Psychodramaturgie Linguistique

Psychodramaturgie Linguistique

Die Psychodramaturgie Linguistique (kurz PDL, deutsche Entsprechung: Sprachpsychodramaturgie) ist ein Ansatz zum Lernen und Unterrichten von Fremdsprachen. Die PDL wurde 1977 von den Mainzer Pädagogen Bernard und Marie Dufeu begründet und wird seither beständig weiterentwickelt.

Inhaltsverzeichnis

Definition und Herkunft

Quellen der PDL

Die Bezeichnung „Psychodramaturgie“ leitet sich aus den Quellen der PDL ab: Grundlagen und Verfahren des Psychodramas sowie dramaturgische Prinzipien wurden dem pädagogischen Kontext angepasst. Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaften ebenso wie Verfahren zur Korrektur der Aussprache (verbo-tonale Methode), der Raum- und Zeitarbeit (Laura Sheleen), der Musikpädagogik und der Stimmbildung wurden in die PDL integriert.

Eine Pädagogik des Seins

Die PDL basiert auf einer allgemeinen „Pädagogik des Seins“, die sowohl teilnehmer- als auch gruppenorientiert ist. Die Teilnehmer werden in ihrer Individualität respektiert. Sie erwerben die Fremdsprache in ihrem eigenen Rhythmus. Der Ausdruckswunsch der Teilnehmer ist die Basis für die Entwicklung ihrer Sprachkenntnisse. Sie selbst bestimmen die sprachlichen Inhalte.

Weiterhin sieht die „Pädagogik des Seins“ den Lernprozess als unmittelbaren Bestandteil des Lebens der Gruppe, in der er stattfindet. Sie zielt damit auf „Erleben“ oder „Erkenntnis“. Für den Sprachunterricht bedeutet dies: Die Kommunikation findet über genau die Themen und mit der Sprache statt, die hier und jetzt für die Gruppe relevant sind.

Im Gegensatz dazu würden in einer „Pädagogik des Habens“ die sprachlichen Inhalte fremdbestimmt z.B. durch das Lehrwerk. Dies führe u.a. dazu, dass sich die Teilnehmer zumeist mit dem angebotenen Sprachmaterial nicht identifizieren können, was den Lernprozess deutlich erschwere.

Prinzipien der PDL

Eine Pädagogik der Begegnung

Für die PDL ist die Fremdsprache von Beginn an weniger „Gegenstand“ des Unterrichts, sondern eher „Mittel“ zur direkten Kommunikation und zum Beziehungsaufbau unter den Teilnehmern. Mit ihrer Hilfe entwickelt sich das Gruppenleben, in ihr drücken sich die Beziehungen der Teilnehmer aus: zu sich selbst, zum Gegenüber, zur Gruppe als Ganzes, zum Trainer / zur Trainerin. Es soll eine Atmosphäre gegenseitiger Verantwortung entstehen, die sowohl Basis als auch Teil des gemeinsamen Erwerbs- und Lernprozesses ist.

Ein ganzheitlicher Ansatz des Sprachenlernens

Bei der PDL wird der Mensch in seiner Gesamtheit angesprochen: in seinen sinnlichen (sehen, hören, spüren... ), physischen (Mimik, Gestik, Bewegung), emotionalen, kognitiven, sozialen und geistigen Dimensionen. Dies führt zu einem Spracherwerb auf zwei Ebenen:

  • Zum einen verfolgt die PDL die klassischen „Oberflächenziele“ des Sprachenlernens: Aussprache und eigenständiges Sprechen, Hör- und Leseverständnis, Wortschatz, Syntax, Textproduktion, interkulturelle Aspekte der Zielsprache.
  • Zum anderen berücksichtigt sie „Tiefenziele“, die die Infrastruktur des Spracherwerbs bilden: Konzentration, Einfühlung, entspannte Aufmerksamkeit usw., die die Rezeptivität fördern. Weiter Spontaneität, Kreativität Flexibilität, Reproduktionsfähigkeit usw., die die Ausdrucksfähigkeit anregen. Je mehr die betreffenden Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen entwickelt werden, desto leichter fällt der Spracherwerb.

