die Legislative in der Europäischen Union

Bei den gesetzgeberischen Kompetenzen der Europäischen Union wird in Bezug auf die verschiedenen Politikfelder differenziert zwischen ausschließlichen, geteilten und unterstützenden Zuständigkeiten. Handelspolitik und Zollunion unterliegen beispielsweise der ausschließlichen Gesetzgebung durch die EU; die einzelnen Mitgliedstaaten dürfen in diesem Bereich nicht selbst tätig sein. Für die Bereiche Binnenmarkt, Landwirtschaft, Energie, Verkehr, Umwelt und Verbraucherschutz gilt die geteilte Zuständigkeit. Die einzelnen Mitgliedstaaten können hier nationale Gesetze erlassen, soweit die Union nicht gesetzgeberisch tätig wird. In allen Politikfeldern, die in EU- und EG-Vertrag nicht ausdrücklich genannt werden, verbleibt die alleinige Zuständigkeit bei den Mitgliedsländern. Neue Kompetenzen können der EU nur durch eine einstimmige Vertragsänderung der Mitgliedstaaten übertragen werden. Diese kann also nicht gegen den Willen ihrer Mitglieder weitere Kompetenzen übernehmen.

Die Vielzahl, Detailliertheit und mangelnde Überschaubarkeit der von den Unionsorganen in Kraft gesetzten Binnenmarktnormen und Einzelvorschriften – aus Sicht der Betroffenen ohne die erforderliche Rücksicht auf spezifische Traditionen, regionale Bräuche und Umsetzungsprobleme vor Ort – haben die „Brüsseler Bürokraten“ bei nicht wenigen EU-Bürgern in Verruf gebracht und diese zu Gegnern weiterer Integrationsschritte gemacht. Aufgrund dieser unerwünschten Entwicklung wurden im Vertrag von Maastricht zwei Prinzipien eingeführt, um die Zentralisierungstendenzen in der Gesetzgebung aufzuheben bzw. abzuschwächen: Das Prinzip der Subsidiarität besagt, dass politische Entscheidungen auf die niedrigste mögliche Ebene verlagert werden sollen, also auf die nationalen, regionalen bzw. lokalen politischen Beschlussorgane der EU-Mitgliedsländer. Die Europäische Union soll gemäß diesem Prinzip unterstützend nur tätig werden, wenn untere Entscheidungsebenen nicht in der Lage sind, Probleme selbstständig in angemessener Form zu lösen. Der zweite Grundsatz ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Nach diesem Prinzip muss eine Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein, um den beabsichtigten Zweck zu erreichen. Dazu ist es zunächst erforderlich, den Zweck einer Maßnahme genau zu definieren. Eine Maßnahme ist dann „geeignet“, diesen Zweck zu erreichen, wenn sie seine Realisierung bewirkt oder befördert. Sie ist „erforderlich“, wenn kein anderes Mittel zur Verfügung steht, das genauso oder besser geeignet ist und zugleich die von dieser Maßnahme Betroffenen weniger belastet werden als durch andere zur Verfügung stehende Mittel. Eine Maßnahme ist „angemessen“, wenn nach offener Abwägung aller Vor- und Nachteile der Maßnahme die Nachteile im Verhältnis zu den Vorteilen nicht überwiegen.

Organe der Rechtsetzung

Als Gesetzgeber der EU fungieren das Europäische Parlament und der Rat der EU (Ministerrat) als eine Art Zweikammersystem, wie es auch auf nationalstaatlicher Ebene vielfach existiert. Vergleichbarkeit besteht insbesondere mit föderal organisierten Systemen, wie z.B. dem der Bundesrepublik Deutschland.

Das Europäische Parlament entspricht dabei als Volksvertretung dem Deutschen Bundestag. Als Repräsentationsorgan der EU-Gesamtbürgerschaft wird das Europäische Parlament seit 1979 in Europawahlen direkt gewählt. Für die Abhaltung dieser Wahlen gibt es zwar einen gemeinsamen Zeitraum; es gelten aber dafür die jeweils auf nationalstaatlicher Ebene festgelegten Modalitäten des Wahlrechts und die ebenfalls innerhalb der Mitgliedstaaten je gesondert ermittelten Kandidatenvorschläge. Eine genau proportionale Vertretung der Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament besteht nicht. Bevölkerungsärmere Staaten sind gegenüber bevölkerungsstarken überproportional vertreten. Dadurch haben auch kleine Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ihre Parteiensysteme und politischen Kräfteverhältnisse auf EU-Ebene einigermaßen angemessen abzubilden.

