Propaganda-Modell

Propaganda-Modell

Das Propagandamodell von Noam Chomsky und Edward S. Herman versucht, systemisch bedingte Tendenzen in den Massenmedien als Folge von strukturell bedingten ökonomischen Einflüssen zu erklären. Das Propagandamodell wurde zuerst 1988 in Hermans und Chomskys Buch Manufacturing Consent: the Political Economy of the Mass Media dargestellt. Diese Theorie beschreibt, wie die Medien ein dezentralisiertes und nicht-verschwörerisches Propagandasystem bilden können, das fähig ist, einen Konsens der Oberschicht herzustellen und die Öffentlichkeit in diese Perspektiven der Oberschicht einzubinden – während gleichzeitig der Anschein des demokratischen Konsens gewahrt bleibt.

Gemäß einem oft zitierten Spruch Chomskys sei „[...] die Propaganda für die Demokratie wie der Knüppel für einen totalitären Staat.“ Das Propagandamodell versucht, politische Tendenzen in den Massenmedien nicht als Ergebnis von Verschwörungen, sondern als Produkt ökonomischer Zwänge zu erklären.

Inhaltsverzeichnis

Die „Filter“

Gemäß dem Propagandamodell gibt es fünf Filter, die unerwünschte Nachrichten etwa aus einer Zeitung fernhalten. Obwohl Chomsky und Herman hauptsächlich amerikanische Medien untersucht haben, gehen sie davon aus, dass diese „Filter“ bei jedem Massenmedium wirken, das im kapitalistischen Umfeld existiert.

Der Besitzer

In den USA sind viele Fernsehanstalten und Zeitungen im Besitz von Großkonzernen wie Westinghouse, Time Warner oder General Electric. Diese Konglomerate sind abhängig von der Berichterstattung ihrer Medienunternehmen - wenn etwa die Time-Warners-eigene TV-Anstalt CNN abschätzig über Hollywood berichtet, dann wäre dies schädlich für Warner Bros., den konzerneigenen Filmproduzenten. Insbesondere den Rüstungskonzernen liegt es nahe, durch die „Realitätskontrolle“ über die Massenmedien das Gefahrenbewusstsein der Bevölkerung und somit der Politik zu steuern.

Gerade in den USA gibt es kaum noch Massenmedien, die nicht Großkonzernen gehören – und recht oft bilden Großkonzerne in einer Sparte (Nachrichtensender, Tageszeitungen, Radio) ein Oligopol. Das amerikanische Netzwerk Clear Channel Communications etwa besitzt 1.200 Radio- und 30 Fernsehstationen.

Die Einnahmequellen

Eine Zeitung oder eine Fernsehanstalt lebt von den Werbeeinnahmen. Oft nehmen in Zeitungen die Inserate und andere bezahlte Inhalte mehr Platz ein als die eigentlichen Nachrichten – bei der New York Times etwa machten Werbeeinnahmen 75% des Gewinns aus.

Gemeinhin nimmt man an, bei einer Zeitung würde der Zeitungsverlag ein Produkt an den Leser verkaufen – nämlich mit Nachrichten bedrucktes Papier. Der Leser bezahlt also für eine Ware bzw. eine Dienstleistung, die er genießt.

Chomsky und Herman stellten dieses Schema auf den Kopf, da eine Zeitung viel mehr an Inseraten verdient als an Abonnements und Kioskverkäufen. Das Propagandamodell besagt also, dass die Zeitung ein Produkt an die Inserenten verkauft - nämlich eine riesige Menge von Menschen, die man mit Werbebotschaften füttern kann.

Da eine Zeitung im kapitalistischen Kontext ein Wirtschaftsunternehmen ist, strebt sie Gewinnmaximierung an. Und da eben der Großteil der Einnahmen von den Inserenten stammt, muss die Zeitung ihre Berichterstattung auf die Interessen ihrer Inserenten ausrichten.

Die Quellen

Massenmedien benötigen einen konstanten Nachschub an Informationen, also Nachrichten, um ihre Funktion zu erfüllen. In der industrialisierten Wirtschaft sind die Quellen spezialisierte Unternehmen, die auch über die materiellen Ressourcen verfügen.

Chomsky und Herman sagten an dieser Stelle, dass eine Symbiose herrsche zwischen den Massenmedien und den Regierungsstellen: Wer brav genug berichtet – das heißt, die „Faktenlage“ des zuliefernden Unternehmens übernimmt – darf weiterhin an den Pressekonferenzen teilnehmen und exklusive Informationen erhalten. Viele der „Zulieferfirmen“ filtern die Informationen selber, so dass ihre Eigeninteressen oder jene ihrer Besitzer gewahrt bleiben.

Zum Beispiel versorgt das US-amerikanische Verteidigungsministerium Pentagon die Medien mit Informationen über den Irak-Krieg, denn eine Medienunternehmen für sich kann es sich gar nicht leisten, bei globalen Ereignissen überallhin eigene Journalisten zu entsenden.

