- Propagandamodell
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Das Propagandamodell von Noam Chomsky und Edward S. Herman versucht, systemisch bedingte Tendenzen in den Massenmedien als Folge von strukturell bedingten ökonomischen Einflüssen zu erklären. Das Propagandamodell wurde zuerst 1988 in Hermans und Chomskys Buch Manufacturing Consent: the Political Economy of the Mass Media dargestellt. Diese Theorie beschreibt, wie die Medien ein dezentralisiertes und nicht-verschwörerisches Propagandasystem bilden können, das fähig ist, einen Konsens der Oberschicht herzustellen und die Öffentlichkeit in diese Perspektiven der Oberschicht einzubinden – während gleichzeitig der Anschein des demokratischen Konsens gewahrt bleibt.
Gemäß einem oft zitierten Spruch Chomskys sei „[...] die Propaganda für die Demokratie wie der Knüppel für einen totalitären Staat.“ Das Propagandamodell versucht, politische Tendenzen in den Massenmedien nicht als Ergebnis von Verschwörungen, sondern als Produkt ökonomischer Zwänge zu erklären.
Inhaltsverzeichnis
Die „Filter“
Chomsky und Herman beschreiben in ihrem Modell eine systematische Vorauswahl der kolportierten Nachrichten in den Medien. Die Inhalte werden sortiert: Während kritische politische Fragen aussortiert werden, werden spektakuläre, aber banale Informationen in den Mittelpunkt gerückt. Den Grund hierfür sehen Chomsky und Herman in 5 Filtern, die bestimmte Nachrichten aus den Massenmedien fernhalten. Die Medien werden mit diesen Filtern funktionalisiert, um bestimmte Wünsche einflussreicher Gruppen zu erfüllen. Es wird also ein Propaganda-Modell der Massenmedien entworfen.
Chomsky und Herman legen viel Wert darauf, dass die Filterung nicht das Ergebnis einer Verschwörung ist, sondern das Produkt ökonomischer und militärtaktischer Zwänge. Während es in autoritären Ländern eine sehr offensichtliche Funktionalisierung der Medien gibt, ist diese Funktionalisierung in westlichen Ländern weitaus schwieriger zu erkennen. Chomsky und Herman gehen aber (obwohl sich ihre Untersuchungen hauptsächlich auf den amerikanischen Medienmarkt beziehen) davon aus, dass die 5 Filter in jeder entwickelten Mediengesellschaft festzustellen sind.
Der Besitzer
Bei der Entwicklung der Massenmedien in den vergangenen 200 Jahren zeigen Chomsky und Herman verschiedene Entwicklungsstränge auf.
Zum einen hat sich in der Entwicklung schnell eine hohe Markteinstiegsbarriere entwickelt. Konnte man in Zeiten der ersten Londoner Wochenzeitungen (im ersten Drittel des 19. Jh.) noch für einen dreistelligen Betrag eine Zeitung auf den Markt bringen, die dann zumindest auch eine hohe vierstellige Summe an Exemplaren hatte (und damit ein großes Medium war), so kostete eine Ausgabe einer Londoner Tageszeitung im Jahr 1867 schon 50.000 Pfund. Diese Entwicklung hielt an. Nach dem Weltkrieg wurde konstatiert, dass selbst das Erscheinen einer regionalen Tageszeitung schon ein großes Geschäft war.
Heute gehen die Kosten für die Etablierung einer ernstzunehmenden Wochen- oder Tageszeitung schnell in die zweistelligen Millionenbeträge. Zur Etablierung eines neuen Fernseh- oder Radiosenders sind noch umfangreichere Mittel nötig. So sorgt dieser Filter dafür, dass de facto nur eine privilegierte Schicht einen gesicherten Zugang zum Medien- und damit auch zum Nachrichtenmarkt hat. So scheint es für die Oberschicht oder Großindustrielle nicht sonderlich schwierig zu sein, Zugang zum Massenmedienmarkt zu erhalten: Im Jahr 1986 kaufte General Electric, ein amerikanischer Misch-Konzern mit Verstrickungen im Waffen-, Energie- und Finanzbereich und 2005 nach Einnahmen das viertgrößte Unternehmen der Welt, den Fernsehsender NBC und erkaufte sich damit seinen Einstieg in die Massenmedien.