Der Ministerrat hingegen ist das Vertretungsorgan der Regierungen aller Mitgliedstaaten, so wie der Bundesrat aus Regierungsvertretern der einzelnen Bundesländer besteht. Allerdings ist das Gewicht dieser beiden Kammern auf EU-Ebene in charakteristischer Weise anders verteilt als in Deutschland: Während in der Bundesrepublik Deutschland der Bundestag nur zum Teil auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen ist, gilt dies im Zusammenhang mit der EU-Gesetzgebung für den Rat, der nicht in allen Politikbereichen der Mitwirkung des Europäischen Parlaments bedarf.

Weder das Europäische Parlament noch der Rat der EU besitzen jedoch – anders als in Deutschland Bundestag und Bundesrat – das Recht der Gesetzesinitiative. Diese liegt auf EU-Ebene allein bei der Europäischen Kommission; mit wenigen Ausnahmen, in denen auch eine Gruppe von Mitgliedstaaten Gesetzgebungsinitiativen entwickeln kann, ist die Kommission also die einzige Institution, die Entwürfe für EU-weite Rechtsakte vorlegen darf. In der Praxis lässt sie allerdings auch die Vorschläge und Vorstellungen beider Gesetzgebungskammern in ihre Entwürfe einfließen; sie kann von diesen auch aufgefordert (jedoch nicht gezwungen) werden, eine Gesetzesvorlage zu einer bestimmten Materie zu erarbeiten. Nachdem die Kommission ein Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt hat, hat sie keinen unmittelbaren Einfluss mehr darauf, wie Parlament und Rat den Gesetzesentwurf verändern.

Rechtsetzungsverfahren

Gegenüber dem deutschen Gesetzgebungsverfahren, das hinsichtlich der Beteiligung des Bundesrates nur unterscheidet zwischen Einspruchsgesetzen (bei denen der Bundestag den Einspruch des Bundesrates mit absoluter Mehrheit seiner Mitglieder überstimmen kann) und Zustimmungsgesetzen (für deren Zustandekommen die Zustimmung des Bundesrates unabdingbare Voraussetzung ist), ist das Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene nochmals differenzierter angelegt. Je nach Politikbereich erfolgt die Rechtsetzung hier nach unterschiedlichen Verfahren, bei denen Rat und Parlament in jeweils unterschiedlicher Form beteiligt sind. Zu unterscheiden ist dabei grundsätzlich zwischen den „vergemeinschafteten“ Politikfeldern, die in den EG-Vertrag aufgenommen wurden, und den „nicht-vergemeinschafteten“ Politikfeldern, die lediglich im EU-Vertrag genannt sind. Bei Letzteren handelt es sich um die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und um die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS), in denen der Rat jeweils einstimmig entscheidet und das Europäische Parlament keine eigenen Kompetenzen hat. Auch in den vergemeinschafteten Politikbereichen existieren jedoch je nach Politikfeld noch unterschiedliche Abstimmungsverfahren. Allgemein gilt, dass in den meisten Angelegenheiten der Rat nach dem Mehrheitsverfahren entscheidet und das Parlament gleichberechtigt an der Gesetzgebung beteiligt ist; in Politikbereichen, die von den Nationalstaaten als strategisch besonders wichtig angesehen werden (etwa Innen- und Justizpolitik, Agrarpolitik), sind die Mitspracherechte des Parlaments dagegen weniger ausgeprägt und der Rat beschließt häufig einstimmig.

