Rechtslage Deutschlands

Rechtslage Deutschlands

Die Frage nach Untergang oder Fortbestand und damit der Rechtslage des Deutschen Reiches kam nach der Besetzung Deutschlands durch die alliierten Streitkräfte 1945 auf und wurde noch einmal zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland 1990 (im Gegensatz zum Rechtsterminus „Beitritt“ oftmals ungenau als „Wiedervereinigung“ bezeichnet) aktuell.

Relevant war die Klärung der Rechtslage etwa zur Beantwortung der Frage, ob die Bundesrepublik der Nachfolgestaat des Deutschen Reiches (mit allen, damals noch nicht kodifizierten Implikationen der Staatensukzession, wie beispielsweise die Weitergeltung von völkerrechtlichen Verträgen), oder aber mit diesem völkerrechtlich identisch sei. Weiterhin hing von der Klärung auch ab, wer gegebenenfalls vertretungsberechtigt sei und Gebietsansprüche anerkennen oder auf diese verzichten könne.

Auch staatsrechtlich war die Frage von Bedeutung: Während sich die Bundesrepublik im Fall des Untergangs des Deutschen Reiches neu hätte konstituieren müssen, wäre andernfalls lediglich eine Neuorganisation nötig gewesen, da bei Kriegsende der deutsche Staat durch die Zerschlagung des nationalsozialistischen Herrschaftsapparats desorganisiert worden war. Davon hing wiederum die Frage ab, ob zur Schaffung des Grundgesetzes die Zustimmung allein der einzelnen – dann insofern souveränen – deutschen Länder nötig war, oder ob die konstitutive Gewalt originär bei der Gesamtheit des auf die einzelnen Länder verteilten deutschen Volkes lag.[1]

Die völkerrechtliche Frage nach der Rechtslage ist an der Drei-Elemente-Lehre von Georg Jellinek zu messen, nach der für die Qualifikation eines Staates als Völkerrechtssubjekt die drei Merkmale Staatsgebiet, Staatsvolk und effektive Staatsgewalt konstitutiv sind.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung nach der Kapitulation der Wehrmacht

In der Zeit des Nationalsozialismus war die Staatsgewalt immer mehr auf den „Führer und Reichskanzler“ Adolf Hitler, der ab 2. August 1934 zugleich Regierungschef und Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches war[2], personalisiert worden. Nach dessen Suizid am 30. April 1945 trat auf der Kabinettssitzung am 2. Mai auch die durch sein politisches Testament bestimmte letzte Reichsregierung zurück. Die daran anschließende geschäftsführende Reichsregierung unter dem von Admiral Dönitz (der ebenfalls von Hitler in dessen Testament zum Reichspräsidenten ernannt worden war) mit der Regierungsbildung beauftragten leitenden Reichsminister Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk verfügte über keine effektive Staatsgewalt mehr.

Es folgte die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht am 7. Mai in Reims und am 8. Mai in Berlin-Karlshorst (oftmals fälschlicherweise als „Kapitulation Deutschlands“ bezeichnet), aus der aber aufgrund ihrer Natur als rein militärischer Kapitulation keine Folgen für die Rechtslage des Deutschen Reiches erwuchsen[3].

Am 5. Juni verkündeten die Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in der Berliner Erklärung die Übernahme der „oberste[n] Regierungsgewalt“ („supreme authority“ – was treffender mit „Staatsgewalt“ zu übersetzen gewesen wäre, da die Alliierten nicht nur die Regierungsgewalt übernahmen) in Deutschland. Eine Annexion fand ausdrücklich nicht statt:

„Die deutschen Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft sind vollständig geschlagen und haben bedingungslos kapituliert, und Deutschland, das für den Krieg verantwortlich ist, ist nicht mehr fähig, sich dem Willen der siegreichen Mächte zu widersetzen. Dadurch ist die bedingungslose Kapitulation Deutschlands erfolgt, und Deutschland unterwirft sich allen Forderungen, die ihm jetzt oder später auferlegt werden.“ „Es gibt in Deutschland keine zentrale Regierung oder Behörde, die fähig wäre, die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung, für die Verwaltung des Landes und für die Ausführung der Forderungen der siegreichen Mächte zu übernehmen.“ „Die Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken und die Provisorische Regierung der Französischen Republik übernehmen hiermit die oberste Regierungsgewalt in Deutschland, einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden. Die Übernahme zu den vorstehend genannten Zwecken der besagten Regierungsgewalt und Befugnisse bewirkt nicht die Annektierung Deutschlands.“

Die Staatsgewalt wurde fortan bis zu dessen faktischem Ende 1948 durch den Alliierten Kontrollrat ausgeübt. Die Legitimation hierzu resultierte aus der völkerrechtlichen Besatzungshoheit.

Deutschland innerhalb seiner Reichsgrenzen von 1937

Das Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt und das gemeinsame Besatzungsgebiet Groß-Berlin der Verwaltung der Alliierten Kommandantur unterstellt, die ihrerseits dem Alliierten Kontrollrat unterstand.

„Deutschland wird innerhalb seiner Grenzen vom 31. Dezember 1937 für Besatzungszwecke in drei Zonen aufgeteilt, von denen jeweils eine jeder der drei Mächte zugewiesen wird, und in ein besonderes Gebiet von Berlin, das der gemeinsamen Besatzung durch die drei Mächte unterworfen ist.“
(Londoner Protokoll vom 12. September 1944; die entsprechende Erweiterung um Frankreich erfolgte erst auf der Jalta-Konferenz 1945)

Gleichwohl begann von unten bereits der Wiederaufbau der deutschen Staats- und Verwaltungsorganisation: während die Kommunalverwaltungen fast übergangslos weitergearbeitet hatten und 1946 in allen Besatzungszonen die ersten Kommunalwahlen stattfanden, erhielten die Länder in den Besatzungszonen der Westalliierten in der Zeit von Mai 1945 bis Juli 1947 wieder Landesregierungen. Es wurden auch verfassungsgebende Landesversammlungen gewählt, und ab 1946 traten – zumeist nach Volksabstimmungen – die Landesverfassungen in Kraft[4].

