Problembasiertes Lernen

Problembasiertes Lernen

Problembasiertes Lernen (PBL), auch Problemorientiertes Lernen (POL) oder Case Study Method, ist eine Lernform, bei der zunächst ein Problem im Vordergrund steht, für das die Lernenden weitgehend selbstständig eine Lösung finden sollen. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf den Einsatz in der Medizinischen Ausbildung, wo sich das PBL besonders bewährt hat und sich großer Beliebtheit (auf Seiten der Lernenden und der Lehrenden) erfreut. Sie sind aber überwiegend auf andere Bildungsbereiche übertragbar.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Eine der Unterrichtsmethoden, die in Aus- und Weiterbildungen sowie im Studium angewandt werden sollten, ist das Problembasierte Lernen (PBL). Das bedeutet selbstbestimmtes und entdeckendes Lernen, handlungsorientierter Unterricht, fächerübergreifendes Lernen und Selbstevaluation. Hier lernen die Teilnehmer, ein Thema oder eine Frage zu analysieren, geeignete Informationsquellen zu finden und zu nutzen und schließlich Lösungen zu vergleichen, auszuwählen und umzusetzen. Dabei wird der Dozent im klassischen Sinne durch einen Tutor ersetzt oder fehlt sogar ganz (siehe unten). Von den Teilnehmern wird mehr Initiative und damit mehr selbstgesteuertes Lernen erwartet. Die praktischen Trainingseinheiten orientieren sich unmittelbar am Thema. So ist diese Art der Aus- und Weiterbildung zugleich eine Vorbereitung auf die Berufstätigkeit, in der häufig Probleme selbstständig zu lösen sind und in Gruppen zusammengearbeitet wird.

Das zentrale Merkmal dieses pädagogischen Ansatzes besteht darin, dass reale und komplexe Problemstellungen aus dem beruflichen Alltag den Ausgangspunkt des Lernens bilden. Der Lernstoff wird problemorientiert und damit praxisnah außerhalb von traditionellen Unterrichtsfächern, d.h. stets fächerübergreifend, in praxisnahen Fallstudien von den Lernenden erarbeitet.

Geschichte

Die Ursprünge des PBL liegen im pädagogischen (John Dewey, Laborschule um 1900) und technischen Bereich: Eine Publikation von Shoemaker aus dem Jahr 1960 beschreibt (s)ein Vorgehen im Rahmen der Ausbildung von Ingenieuren.[1] In der Medizinischen Ausbildung wurde PBL zunächst 1969 von der McMaster Medical School (McMaster University) in Kanada eingeführt. Seitdem ist es weltweit an zahlreichen Universitäten implementiert worden und spielt heute in der universitären Ausbildung eine wichtige Rolle. Teilweise wurden Universitätsgründungen auch speziell auf das problembasierte Lernen ausgerichtet, etwa die 1976 eröffnete Medizinische Fakultät der Universität Maastricht.

PBL in Deutschland

An der Privatuniversität Witten/Herdecke gab es das erste Mal PBL in Deutschland [2] seit 1992 als Unterrichtsform im Medizinstudium). Offiziell konnte PBL in der medizinischen Ausbildung erstmals im Wintersemester 1999/2000 an der Charité Berlin parallel zum Regelstudiengang angeboten werden. Dies wurde durch eine Experimentierklausel in der damaligen deutschen Approbationsordnung rechtlich möglich. Mit Einführung einer neuen Approbationsordnung wurde die Einführung von PBL an vielen medizinischen Fakultäten in Deutschland diskutiert und vollzogen. So wurde im Wintersemester 2003/2004 parallel zum Regelstudiengang ein Reformstudiengang Medizin an der Ruhr-Universität Bochum eingeführt. Auch an Fakultäten wie Köln und Aachen wurden Reform und Modellstudiengänge mit PBL Elementen eingeführt.

Wie funktioniert PBL

Eine authentische und komplexe schriftliche Problemstellung ist in der Regel Ausgangspunkt.

Die hier beschriebene, an der Universität Maastricht entwickelte Unterrichtsdurchführung wird auch Methodik des 7-Sprunges [3] genannt.