Rolle des Rates der EU

Von erstrangiger Bedeutung für das Zustandekommen von Rechtsakten ist stets die Entscheidungsfindung im Rat der EU. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen Gesetzgebungsmaterie, die einen einstimmigen Beschluss erfordert (z.B. Agrarpolitik und Strukturförderung, Innen- und Justizpolitik), solcher, die mit einfacher Mehrheit der Mitgliedstaaten zu entscheiden ist (kommt praktisch kaum mehr zur Anwendung), und solcher, die eine qualifizierte Mehrheit erfordert. In der Häufigkeit der Anwendung überwiegt das letztgenannte Verfahren inzwischen bei weitem. Dabei haben die Einzelmitglieder je nach Bevölkerungszahl des von ihnen vertretenen Staates von 3 (Malta) bis zu 29 Stimmen (u.a. Deutschland) in das Abstimmungsergebnis einzubringen. Diese Form der Differenzierung des Stimmengewichts ähnelt der Abstimmungsweise im deutschen Bundesrat, wo die einzelnen Bundesländer ebenfalls eine unterschiedliche Anzahl an Stimmen haben.

Für das Zustandekommen von Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit gilt in der EU derzeit das Prinzip der dreifachen Mehrheit, die nur gegeben ist, wenn die drei folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

  • positives Votum von annähernd drei Vierteln der gewichteten Stimmen (255 von 345 Stimmen);
  • Zustimmung einer Mehrheit der Mitgliedstaaten im Modus: je Staat eine Stimme;
  • die zustimmenden Mitgliedstaaten repräsentieren mindestens 62% der EU-Bevölkerung.

Damit sind die Modalitäten des Entscheidungsverfahrens im Rat noch keineswegs erschöpfend beschrieben. Die Kompliziertheit der Regelungen ist darauf zurückzuführen, dass es gilt, sowohl die unterschiedlichen Bevölkerungszahlen und Bedeutungsansprüche der Mitgliedstaaten als auch deren je nach Politikfeld abgestuften Souveränitätsvorbehalte auszubalancieren.

Rolle der Europäischen Kommission

Die Kommission hat für den überwiegenden Teil der Rechtsakte das Initiativrecht inne. Ihr Einfluss erstreckt sich aber auch auf die Phase der Ratsverhandlungen: Bei Uneinigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten im Rat kann sie ihren Vorschlag ändern (Art. 250 Abs. 2 EGV) und so einen politischen Kompromiss fördern. Diese Rolle ermöglicht ihr die Bestimmung des Art. 250 Abs. 1 EGV, nach der der Rat Rechtsakte, die vom Kommissionsvorschlag abweichen, nur einstimmig erlassen kann; bei Uneinigkeiten wird eine solche Einstimmigkeit aber kaum zu erreichen sein – die Mitgliedstaaten sind daher auf die Zusammenarbeit mit der Kommission angewiesen. Institutionell wird dies dadurch ermöglicht, dass die Kommission grundsätzlich zu Tagungen des Rates eingeladen ist (Art. 5 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Rates).

Rolle des Europäischen Parlaments

Der Sitz des Europäischen Parlaments in Straßburg

Die Rolle des Europaparlaments unterscheidet sich je nach Politikfeld. In einigen Bereichen, wie z.B. die Agrarpolitik, ist das Mitwirkungsrecht des Europäischen Parlaments gegenüber dem Rat der EU ganz schwach ausgebildet und sieht lediglich ein Anhörungsverfahren vor: Das Parlament hat keine Möglichkeit, die Ratsbeschlüsse zu verändern oder zu verhindern. Mehr Einfluss übt das Europäische Parlament dagegen z. B. in dem Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik aus, in denen das Verfahren der Zusammenarbeit mit dem Rat der EU vorgeschrieben ist. Auch hier kann der Rat seinen Standpunkt zwar letztlich durchsetzen, dafür ist aber ein einstimmiges Votum erforderlich. Unumgänglich ist die Zustimmung des Europäischen Parlaments schließlich im Verfahren der Mitentscheidung, dem inzwischen ca. drei Viertel aller EU-Rechtsakte unterliegen (z. B. auf den Feldern der Umweltgesetzgebung, des Binnenmarkts, der Beschäftigungspolitik oder der Kulturförderung). Dabei müssen sich Europäisches Parlament und Rat letztlich auf einen gemeinsamen Text einigen, anderenfalls kommt der Rechtsakt nicht zustande. Auch andere wichtige Entscheidungen, etwa die Ernennung einer neuen Kommission oder die Erweiterung der EU um neue Mitgliedstaaten, bedürfen inzwischen notwendigerweise einer Zustimmung des Parlaments.