Siehe auch: Geschichte der deutschen Bundesländer ab 1945

Gründung der Bundesrepublik und der DDR

Nachdem die Londoner Konferenz vom November und Dezember 1947 erfolglos geblieben war, beschlossen die Westalliierten die Errichtung eines westdeutschen Teilstaates. Dabei setzten sich die USA mit ihrem Wunsch nach einem starken Bundesstaat gegen die Franzosen durch, die eigentlich nur einen schwachen Staatenbund an ihrer Grenze dulden wollten. Das vom Parlamentarischen Rat angenommene und von den Besatzungsmächten genehmigte Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland wurde am 23. Mai 1949 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (BGBl. I 1949, S. 1 ff.) und trat am darauffolgenden Tag in Kraft. Durch ihre Organe handlungsfähig wurde die Bundesrepublik aber erst mit Konstituierung des ersten Deutschen Bundestages am 7. September und Amtsantritt der Bundesregierung am 20. September[5].

Am 7. Oktober 1949 setzte dann in der sowjetischen Besatzungszone die provisorische Volkskammer die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR-GBl. 1949, S. 5 ff.) in Kraft. Am 12. Oktober trat die DDR-Regierung ihr Amt an[6].

Entwicklung der Souveränität der beiden deutschen Staaten und Berlins

Bereits am 10. April 1949 war das Besatzungsstatut zur Abgrenzung der Befugnisse und Verantwortlichkeiten zwischen der zukünftigen deutschen Regierung und der Alliierten Kontrollbehörde erlassen worden, welches den Westalliierten bestimmte Hoheitsrechte in Bezug auf die Bundesrepublik vorbehielt, so etwa die Wahrnehmung der Auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik oder die Kontrolle ihres Außenhandels, ferner war jede Verfassungsänderung von einer Genehmigung abhängig, Gesetze konnten verworfen werden und die Militärgouverneure behielten sich die volle Machtausübung für den Fall vor, dass die Sicherheit bedroht werde[7].

Diese Vorbehaltsrechte wurden von der dann am 20. Juni gegründeten Alliierten Hohen Kommission ausgeübt, welche damit weiterhin die oberste Staatsgewalt innehatte. Das Besatzungsrecht hatte Vorrang vor dem Grundgesetz, konnte nicht an dessen Maßstab gemessen werden und nur durch völkerrechtliche Verträge zwischen der Bundesrepublik und den Besatzungsmächten aufgehoben werden[8]. Die Bundesrepublik verfügte also zunächst nur über begrenzte Souveränität.

Mit den 1955 inkraftgetretenen Pariser Verträgen vom 23. Oktober 1954 wurde das Besatzungsregime der Westalliierten in der Bundesrepublik beendet. Zu den Pariser Verträgen gehörte auch der Deutschlandvertrag vom 26. Mai 1952 in der Fassung vom 23. Oktober 1954, in dessen Artikel 1 Absatz 2 es hieß:

Die Bundesrepublik wird […] die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben.

Allerdings enthielt gleichzeitig Artikel 2 Vorbehalte bezüglich Berlin und Deutschland als Ganzem:

Im Hinblick auf die internationale Lage, die bisher die Wiedervereinigung Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrags verhindert hat, behalten die Drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung.

Die Bundesrepublik verfügte also auch mit Inkrafttreten noch nicht wieder über ihre volle Souveränität.

Aufgrund der Entwicklung in der Bundesrepublik gab die Sowjetunion am 25. März 1954 eine einseitige Erklärung über die „Herstellung der vollen Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik“ ab:

1. Die UdSSR nimmt mit der Deutschen Demokratischen Republik die gleichen Beziehungen auf wie mit anderen Souveränen Staaten.

Die Deutsche Demokratische Republik wird die Freiheit besitzen, nach eigenem Ermessen über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten einschließlich der Frage der Beziehungen zu Westdeutschland zu entscheiden.

2. Die UdSSR behält in der Deutschen Demokratischen Republik die Funktionen, die mit der Gewährleistung der Sicherheit in Zusammenhang stehen und sich aus den Verpflichtungen ergeben, die der UdSSR aus den Viermächteabkommen erwachsen.

zitiert nach Schweitzer[9]

Daraufhin erklärte zwei Tage später die DDR ihre Souveränität. Beide deutsche Staaten machten 1973 mit ihrem Beitritt zu den Vereinten Nationen von ihrer weitergehenden Souveränität Gebrauch.

Berlin verblieb demgegenüber in der Verantwortung der vier Besatzungsmächte. Zwar hatte die DDR mit Artikel 2 Satz 2 ihrer Verfassung vom 7. Oktober 1949 „Berlin“ zu ihrer Hauptstadt erklärt, während die Bundesrepublik „Groß-Berlin“ als zu ihr gehörig ansah, was in der alten Fassung des Artikel 23 des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 zum Ausdruck kam:

Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.

Doch hatten die (West-)Alliierten weder West- noch Ost-Berlin je als Bestandteil der Bundesrepublik oder der DDR anerkannt, sondern Berlin (bzw. zumindest West-Berlin) entsprechend dem Viermächtestatus, der für Berlin fortgalt, als weiterhin besetztes Gebiet behandelt (vgl. auch BVerfGE 37, 57 (60 f.) – Haftbefehl in Berlin). Dies kommt auch im Viermächteabkommen über Berlin von 1971 zum Ausdruck, nach dem der Viermächtestatus für Berlin fortgalt.

Dieser Zustand in der Bundesrepublik, Berlin und der DDR blieb bestehen und änderte sich erst wieder im Rahmen der Wiedervereinigung.

Die Rechtslage des Deutschen Reiches

Während die Merkmale „Staatsvolk“ und „Staatsgebiet“ des Deutschen Reiches unstrittig bestanden (siehe dazu auch weiter unten), hing die Frage nach der Rechtslage ausschließlich von seinem Merkmal „Staatsgewalt“ ab. Hierzu bestanden verschiedene Untergangs- und Fortbestandstheorien.

