Saevecke

Saevecke
Theo Saevecke in der Uniform eines SS-Obersturmführers, Datum unbekannt

Theodor Emil Saevecke (* 22. März 1911 in Hamburg; † 2000) war in der Zeit des Nationalsozialismus als SS-Hauptsturmführer an der Organisation von Zwangsarbeit tunesischer Juden und an Geiselerschießungen in Italien beteiligt. Nach 1945 arbeitete Saevecke für den amerikanischen Nachrichtendienst CIA und in führender Funktion beim deutschen Bundeskriminalamt.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Sohn eines Feldwebels besuchte die Realschule in Eutin, das Realgymnasium in Parchim und Ludwigslust und das Katharineum in Lübeck.[1] Dieses Gymnasium verließ Saevecke im Februar 1930 als Unterprimaner vorzeitig. Saevecke begründete dies in der Zeit des Nationalsozialismus rückblickend, die Schule habe „unter jüdischer und marxistischer Leitung“[2] gestanden. Saevecke wurde Offiziersanwärter der Handelsmarine und fuhr zwischen Dezember 1930 und Juni 1932 auf dem Segelschulschiff „Padua“ zweimal an die Westküste Südamerikas. Später nahm er auf der Viermastbark „Priwall“ an der Weizenregatta nach Australien teil. Am 27. März 1934 schied er aus der Seefahrt aus, drei Tage später heiratete er.

Ab dem 1. Oktober 1934 absolvierte Saevecke eine Ausbildung als Kriminal-Kommissaranwärter bei der Lübecker Polizei. 1937 besuchte er die Führerschule der Sicherheitspolizei; den Schulbesuch beendete er mit der erfolgreichen Prüfung zum Kriminalkommissar. Saevecke wechselte nach Berlin und leitete dort das Brand- und Katastrophendezernat, zusätzlich bearbeitete er Mordfälle. Zusammen mit Ernst Gennat war er im November 1938 an der ersten Fernsehfahndung beteiligt. Nach der Fernsehsendung, die in 28 öffentlichen Fernsehstuben in Berlin empfangen werden konnte, gingen zahlreiche Hinweise aus der Bevölkerung ein, durch die der Mord an einem Berliner Taxifahrer aufgeklärt werden konnte.[3]

Am 29. Juni 1926 war Saevecke in Parchim Mitglied und Gruppenführer der Schilljugend, einer Unterorganisation des Freikorps von Gerhard Roßbach geworden. Am 15. Dezember 1928 trat er zur SA über; am 1. Februar 1929 wurde er Mitglied der NSDAP (Mitglieds-Nr. 112.407). In der SA war Saevecke nach eigenen Angaben bis 1938 aktiv. Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt[4] wurde er Mitglied der SS (Mitglieds-Nr. 396.401).

Einsatzgruppen in Polen und Tunesien

Am deutschen Angriff auf Polen nahm Saevecke im September 1939 als Mitglied der Einsatzgruppe VI teil.[5] Aufgabe dieses auch als „Unternehmen Tannenberg“ bezeichneten Einsatzes war die „Bekämpfung aller reichs- und deutschfeindlichen Elemente rückwärts der fechtenden Truppe“. Die Einsatzgruppen begingen Morde an Angehörigen der polnischen Intelligenz, an Juden und Geiseln. Die Einsatzgruppe VI unter Erich Naumann war ab dem 9. September 1939 in der ehemaligen Provinz Posen eingesetzt. Nach der Eingliederung des Gebiets als Reichsgau Wartheland in das Deutsche Reich wurden durch einen Erlass Himmlers vom 20. November 1939 die Angehörigen der Einsatzgruppe zur Stapo-Leitstelle in Posen kommandiert. Saevecke leitete ein Mordkommissariat in der Stadt. Nach späteren Angaben eines CIA-Informanten soll Saevecke einer der drei Personen gewesen sein, die in einem Konzentrationslager nahe von Posen die Hinrichtung von Russen, Zigeunern und Juden genehmigen konnten.[6] Am 25. März 1941 wurde Saevecke in das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in das Referat V A2 versetzt, das für „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ zuständig war.[7]

Bereits im Juni 1940 hatte sich Saevecke zum „sicherheitspolizeilichen Kolonialdienst“ gemeldet. Im Frühjahr 1942 absolvierte er einen Lehrgang an der Kolonialschule der italienischen Polizei in Tivoli bei Rom, anschließend wurde er als Verbindungsoffizier der Sicherheitspolizei und des SD zur italienischen Polizei in Libyen eingesetzt. Saeveckes Tätigkeit in Libyen fiel in die Zeit des Vormarschs und Rückzugs des Deutschen Afrikakorps unter Generalfeldmarschall Erwin Rommel. Im November 1942 wurde Saevecke zum Einsatzkommando von Walter Rauff nach Tunesien versetzt. Rauffs Kommando organisierte die Zwangsarbeit tunesischer Juden und erpresste hohe „Zwangsabgaben“ von den dortigen jüdischen Gemeinden. Zur Organisation des Zwangsarbeitereinsatzes erteilte Saevecke ab 10. Dezember den jüdischen Gemeinden in Tunis und Sousse die Anweisungen.[8] Nach den alliierten Erfolgen in der Schlacht um Tunesien verließ das Einsatzkommando am 9. Mai 1943 Tunesien in Richtung Italien. Aus Sicht seines späteren Vorgesetzten Karl Wolff, dem Höchsten SS- und Polizeiführer (HöSSPF) für Italien, hatte Saevecke „mit großem Erfolg die Judenfrage im tunesischen Raum bearbeitet“,[9] so Wolff in der Begründung einer Ordensverleihung.