Das Europäische Parlament entscheidet in der Regel mit einfacher Mehrheit. Nur für wenige Entscheidungen von besonderem Gewicht wie ein Misstrauensvotum gegenüber der Kommission und die Ablehnung des EU-Haushalts ist eine 2/3-Mehrheit nötig. Eine Besonderheit stellt allerdings die Regelung dar, nach der in der zweiten Lesung im Mitentscheidungsverfahren – wenn also in erster Lesung keine Einigung zwischen Parlament und Rat stattgefunden hat – das Parlament nicht mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sondern mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder entscheidet, was in der parlamentarischen Praxis meist breite fraktionsübergreifende Allianzen notwendig macht, da (wie in allen Parlamenten) nur selten auch wirklich alle Abgeordneten an Plenarsitzungen teilnehmen.

Die Exekutive in der Europäischen Union

Der Sitz der EU-Kommission in Brüssel

Auch bezüglich der ausführenden Gewalt erweist sich das Kompetenzgeflecht in der EU komplizierter, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Zwar gibt es mit der Europäischen Kommission und ihrem Präsidenten ein eigens für exekutive Zwecke geschaffenes und tätiges Organ. Doch Stellung und Kompetenzen dieser Kommission weichen wiederum deutlich von denen nationaler Regierungen ab.

Rolle der Europäischen Kommission

Ein zentraler Unterschied gegenüber nationalen Regierungen ist die Ernennung der Kommission. Hierfür einigen sich zunächst die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten auf einen Kommissionspräsidenten; anschließend berufen sie – in Absprache mit dem designierten Präsidenten – die Kommissare, wobei jedes Land derzeit genau einen Kommissar stellen darf. Der Kommissionspräsident verteilt anschließend die einzelnen Ressorts unter den Kommissaren. Nach dem Vertrag von Nizza hat er auch das Recht, einzelne Kommissare zum Rücktritt aufzufordern; außerdem verfügt er (ähnlich wie etwa der deutsche Bundeskanzler gegenüber seinen Ressortministern) über eine Richtlinienkompetenz. Das Europäische Parlament dagegen hat bei der Ernennung einer neuen Kommission lediglich das Recht, den Kommissionspräsidenten oder die Kommission als Ganzes abzulehnen oder (nach deren Ernennung) durch ein Misstrauensvotum mit Zweidrittelmehrheit zum Rücktritt zu zwingen. Diese relativ schwache Position der gewählten Volksvertretung bei der Ernennung der Exekutive wird häufig unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten kritisiert.

Auf funktionaler Ebene kommen der Europäischen Kommission vor allem exekutive Aufgaben zu, die sie mithilfe ihres Beamtenapparats und durch mehrere Agenturen wahrnimmt. Außerdem ist die Kommission als „Hüterin der Verträge“ tätig: Sie wacht über deren Einhaltung ebenso wie über die Durchführung der EU-Rechtsakte in den Mitgliedstaaten und verfügt dabei auch über begrenzte Sanktionsmöglichkeiten. Gegenüber den oft zähen Kompromissverhandlungen und Entscheidungsblockaden im Rat hat sie die Rolle eines „Motors der Gemeinschaft“.

Rolle des Europäischen Rates

Demgegenüber bildet der Europäische Rat, der aus den Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedstaaten sowie – ohne Stimmrecht – deren Außenministern und dem Präsidenten der Europäischen Kommission zusammengesetzt ist und sich regelmäßig alle drei Monate versammelt, gewissermaßen eine übergeordnete Zusatzexekutive. Dieses Organ hat zwar formal nur beratende Funktion, bestimmt aber gleichwohl die Richtlinien der Politik in der Union. Hier werden in strittigen Fragen Verhandlungen, die im Rat ergebnislos geblieben sind, fortgeführt und nach Möglichkeit in Kompromisse umgesetzt. Außerdem formuliert der Europäische Rat die Leitlinien für die weitere Entwicklung der EU und beruft gegebenenfalls Regierungskonferenzen für die Überarbeitung der Unionsverträge ein (so zuletzt 2007 für den Vertrag von Lissabon).

