Rüsseltier

Rüsseltier
Rüsseltiere
Systematik
Überklasse: Kiefermäuler (Gnathostomata)
Reihe: Landwirbeltiere (Tetrapoda)
Klasse: Säugetiere (Mammalia)
Unterklasse: Höhere Säugetiere (Eutheria)
Überordnung: Afrotheria
Ordnung: Rüsseltiere
Wissenschaftlicher Name
Proboscidea
Illiger 1811

Die Ordnung der Rüsseltiere (Proboscidea) wurde nach dem auffälligsten Merkmal, dem Rüssel (lat. proboscis), benannt. Ihre einzigen heute noch lebenden Vertreter sind die Elefanten.

Inhaltsverzeichnis

Merkmale

Die Rüsseltiere unterscheiden sich nicht nur durch den markanten Rüssel, sondern auch durch ihren Körperbau und ihre seltsame Bezahnung (Stoßzähne bzw. Mahlzähne) von allen anderen Landsäugern. Die Rüsselbildungen waren anfänglich kaum vorhanden und dienten den sumpflebenden, frühen Rüsseltieren wahrscheinlich als Schnorchel. Später entwickelten sich die Rüssel mit einer Vielzahl von verschiedenen Muskeln zu feinfühligen Greiforganen, die das Erreichen der Blätter auf höheren Bäumen ebenso ermöglicht wie das Abreißen von Grasbüscheln in den Steppen. Die Stoßzähne waren gerade, gedrillt, nach oben oder unten gebogen, schaufelförmig, dem Ober- oder Unterkiefer oder beiden entspringend, weit auseinander oder eng zusammenstehend, und in den verschiedensten Längen (bis zu 4 m) und Stärken vorhanden. Heute leben nur noch die Elefanten mit ihren beiden Stoßzähnen im Oberkiefer.

Zähne von Rüsseltieren: links Elephas, mitte Loxodonta, rechts der eines Mastodon

Zur systematischen Einteilung der Rüsseltiere werden weniger die Form des Rüssels oder die Stoßzähne herangezogen, als hauptsächlich der Aufbau der Backenzähne (Molaren) untersucht. Die Kaufläche dieser Mahlzähne kann höckerige Strukturen aufweisen wie bei den Mastodonten oder durch verschieden starke Abnutzung härterer und weicherer Stellen eine dachartige Struktur ausbilden wie bei den Stegodonten bzw. lamellenartig geformt sein wie bei den Mammuts und den heutigen Elefanten. Die Mahlzähne, von denen bei den Elefanten im Ober- und im Unterkiefer in jeder Kieferhälfte nur je einer zur Verfügung steht, werden beim Kauen der Pflanzennahrung stark abgenutzt. Sie können jedoch bei den heutigen Elefanten sechs Mal nachgeschoben werden, umfassen also sieben Generationen. Auch die Stoßzähne des Oberkiefers fallen bei den jungen Elefanten nach dem ersten Jahr aus, werden dann aber durch ständig wachsende ersetzt.

Ökologie

Die Anpassungen der Stoß- und besonders der Backenzähne ermöglichten den Rüsseltieren die Erschließung verschiedener pflanzlicher Nahrungsquellen, von den Sumpfplanzen, die dem frühen Moeritherium als Nahrung dienten, über Blätter und Zweige, die mit den Rüsseln abgerissen wurden, oder Rinden, die mit den Stoßzähnen abgeschält werden konnten, bis zu den Gräsern der Savannen und Steppen, die besonders intensiv gekaut werden müssen.

Ein zotteliges Haarkleid schützte einige nördliche Arten der Mastodonten und Mammuts vor der Kälte der Eiszeit. Die beiden riesigen gebogenen Stoßzähne des Mammuts scheinen auch als Schneepflug zur Nahrungssuche unter der Schneedecke wertvolle Dienste geleistet zu haben. Zwergbildungen bei Stegodonten und Elefanten (siehe: Zwergelefant) ermöglichten über lange Zeiträume hinweg das Überleben auch auf kleineren Inseln des Mittelmeerraums und in Indonesien.

Verbreitung

Die Rüsseltiere sind zweifellos in Afrika entstanden, und breiteten sich von dort aus fast über die gesamte Erde aus. Lediglich den Australischen Kontinent und die meisten Inseln, wie Madagaskar, Neuguinea und Neuseeland haben sie niemals erreicht. Noch bis ins späte Pleistozän waren sie mit drei Familien über Amerika, Eurasien und Afrika verbreitet. Heute findet man sie nur noch in Afrika und Südasien in Form der Elefanten.

Stammesgeschichte

Als ältestes Rüsseltier gilt derzeit Phosphaterium, das 1996 in Marokko ausgegraben wurde. Es lebte vor etwa 55 Mio Jahren, war kaum größer als ein Fuchs und hatte rein äußerlich wenig mit späteren Rüsseltieren gemeinsam. Sein Zahnbau verrät aber die enge Verwandtschaft.

Moeritherium aus dem Eozän Nordafrikas war ein weiteres frühes Mitglied der Rüsseltiere. Es war etwa so groß wie ein Tapir (etwa 110 cm), und besaß einen schweineähnlichen Kopf mit einer verlängerten Nasen-Oberlippe sowie leicht verlängerten Schneidezähnen im Ober- und Unterkiefer. Neben Elefantenmerkmalen trug der Schädel auch gemeinsame Merkmale mit dem der Seekühe. Neben diesen sind die Schliefer die nächsten Verwandten der Elefanten.