Der zweite wirksame Aspekt dieses Filters liegt in der Medienkonzentration auf einige wenige Protagonisten. Obwohl es in den USA, so konstatieren Chomsky und Herman, im Jahr 1986 über 25.000 Medieneinheiten (wie Zeitungen, Magazine, Radio- und Fernsehsender) gab, gehörten die meisten schon zu übergeordneten nationalen Mediengroßkonzernen oder waren zumindest in allen Bereichen außer den Lokalnachrichten abhängig von ihnen. Mittlerweile ist die Medienkonzentration in den USA so weit fortgeschritten, dass man nur noch zwischen wenigen Großkonzernen (wie Disney, Time Warner, Viacom oder eben General Electric-NBC) unterscheiden kann. Durch Fusionen und Übernahmen sind auf diese Weise große Oligopole entstanden. Das Unternehmen Clear Channel Communications, laut Institut für Medien- und Kommunikationspolitik nur Nr. 25 in der Liste der vom Umsatz her größten Medienunternehmen, besitzt 1200 Radio- und 30 Fernsehstationen. So konnte die Bush-freundliche Leitung des Unternehmens im Jahr 2005 mit einem Abspielverbot dafür sorgen, dass die Country-Band Dixie Chicks, die sich wiederholt Bush-kritisch geäußert hatten, einen enormen Popularitätseinbruch erleiden musste.[1]
Eine Konzentration auf einige wenige Großunternehmen heißt aber gleichsam nicht, dass das Angebot quantitativ abnimmt. Im Gegenteil dazu gibt es ein immer größeres Angebot, das auch eine große Angebotsvielfalt und Verhältnisse des Wettbewerbs suggeriert. In Wirklichkeit sind immer weniger Anbieter auf dem Markt, die immer mehr Angebote produzieren. Damit steigt das Medienangebot nur vordergründig, während hintergründig oftmals das gleiche Interesse der Mutterkonzerne im Raum steht. Dieses Interesse liegt mitunter außerhalb des Medienmarktes – beispielsweise kann, wie am Dixie-Chicks-Beispiel bereits erwähnt, durch subtile zensorische Eingriffe ein regierungsfreundlicher Kurs deutlich gemacht werden, durch den der Mutterkonzern sich bspw. Steuervorteile oder konzerngünstige Senatsentscheidungen verspricht. Ein anderes Beispiel ist das Sensibilisieren der Bevölkerung für Ungerechtigkeiten in einem bestimmten anderen Land, um die Kriegsbereitschaft der Bevölkerung zu erhöhen und so einem Mutterunternehmen (s. bspw. General Electric) das auch im Waffenmarkt tätig ist, höhere Umsätze zu verschaffen.
Durch die starke Medienkonzentration können sich die Nachrichtenkonzerne zudem den Verzicht auf teuren Investigativjournalismus zugunsten günstiger, aber spektakulärer Banalfaktenjagd leisten. Und selbst innerhalb der wenigen verbliebenen Mediengroßkonzerne gibt es Verknüpfungen. So sitzen beispielsweise einflussreiche Mediendirektoren im Aufsichtsrat verschiedener Unternehmen oder es gibt Eigentümer-Schnittstellen bei den verschiedenen Aktienunternehmen. Als eines der bekanntesten Beispiele dafür kann Steve Jobs gelten, Mitgründer und CEO von Apple und gleichzeitig (seit der Übernahme von Pixar durch Disney) größter Einzelaktionär von Disney.
Die Einnahmequellen
Gemeinhin wird angenommen, dass die Medienunternehmen ihr Produkt gestalten, um dieses dann, gleich einer Ware, an die Konsumenten zu verkaufen. Dieses Schema kann aber nur für die ersten Zeitungen gelten, die noch nicht werbefinanziert waren. Bei diesen ersten Zeitungen wurden die Produktionskosten komplett durch die Verkaufskosten der Zeitungen gedeckt. Bei einer fiktiven Auflage von 1000 Exemplaren einer Zeitung und Produktionskosten von 1000 Dollar hätte die Zeitung also mindestens einen Dollar kosten müssen, um, bei angenommenem Ausverkauf, wirtschaftlich arbeiten zu können.[1]
Als dann die erste Zeitung Inserenten, also Werbetreibende, in ihre Finanzen mit aufnahm, also Werbeflächen innerhalb der Zeitung verkaufte, veränderte sich das Schema: Wenn, bei dem fiktiven Beispiel geblieben, also die Zeitung 750 Dollar der Produktionskosten durch den Verkauf von Werbung wieder einholen konnte, dann konnte sie die Zeitung für 25 Cent verkaufen, um weiterhin wirtschaftlich zu arbeiten. Damit waren in der sich entwickelnden Werbewirtschaft diejenigen Zeitungen privilegiert, die Werbung schalteten: Durch den niedrigeren Verkaufspreis erreichte die Zeitung eine höhere Auflage. Eine Aufwärtsspirale begann – und gleichermaßen der Abstieg für Zeitungen, die sich der Werbung verweigerten oder denen sich umgekehrt potentielle Werbepartner verweigerten, etwa weil die betreffenden Blätter als ungeeignete Vehikel für die eigene Produktwerbung oder deren Leserschaften als unzureichend kaufkräftig erachtet wurden. Das Konzept der werbefreien Zeitung war damit zum Scheitern oder zur Existenz in eng begrenzten Nischen verurteilt.