  1. Klären unbekannter Begriffe
    In Gruppenarbeit (in der Regel 5 bis 8 Teilnehmer) wird der Text von den Teilnehmern erörtert. Begriffe im Sinne von einfachen Vokabelfragen werden geklärt, im besten Fall von den Teilnehmern selbst, ggf. von einem Tutor (siehe unten).
  2. Themenfindung oder Problemdefinition
    Die Teilnehmer bestimmen die Art der Aufgabe und definieren Probleme. Dabei kann es durchaus wünschenswert sein, dass auch „Probleme auf der Metaebene“ definiert werden (beispielsweise mangelnde eigene Vorkenntnisse, mangelnde Erfahrung im Umgang mit der PBL-Methode oder gruppendynamische Probleme).
  3. Brainstorming zur Hypothesengenerierung
    Im nächsten Schritt werden Hypothesen generiert, die zur weiteren Bearbeitung des Textes bzw. des Falls dienen können. Diese Hypothesen können sich zum Beispiel darauf beziehen, wie es zu den Problemen gekommen ist, welche weiteren Informationen ggf. erhoben werden müssen und natürlich wie die Probleme gelöste werden könnten. Wichtig ist, dass dieser Schritt in Form eines wertfreien Brainstorming gehalten wird, d.h. weder diskutiert, noch in Frage gestellt oder sich gerechtfertigt wird.
  4. Systematische Ordnung und Bewertung der Hypothesen
    Die Diskussion ist dem vierten Schritt vorbehalten, der letztlich dazu dient, brauchbare, weiterführende Hypothesen zu bestätigen und unbrauchbare Hypothesen (begründet!) verwerfen zu können.
  5. Lernzielformulierung
    Die Lernziele werden formuliert. Diese sollen in den vorangegangenen Schritten offen gelegte Wissensdefizite abdecken und letztlich dazu beitragen, den Text abschließend zu bearbeiten (zum Beispiel im Text geschilderte Probleme zu lösen).
  6. Recherche („Lernzeit“)
    An diesem Punkt ist die Gruppenarbeit zunächst beendet und jeder Teilnehmer betreibt nun selbstständig oder in Kleingruppenarbeit Recherchen, um die formulierten Lernziele zu erarbeiten. Dazu können und sollen Internet, Artikel aus Fachzeitschriften, sowie Bücher benutzt werden.
  7. Synthese
    Beim nächsten Treffen der Unterrichtsgruppe tragen die Teilnehmer die Ergebnisse ihrer Arbeit zusammen, erarbeiten eine Synthese, überprüfen die gewonnenen Informationen und evaluieren die eigene Arbeit.

In der medizinischen Ausbildung ist das Problem häufig ein speziell konstruierter Fall. In der Regel wird der Fall in einer Kleingruppe unter Moderation eines speziell ausgebildeten PBL-Tutors vorgestellt (ob der Tutor ein Experte für das Fachgebiet oder nur für das im Fall behandelte Thema oder gar nur für die Anwendung der PBL-Methode sein muss, ist in der Medizinischen Ausbildung umstritten[4]). Nach der Fallvorstellung werden gemeinsam Fragestellungen zu dem jeweiligen Fall formuliert. Insbesondere zu Beginn des Studiums ist es dabei nicht Ziel, am Ende eine konkrete Diagnose zu stellen (ein PBL-Fall ist kein „Ratekrimi“), sondern grundlegende Zusammenhänge zu erarbeiten und zu verstehen. Von den Studierenden wird im Rahmen von PBL erwartet, dass Sie die gemeinsam formulierten Fragen bis zum nächsten PBL-Seminar selbstständig erarbeiten und die Ergebnisse dann gemeinsam mit dem PBL-Tutor besprechen. PBL kann durchaus auch bedeuten, dass die Studierenden zwischen den Seminaren die Möglichkeit haben, in der makroskopischen Anatomie an Leichen zu arbeiten oder biochemische oder physiologische Experimente durchzuführen, um auf diese Weise ihre Lernziele zu erarbeiten.

PBL-Curricula sind dabei nicht klassisch in vorklinische, klinisch-theoretische und klinisch-praktische Fächer unterteilt. Vielmehr werden die Inhalte meist der Interdisziplinarität dieses Ansatzes entsprechend in thematische Blöcke, wie etwa „Der Bewegungsapparat“ oder „Vor der Geburt“, gegliedert.

Ziele

Problembasiertes Lernen soll den Erwerb flexibel nutzbaren Wissens, die Entwicklung fächerüberschreitender Kompetenzen sowie eine bessere Problemlösefähigkeit fördern. Soziale Kompetenz und Teamfähigkeit sind hierbei Schlüsselqualifikationen, welche im Rahmen dieser Ausbildung erworben werden können.

PBL kann traditionelle Lehr- und Lernmethoden wie zum Beispiel die klassische Vorlesung nicht ersetzen; diese jedoch ergänzen.