Da der Europäische Rat grundsätzlich „im Konsens“, also einstimmig entscheidet, sind die dreimonatlichen Gipfeltreffen regelmäßig ein wichtiges Zeichen für die Einigkeit und Handlungsfähigkeit der Union. Kommt es zu Blockaden im Europäischen Rat, stagniert die Union politisch. Der einstweilen fortbestehende halbjährliche Wechsel der Präsidentschaft im Europäischen Rat, die unter den Regierungschefs der Mitgliedstaaten rotiert, erschwert zusätzlich die Kontinuität der politischen Arbeit auf allen EU-Ebenen.

Mittelbar der EU-Exekutive zuzurechnen sind ferner auch Organe in den Mitgliedstaaten, die mit der Umsetzung der EU-Verordnungen, -Richtlinien und –Entscheidungen befasst sind und insoweit der Kontrolle durch die Europäische Kommission unterliegen.

Die Judikative in der Europäischen Union

Die Einhaltung der Verträge und das ordnungsgemäße Funktionieren der Union zu gewährleisten, gehört zu den Aufgaben der Europäischen Kommission. Darin unterstützt wird sie vom Europäischen Gerichtshof (EuGH), der Verstöße, die ihm von der Kommission, von einzelnen Mitgliedstaaten oder auch von einzelnen EU-Bürgern angezeigt werden, rechtlich bewertet und mit den im EG-Vertrag vorgesehenen Sanktionen belegen kann. Zur Entlastung des Gerichtshofs ist ihm für Klagen natürlicher und juristischer Personen das Europäische Gericht erster Instanz vorgeschaltet. Richter und Generalanwälte des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichts erster Instanz haben vor ihrer Nominierung für den Europäischen Gerichtshof in den Mitgliedstaaten als Richter und Juristen in herausragender Position gewirkt und bilden mit ihrer sechsjährigen Amtszeit (wiederholte Berufung möglich) eine unabhängige, supranationale Judikative.

Urteile des Europäischen Gerichtshofs betreffen hauptsächlich Klagen der Kommission gegen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Nichtumsetzung bzw. Nichteinhaltung von Beschlüssen sowie Klagen der Mitgliedstaaten gegen die Kommission bezüglich der Überschreitung ihrer Kompetenzen. Darüber hinaus beantwortet der Europäische Gerichtshof Anfragen von nationalen Gerichten bezüglich der Auslegung von EU-Recht. In seinen Entscheidungen zeigt sich der EuGH dabei regelmäßig dem Gemeinschaftsrecht verpflichtet und interpretiert die Unionsverträge meist in integrationsfreundlicher Weise.

Der Europäische Rechnungshof schließlich prüft Einnahmen und Ausgaben im EU-Haushalt und wendet sich mit Stellungnahmen an das Europäische Parlament und an die Europäische Kommission. Die Haushaltskontrolle soll der effektiven Verwendung der Finanzmittel in der Union dienen, Missbräuche aufdecken und ihnen vorbeugen. Die Funktion des Europäischen Rechnungshofs entspricht damit derjenigen des Bundesrechnungshofs in Deutschland.

Entwicklungslinien und Problemfelder des politischen Systems der EU

Gleichgewicht zwischen Intergouvernementalismus und Supranationalität

Historisch lag der Schwerpunkt der politischen Macht in der EU vor allem bei den Regierungen der Mitgliedstaaten – sie waren es, die die Entwicklung des Einigungsprozesses hauptsächlich gestalteten, sei es im Ministerrat oder auf Ebene der Regierungschefs. Zwar lag das Initiativrecht für Gesetzesentwürfe der Europäischen Gemeinschaft bei der Kommission, ansonsten hatte diese aber fast nur exekutive Funktionen. Die endgültige Entscheidung über gemeinsame Beschlüsse fiel hingegen im Ministerrat, wo zunächst grundsätzlich das Prinzip der Einstimmigkeit galt. Der Rat bestimmte damit sowohl die europäische Gesetzgebung als auch Festlegungen über die finanzielle Ausstattung der Gemeinschaft und über die Beiträge der Mitgliedstaaten, über die Verteilung der Haushaltsmittel und über regionale Fördermaßnahmen. Auch die Zusammensetzung der Kommission und die Benennung ihres Präsidenten geschah auf Initiative der einzelnen Regierungen. Das Europäische Parlament hatte hingegen zunächst lediglich beratende Funktionen.