Heute gibt es keine Massenmedien mehr, die völlig auf Werbung verzichten können. Bei den Zeitungen wird nur noch eine Papier-Schutz-Gebühr erhoben, die Finanzierung läuft vollständig über die enthaltene Werbung. Fernsehsender kommen sogar völlig ohne Bezahlung aus (vom Pay-TV abgesehen, das aber auch nur durch Werbeeinnahmen seine Ausgaben decken kann und sich nur zu einem kleinen Teil durch den Verkauf von Abonnements finanziert).
Damit hat sich auch das Verkaufsschema grundlegend verändert: Es wird keine Ware mehr gestaltet, um sie an Konsumenten zu verkaufen – vielmehr wird ein Produkt gestaltet, um ein höheres Wertobjekt an einen Inserenten zu verkaufen: Die Aufmerksamkeit einer möglichst großen oder einer bestimmten Gruppe von Medienkonsumenten, auf die die Werbung wirken soll. Die Einnahmequelle dient daher in diesem Modell als Filter, selbst wenn die dargestellte Entwicklung ohne explizite Intention so verlief. In einem Medium kann nichts publiziert werden, das den Interessen der Kunden, also nach dem neuen Schema den Inserenten, widerspricht. Ein Fernsehsender wird bspw. weniger kritische Berichte über den schädlichen Einfluss von Alkohol senden, wenn Brauereien wichtige Werbetreibende für den Sender sind. Ein klassisches Beispiel wäre hier auch die fehlende Berichterstattung über die mutmaßlichen kriminellen Machenschaften des Coca-Cola-Konzerns: Obwohl von Hilfsorganisationen immer wieder Menschenrechtsverletzungen (Mord an Gewerkschaftern in Kolumbien, Wasserdiebstahl in Indien) des Konzerns kolportiert werden, gibt es in den Massenmedien kaum Berichterstattungen, die dem wichtigen Werbeträger schaden könnten. Kritische Berichterstattung wird durch diesen Filter komplett diskriminiert, weil sie die Kauflaune der Konsumenten gefährdet und daher den Interessen der Werbeindustrie bzw. ihrer Klienten zuwiderläuft.
Die Quellen
Massenmedien benötigen einen stetigen Zulauf an Informationen, also Nachrichten, um Ihre Funktion zu erfüllen. Dabei können sie es nicht bewerkstelligen, die Informationen selbst zu sammeln (also an jeder „Nachrichtenbasis“ einen Mitarbeiter zu haben). Daher sind die Medien auf Zulieferer angewiesen, die für sie die Nachrichten sammeln und sie dann gebündelt an Redaktionen weiterleiten. In der modernen, industrialisierten Medienwelt sind diese Zulieferer PR- und Nachrichtenagenturen, die auch über die materiellen Möglichkeiten verfügen, die Nachrichten aus erster Hand zu bekommen.
Jede politische Instanz und jedes Unternehmen ab einer bestimmten Größe beschäftigt eine PR-Agentur, die regelmäßig Pressemeldungen ausgibt oder Pressekonferenzen abhält oder betreibt eine eigene Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Gerade Pressekonferenzen als ein Mittel der Öffentlichkeitsarbeit garantieren alles, was für den Erfolg eines Nachrichtenmagazins elementar ist: Nachrichten dürfen nicht viel kosten und müssen schnell und ständig verfügbar sein. Pressekonferenzen sind der Ort, an dem kostengünstig und schnell viele Nachrichten generiert werden. Meist wird den teilnehmenden Reportern von der die Pressekonferenz abhaltenden PR-Abteilung schon ein vorgefertigtes Handout mit den Hauptthesen oder sogar Zitaten geliefert, um die redaktionellen Abläufe zu beschleunigen. Die Pressekonferenzen finden an einem fest definierten Ort zu einem fest definierten Zeitpunkt statt, um ein Erscheinen vor Redaktionsschluss einer Sendung oder Ausgabe zu gewährleisten.