Untergangstheorien

Debellationstheorie

Hans Kelsen hatte bereits 1945 argumentiert, dass im Falle einer occupatio bellica Deutschlands durch die Alliierten, bei der die Staatsgewalt nur vorübergehend verdrängt gewesen wäre, diesen nach der Haager Landkriegsordnung [10] ein bestimmtes Maß an Verwaltungsbefugnissen zustünde. Die Alliierten würden aber mit ihren Maßnahmen wie der Entnazifizierung, Umerziehung und Entmilitarisierung über dieses Maß hinausgehen. Es sei daher von einem Kondominium der Alliierten auszugehen, und Deutschland habe aufgehört als souveräner Staat zu existieren.[11]

Problematisch an dieser Theorie ist, dass völkerrechtlich zur Ersetzung von Staatsgewalt ein Akt der Unterwerfung (debellatio) stattgefunden haben müsste. Bei einer Annexion wäre dies unproblematisch zu bejahen gewesen, doch lag im vorliegenden Fall wie oben angesprochen gerade keine Annexion vor. Es war also fraglich, ob die Staatsgewalt ersetzt worden war.[12]

Dismembrationstheorie

Dismembration im Gegensatz zur Sezession

Die Dismembrationstheorie ging davon aus, dass das Deutsche Reich in die beiden deutschen Staaten Bundesrepublik und DDR zerfallen sei, von denen keiner mit dem Deutschen Reich identisch sei, und das Deutsche Reich daher aufgehört habe zu existieren.

Innerhalb der Dismembrationstheorie differierte der Zeitpunkt, zu dem der Zerfall stattgefunden haben sollte: Zum Teil wurde dies an die Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 gekoppelt, nach anderer Ansicht fand der Zerfall mit der Anerkennung der Souveränität der beiden Staaten durch die jeweiligen Besatzungsmächte 1954 statt und eine weitere Meinung vertrat die Ansicht, dass der Zerfall mit Inkrafttreten des Grundlagenvertrags 1973 eingetreten sei.[13]

Fortbestandstheorien

In der Zeit nach der Übernahme der Staatsgewalt durch die Alliierten mag das weitere rechtliche Schicksal des Deutschen Reiches als Völkerrechtssubjekt zunächst noch gar nicht entschieden gewesen sein. Erst als im weiteren Verlauf des Jahres 1945 die bereits auf der Teheran-Konferenz 1943 und der Jalta-Konferenz vom Anfang des Jahres diskutierten Pläne zur Dismembration Deutschlands nicht weiter verfolgt wurden bekamen die Fortbestandstheorien mehr Gewicht[14].

Ihnen ist gemein, dass sie nicht von einem wie auch immer gearteten Untergang des Deutschen Reiches, sondern seiner Fortexistenz ausgehen. Die Übernahme der Staatsgewalt durch die Alliierten habe lediglich die Handlungsunfähigkeit des Deutschen Reiches bewirkt[15]. Während seines Bestehens von 1945 bis 1948 nahm der Alliierte Kontrollrat demzufolge eine Doppelstellung ein; einerseits übte er treuhänderisch die Staatsgewalt des Deutschen Reiches aus, andererseits war er ein gemeinsames völkerrechtliches Organ der vier Besatzungsmächte und übte auch deren Staatsgewalt in Deutschland aus[16].

Dachtheorie/Teilordnungstheorie

Die Dach- bzw. Teilordnungstheorie ging davon aus, dass es unter einem fiktiven Dach des Deutschen Reiches (innerhalb der deutschen Außengrenzen vom 31. Dezember 1937) die beiden nicht mit diesem identischen Teilordnungen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR gäbe.

Staatskerntheorie

Die Staatskerntheorie ging davon aus, dass die Bundesrepublik mit dem Deutschen Reich identisch sei, differenzierte aber zwischen dem Staatsgebiet, welches das des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 sei, und dem Geltungsbereich des Grundgesetzes, das dem Gebiet der Bundesrepublik entspräche.

Weniger verbreitet ist die Variante der Staatskerntheorie, dass die DDR mit dem Deutschen Reich identisch sei. Diese Annahme wurde von der DDR selbst in den 1950ern aufgegeben (s.u.), ist jedoch gerade deswegen interessant, weil diese Variante faktisch bedeuten würde, dass das Deutsche Reich 1990 der Bundesrepublik Deutschland „beigetreten“ wäre.

Kernstaatstheorie/Schrumpfstaatstheorie

Die Kernstaats- bzw. Schrumpfstaatstheorie ging ebenso von der Identität der Bundesrepublik mit dem Deutschen Reich aus, nahm aber an, dass das Staatsgebiet des Deutschen Reiches auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik geschrumpft sei.

Dies war die zur Zeit der Gründung der Bundesrepublik im Westen vorherrschende Theorie[17]. In seiner Antrittsrede scheint dann auch der Staatspräsident der DDR Wilhelm Pieck sich auf diese Theorie zu beziehen und sie für die gerade gegründete DDR in Anspruch zu nehmen.

„Niemals wird die Spaltung Deutschlands, die Verewigung der militärischen Besetzung Westdeutschlands durch das Besatzungs­statut, die Losreißung des Ruhrgebietes aus dem deutschen Wirtschaftskörper von der Deutschen Demokratischen Republik anerkannt werden, und nicht eher werden wir ruhen, bis die widerrechtlich von Deutschland losgerissenen und dem Be­satzungsstatut unterworfenen Teile Deutschlands mit dem deut­schen Kerngebiet, mit der Deutschen Demokratischen Republik in einem einheitlichen demokratischen Deutschland vereinigt sind.“

Wilhelm Pieck, erster Präsident der DDR: Antrittsrede vom 11. Oktober 1949

Teilidentitätstheorie

Die Teilidentitätstheorie schließlich ging von der Identität beider deutscher Staaten mit dem Deutschen Reich aus, jeweils bezogen auf ihr Gebiet.

Ansicht der DDR

Die DDR ging anfangs vom Fortbestand des Deutschen Reiches aus und vertrat zunächst die Auffassung, mit ihm identisch zu sein, woraus sie einen Alleinvertretungsanspruch für ganz Deutschland herleitete. Später ging sie dann von einer Teilidentität mit ihm aus.

Mitte der 1950er Jahre vertrat sie dann die Debellationstheorie und datierte den Untergang des Deutschen Reiches auf den 8. Mai 1945, den Tag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Mit Gründung der Bundesrepublik und der DDR 1949 seien dann zwei neue Staaten entstanden[18].