Palaeomastodon und Phiomia waren frühe Rüsseltiergattungen aus dem Eozän und Oligozän Nordafrikas. Beide gehörten wie Gomphotherium in die Familie der Gomphotherien. Gomphotherium war das erste Rüsseltier, das über die am Beginn des Miozän entstandene Landbrücke von Afrika nach Eurasien einwanderte. Von hier aus erreichte es sogar den nordamerikanischen Kontinent. Zygolophodon zählte ebenfalls zu den ersten Rüsseltieren, die von Afrika aus Eurasien erreichten.

Kurz nach dem Auftreten von Gomphotherium und Zygolphodon wanderten erste Mitglieder aus der Familie der Deinotherien (Deinothriidae) von Afrika nach Eurasien ein. Diese Rüsseltiere entstanden aus einer frühen Abspaltung. Ihre Stoßzähne befanden sich im Unterkiefer und waren abwärts gebogen. Sie dienten wahrscheinlich als Grabwerkzeuge in sumpfigen Wäldern. Deinotherien wurden bis zu 3,60 m groß und starben in Europa im Mittleren Pliozän (Piacenzium), in Afrika im Unteren Pleistozän, vor rund einer Million Jahren aus.

Platybelodon aus Asien und Amebelodon aus Nordamerika waren zwei miozäne Rüsseltierformen mit schaufelartig umgebildeten Unterkiefern. Sie gehörten ebenso wie die späteren Gattungen Anancus, Stegomastodon und Cuvieronius zu den Gomphotheriidae. Aus den Gomphotherien entwickelten sich die Elefanten und die Echten Mastodonten.

Zu den Echten Mastodonten (Mammutidae) gehört die Mastodon-Gattung, die den verwirrenden Namen Mammut trägt, obwohl sie mit den bekannten Mammuts, die den wissenschaftlichen Gattungsnamen Mammuthus tragen, nicht näher verwandt ist. Die bekannteste Art dieser Gattung war das Amerikanische Mastodon (Mammut americanum), das zeitgleich mit den Mammuts lebte und gegen Ende der letzten Eiszeit im oberen Pleistozän ausstarb. Aus den Echten Mastodonten entwickelte sich eine weitere Rüsseltierfamilie, die Stegodonten.

Im späten Miozän entwickelte sich aus Formen wie Primelephas die einzige Rüsseltierfamilie, die bis heute überlebt hat, die Elefanten. Die Elefanten, zu denen neben den heutigen Gattungen Loxodonta und Elephas auch die ausgestorbenen Mammuts (Mammuthus) gehören, sind durch Schmelzlamellen auf den Backenzähnen gekennzeichnet und damit gut an Grasnahrung angepasst.

Im Neogen, besonders im Pleistozän, fand eine weltweite Verbreitung der Rüsseltiere auf alle Kontinente, außer Australien, in zahlreichen Arten statt. Diese Verbreitung kann nur durch die Annahme ausgedehnter Wanderungen über Landbrücken, die sich vor ca. 27 Millionen Jahren zwischen Afrika und Eurasien gebildet haben, stattgefunden haben. So entstanden insgesamt 5 Familien (25 Gattungen) mit mehr als 150 (insgesamt) verschiedenen Arten der Ordnung Rüsseltiere, darunter die Mastodons und die zur Familie der Elefanten zählenden Mammuts. Am Ende des Pleistozän, also bis vor etwa 10.000 Jahren lebten noch 8 Gattungen von Rüsseltieren. Stegodon, Stegomastodon, Haplomastodon, Cuvieronius, Mammut, Mammuthus, Elephas und Loxodonta. Nur die letzten beiden überlebten bis heute. Die Ausbreitung des modernen Menschen (Homo sapiens) ging einher mit dem Aussterben der meisten Rüsseltiergattungen, aber auch anderer großer Säugetiere bis zum Beginn des Holozäns. Das legt den Schluss nahe, dass weniger die Klimaschwankungen der Warm- und Kaltzeiten Ursache des Artensterbens gewesen sein könnten als vielmehr die Ausbreitung des Menschen. Die intensive Bejagung der letzten Mammuts durch den Menschen geht aus den Höhlenzeichnungen deutlich hervor. Andererseits deuten die Funde vollständig im Eis eingeschlossener, gut erhaltener Mammuts in Sibirien auch auf klimatische Katastrophen hin.

Heute gibt es nur noch drei Arten der Rüsseltiere, in den beiden Gattungen Afrikanischer Elefant (Loxodonta africana und Loxodonta cyclotis) und Asiatischer Elefant (Elephas maximus).

Externe Systematik

Die nächsten lebenden Verwandten der Rüsseltiere sind die Seekühe, gemeinsam bilden sie das Taxon der Tethytheria. Ebenfalls relativ nahe verwandt sind die Schliefer. Rüsseltiere, Seekühe und Schliefer bilden zusammen das Taxon der Paenungulata.

Man fasst diese Tiere heute mit einigen anderen Säugetierordnungen, die ebenfalls afrikanischen Ursprungs sind zur Überordnung der Afrotheria zusammen. Dazu gehören neben den oben erwähnten folgende noch lebende Ordnungen.

Eine detaillierte Systematik der Ordnung Rüsseltiere.

Interne Systematik

Literatur

  • E. Thenius: Grundzüge der Faunen- und Verbreitungsgeschichte der Säugetiere, 2.Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, 1980
  • Ronald M. Nowak: Walker’s mammals of the world. 6. Auflage. Johns Hopkins University Press, Baltimore 1999, ISBN 0-8018-5789-9.  
  • Jordi Augusti: Mammoths, Sabertooths and Hominids 65 Million Years of Mammalian Evolution in Europe, Columbia University Press, 2002. ISBN 0-231-11641-1

Weblinks


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