Grundsätzlich gilt die Wahrheitsvermutung bei den kolportierten Informationen – die Behauptung einer Institution wird als Wissen verwertet. Damit werden die Medien allzu oft zum Sprachrohr von Institutionen. Die Informationen, die von den Institutionen am meisten angepriesen werden, finden auch den meisten Widerhall in den Medien. Experten werden von den PR-Agenturen engagiert, um Nachrichten zu legitimieren und letzte Zweifel an der Richtigkeit der Informationen zu verwerfen. Die Kompetenz der Experten bleibt dabei unhinterfragt, die Information in letzter Instanz unabgesichert und weitestgehend subjektiv.
Neben den PR-Agenturen sind auch Nachrichtenagenturen zentrale Zulieferer für die Massenmedien. Nachrichtenagenturen fungieren als sogenannte Gatekeeper. Sie entscheiden darüber, welche Nachrichten relevant sind, um bearbeitet und weitergeleitet zu werden, welche Ereignisse mitteilenswert sind und welche nicht, und zu welchen Ereignissen es nötig ist Korrespondenten oder Reporter zu schicken. Dabei sollen die Agenturen möglichst objektiv und ohne politische oder ökonomische Färbung vorgehen. Doch auch die Nachrichtenagenturen sind davon abhängig, dass größere Firmen, inländische Regierungsbehörden, ausländische Regierungen oder Informanten mit ihnen zusammenarbeiten oder zumindest ihre Arbeit nicht behindern. Daher kommt es auch hier zu einer Informationsfilterung, die im Wesentlichen nach den Interessen der Quellengeber und den Verwertungsansprüchen der Medien im Rahmen eines Nachrichtenmarktes eingefärbt ist.
„Flak“
Flak bezeichnet negative Rückmeldungen zu medialen Statements oder Programmen. Die Medien sind sehr stark von positiver Resonanz untereinander abhängig. Werden bestimmte Nachrichten, Haltungen oder Programme negativ in anderen Medien besprochen oder von offiziellen Stellen (z. B. Regierungsinstitutionen) kritisiert, kann das für die kritisierten Medienunternehmen kostspielige Konsequenzen wie etwa Verleumdungsklagen nach sich ziehen und möglichen Reputationsverlust bedeuten. Neben den möglichen negativen Auswirkungen auf den Informationszulauf (wird z. B. eine Sendung wiederholt als „zu linkslastig“ gebrandmarkt, wird es schwer sein, einen liberal oder konservativ orientierten Politiker zu einem Statement in der Sendung zu bewegen) können negative Rückmeldungen zu Programmen auch Probleme mit den Werbetreibenden erzeugen. Diese sehen sich gezwungen, Flak durch einen gekränkten Kundenkreis zu verhindern – sie setzen Medienunternehmen unter Druck, möglichst massentaugliche Programme zu produzieren.
Doch anders als die ersten drei Filter ist Flak kein primär ökonomischer Filter. Vielmehr stehen bei diesem Filter unmittelbarere Machtinteressen im Vordergrund: Politik und medienexterne Großkonzerne wollen durch Flak Eingriff in die Mediengestaltung bekommen, um den Konsens in der Bevölkerung zu beeinflussen. In der Entwicklung gezielter Medienkritik wurden dafür mit der Unterstützung von Wirtschaftsunternehmen und PR-Agenturen Institutionen geschaffen, welche in den Medien vertretene Haltungen systematisch mit negativen Rückmeldungen beantworten, also gezielt Flak produzieren, um ein den Interessen der unterstützenden Wirtschaftsunternehmen entsprechendes Ziel zu erreichen.
Neben den von Chomsky und Herman aufgeführten Institutionen, wie z. B. „Accuracy in Media“ (AIM) oder „The Media Institute“, ist eines der vielleicht besten, weil erfolgreichsten Beispiele für eine solche Organisation die Global Climate Coalition (GCC), die sich im Interesse von Industriegrößen gegen den globalen Klimaschutz wendete. Die GCC wurde 1989 von der US-amerikanischen PR-Agentur Burson-Marsteller mit Sitz in Washington, D.C. gegründet. Sie repräsentierte ca. 15 private Unternehmen und 25 Verbände, vor allem Firmen der Bereiche Öl, Kohle, Flugverkehr, Automobilherstellung und Chemie. Bedeutende Mitglieder waren neben Exxon (2005 das nach Umsatz erfolgreichste Unternehmen der Welt) die American Forest & Paper Association, das American Petroleum Institute, Chevron, General Motors, Texaco und die US-Handelskammer.