Siehe auch: Zwei-Staaten-Theorie

Ansicht der Bundesrepublik

Die Bundesrepublik ging von Anfang an vom Fortbestand des Deutschen Reiches aus[19] und vertrat zunächst die Auffassung, mit diesem sowohl als Rechtssubjekt als auch in staatsrechtlicher Hinsicht identisch zu sein. Hieraus leitete sie ebenfalls einen Alleinvertretungsanspruch für ganz Deutschland ab, den sie auch mittels der Hallstein-Doktrin durchzusetzen versuchte.

Auch das Bundesverfassungsgericht war in zahlreichen Entscheidungen vom Fortbestand des Deutschen Reiches ausgegangen:

In wissenschaftlichen Erörterungen ist die Tatsache, daß nur die Wehrmacht und nicht die Regierung bedingungslos kapituliert hat, lediglich als Beweis für die Kontinuität eines einheitlichen Deutschland gewertet worden. Die Alliierten haben danach die Staatsgewalt in Deutschland kraft eigenen Okkupationsrechtes, nicht kraft Übertragung durch eine deutsche Regierung ausgeübt; die Staatsgewalt der später neu gebildeten deutschen Regierungsorgane beruht nicht auf einer Rückübertragung durch die Alliierten, sondern stellt ursprüngliche deutsche Staatsgewalt dar, die mit dem Zurücktreten der Okkupationsgewalt wieder frei geworden ist.

BVerfGE 2, 1 (56, Zit. Abs. 254) von 1952 – SRP-Verbot

Diese Auslegung des Art. 11 GG ergibt sich nicht nur aus der im Grundgesetz verankerten grundsätzlichen Auffassung vom gesamtdeutschen Staatsvolk, sondern nicht minder aus der ebenfalls grundsätzlichen Auffassung vom gesamtdeutschen Staatsgebiet, und insbesondere von der gesamtdeutschen Staatsgewalt: Die Bundesrepublik Deutschland als der berufene und allein handlungsfähige Teil Gesamtdeutschlands, der staatlich wieder organisiert werden konnte, hat den Deutschen der sowjetischen Besatzungszone die Freizügigkeit auch wegen dieser grundsätzlichen Auffassung von dieser ihrer Position gewährt. Sie hat damit zugleich den Anspruch auf Wiederherstellung einer umfassenden deutschen Staatsgewalt gerechtfertigt und sich selbst als die Staatsorganisation des Gesamtstaates legitimiert, die bisher allein in Freiheit wieder errichtet werden konnte.

BVerfGE 2, 266 (277, Zit. Abs. 30) von 1953 – Notaufnahme

Die Annahme eines solchen Restbestandes gegenseitiger Rechtsbeziehungen setzt voraus, daß das Deutsche Reich als Partner eines solchen Rechtsverhältnisses über den 8. Mai 1945 hinaus fortbestanden hat, eine Rechtsauffassung, von der das Bundesverfassungsgericht […] ausgegangen ist.

BVerfGE 3, 288 (319 f., Zit. Abs. 92) von 1954 – Berufssoldatenverhältnisse

Die rechtliche Struktur des staatlichen Partners hat sich freilich grundlegend gewandelt. Die Gewaltherrschaft brach zusammen. Das änderte aber nach herrschender und auch vom Gericht geteilter Auffassung nichts am Fortbestand des Deutschen Reichs und daher auch nichts am Fortbestand der von ihm geschlossenen internationalen Verträge, …

Das Deutsche Reich, welches nach dem Zusammenbruch nicht zu existieren aufgehört hatte, bestand auch nach 1945 weiter, wenn auch die durch das Grundgesetz geschaffene Organisation vorläufig in ihrer Geltung auf einen Teil des Reichsgebiets beschränkt ist, so ist doch die Bundesrepublik Deutschland identisch mit dem Deutschen Reich.

BVerfGE 6, 309 (336 ff., Zit. Abs. 160, Abs. 166) von 1957 – Reichskonkordat

Die Haltung der Bundesrepublik hinsichtlich ihrer staats- und völkerrechtlichen Identität bzw. ihres Alleinvertretungsanspruchs änderte sich erst in den 1960er Jahren im Rahmen der neuen Ostpolitik, in der die Hallstein-Doktrin zugunsten eines „Wandels durch Annäherung“ aufgegeben wurde. Aspekte verschiedener Fortbestandstheorien wurden vereinigt. Man gelangte zu der Auffassung, dass die beiden deutschen Staaten füreinander nicht Ausland sein könnten. Aus der neuen Ostpolitik ging auch der Grundlagenvertrag hervor.

In seinem Urteil von 1973 über den Grundlagenvertrag, über den es nach einem Antrag der Bayerischen Staatsregierung auf abstrakte Normenkontrolle zu entscheiden hatte, stellte auch das Bundesverfassungsgericht unter Kombination verschiedener Fortbestandstheorien fest:

Das Grundgesetz – nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und der Staatsrechtslehre! – geht davon aus, daß das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist; das ergibt sich aus der Präambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116 und Art. 146 GG. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, an der der Senat festhält. Das Deutsche Reich existiert fort […], besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig.

Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert (vgl. Carlo Schmid in der 6. Sitzung des Parlamentarischen Rates – StenBer. S. 70). Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht ‚Rechtsnachfolger‘ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat ‚Deutsches Reich‘, – in bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings ‚teilidentisch‘, so daß insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht. Die Bundesrepublik umfaßt also, was ihr Staatsvolk und ihr Staatsgebiet anlangt, nicht das ganze Deutschland, unbeschadet dessen, daß sie ein einheitliches Staatsvolk des Völkerrechtssubjekts ‚Deutschland‘ (Deutsches Reich), zu dem die eigene Bevölkerung als untrennbarer Teil gehört, und ein einheitliches Staatsgebiet ‚Deutschland‘ (Deutsches Reich), zu dem ihr eigenes Staatsgebiet als ebenfalls nicht abtrennbarer Teil gehört, anerkennt. Sie beschränkt staatsrechtlich ihre Hoheitsgewalt auf den ‚Geltungsbereich des Grundgesetzes‘ […], fühlt sich aber auch verantwortlich für das ganze Deutschland (vgl. Präambel des Grundgesetzes). Derzeit besteht die Bundesrepublik aus den in Art. 23 GG genannten Ländern, einschließlich Berlin; der Status des Landes Berlin der Bundesrepublik Deutschland ist nur gemindert und belastet durch den sog. Vorbehalt der Gouverneure der Westmächte […]. Die Deutsche Demokratische Republik gehört zu Deutschland und kann im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland angesehen werden…