Im Zuge der EU-Erweiterungen und der Vertragsreformen seit 1986 veränderte sich das Gleichgewicht unter den europäischen Institutionen. Während die EU nach und nach mehr Kompetenzen erhielt, wurde für immer mehr Politikbereiche bei Abstimmungen im Ministerrat das Mehrheitsverfahren eingeführt. Gleichzeitig wurde die Konzentration politischer Macht im Rat durch eine sukzessive Aufwertung der Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments schrittweise zurückgedrängt, sodass inzwischen in den meisten Politikbereichen Rat und Parlament die gleichen Gesetzgebungsbefugnisse besitzen. Durch diese Stärkung des Parlaments sollte die EU bürgernäher und demokratischer werden.

Gleichwohl bleibt das Europäische Parlament in seinen Kompetenzen noch immer deutlich hinter denen einzelstaatlicher Volksvertretungen zurück: Die Kommission wird weiterhin vom Rat ernannt und muss vom Parlament lediglich bestätigt werden – anders als im nationalen Rahmen, wo die Exekutive (die Regierung) meist direkt vom Parlament gewählt wird. Auch das alleinige Initiativrecht der Kommission entspricht nicht nationalen Gepflogenheiten, denen gemäß die aus Wahlen hervorgegangenen Organe (Parlament und/oder Länderkammer) meist selbst das Initiativrecht besitzen. Diese Tatsachen speisen nach wie vor kritische Stimmen, die ein Demokratiedefizit der Europäischen Union sehen.

Befürworter einer starken Rolle des Ministerrats weisen hingegen darauf hin, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten aus demokratischen Wahlen hervorgegangenen sind und somit die Gemeinschaft also mittelbar durchaus auf demokratischen Grundlagen basiert. Dass das Europäische Parlament nach wie vor weniger Rechte als ein nationales Parlament besitze, entspreche dem Umstand, dass ein europäisches Staatsvolk – im Gegensatz zu den Staatsvölkern der Mitgliedstaaten - als historisch, kulturell und politisch geeinter Volksverband einstweilen nicht existiere. In dem Maße, wie die 1992 geschaffene Unionsbürgerschaft als identitätsstiftendes supranationales Band zur Wirkung gelangt, könne auch der Einfluss des Europäischen Parlaments als Vertretungsorgan der EU-Bürger weiter zunehmen.

Politikfelder der EU

Nachdem die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaften sich zunächst nur auf einige spezifische Politikfelder erstreckt hatten (Kohle und Stahl im Fall der EGKS, der Abbau von Zollhemmnissen bei der EWG und die Atomenergie im Fall der Euratom) wurden später zunehmend weitere Politikfelder auf europäische Ebene verlagert. So kam es seit den 1970er Jahren zu einer außenpolitischen Koordinierung der Mitgliedstaaten, die schließlich in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mündete; außerdem erhielt die EG Kompetenzen beispielsweise in der Umwelt- und Bildungspolitik, im Verbraucherschutz, in der Währungspolitik und im Bereich Inneres und Justiz. Diese Kompetenzerweiterungen folgten dabei (der neofunktionalistischen Integrationstheorie zufolge) meist wahrgenommenen Sachzwängen, die sich aus den vorangegangenen Integrationsschritten ergaben: So führte etwa der Binnenmarkt zu einem freien Kapitalfluss und zum Wegfall der Grenzkontrollen in Europa, was wiederum Zusammenarbeit im Bereich Inneres und Justiz erforderte, um ein Anwachsen der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität zu verhindern. In ähnlicher Weise machte der gemeinsame Markt auch eine einheitlichere Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik notwendig, um einen Wettlauf um die niedrigsten Standards zu vermeiden.