„Flak“ und Anti-Ideologie

Die Autoren von Manufacturing Consent: the Political Economy of the Mass Media benutzen den Begriff Flak („Flugabwehrkanone“) für relativ direkte und zielgerichtete Aktionen gegen Organisationen oder Personen, die gerade daran sind, die herrschenden Ansichten zu kritisieren.

Anders als die vorigen drei Filter sind „Flak“ und der Einsatz von „Anti“-Ideologien nicht-ökonomischen Ursprungs. Beim „Flak“ kann es durchaus ein erboster Minister sein, der mit einem Telefonanruf einen Redakteur maßregelt – oder eine Interessengruppe, die in Aktion tritt, sobald ein Massenmedium „den Anstand missachtet“.

Diese sogenannten „Anti“-Ideologien – also Normen – haben eine reale oder eine befürchtete Gefahr zum Thema. In der Vergangenheit war es der Kommunismus als Antithese zur amerikanischen Lebensweise. Aus solchen ideologischen Gründen haben etwa US-Medien Gräueltaten rechtsgerichteter Paramilitärs an kommunistisch orientierten Zivilisten verschwiegen oder unter den Teppich zu kehren versucht – ein Beispiel sind die indonesischen Überfälle auf Osttimor, zur der Zeit als die USA im Vietnamkrieg Indonesien als Verbündeten benötigten.

Heute erfülle diese Funktion eher der sogenannte „Anti-Terrorismus“ als Glaubenssatz der Medien, und die Opfer dieses „Filters“ sind unter anderem Gegner der amerikanischen Außenpolitik. Wer der US-Politik kritisch gesinnt ist, kann leicht in eine „terroristische“ Ecke gedrängt werden.

Empirische Basis des Propagandamodells

Chomsky und Herman haben das Propagandamodell empirisch getestet, indem sie Beispielpaare untersucht haben - also Ereignisse, von denen je zwei objektiv gesehen identisch oder sehr ähnlich waren, mit Ausnahme der Interessen der einheimischen Oberschicht. Wenn ein „offizieller Feind“ etwas tut - wie etwa einen Bischof töten - untersucht die Presse den Fall eingehend und gibt ihm große Beachtung. Aber sobald die einheimische Regierung oder eine befreundete Nation das gleiche oder etwas Schlimmeres unternimmt, wird die Bedeutung des Vorfalls heruntergespielt oder durch das Fokussieren auf Ersatzthemen ohne Bezug marginalisiert.

Als Paradebeispiele für das Propagandamodell dienen der Krieg in Kambodscha und der Völkermord in Osttimor, die Ende der 1980er Jahre stattfanden. In Kambodscha waren die kommunistischen Roten Khmer an der Macht, und Indonesien, bezüglich des Vietnamkriegs den USA freundlich gesinnt, drang im portugiesischen Osttimor ein, weil dort die FRETILIN-Partei erstarkte, die nach Angaben Indonesiens kommunistisch orientiert war. Neun Tage nachdem die FRETILIN die Unabhängigkeit ausrief, marschierte Indonesien ein. Zwischen 150.000 und 300.000 der ursprünglich 600.000 Menschen in Osttimor wurden ermordet; in Kambodscha starben rund 50.000 bis 300.000 Menschen direkt an den US-Luftangriffen während des Vietnamkriegs, etwa 1,7 Millionen durch die spätere Khmer-Herrschaft.

Chomsky hat zusammen mit Herman untersucht, wieviel Beachtung die Massenmedien dem jeweiligen Krieg bzw. Völkermord schenkten - etwa durch Zählung der Berichte und durch Vergleich der bedruckten Fläche, die dem jeweiligen Konflikt gewidmet waren. Über die Ereignisse in Kambodscha „nach dem Vietnamkrieg“ druckte die New York Times insgesamt 1175 Zoll (29,84 m) Spaltenlänge, über jene in Osttimor nur 70 Zoll (1,78 m)[1][2].

Einzelnachweise

  1. Chomsky: mc-Skript
  2. Artikel in ZMag

Medien

Bücher

  • Edward S. Herman und Noam Chomsky (1988, 2002): Manufacturing consent: the political economy of the mass media. Pantheon Books, New York.
  • Edward S. Herman und Noam Chomsky (2006): Manufacturing consent: the political economy of the mass media. Vintage Books/Random House. ISBN 0-09-953311-1
  • Mark Achbar (Herausg., 1994): Manufacturing consent: Noam Chomsky and the media: the companion book to the award-winning film by Peter Wintonick and Mark Achbar. Black Rose Books, Montréal. ISBN 1-55164-002-3
  • Mark Achbar (Herausg., 2001): Wege zur intellektuellen Selbstverteidigung: Medien, Demokratie und die Fabrikation von Konsens. Übersetzt von Helmut Richter. Trotzdem Verlagsgenossen. ISBN 3-922209-88-2

Filme

  • Mark Achbar und Peter Wintonick (1992): Manufacturing consent: Noam Chomsky and the media: an exploration of dissent. Necessary Illusions Productions, London. 167 Minuten. Eintrag auf IMDb

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