Drei Karten spielte die GCC aus, um internationalen Klimaschutz zu stoppen: Erstens die „Wissenschaftskarte“, indem sie die Forschungsergebnisse der Wissenschaft in Misskredit brachte. Zweitens die „Wirtschaftskarte“: Klimaschutz schwäche die Wirtschaft und erhöhe die Arbeitslosigkeit. Drittens die „Entwicklungsländerkarte“: Die Industrieländer, vor allem die USA, sollten erst dann Maßnahmen ergreifen, wenn auch die Entwicklungsländer im Klimaschutz aktiv würden – obwohl deren pro-Kopf-Anteil am Ausstoß klimarelevanter Gase viel niedriger ist. Durch gezielte PR-Aktionen gegen Umweltvertreter und durch die öffentliche Unterstützung seitens prominenter und einflussreicher Persönlichkeiten, allen voran George W. Bush, gelang es Organisationen wie der GCC lange Zeit, einen gesellschaftlichen Konsens zur Wichtigkeit und Richtigkeit von Umweltschutz in den USA zu untergraben bzw. durch klientelspezifische Ablenkthemen in den Hintergrund zu drängen.
Antikommunismus oder Antiideologie
Sogenannte Antiideologien basieren meist auf der Konstruktion binärer und polarer Gegensatzpaare. Für Chomsky und Herman, die ihre Theorie vor dem Hintergrund des Kalten Krieges entwickelten, war dieses Gegensatzpaar der Kommunismus als Antithese zur amerikanischen Lebensweise. Eine solche Antiideologie hat Auswirkung auf die moralische Bewertung (und damit auch die kritische Berichterstattung) von Militäraktionen oder auch auf die Glaubwürdigkeit und Legitimität von Experten in den Medien und im gesellschaftlichen Konsens.
Aus solchen ideologischen Gründen haben etwa US-Medien Gräueltaten rechtsgerichteter Paramilitärs an kommunistisch orientierten Zivilisten verschwiegen oder heruntergespielt. Ein Beispiel sind die indonesischen Überfälle auf Osttimor, zu der Zeit als die USA im Vietnamkrieg Indonesien als Verbündeten benötigten. In „Manufacturing Consent“ sind diese Überfälle als „größter Genozid seit dem Holocaust“ beschrieben. In den US-Medien wurde nur wenig über die Invasion Indonesiens in Osttimor geschrieben. Hingegen erfuhr ein in Relation vergleichbarer Fall zur selben Zeit, der Völkermord in Kambodscha, von den Medien sehr viel Aufmerksamkeit. Die fehlende mediale Präsenz verhinderte, so Chomsky, dass die UN in Osttimor aktiv wurde. Die UN verurteilte zwar die Invasion Indonesiens und verhängte Embargos gegen den ostasiatischen Staat, sie schickte aber keine Truppen nach Osttimor, um den Genozid zu verhindern.
In den USA der späten Achtziger war der Antikommunismus in der Bevölkerung als Ideologie so vollständig internalisiert, dass Chomsky und Herman vom „Anticommunism“ als „dominanter Religion“ sprechen. Durch diese vollständige Internalisierung standen Medienvertreter unter dem ständigen Druck, keinerlei Zweifel an ihrer antikommunistischen Haltung zuzulassen. Die Ideologie half der Bevölkerung, einen Feind des Vaterlandes klar zu definieren, was der Politik erleichterte, die Bevölkerung gegen diesen Feind zu mobilisieren. Durch die unscharfe Beschreibung des Feindes als „Kommunist(en)“ konnte die Ideologie aber dazu benutzt werden, sämtliche politischen Bewegungen als feindlich zu stigmatisieren, die Eigentumsinteressen infrage stellten oder das Gespräch mit kommunistischen Staaten und Radikalen förderten. Zudem führte die Internalisierung der Ideologie zu einer asymmetrischen Betrachtungsweise von Radikalität: Während ein Sieg des Kommunismus als größtes anzunehmendes Übel angesehen wurde, galt die inländische Unterstützung von faschistischen Gruppierungen als geringeres Problem.