BVerfGE 36, 1 (15 ff.) – Grundlagenvertrag

Im Teso-Beschluss von 1987 führte das Bundesverfassungsgericht aus:

Der Parlamentarische Rat hat das Grundgesetz nicht als Akt der Neugründung eines Staates verstanden; er wollte ‚dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung‘ geben, bis die ‚Einheit und Freiheit Deutschlands‘ in freier Selbstbestimmung vollendet sei (Präambel des Grundgesetzes). Präambel und Art. 146 GG fassen das gesamte Grundgesetz auf dieses Ziel hin ein: der Verfassungsgeber hat dadurch den Willen zur staatlichen Einheit Deutschlands normiert, der wegen der zwischen den Besatzungsmächten ausgebrochenen weltpolitischen Spannungen ernsthafte Gefahr drohte. Er wollte damit einer staatlichen Spaltung Deutschlands entgegenwirken, soweit dies in seiner Macht lag. Es war die politische Grundentscheidung des Parlamentarischen Rates, nicht einen neuen (‚westdeutschen‘) Staat zu errichten, sondern das Grundgesetz als Reorganisation eines Teilbereichs des deutschen Staates – seiner Staatsgewalt, seines Staatsgebiets, seines Staatsvolkes – zu begreifen. Dieses Verständnis der politischen und geschichtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland liegt dem Grundgesetz zugrunde. Das Festhalten an der deutschen Staatsangehörigkeit in Art. 116 Abs. 1, 16 Abs. 1 GG und damit an der bisherigen Identität des Staatsvolkes des deutschen Staates ist normativer Ausdruck dieses Verständnisses und dieser Grundentscheidung.

Schon Art. 116 Abs. 1 Halbsatz 2 GG zeigt, daß das Grundgesetz von einer Regelungskompetenz über Fragen der deutschen Staatsangehörigkeit von Personen ausgeht, für die eine Anknüpfung an den Gebietsstand des Deutschen Reiches am 31. Dezember 1937 – und damit auch über den räumlichen Anwendungsbereich des Grundgesetzes hinaus – gegeben ist.

Der Senat hat wiederholt ausgesprochen, daß das Grundgesetz vom Fortbestand des deutschen Staatsvolkes ausgeht […] und die Bundesrepublik, was ihr Staatsvolk und Staatsgebiet angeht, nicht ganz Deutschland umfaßt. Auch nach Abschluß des Grundlagenvertrages ist die Deutsche Demokratische Republik ‚ein anderer Teil Deutschlands‘, sind etwa ihre Gerichte ‚deutsche Gerichte‘ […]. Erst wenn eine Trennung der Deutschen Demokratischen Republik von Deutschland durch eine freie Ausübung des Selbstbestimmungsrechts besiegelt wäre, ließe sich die in der Deutschen Demokratischen Republik ausgeübte Hoheitsgewalt aus der Sicht des Grundgesetzes als eine von Deutschland abgelöste fremdstaatliche Gewalt qualifizieren.

Weder das Grundgesetz selbst […] noch die auf seiner Grundlage gebildeten Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland haben diesen Vorgang als Untergang des deutschen Staates bewertet. Die Bundesrepublik Deutschland betrachtete sich vielmehr von Beginn an als identisch mit dem Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich. An dieser Subjektsidentität hat nichts zu ändern vermocht, daß sich die gebietsbezogene Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland auf den räumlichen Anwendungsbereich des Grundgesetzes beschränkt. Selbst eine endgültige Statusänderung von Teilen seines Staatsgebiets ändert nach Völkerrecht die Identität eines staatlichen Völkerrechtssubjekts nicht.

BVerfGE 77, 137 (150 ff.) – Teso

Diese staatsrechtlichen Beurteilungen durch die Bundesrepublik bzw. ihre Organe hatten allerdings nur insofern Bedeutung für die völkerrechtliche Frage nach der Rechtslage des Deutschen Reiches, als dass damit die Rechtsauffassung der Bundesrepublik dargelegt war[20].

Völkerrechtliche Rechtslage

Völkerrechtlich wurde das Deutsche Reich zumeist als fortbestehend behandelt, was insbesondere Zweifel am Bestehen effektiver Staatsgewalt kompensieren kann[21]. Die Besatzungsmächte erließen zahlreiche Rechtsakte, in denen implizit oder explizit auf die Rechte und Verantwortlichkeit für „Deutschland als Ganzes“ bezuggenommen wurde[20]. Bevor die DDR die Debellationstheorie vertrat, ging auch sie vom Fortbestand des Deutschen Reiches aus (s. o.). Der Heilige Stuhl ging vom Fortbestehen des Deutschen Reiches in Gestalt der Bundesrepublik aus, indem er das am 20. Juli 1933 zwischen ihm und dem Deutschen Reich geschlossene Konkordat (RGBl. II S. 679) als zwischen ihm und der Bundesrepublik fortbestehend behandelte, und rügte, dass das Land Niedersachsen durch den Erlass des Gesetzes über das öffentliche Schulwesen in Niedersachsen vom 14. September 1954 gegen dieses Konkordat verstoßen habe (vgl. BVerfGE 6, 309 – Reichskonkordat).

Weitere Nachweise finden sich im Teso-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 77, 137 (157 ff.)).

Schweitzer weist daneben auch auf die seiner Einschätzung nach vertretbare Meinung hin, dass das Deutsche Reich durch Dismembration untergegangen sei, und mit der Gründung von Bundesrepublik und DDR zwei neue Staaten entstanden seien[20].