Allerdings war diese schrittweise Erweiterung der EU-Kompetenzen immer wieder umstritten. So wurde wiederholt kritisiert, dass es keine klare Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den Nationalstaaten und der Europäischen Union gebe, da die Verträge zu großen Interpretationsspielraum ließen. Außerdem kam es bei Vertragsreformen häufig zwischen den Mitgliedstaaten zu Uneinigkeiten, welche weiteren Zuständigkeiten auf die EU übertragen werden sollten. Insbesondere Großbritannien sperrte sich seit den achtziger Jahren wiederholt gegen eine Übertragung weiterer Kompetenzen auf die supranationale Ebene. Dies führte unter dem Schlagwort des Europas der zwei Geschwindigkeiten zu einer Diskussion verschiedener Modelle, die manchen Mitgliedstaaten weitere Integrationsschritte erlauben sollten, auch wenn andere ihnen (noch) nicht folgen wollten.

Im aktuellen politischen System der EU ist hierfür das Instrument der Verstärkten Zusammenarbeit vorgesehen. Als Umsetzungsbeispiel dient hier etwa das Schengener Abkommen, das 1995 zunächst nur von einer begrenzten Anzahl von Mitgliedsländern geschlossen, inzwischen aber von fast allen EU-Staaten übernommen wurde; ein anderes Beispiel ist der Euro, der als Währung ebenfalls nur in einem Teil der Mitgliedstaaten gilt. Als Gefahr einer solchen ungleichen Integration wird allerdings eine neuerliche Trennung unter den gegenwärtigen Mitgliedstaaten der EU befürchtet, die den Integrationsprozess hemmen und schlimmstenfalls einen Zerfall der Unionsstrukturen befördern könnte.

Handlungsfähigkeit und politische Funktionstüchtigkeit

Neben der Demokratisierung der Union und der Ausweitung der EU-Kompetenzen ist die Bewahrung der Handlungsfähigkeit trotz der Erweiterungsrunden auf inzwischen 27 Mitgliedstaaten eines der Motive, mit denen die Reformbedürftigkeit des politischen Systems der EU begründet wird.

Die Souveränitätsvorbehalte und speziellen Interessen der Mitgliedstaaten führten nicht nur zu einem komplexen Geflecht von Zuständigkeiten und Verfahren im politischen Gefüge der EU, sie bedrohen mit zunehmender Zahl der Mitgliedstaaten auch die Handlungsfähigkeit der Union, da eine Entscheidungsfindung im gegebenen institutionellen Rahmen immer schwerer wird. Davon betroffen wären das Europäisches Parlament, das wegen wachsender Abgeordnetenzahlen immer ineffektiver arbeiten würde, die Europäische Kommission, die mit einem Kommissar pro Mitgliedstaat gleichfalls überbesetzt wäre, und der Rat der EU, der zur Erzielung von Mehrheiten für notwendige Reformen noch weit mehr Zeit in Kompromissverhandlungen verbringen müsste und dabei mit noch mehr vollständigen Misserfolgen zu rechnen hätte.

Seit den Beschlüssen über die Osterweiterung der EU wurden daher Bemühungen auf eine entsprechende Anpassung des Institutionengefüges und der Entscheidungsverfahren gerichtet, die schließlich in der Ausarbeitung des EU-Verfassungsvertrags 2004 und – nach dessen Ablehnung in Referenden in Frankreich und den Niederlanden – des Vertrags von Lissabon 2007 mündeten. Grundgedanke dieser Reform ist die Stärkung der supranationalen Strukturen der EU: So soll die Europäische Kommission verkleinert werden, sodass nicht mehr jeder Mitgliedstaat darin ständig vertreten wäre. Dadurch würde dieses Organ einerseits handlungsfähiger, andererseits würde die Verpflichtung gegenüber dem Wohl der Gemeinschaft insgesamt unterstrichen (und nicht die Berücksichtigung der einzelnen nationalen Regierungen, die „ihren“ Vertreter in die Kommission entsenden). Im Rat der EU sollen die Hürden für das Zustandekommen qualifizierter bzw. einfacher Mehrheitsentscheidungen gesenkt werden, damit es seltener zu Blockaden durch eine Minderheit der Mitgliedstaaten kommt. Außerdem soll das Mehrheitsverfahren in mehr Politikbereichen als bisher gelten und im Gegenzug dafür das Europäische Parlament über das Mitentscheidungsverfahren verstärkt an der Rechtsetzung beteiligt werden. Eine weitere Stärkung der supranationalen Elemente wäre das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates, der künftig für zweieinhalb Jahre ernannt werden und das bisherige Rotationssystem ablösen soll.