Effekte

Wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass Studierende, die ein PBL-Curriculum durchlaufen haben, etwas weniger Wissen in den theoretischen Grundlagen der Medizin haben, diese aber durch besseres klinisches Wissen kompensieren.[5] Als weitgehend gesichert darf gelten, dass Studierende der Medizin, die vornehmlich PBL-basiert studiert haben, in den Staatsexamina und anderen „konservativen“ schriftlichen Prüfungen (hier v.a. in Form von Multiple Choice Fragen), den Studierenden anderer Curricula nicht unterlegen sind [6],[7].

Rollenwandel bei Dozenten und Teilnehmern

In einer problembasierten Lernumgebung findet eine Rollenveränderung vom Schüler zum Teilnehmer statt. Der im üblichen Unterricht konsumierende und passive Schüler wird als Teilnehmer in der veränderten, neuen Lernumgebung gefordert selbstständig, eigenverantwortlich, selbstreflektierend, kommunikativ und teamfähig zu agieren. Als Lernerfolg soll sich ein stärker anwendungsfähiges Wissen einstellen. Die Motivation, das Interesse und die Lernfreude der Teilnehmer ist höher als bei der herkömmlichen Unterrichtsmethode. Aber auch bei den Dozenten findet ein Rollenwandel vom Lehrer zum Tutor, vom Spezialisten zum Generalisten statt. Sie nehmen vielfältige professionelle Aufgaben wahr: Sie erklären und strukturieren, ohne die Teilnehmer ständig zu kontrollieren, sie geben Impulse, unterstützen und beraten, ohne die Teilnehmer sich selbst zu überlassen. Die Teilnehmer erleben die Tutoren als kompetente Lernberater, Coach und Problemlöser. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass ein Tutor (oder Coach) für das PBL nicht essenziell ist. Gruppen, die mit der Methode vertraut sind, können völlig selbstständig ihre Lernbedürfnisse in Lernziele übersetzen und diese erarbeiten. Schwierig wird dies am ehesten in sog. „Hybridcurricula“, wo PBL nur vereinzelt zum Einsatz kommt.

Hindernisse

PBL-basierter Unterricht ist vor allem in der Implementierung sehr aufwändig und bedeutet für die Fakultät auch wesentliche Investitionen. So muss ein komplett neues Curriculum erstellt werden, Mitglieder der Fakultät müssen zu PBL-Tutoren ausgebildet werden, und nicht zuletzt ist auch eine gewisse Mindestausstattung erforderlich. So wird etwa eine weit größere Anzahl an Seminarräumen als sonst üblich benötigt, und die Bibliothek muss so ausgestattet sein, dass die Studierenden dort Ihre PBL-Fälle sinnvoll recherchieren können. Schließlich fordert PBL ein Umdenken von Seiten der Lehrenden (“from sage at the stage to guide by the side”, vgl. AMEE guide No. 20). Höhere Investitionen im Sinne höherer finanzieller Aufwendungen sind aber nicht zwingend zu erwarten [8], zum Beispiel wenn durch den Einsatz studentischer Tutoren oder wissenschaftlicher Hilfskräfte im PBL weniger hochbezahltes Fachpersonal zum Einsatz kommt.

Literatur

  • Ladenthin, Volker: Problemorientierter Geschichtsunterricht, in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik, 10 (1982), S.30–34.
  • Kiel, E., Kahlert, J., Haag, L. & Eberle, T. (2011): Herausfordernde Situationen in der Schule. Ein fallbasiertes Arbeitsbuch. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Einzelnachweise

  1. Shoemaker H. (1960): “The functional context method of instruction”. Human Resources Research Office, George Washington University. IRE Transactions and Education, V-E-3( 2), 52–57. Alexandria, VA
  2. http://wga.dmz.uni-wh.de/medizin/html/default/human_profil
  3. Schmidt HG (1983): Problem-based learning: Rationale and description. Medical Education 1983, 17: 11–16
  4. Dolmans et al. (2002), Trends in research on the tutor in problem-based learning: conclusions and implications for educational practice and research; Med Teach 24: 173–180
  5. Menin SP, Friedman M, Skipper B, et al.: Performances on the NBME I, II, and III by medical students in the problem-based learning and conventional tracks at the University of New Mexico. Acad Med 1993; 68: 616–624.
  6. Newman M. A pilot systematic review and meta-analysis on the effectiveness of problem-based learning. On behalf of the Campbell Collaboration Systematic Review Group on the Effectiveness of Problem-based Learning. Learning and Teaching Support Network-01. Newcastle: LTSN 2003.
  7. Albanese MA, Mitchell S. Problem-based learning: a review of literature on its outcomes and implementation issues. Acad Med. 1993 ;68(1):52–81.
  8. Kruseman,A. C. N., Kolle,M., Scherpbier,A. J. J. (1997). Problem-based learning at Maastricht: An assessment of cost and outcome. Education for Health, 10, 179–187.

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