Lage nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik

Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 regelte in Artikel 1 Absatz 1, dass „mit dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland“ am 3. Oktober 1990 („Wiedervereinigung“) „die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Länder der Bundesrepublik Deutschland“ wurden, womit die DDR als Völkerrechtssubjekt unterging, während die Bundesrepublik fortbestand (davon gingen auch die Vertragsparteien selbst aus, vgl. Artikel 11 und 12). Folgt man der Fortbestandstheorie, so war die Bundesrepublik nun nicht mehr nur teilidentisch, sondern subjektidentisch mit dem Deutschen Reich.

Staatsvolk

Ein Staatsvolk ist die Gesamtheit der physischen Staatsangehörigen. Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit richten sich nach dem innerstaatlichen Recht des jeweiligen Staates, das – sofern tatsächlich eine genuine Verbindung zwischen Staat und Person besteht – auch völkerrechtlich relevant ist[22].

Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit richten sich nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913 (RGBl. 1913 S. 583), das mit einigen Änderungen auch heute noch unter dem Titel Staatsangehörigkeitsgesetz fortgilt. Ob darüber hinaus auch Artikel 116 Absatz 1 GG eine völkerrechtlich relevante Aussage über den Umfang der deutschen Staatsangehörigkeit enthält ist umstritten[23].

Bereits im Teso-Beschluss von 1987 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass auch die Personen, denen die DDR-Staatsbürgerschaft verliehen worden war, im Rahmen des ordre public deutsche Staatsangehörige waren:

„Der Erwerb der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik durch den Beschwerdeführer bewirkte, daß er zugleich die deutsche Staatsangehörigkeit im Sinne der Art. 16 Abs. 1, 116 Abs. 1 GG erworben hat. Diese Rechtswirkung trat nicht kraft oder aufgrund eines Erwerbstatbestandes des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes ein […]. Indes folgt aus dem Gebot der Wahrung der Einheit der deutschen Staatsangehörigkeit (Art. 116 Abs. 1, 16 Abs. 1 GG), das eine normative Konkretisierung des im Grundgesetz enthaltenen Wiedervereinigungsgebots ist, daß dem Erwerb der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik für die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland in den Grenzen des ordre public die Rechtswirkung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit beizumessen ist.“
(BVerfGE 77, 137 (148 f., Zit. Abs. 31))

Dieses Staatsmerkmal stand nie wirklich in Frage.

Staatsgebiet

Staatsgebiet ist der das Landgebiet, das Küstenmeer und das Luftgebiet umfassende Raum, der unter territorialer Souveränität eines Staates steht. Das Staatsmerkmal „Staatsgebiet“ war nicht als solches umstritten, wohl aber in Hinsicht auf die Ausdehnung auf dem Land.

Bereits in Artikel 7 Absatz 1 des 1955 inkraftgetretenen Deutschlandvertrags von 1952 (s. o.) hatten die Vertragsparteien Bundesrepublik Deutschland, Vereinigte Staaten von Amerika, Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland sowie die Französische Republik festgestellt, dass die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu einer frei verhandelten Friedensvereinbarung aufgeschoben werden müsse:

„Die Unterzeichnerstaaten sind darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll. Sie sind weiterhin darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß.“

Neben eher unproblematischen Verträgen der Bundesrepublik zur Grenzberichtigung mit Belgien (24. September 1956), Luxemburg (11. Juli 1959), den Niederlanden (8. April 1960 und 30. Oktober 1980), der Schweiz (23. November 1964 und 25. April 1977) und Österreich (29. Februar 1972 und 20. April 1977) gab es um die Grenze zu Polen lange Zeit Meinungsverschiedenheiten.

Oder-Neiße-Linie

Eine Regelung bezüglich dieser Grenze gab es erstmals im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945, in dem die östlich der Oder-Neiße-Linie gelegenen Gebiete des Deutschen Reiches als „ehemalige deutsche Gebiete“ bezeichnet wurden. Die endgültige Grenzziehung wurde gleichwohl einem Friedensvertrag vorbehalten. Auch im Grenzvertrag zwischen der Sowjetunion und Polen vom 16. August 1945 wurde die endgültige Grenzziehung noch einem Friedensvertrag vorbehalten. In dem am 6. Juli 1950 zwischen der DDR und Polen geschlossenen Görlitzer Vertrag gingen die Vertragsparteien dann von einer Souveränität Polens über die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie aus. Im Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik und Polen erkannte auch die Bundesrepublik diese Grenze an[24].

Im Vorfeld der Wiedervereinigung Deutschlands forderte dann insbesondere Polen eine endgültige Regelung. Daraufhin fassten der Deutsche Bundestag und die Volkskammer der DDR am 21. Juni 1990 gleichlautende Entschließungen, in denen sie ihren Willen zum Ausdruck brachten, die in den vorangegangenen Verträgen festgelegte Grenze endgültig durch völkerrechtlichen Vertrag festzulegen. Dies geschah noch im selben Jahr durch den zwischen der Bundesrepublik und der DDR sowie den vier Siegermächten abgeschlossenen Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September und den zwischen der Bundesrepublik und Polen geschlossenen Deutsch-Polnischen Grenzvertrag vom 14. November[25]:

„Die Vertragsparteien bestätigen die zwischen ihnen bestehende Grenze, deren Verlauf sich nach dem Abkommen vom 6. Juni 1950 zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Republik Polen über die Markierung der festgelegten und bestehenden deutsch-polnischen Staatsgrenze und den zu seiner Durchführung und Ergänzung geschlossenen Vereinbarungen (Akt vom 27. Januar 1951 über die Ausführung der Markierung der Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen; Vertrag vom 22. Mai 1989 zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Polen über die Abgrenzung der Seegebiete in der Oderbucht) sowie dem Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen bestimmt.“
(Artikel 1 des Deutsch-Polnischen Grenzvertrags)

Vom völkerrechtlichen Aspekt her war nicht von einer Illegitimität der deutschen Bundesregierung auszugehen. Selbst wenn die Regierung sich an die Macht geputscht hätte, wäre der von ihr geschlossene Grenzvertrag wirksam, da es im Völkerrecht nur auf das Bestehen von Staatsgewalt, nicht auf ihre Art ankommt.
Nachdem damit die Grenzziehung endgültig geregelt war, waren nur noch die in diesem Kontext irrelevanten Fragen nach eventuellen Entschädigungen zu klären.