Der nach der ablehnenden Volksabstimmung in Irland im Frühling 2008 einstweilen stockende Ratifizierungsprozess lässt allerdings erkennen, dass in dieser Hinsicht mit schnellen und durchgreifenden Lösungen eher nicht zu rechnen ist. Die bereits 2005 gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden wurden auch deshalb mit besonderer Besorgnis registriert, weil sich darin die Bevölkerungsstimmung in zwei der Gründerstaaten spiegelte, die 1952 den europäischen Einigungsprozess eingeleitet und seither stark davon profitiert hatten. Man hatte sie daher eher als Befürworter denn als Bremser weitergehender Integrationsbemühungen erwartet. Ungewiss schien unterdessen eher die Einstellung Großbritanniens und der mittel- und osteuropäischen Neumitglieder, die mit der Auflösung des Ostblocks nach dem Ende der Sowjetunion ihre nationale Unabhängigkeit und volle Souveränität erst zu Beginn der 1990er Jahre wiedergewonnen hatten. Sie vor allem schienen dafür in Frage zu kommen, weitergehende Souveränitätseinbußen nicht mittragen zu wollen.

Die Europäische Union steht damit gegenwärtig vor der langfristigen Alternative, entweder die bisherigen Verträge beizubehalten und sich hauptsächlich über die bereits vollständig vergemeinschafteten wirtschaftlichen Politikbereiche wie Zollunion und Binnenmarkt zu definieren, oder durch Vertragsreformen handlungsfähig zu bleiben und auch auf anderen politischen Feldern mit der Integration voranzukommen, um etwa auch außen- oder energiepolitisch als Einheit aufzutreten. Eine zusätzliche Komplikation in diesem Zusammenhang entsteht durch die geplante Aufnahme weiterer Staaten wie Kroatien und der Türkei, mit denen bereits Beitrittsverhandlungen begonnen wurden. Schon im Kontext der Osterweiterung wurde vor einer möglichen Lähmung der EU durch Überdehnung gewarnt und teilweise die Befürchtung geäußert, es könne nur entweder die fortgesetzte Erweiterung oder eine weitere Vertiefung der EU geben. Dem wird von anderer Seite entgegengehalten, dass zusätzliche Erweiterungen nur in Verbindung mit angemessenen Integrationsfortschritten zu tragfähigen Ergebnissen führen könnten. Die künftigen politischen Strukturen der EU sind also derzeit offen, Veränderungen des Status quo aber höchst wahrscheinlich.

Literatur

  • Jürgen Hartmann: Das politische System der Europäischen Union. Eine Einführung. Campus Fachbuch Verlag, Frankfurt am Main/ New York 2001, ISBN 3-59-336737-8
  • Wolfgang Wessels: Das politische System der Europäischen Union. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 3-8100-4065-7
  • Dietmar Herz: Die Europäische Union. Verlag CHBeck, München 2002, ISBN 3-40-644759-7
  • Nicole Schley, Sabine Busse, Sebastian J. Brökelmann: Knaurs Handbuch Europa. Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München 2004, ISBN 3-42-677731-2
  • Frank R. Pfetsch, Timm Beichelt: Die Europäische Union. Eine Einführung. Geschichte, Institutionen, Prozesse. 2. Auflage. Uni-Taschenbücher GmbH, Stuttgart 2005, ISBN 3-82-521987-9
  • Simon Hix: The Political System of the European Union. Palgrave MacMillan, ISBN 0-33-396182-X

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