Teilnehmer- und gruppenorientierter Ansatz

Durch die Ausdruckswünsche und Kommunikationsbedürfnisse der einzelnen Teilnehmer sowie der Gruppe als Ganzes entstehen die Themen und die Sprache, die in einem PDL-Kurs erarbeitet werden. Die Teilnehmer arbeiten also von Beginn an mit „ihrer eigenen“ Sprache, was zu einer höheren Identifikation mit der Fremdsprache führt.

Die Trainer liefern den Handlungsrahmen, die Techniken und die sprachliche Unterstützung, um die Kommunikation tatsächlich zustande kommen zu lassen. Eine Orientierung an Lehrwerken, Prüfungsordungen, inhaltlichen Curricula etc. findet nicht statt.

Lernweg, Lerntempo und Lernrhythmus werden als individuelle Eigenschaften des Teilnehmers/ der Teilnehmerin respektiert. Sprachliche Fehler werden als notwendige Lernschritte akzeptiert. Die korrekte Form wird stetig angeboten, so dass der Teilnehmer in seinem Redefluss nicht gehindert wird. Wenn es notwendig ist, findet eine Reflexionsphase über das sprachliche Phänomen statt. Bewertungen der Teilnehmer, etwa nach Leistungsniveau, betrachtet die PDL als nicht förderlich. Auch unternimmt sie nicht den Versuch, „homogene Lerngruppen“ zu bilden.

Rolle der Teilnehmer und Trainer

Die PDL spricht von Teilnehmern, denn sie nehmen an der Bestimmung der Inhalte und dem Gruppenprozess entscheidend teil. Der Begriff „Lerner“ oder „Lernende“ fokussiert hingegen auf eine Hauptfunktion im konventionellen Unterricht: „Lernen“.

Die Trainer haben einerseits eine strukturierende Funktion, indem sie die Rahmenaktivitäten anbieten. Andererseits haben sie eine begleitende und unterstützende Funktion. Sie stellen sich auf die einzelnen Teilnehmer ein, um bei Bedarf deren sprachliche Äußerungen zu erweitern und zu korrigieren.

Relationelle Progression

Statt der vorwiegend inhaltlichen Progression des konventionellen Unterrichts hat die PDL andere, „relationelle“ Progressionskriterien. Zuerst wird jeder Teilnehmer individuell in seinem Rhythmus in die Fremdsprache eingeführt (Ichbezug), so dass er Selbstvertrauen in der Sprache entwickelt. Dann finden Zweierbegegnungen statt (Zweierbeziehungen). Schließlich werden Übungen angeboten, die die Gesamtgruppe einbeziehen (Gruppenbegegnung). Für die erste Unterrichtswoche hat sich eine bestimmte Reihenfolge von offenen Übungen als effektiv erwiesen, um sowohl eine sprachliche Grundlage aufzubauen als auch die Haltungen, Einstellungen und Fähigkeiten zu entwickeln, die den Spracherwerb fördern.

Die darauf aufbauenden Übungen werden aufgrund der Gruppenthemen und der Gruppendynamik gewählt. Der Aufbau dieser Übungen ist je nach Gruppensituation frei kombinierbar.

Primat des Hörens/Sprechens beim Einstieg in die Fremdsprache

Charakteristisch für die PDL ist der Einstieg in die fremde Sprache in den ersten zwei Tagen über das Hören und Sprechen. Durch spezifische Verfahren werden der Rhythmus, die Melodie, die typischen Laute einer Sprache präzise wahrgenommen. Die PDL öffnet über das Hören und Sprechen einen intuitiven Zugang zur Sprache, der von den kognitiven Prozessen begleitet und unterstützt wird. Dadurch kann der Teilnehmer von Beginn an eine positive Beziehung zur Fremdsprache entwickeln.

Das Schriftliche in der PDL

In der Anfangsphase werden schriftliche Übungen oft auf der Grundlage der mündlichen Aussagen der Teilnehmer durchgeführt. Im weiteren Verlauf wird den schriftlichen Aktivitäten mehr Raum gegeben. Gedichte, die die Eigenarten des Rhythmus und der Melodie der Fremdsprache widerspiegeln, sind von Anfang an ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts.