Heute ist lediglich noch ein Teil des Grenzverlaufs am Bodensee ungewiss. Anders als bei Grenzflüssen, durch die der Grenzverlauf bei Fehlen eines grenzvertraglichen Vereinbarung nach einheitlichen völkerrechtlichen Regelungen bestimmt wird, gibt es für Grenzseen nämlich keine solchen völkerrechtlichen Regelungen. Während der Grenzverlauf im Untersee und in der Konstanzer Bucht durch Verträge zwischen Baden und der Schweiz (20. und 31. Oktober 1854 sowie 28. April 1878) und zwischen dem Deutschen Reich und der Schweiz (24. Juni 1878) festgelegt und der Überlinger See unbestritten deutsches Staatsgebiet ist, ist der Grenzverlauf im restlichen Teil des Obersees zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz noch nicht geklärt[26].

Siehe auch: Geschichte des Saarlandes nach 1945, Elten

Staatsgewalt

Staatsgewalt im Sinne des Völkerrechts ist das souveräne Recht zur Ausübung von Gewalt gegen Menschen und Sachen und schließt die Personalhoheit über die eigenen Staatsangehörigen wie auch die Gebietshoheit gegenüber Menschen und Sachen innerhalb des Staatsgebietes mit ein[27].

In Artikel 7 des Zwei-plus-Vier-Vertrags vom 12. September 1990 hieß es dazu:

„(1) Die Französische Republik, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Als Ergebnis werden die entsprechenden, damit zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst.
(2) Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.“

Damit war die Wiedererlangung der vollen Souveränität festgeschrieben. Da der Vertrag jedoch erst mit der Ratifikation aller Vertragsstaaten am 13. April 1991 wirksam wurde, gaben die vier Siegermächte für den Zeitraum ab dem 3. Oktober 1990 die Erklärung zur Aussetzung der Wirksamkeit der Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten ab[28].

Mit der Wiedervereinigung ist die Frage nach der Unterscheidung zwischen der gesamtdeutschen Staatsgewalt als der Staatsgewalt des Deutschen Reiches und der Staatsgewalt der Bundesrepublik hinfällig. Folgte man der Dismembrationstheorie, so war das Deutsche Reich bereits 1949, 1954 oder 1973 untergegangen (s. o.). Folgt man hingegen der Fortbestandstheorie, so kann rückblickend die Gründung der DDR als missglückter Sezessionsversuch angesehen werden[20].

Politische Agitation

Die selbsternannten Kommissarischen Reichsregierungen und andere, meist rechte Gruppierungen propagieren mit Verweis auf einige der oben beschriebenen Aspekte, das Deutsche Reich würde aus völkerrechtlicher Sicht immer noch bestehen und die Bundesrepublik Deutschland wäre ein illegitimes Regime. Hierzu zitieren sie einige – allerdings nur sehr ausgewählte Teile – der genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und wissenschaftliche Aufsätze, interpretieren diese jedoch auf eine allgemein nicht akzeptierte Weise bis ins Gegenteil. Insbesondere werden die räumliche Identität und die Identität als Völkerrechtssubjekt nicht voneinander getrennt: Die räumliche war 1973 unstrittig nicht gegeben. Aber als Völkerrechtssubjekt betrachtete sich die Bundesrepublik stets als identisch mit dem Deutschen Reich und ist somit quasi das Deutsche Reich, nur unter einem anderen Namen. Ebendies schreibt auch das BVerfG: „[…] als Staat identisch mit dem Staat ‚Deutsches Reich‘ […]“.

Die Ansichten dieser Personen und Gruppen sind für die Beurteilung der Rechtslage aber von keinerlei Bedeutung.

Zusammenfassung und Bedeutung

Vieles spricht für den Fortbestand des Deutschen Reiches in Gestalt der Bundesrepublik Deutschland. Davon geht auch die herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft aus, genau wie die für sie sprechenden Organe der Bundesrepublik Deutschland. Letztendlich kann dies jedoch weder bewiesen noch widerlegt werden, da es sich nicht um einen wie in den Naturwissenschaften experimentell untersuchbaren Zustand handelt.

„Das Deutsche Reich in seiner historischen Gestalt ist spätestens mit der bedingungslosen Kapitulation aller Streitkräfte vom 7. und 8. Mai 1945 institutionell vollständig zusammengebrochen [29]. Seine damals noch vorhandenen Organe und sonstigen staatsrechtlichen Strukturen sind im Mai 1945 auf allen Ebenen endgültig weggefallen, an ihre Stelle sind in den folgenden Jahren, zuletzt durch die deutsche Wiedervereinigung vom 3. Oktober 1990, neue, durch allgemeine Wahlen historisch und rechtlich uneingeschränkt legitimierte Strukturen getreten.“

Amtsgericht Duisburg: NJW 2006, S. 3577; Rechtsprechungsdatenbank des Landes Nordrhein-Westfalen; Az: 46 K 361/04

Geht man vom Fortbestehen aus, so stellt sich die Frage nach dessen Bedeutung. Unmittelbar würde das Fortbestehen nur die völkerrechtliche Kontinuität der Rechtspersönlichkeit des Staates als Völkerrechtssubjekt bedeuten. Viel interessanter erscheint jedoch, was die Fortexistenz mittelbar ausschließen würde. Wenn etwa Verschwörungstheoretiker vom Fortbestand ausgehen, so schließt das bereits ihre weitergehende Behauptung, dass die Bundesrepublik Deutschland „nicht existent“ und/oder „illegal“ sei, aus. Denn legt man die für einen Staat konstitutiven aber eben auch essentiellen Elemente „Staatsgebiet“, „Staatsvolk“ und „Staatsgewalt“ zugrunde, so ist spätestens mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und der (Wieder-)Erlangung der vollen Souveränität der Bundesrepublik entweder das Deutsche Reich ermangels effektiver Staatsgewalt endgültig untergegangen und auf seinem Staatsgebiet ein neuer Staat, die Bundesrepublik, entstanden, oder aber die Bundesrepublik ist völkerrechtlich vollidentisch mit dem Deutschen Reich (mit – wiederum seit spätestens dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und der Wiedererlangung der vollen Souveränität der Bundesrepublik – rechtswirksam verkleinertem Staatsgebiet, wobei für das Staatsmerkmal „Staatsgebiet“ aber auch gar nicht dessen Größe, sondern ausschließlich seine Existenz von Belang ist).

