- Reichsstädte
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Der Begriff Freie Reichsstadt bezeichnet umgangssprachlich im Heiligen Römischen Reich sowohl jene Stadtgemeinden, die keinem Reichsfürsten, sondern direkt dem Kaiser unterstanden, als auch einige Bischofsstädte, die eine gewisse Autonomie erworben hatten, zum Beispiel dem Kaiser keine Heerfolge leisten mussten. Erstere wurden ursprünglich als Reichsstädte bezeichnet, letztere als Freie Städte. Diese Städte wurden ab dem 15. Jahrhundert im Städtekolleg unter dem Sammelbegriff „Freie und Reichsstädte“ zusammengefasst, woraus der Volksmund den Begriff Freie Reichsstadt gebildet hat, obwohl nur ein Teil der Städte sowohl Freie Stadt als auch Reichsstadt war.
Inhaltsverzeichnis
Reichsunmittelbarkeit
Aus dem Status der Reichsunmittelbarkeit ergab sich für die Reichsstädte eine Reihe von Freiheiten und Privilegien. Sie waren im Inneren weitgehend autonom und besaßen im Allgemeinen eine eigene niedere und hohe Gerichtsbarkeit. Insbesondere die Hochgerichtsbarkeit stellte sie den Fürsten gleich und unterschied sie von den landständischen Städten, die einem Landesherrn untertan waren. Als Reichsstände hatten die Reichsstädte aber auch besondere Pflichten gegenüber dem Kaiser. So hatten sie ihre Steuern direkt an ihn abzuführen und auf Verlangen Heerfolge zu leisten.
Die Freien Städte erhielten ihren Status durch vom Kaiser und/oder dem Bischof gewährte Freiheitsprivilegien. Sie waren denen der Reichsstädte meist ähnlich, mit dem Unterschied, dass sie auch von der Heerfolge (außer bei Kreuzzügen) und den Steuern befreit waren.
Geschichte
Ursprünglich wurde zwischen Reichsstädten, die reichsunmittelbar waren, und den Freien Städten, die sich von einem bischöflichen Stadtregiment im 13. und 14. Jahrhundert befreit hatten, unterschieden. Die Freien Städte waren nicht zur Steuerzahlung an den Kaiser verpflichtet und unterlagen ihm gegenüber nicht dem Gefolgszwang. Zu ihnen gehörten unter anderem Lübeck, Köln, Augsburg, Mainz (bis 1462), Worms, Speyer, Straßburg, Dortmund, Basel und Regensburg. Formal blieb der Bischof dort meist jedoch weiterhin Stadtoberhaupt.
Die Reichsstädte entstanden aus den Stadtgründungen, welche die Staufer im 12. und 13. Jahrhundert vorgenommen hatten oder die schon zuvor im Besitz der Könige und Kaiser waren. Aus diesem Grunde war die Zahl der Reichsstädte im deutschen Südwesten sowie in Thüringen und im Elsaß, der ehemaligen Hochburg der Staufer, sehr groß. Dort bestand eine große Zahl relativ kleiner Landstädte, die dennoch den Status einer Reichsstadt erwerben konnten (wie z. B. Memmingen, Ravensburg, Pfullendorf, Bad Wimpfen, Dinkelsbühl, Rothenburg ob der Tauber, Schwäbisch Hall, Mühlhausen, Colmar, Weißenburg, Hagenau, Schlettstadt, Annweiler). Einerseits war das 12. und 13. Jahrhundert die Zeit der Städtegründungen. Andererseits ist es nach dem Untergang der Staufer keiner Territorialmacht mehr gelungen, deren früheren Besitz ihrer vollständigen Landeshoheit zu unterwerfen. Eine Hoheit gegenüber diesen ehemals staufischen Städten zu erzwingen, die von den Kaisern schon viele Freiheiten erhalten hatten, gelang den benachbarten Landesherren meistens nicht. Da sich diese Städte nur noch dem gewählten römischen König oder Kaiser unterstellten, erwarben die meisten in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nach dem Interregnum den Status als Reichsstadt.
Im Laufe der Zeit konnten sich viele Freie Städte vom Rest geistlicher Stadtherrschaft emanzipieren (bei anderen ging der Status der Freien Stadt wieder verloren). Später nahmen die Freien Städte zusammen mit den Reichsstädten an den Reichstagen teil und wurden dort unter dem Begriff „Freie- und Reichsstädte“ zusammengefasst. Im Sprachgebrauch verschmolz diese Formel im Laufe der Zeit zur „Freien Reichsstadt“.
