Provinzial-Irrenanstalt Westfalen

Provinzial-Irrenanstalt Westfalen

Die LWL-Klinik Marsberg (früher: Westfälische Klinik Marsberg) ist eine Einrichtung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe für Psychotherapie, Psychiatrie und Rehabilitation. Sie geht auf das 1814 gegründete Landeshospital Marsberg zurück. 1816 wurde sie zur Provinzial-Irrenanstalt Westfalen. Daneben entstand ab 1881 das von einem Orden geführte St. Johannes Stift für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Daraus ging die westfälische Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie hervor. Beide Einrichtungen fusionierten 1997 auf Verwaltungsebene zum Westfälischen Pflege- und Förderzentrum.

Hauptgebäude des St. Johannes Stifts

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung im 19. Jahrhundert

In Marsberg wurde 1744 als letzte Klostergründung im Herzogtum Westfalen vor der Säkularisation das Kapuzinerkloster Marsberg gegründet.

Nach dem Ende des Herzogtums Westfalen wurde die hessen-darmstädtische Verwaltung auf die unzureichende „Irrenfürsorge“ im neuen Landesteil aufmerksam. Im einige Jahre zuvor säkularisierten Kapuzinerkloster wurde daher 1814 das Landeshospital Marsberg eröffnet. Anfangs beherbergte die Einrichtung 17 Patienten. In der ursprünglichen Dienstvorschrift war eine individuelle nicht auf Zwang basierende Behandlung vorgesehen. Für die Patienten wurde Arbeitstherapie in Werkstätten und Landwirtschaft sowie Freizeitgestaltung angeboten. Die Einrichtung war nicht die erste ihrer Art in Deutschland, aber eine der ersten, die neben der bloßen Versorgung auch Heilzwecke verfolgte. Erster Leiter war Julius Wilhelm Ruer.

Die Einrichtung wurde nach 1816 von der preußischen Verwaltung übernommen und als erste Provinzial-Irrenanstalt Westfalen weitergeführt. Bis auf den Chor wurde die Klosterkirche abgebrochen. Der Chor diente als Kapelle für die Anstalt und wurde in den 1860er Jahren abgebrochen. In den 1870er Jahren wurden auch die übrigen Klostergebäude zu Gunsten von Neubauten abgerissen.

"Das Irrenhaus zu Niedermarsberg, vormaliges Kapuzinerkloster", Aquarell von Alfred Yark um 1840

Im Jahr 1835 wurde die Einrichtung in „Heilanstalt“ umbenannt. Im selben Jahr wurde als Zeitschrift des Krankenhauses der „Irrenfreund“ herausgegeben. In den folgenden Jahren stieg die Zahl der Patienten stark an. Daher wurde 1839 das Gebäude des ehemaligen Benediktinerstifts in Obermarsberg angepachtet. Obwohl die Einrichtung bereits in der Jahrhundertmitte überbelegt war, konnten Erweiterungen erst in den 1860er Jahren erfolgen. Im Jahr 1872 wurde eine eigene Anstaltskirche eingeweiht.

Zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen wurde 1881 das St. Johannes Stift, getragen durch den katholischen Orden der Vinzentinerinnen, gegründet. Bereits etwa zehn Jahre später waren dort 284 Patientinnen und Patienten untergebracht. In den folgenden Jahren wurden Schulen für Mädchen und Jungen, ein Wirtschaftsgebäude sowie eine neues Haupthaus und weitere Gebäude errichtet.

Zeitweise unterbrochen durch den ersten Weltkrieg und die Nachkriegszeit folgten in den 1920er Jahren weitere Erweiterungsbauten.

Zeit des Nationalsozialismus

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Marsberg zu einem Tatort des Euthanasieprogramms. Das St. Johannes Stift wurde eine „Kinderfachabteilung“ des „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden.“ In den folgenden Monaten wurden dort etwa 50 Kinder und Jugendliche getötet. Wegen Unruhe in der Bevölkerung wurde 1941 die „Fachabteilung“ geschlossen.[1] Die Abteilung wurde in die Klinik in Aplerbeck verlegt.

Während des zweiten Weltkrieges diente das St. Johannes Stift als Lazarett, außerdem hatte es die Patienten aus der von Bomben zerstörten Anstalt in Münster aufzunehmen.

Nachkriegszeit

Seit 1948 befinden sich die Heilanstalt sowie das St. Johannes Stift in der Trägerschaft des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Auch nach dem Ende des Euthanasieprogramms gab es in der Kinderklinik noch lange erhebliche Defizite in Hinblick auf Betreuung und Pädagogik.[2]

Die Zahl der Plätze betrug in beiden Einrichtungen zusammen in den Nachkriegsjahren etwa 1000. Im Jahr 1971/72 hatte allein die Teilklinik für Erwachsene am Markt 1300 Patienten.

Psychiatriereform und neuere Entwicklung

In den folgenden Jahrzehnten kam es zu umfangreichen Baumaßnahmen. Durch die Reformen in der Psychiatrie kam es seit den 1970er Jahren zu tief greifenden Umstrukturierungen. Dazu gehörte, dass zwischen 1976 und 1980 die Vinzentinerinnen die Kliniken verließen. Die Zahl der Patienten ging zurück. Dagegen wurden zahlreiche neue Gebäude errichtet und Abteilungen eröffnet.

Kunstinstallation am Anstaltsfriedhof

Seit den 1980er Jahren wurden sowohl in der Jugend- wie in der Erwachsenenpsychiatrie Mahnmale für die Opfer der Euthanasie eingerichtet. Für die getöteten Kinder wurde 2004 ein Mahnmal am Anstaltsfriedhof an der Bredelarer Straße errichtet. Damit verbunden ist ein kontinuierliches Projekt für die heutigen PatientInnen der Klinik. In diesem Rahmen organisieren Künstler jährlich Workshops. Getragen wird dieses Engagement durch einen eigenen Verein.[3]

Zum 1. Januar 1997 wurden mit der Gründung des Westfälischen Pflege- und Förderzentrums die Verwaltungs- und Wirtschaftseinrichtungen der Westfälischen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und der Westfälischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie zusammengeführt. Im Jahr 1998 wurde eine neue Abteilung für den Maßregelvollzug eingerichtet. Das Therapiezentrum „Bilstein“ dient zur Behandlung suchtkranker Rechtsbrecher.

Außenstellen und Tageskliniken der Marsberger Einrichtungen gibt es seit 2004 in Meschede, Bad Fredeburg und Höxter.

Die psychiatrischen Kliniken sind heute der größte Arbeitgeber in Marsberg.

Einzelnachweise

  1. Bernd Walter: Die NS-„Kinder-Euthanasie“-Aktion in der Provinz Westfalen, in: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 3/01, S.222 und 215
  2. Brigitte Schumann: "Kontinuitäten" nach 1945 oder: Wie das Erbe der NS- Psychiatrie in den 1970er Jahren noch ungebrochen weiterwirkt
  3. KUNST IN DER KLINIK e.V.

Literatur

  • Bernd Follmann: Marsberg – Aspekte der Säkularisation und ihre Folgen. In: Ingrid Reißland (Hrsg.): Vom kurkölnischen Krummstab über den hessischen Löwen zum preußischen Adler. Die Säkularisation und ihre Folgen im Herzogtum Westfalen. 1803-2003. Arnsberg, 2003 ISBN 3-930264-46-3 S.151-155
  • Christina Vanja: Das Landeshospital Marsberg – erste psychiatrische Einrichtung in Westfalen. Westfälische Zeitschrift 156/2006 S.301-318.

Weblinks


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