Im späteren Verlauf werden Texte nach dramaturgischen Kriterien und aus in der Gruppe entstandenen Themen ausgesucht und eingesetzt.

Merkmale der PDL

Äußere Merkmale

  • Setting: Es werden Räume bevorzugt, die die Arbeit auf dem Boden zulassen und Bewegungsfreiheit ermöglichen. Es kann auch auf Hockern oder Stühlen gearbeitet werden, Tische findet man eher nicht.
  • Gruppenkonstellation: PDL-Kurse finden in kleinen, heterogenen Gruppen statt. Die Idealgröße liegt in der ersten Woche eines Intensivkurses zwischen 6 und 12 Personen. Größere Gruppen sind, ebenso wie Einzelunterricht, möglich. Gegebenenfalls arbeiten zwei Trainer im Team zusammen.
  • Kursform: Die PDL wird bevorzugt, aber nicht ausschließlich, in Intensivkursen von einer bis mehreren Wochen Dauer eingesetzt. Oft werden Kurse in Wochenendmodulen angeboten.
  • Niveaus: Aufgrund der besonderen Übungsformen können Teilnehmer mit unterschiedlichem Kenntnisstand zusammenarbeiten. Die PDL verzichtet auf Einstufungstests.
  • Relationelle Progression (siehe oben).
  • Teilnehmer- und Gruppenorientierung (siehe oben) statt Lehrwerkorientierung.

Charakteristische Abläufe

  • Entspannungsübungen leiten jedes Unterrichtstag ein.
  • Aufwärm- und Zwischenübungen zur Aktivierung von als nützlich erachteten Einstellungen und Haltungen, die wiederum in den Hauptübungen entfaltet werden können.
  • Doppeln, Spiegel, Rollenwechsel: Diese Grundtechniken des Psychodramas wurden dem Sprachunterricht angepasst.
  • Atem- und Stimmübungen
  • Der Einsatz von neutralen Masken an den ersten drei bis vier Kurstagen zur besseren Konzentration, zur genaueren Wahrnehmung der Aussprache und zur besseren Reproduktion ebenso wie zur Senkung oder zum Abbau von Hemmschwellen.
  • Sequenzaufbau: Der verbale Impuls der Teilnehmer wird durch eine spiralförmige Ausdruckstechnik korrigiert, erweitert, und gefestigt.
  • Wiederaufnahmen der so entwickelten Gesprächssituationen unter leicht veränderten Bedingungen

Übertragung der PDL in andere Unterrichtskontexte

Die PDL betrachtet sich selbst als „Beitrag zur Verbesserung der Fremdsprachenlehre in einem allgemeinen Sinn“ (Bernard Dufeu) und nicht als ein Ansatz, der von allen Lehrern in seiner klassischen Form übernommen werden soll. Die meisten Übungen können direkt oder den Unterrichtsbedingungen – auch in konventionelleren Settings- angepasst werden.

Neben ihrem Einsatz in der Erwachsenenbildung werden PDL-Übungen auch in öffentlichen Schulen eingesetzt.

Internationaler PDL-Verband

Die PDL-Trainer haben sich im Jahr 2007 zum Internationalen PDL-Verband zusammengeschlossen. Der erste internationale PDL-Kongress fand im November 2008 statt.

Literatur

  • Bernard Dufeu: Wege zu einer Pädagogik des Seins. Mainz, 2003.
  • Bernard Dufeu: Les approches non conventionnelles des langues étrangères. Hachette, Paris 1996.
  • Bernard Dufeu: Teaching Myself. Oxford University Press, Oxford 1994.
  • Weitere Bücher und Beiträge unter: http://www.psychodramaturgie.de/Publikationen.html
  • Aurora Floridia: Verso una pedagogia dell'essere: la PDL. In: Culturiana 2/2007, S. 25–28.
  • Dietmar Larcher: Ballo in maschera. In: Siegfried Baur und Sandra Montali: Lingue tra culture. Alpha & Beta, Bolzen 1995, S. 107–114.
  • Martine Silvestre: La Psychodramaturgie Linguistique. In: Lend. Nr. 2, 1993, S. 17–26.

Siehe auch

Weblinks


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