Aufschwung
Nach dem Interregnum 1273 errangen die Reichsstädte und die Freien Städte im Laufe der Zeit ihren neuen verfassungsmäßigen Status und damit auch Sitz und Stimme auf den Reichstagen. Seit 1489 bildeten sie das Reichsstädtekollegium und waren regelmäßig auf den Reichstagen vertreten. Damals große Städte wie Dortmund, Frankfurt am Main, Ulm, Schwäbisch Hall, Rothenburg, Augsburg und Nürnberg konnten ihr Territorium weit über die Stadtgrenzen hinaus ausdehnen. Die größte territoriale Ausdehnung erreichten die freien Reichsstädte im Südwesten Deutschlands, wo es keine großen Fürstentümer gab. Die größte territoriale Ausdehnung aller freien Reichsstädte erreichte die Stadt Bern.
Etliche Reichsstädte wurden allerdings im Laufe der Zeit von der Königsherrschaft an benachbarte Landesherrschaften verpfändet, so wie die Stadt Nimwegen im Jahre 1247 an die Grafen von Geldern, die Stadt Duisburg im Jahre 1290 an die Grafen von Kleve oder auch die Stadt Eger an die Könige von Böhmen. Da das Königtum meist nicht genügend Finanzmittel aufbringen konnte, um die Pfandsummen auszulösen, konnte dies das Ende der Reichsunmittelbarkeit für die betroffenen Städte bedeuten. Andere Städte wurden durch kriegerische Maßnahmen benachbarter mächtiger Landesherren bedroht. Als Abwehr dieser Gefahr wurde z. B. der Süddeutsche Städtebund gegründet, der verhindern sollte, dass viele schwäbische Städte unter die Herrschaft der Grafen von Württemberg fielen.
In vielen Städten wurde seit der Verwaltungsreform unter Kaiser Karl V. der so genannte Hasenrat eingeführt, der durch den Adel und die Patrizier gebildet wurde und die Ständeversammlung nach und nach unwirksam machte.
Anpassung an die Adels- und Fürstengesellschaft
Mit dem Westfälischen Frieden 1648 ging die Landvogtei über die elsässischen Reichsstädte an Frankreich, und im Rahmen der Reunionen besetzte Frankreich 1681 das Elsass. 1718 wurde das die Reichsstadt Zell am Harmersbach umgebende Gebiet als freies Reichstal Harmersbach von der Stadt unabhängig. Die reichsstädtischen Freiheiten wurden zunehmend beschnitten, und im Zuge der französischen Revolution 1789 entfielen sie ganz. Die den Reichsstädten wie den anderen Reichsständen im Westfälischen Frieden zugesicherten Rechte wie Bündnis- und Gesandtenrecht waren aber auch der Grundstein für eine bemerkenswerte Dynamik gerade im außenpolitischen Bereich. Im 17. und 18. Jahrhundert waren nicht nur die Vertreter der großen Mächte auf dem diplomatischen Parkett zu finden, sondern auch Bürgermeister, Syndiker und Ratsherren.
Lange Zeit wurde die Reichsstadt der frühen Neuzeit von den Historikern als einsamer Vorläufer der bürgerlichen Welt inmitten der aristokratischen Umwelt bewertet, was immer wieder zu Missverständnissen führte. Mit modernen Republiken, aber auch mit den vormodernen Republiken wie Venedig oder den Vereinigten Niederlanden, hatten die Reichsstädte indes nichts zu tun. Die Tendenz, selbst als Glied der adligen Welt anerkannt zu werden, bestimmte die Politik vieler Reichsstädte, darunter Augsburg, Nürnberg, Köln, Frankfurt, Bremen und selbst kleinerer Kommunen wie Schwäbisch Hall. Das herkömmliche Bild über die angeblich düsteren Zustände in den Reichsstädten des 18. Jahrhunderts hat seinen Ursprung ebenfalls in der Projektion ökonomischer Rationalität im modernen Sinne, die aber gerade nicht das Handeln von Ratsherren, Zünften und Bürgern bestimmte. Ebenso wie die Beschreibung der deutschen Geschichte in der Frühen Neuzeit als Verfallsgeschichte einem historischen Missverständnis entspricht, folgt auch die negative Bewertung der Reichsstädte in dieser Epoche zum Teil anachronistischen Vorstellungen („Niedergang“). Für viele epochale historische Prozesse boten Reichsstädte die Bühne (Buchdruck, die Reformation, Friedenskongresse). Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts behaupteten Reichsstädte ihre kulturelle, soziale und politische Stellung, insofern man sie, wie auch die Reichsgrafen und Reichsritter, als mindermächtige Glieder des Reiches versteht.
Das heute belgische Dorf Kessenich war eine – in Deutschland vergessene – Freie Reichsstadt, bis Frankreich am 5. April 1795 das linke Rheinufer annektierte, wodurch auch preußische, kurkölnische und jülicher Gebiete, sowie die großen Reichsstädte Köln und Aachen und kleinere reichsunmittelbare kirchliche und weltliche Herrschaften französisch wurden.
Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 wurden 45 der 51 noch bestehenden Reichsstädte mediatisiert und benachbarten Fürstentümern eingegliedert. Lediglich Augsburg, Nürnberg, Frankfurt am Main, Bremen, Hamburg und Lübeck behielten den Status mit verminderten Rechten. Augsburg und Nürnberg wurden 1805/1806 von Bayern mediatisiert; die vier anderen blieben unabhängig über den Wiener Kongress 1815 hinaus und wurden in der Folge souveräne Staaten innerhalb des Deutschen Bundes.
Freie Städte nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches
Nach 1815 gab es im Deutschen Bund noch vier Freie Städte: Hamburg, Bremen, Lübeck und Frankfurt am Main. Frankfurt am Main verlor seine Unabhängigkeit 1866 nach der Besetzung durch Preußen; Lübeck wurde 1937 mit dem Groß-Hamburg-Gesetz ebenfalls in Preußen eingegliedert. Die Bundesländer Bremen und Hamburg konnten ihre auf reichsstädtischen Traditionen beruhende Stellung als eigenständige Stadtstaaten bis heute bewahren. Der Status Berlins als eigenes Bundesland geht dagegen auf die Zoneneinteilung nach dem Zweiten Weltkrieg zurück.
Als Freie Stadt wurde auch Danzig bezeichnet, als die Stadt von 1920 bis 1939 unter der Hoheit des Völkerbunds stand.
Liste von Reichsstädten
Die Reichsunmittelbarkeit konnte zu- und wieder aberkannt werden; die Zahl der Reichsstädte schwankte deshalb. Ihr Maximum war 83. (Unter dem Titel „Frei- und reichsstett“ verzeichnet die auf dem Wormser Reichstag von 1521 aufgestellte Reichsmatrikel 85 Städte; jedoch sind einige Angaben unrichtig.)
Um das Jahr 1800 gab es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation noch folgende 51 Freie und Reichsstädte:
- Reutlingen
- Rothenburg ob der Tauber
- Rottweil
- Schwäbisch Gmünd
- Schwäbisch Hall
- Schweinfurt
- Speyer
- Überlingen
- Ulm
- Wangen im Allgäu
- Weil der Stadt
- Weißenburg in Bayern
- Wetzlar
- Wimpfen (Bad Wimpfen)
- Windsheim (Bad Windsheim)
- Worms
- Zell am Harmersbach
- Die niederländische Stadt Groningen erklärte sich selbst zur Freien Reichsstadt, hatte diesen Status aber offiziell nie inne.
- Bis zum Westfälischen Frieden 1648
- Tull (Toul)
- Wirten (Verdun)
Formal bis zum Westfälischen Frieden auch die eidgenössischen Städte:
- Bis zum Frieden von Nimwegen 1679
- Bisanz (Besançon)
sowie die die seit 1354 im Zehnstädtebund verbundenen elsässischen Städte:
- Colmar
- Hagenau (Haguenau)
- Kaisersberg (Kaysersberg)
- Landau in der Pfalz
- Münster (Munster)
- Oberehnheim (Obernai)
- Rosheim
- Schlettstadt (Sélestat)
- Türkheim (Turckheim)
- Weißenburg im Elsass (Wissembourg)
- Als letzte elsässische Freie Reichsstadt 1681 von Frankreich annektiert
- Weitere ehemalige Reichsstädte
- Altenburg (?)
- Andernach (?)
- Baden (?)
- Bremgarten
- Cheb (Eger)
- Chemnitz
- Deventer[1][2][3]
- Donauwörth
- Duisburg
- Düren
- Essen
- Feuchtwangen
- Freiburg im Üechtland
- St. Gallen
- Gelnhausen
- Germersheim
- Groningen (?)
- Herford (bis 1652)
- Ingelheim am Rhein (?)
- Kaiserslautern (?)
- Kampen[1][2][3]
- Kessenich
- Konstanz
- Markgröningen (?)
- Mülhausen
Siehe auch
Literatur
- Urs Hafner: Republik im Konflikt. Schwäbische Reichsstädte und bürgerliche Politik in der frühen Neuzeit. Bibliotheca Academica, Tübingen 2001, ISBN 3-928471-36-8.
- André Krischer: Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, ISBN 3-534-19885-9.
- Johann Jacob Moser: Von der Reichs-Stättischen Regiments-Verfassung. Nach denen Reichs-Gesezen u. d. Reichs-Herkommen, wie auch aus denen Teutschen Staats-Rechts-Lehren und eigener Erfahrung. Mezler, Frankfurt und Leipzig 1772 (Digitalisat)
- Helmut Neuhaus: Das Reich in der Frühen Neuzeit. (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 42) Oldenbourg, München 2003. S. 34f.
- Richard Schmidt: Deutsche Reichsstädte. Hirmer, München 1957.
Quellen
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