Mit der „Illegalität“ der Bundesrepublik könnte in diesem Kontext auch gar nicht völkerrechtliche Illegalität gemeint sein. Die drei Staatselemente sind konstitutiv für die Staatsqualität, es bedarf also bei deren Vorliegen keines weiteren expliziten oder konkludenten Anerkennungsaktes durch andere Völkerrechtssubjekte. Die Kategorien legal/illegal gibt es in diesem Zusammenhang also nicht. Ebenso wenig Sinn ergibt die Behauptung, die Bundesrepublik sei verfassungsrechtlich illegal. Die zugrundezulegende Verfassung ist in jedem der beiden möglichen Fälle (siehe oben) das Bonner Grundgesetz: Geht man vom Untergang des Deutschen Reiches aus, so hätte sich die neu entstandene Bundesrepublik Deutschland eine neue Verfassung, das Grundgesetz, gegeben. Bei Fortbestehen des Deutschen Reiches hätte sich die mit diesem vollidentische Bundesrepublik eine neue Verfassung gegeben, wie schon zuvor in der Geschichte des Deutschen Reiches (die Bismarcksche Reichsverfassung vom 16. April 1871 wurde mit Einführung der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament und damit der parlamentarischen Monarchie durch die Oktoberreform vom 28. Oktober 1918 gravierend geändert; die Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 war dann völlig neu). Die Bundesrepublik unter dem Bonner Grundgesetz muss aber an sich selbst gemessen mit sich selbst übereinstimmen, kann also nicht „verfassungsrechtlich illegal“ sein.

Literatur

  • Dieter Blumenwitz: Was ist Deutschland? Staats- und völkerrechtliche Grundsätze zur deutschen Frage und ihre Konsequenzen für die deutsche Ostpolitik, 3. Aufl., Bonn 1989. ISBN 3-88557-064-5.
  • Werner Frotscher, Bodo Pieroth: Verfassungsgeschichte. 5. Aufl., München 2005, Rn 638ff. ISBN 3-4065-3411-2.
  • Michael Schweitzer: Staatsrecht III. Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht. 8. Aufl., Heidelberg 2004, Rn 612ff. (sowie 6. Aufl. 1997, Rn 629f.). ISBN 3-8114-9024-9.
  • Matthias Herdegen: Völkerrecht. 4. Aufl., München 2005. ISBN 3-406-53277-2.
  • Clemens von Goetze: Die Rechte der Alliierten auf Mitwirkung bei der deutschen Einigung. In: NJW 1990, S. 2161ff.
  • Bernhard Diestelkamp: Rechts- und verfassungsgeschichtliche Probleme zur Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. In: JuS 1981, S. 409–413.
  • Bernhard Diestelkamp: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Historische Betrachtungen zur Entstehung und Durchsetzung der Theorie vom Fortbestand des Deutschen Reiches als Staat nach 1945. In: ZNR 1985, S. 181–207.
  • Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hrsg.): Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle. Bd. II: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee. Boppard am Rhein 1981. ISBN 3-7646-1671-7.
  • Jens Hacker: Der Rechtsstatus Deutschlands aus der Sicht der DDR. Köln 1974. ISBN 3-804-68490-4.

Quellbelege

  1. Zum Ganzen siehe den Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, in: Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. II, S. 509 ff.
  2. Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs vom 1. August 1934.
  3. Frotscher/Pieroth: Verfassungsgeschichte, Rn 641.
  4. Schweitzer: Staatsrecht III, 8. Aufl., Rn 616; Frotscher/Pieroth: Verfassungsgeschichte, Rn 689 ff.
  5. Frotscher/Pieroth: Verfassungsgeschichte, Rn 744.
  6. Frotscher/Pieroth: Verfassungsgeschichte, Rn 747.
  7. Frotscher/Pieroth: Verfassungsgeschichte, Rn 676.
  8. Frotscher/Pieroth: Verfassungsgeschichte, Rn 677.
  9. Schweitzer: Staatsrecht III, 8. Aufl., Rn 622.
  10. RGBl. 1910 S. 107; für das Deutsche Reich am 26. Januar 1910 inkraftgetreten
  11. Kelsen: The Legal Status of Germany According to the Declaration of Berlin. In: AJIL 39 (1945), S. 518 ff.
  12. Frotscher/Pieroth: Verfassungsgeschichte, Rn 648.
  13. Schweitzer: Staatsrecht III, 6. Aufl., Rn 629.
  14. Frotscher/Pieroth: Verfassungsgeschichte, Rn 648, 705.
  15. Schweitzer: Staatsrecht III, 6. Aufl., Rn 630.
  16. Frotscher/Pieroth: Verfassungsgeschichte, Rn 651.
  17. Frotscher/Pieroth: Verfassungsgeschichte, Rn 725.
  18. Schweitzer: Staatsrecht III, 8. Aufl., Rn 631 f.
  19. Siehe dazu bereits die Mehrheitsmeinung im Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, in: Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. II, S. 509 ff.
  20. a b c d Schweitzer: Staatsrecht III, 8. Aufl., Rn 637.
  21. Herdegen: Völkerrecht, 4. Aufl., § 8, Rn 12.
  22. Schweitzer: Staatsrecht III, 8. Aufl., Rn 541 ff.
  23. Schweitzer: Staatsrecht III, 8. Aufl., Rn 547 ff.
  24. Schweitzer: Staatsrecht III, 8. Aufl., Rn 570 f.
  25. Schweitzer: Staatsrecht III, 8. Aufl., Rn 572 f.
  26. Schweitzer: Staatsrecht III, 8. Aufl., Rn 568.
  27. Schweitzer: Staatsrecht III, 8. Aufl., Rn 574.
  28. Schweitzer: Staatsrecht III, 8. Aufl., Rn 665.
  29. vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Oktober 1952 – 1 BvB 1/51, BVerfGE 2, 1, 56 f.; Urteil vom 17. Dezember 1953 – 1 BvR 147/52, BVerfGE 3, 58

Weblinks


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