Heute, nach dem Ende des Kalten Krieges, dem Mauerfall und dem Fall des Eisernen Vorhangs und schließlich den Anschlägen vom 11. September 2001 hat sich der Terrorismus als neue Antipode zum amerikanischen Lebensstil etabliert. Von der Schieflage der moralischen Betrachtung kann sich natürlich auch diese neue Antiideologie nicht freimachen: Wer gegen die amerikanische Außen- und Kriegspolitik vorgeht, wird schnell als terroristisch gebrandmarkt und vom Diskurs ausgeschlossen. Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Terrorismus lässt sich in den US-Medien ein gefährlicher Kampfeinsatz von US-Truppen legitimieren.
Empirische Basis des Propagandamodells
Chomsky und Herman haben das Propaganda-Modell empirisch getestet, indem sie Beispielpaare untersucht haben, also Ereignisse, von denen je zwei objektiv gesehen identisch oder sehr ähnlich waren, mit Ausnahme der Interessen der einheimischen Oberschicht.
Beispiel Kambodscha und Osttimor
Das beste Beispiel dafür ist die bereits aufgeführte Dichotomie in der Berichterstattung der Gräueltaten in Kambodscha auf der einen und Osttimor auf der anderen Seite. Mit akkurater Genauigkeit und mit Unterstützung von Organisationen wie Fairness and Accurancy in Reporting (FAIR), der Herman später auch beitrat, sammelten die Autoren Fakten, die ihre These unterstützen. Dies gelang etwa durch Zählung der Berichte und durch Vergleich der bedruckten Fläche, die dem jeweiligen Konflikt gewidmet waren. Über die Ereignisse in Kambodscha „nach dem Vietnamkrieg“ druckte die New York Times insgesamt 1175 Zoll (29,84 m) Spaltenlänge, über jene in Osttimor nur 70 Zoll (1,78 m).[2][3]
Beides fand Ende der 1970er Jahre statt. In Kambodscha waren die kommunistischen Roten Khmer an der Macht, und Indonesien, bezüglich des Vietnamkriegs den USA freundlich gesinnt, drang im portugiesischen Osttimor ein, weil dort die FRETILIN-Partei erstarkte, die nach Angaben Indonesiens kommunistisch orientiert war. Neun Tage nachdem die FRETILIN die Unabhängigkeit ausrief, marschierte Indonesien ein. Zwischen 150.000 und 300.000 der ursprünglich 600.000 Menschen in Osttimor wurden ermordet; in Kambodscha starben rund 50.000 bis 300.000 Menschen direkt an den US-Luftangriffen während des Vietnamkriegs, etwa 1,7 Millionen durch die spätere Khmer-Herrschaft.
Anwendbarkeit auf den deutschen Medienmarkt
In Deutschland gibt es neben den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern, die durchschnittlich 50% der Einschaltquoten für sich verbuchen können, nur wenige große Medienunternehmen. Sie teilen unter sich 95% der restlichen Zuschauer auf. Die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) untersucht diese Entwicklung und muss formal die Erlaubnis für Fusionen, Übernahmen und strukturelle Programmänderungen im deutschen Medienbereich geben.
Einzelnachweise
- ↑ a b Edward S. Herman und Noam Chomsky (1988, 2002): Manufacturing consent: the political economy of the mass media. Pantheon Books, New York.
- ↑ Chomsky: mc-Skript (Link nicht mehr abrufbar)
- ↑ Artikel in ZMag
Medien
Bücher
- Edward S. Herman und Noam Chomsky (1988, 2002): Manufacturing consent: the political economy of the mass media. Pantheon Books, New York.
- Edward S. Herman und Noam Chomsky (2006): Manufacturing consent: the political economy of the mass media. Vintage Books/Random House. ISBN 0-09-953311-1
- Mark Achbar (Herausg., 1994): Manufacturing consent: Noam Chomsky and the media: the companion book to the award-winning film by Peter Wintonick and Mark Achbar. Black Rose Books, Montréal. ISBN 1-55164-002-3
- Mark Achbar (Herausg., 2001): Wege zur intellektuellen Selbstverteidigung: Medien, Demokratie und die Fabrikation von Konsens. Übersetzt von Helmut Richter. Trotzdem Verlagsgenossen. ISBN 3-922209-88-2
Filme
- Mark Achbar und Peter Wintonick (1992): Manufacturing consent: Noam Chomsky and the media: an exploration of dissent. Necessary Illusions Productions, London. 167 Minuten. Eintrag auf IMDb
Weblinks
"Manufacturing consent: Noam Chomsky and the media: an exploration of dissent" auf Youtube
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