„Bandenbekämpfung“ in Italien

Ab dem 1. Juli 1943 arbeitete Saevecke beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) im norditalienischen Verona. Am 13. September 1943 übernahm er die Führung des BdS-Außenkommandos Mailand und wurde damit der Chef der dortigen Gestapo. In dieser Funktion überwachte Saevecke persönlich die Verhaftung italienischer Widerstandskämpfer, zudem war er für die Deportation von mindestens 700 italienischen Juden in die Vernichtungslager verantwortlich.[10]

Saevecke wurde als „Henker von Mailand“[11] bezeichnet, nachdem er am 10. August 1944 auf dem Mailänder Piazzale Loreto 15 italienische Geiseln als „Vergeltung“ öffentlich erschießen ließ.[12] Am 8. August 1944 hatte der italienische Widerstand einen Bombenanschlag auf einen deutschen Militärlastwagen verübt, bei dem sechs italienische Zivilisten getötet und zehn verletzt wurden. Der deutsche Fahrer des Lastwagens wurde leicht an der Wange verletzt. Saevecke war an der Auswahl der erschossenen Geiseln beteiligt, nach italienischen Presseberichten trug der Befehl zur Erschießungsaktion seine Unterschrift. Am 17. Juni und erneut am 1. Juli hatte Albert Kesselring als Oberbefehlshaber der Wehrmacht in Italien die Erschießung von zehn Italienern für jeden getöteten Deutschen angeordnet.

Ebenfalls im August 1944 erschoss ein zehnköpfiges SS-Kommando unter Saeveckes Führung in Corbetta drei Männer, nachdem zuvor in dem Ort ein SS-Mitglied von Widerstandskämpfern getötet worden war.[10] Geständnisse hatten die drei Männer nicht abgelegt. Am folgenden Tag erschienen Saevecke, sein Vorgesetzter Walter Rauff, 20 SS-Männer sowie 100 italienische Kollaborateure erneut in Corbetta. Die 20 km westlich von Mailand gelegene Gemeinde wurde umstellt und die männliche Bevölkerung auf einen Platz beordert. Von den Versammelten wurden fünf Männer ausgesucht und öffentlich erschossen. Die Häuser der Erschossenen wurden niedergebrannt. Saevecke habe sich, so sein Vorgesetzter Wolff im März 1944, „besonders in der Bandenbekämpfung in der Lombardei hervorgetan und bei fast allen Einsätzen in vorderster Linie im Kampf gegen die Partisanen gelegen. Seiner Einsatzfreudigkeit und Entschlusskraft ist es zu danken, dass die Bandenlage in der Lombardei auf ein möglichstes Mindestmaß herabgedrückt worden ist.“[9]

Im April 1945 ließ Saevecke ein in Triest stationiertes SS-Kommando bestrafen.[13] Dieses Kommando soll mit Juden „Tauschhandel“ betrieben haben. Im gleichen Monat wurde Saevecke von alliierten Truppen gefangen genommen.

Internierung und Arbeit für die CIA

Interne, dreiseitige CIA-Notiz zu Theo Saevecke vom 8. Januar 1953. Klammern markieren Stellen, die von der CIA vor der Veröffentlichung unkenntlich gemacht wurden.

Theo Saevecke arbeitete spätestens ab 1947 für den amerikanischen Nachrichtendienst CIA; Ende 1951 wurde er beim kurz zuvor gegründeten deutschen Bundeskriminalamt (BKA) eingestellt. Zu Saeveckes Lebensweg wurden am 1. Februar 2002 Unterlagen der CIA freigegeben.[14] Die Ergebnisse einer Aktenauswertung – im Auftrag der US-amerikanischen Regierung von Historikern durchgeführt – wurden 2005 publiziert.[15] Bereits 2001 veröffentlichte Dieter Schenk, der zuvor als Kriminalrat im BKA gearbeitet hatte, eine Untersuchung zur Gründungsgeschichte des BKA.[16] Schenk kam zu dem Ergebnis, dass im Jahr 1959 von 47 leitenden BKA-Beamten 45 eine nationalsozialistische Vergangenheit hatten. Ungefähr die Hälfte, darunter auch Saevecke, seien als NS-Verbrecher im kriminologischen Sinne zu betrachten.

In Verhören nach seiner Gefangennahme gab Saevecke seine Beteiligung an den Erschiessungen in Mailand und Corbetta zu, verschwieg jedoch seine Rolle bei der Tötung und Deportation von Juden. Saevecke wurde im Lager Dachau interniert. Anfang Oktober 1947 wurde Saevecke aus amerikanischer in britische Obhut überstellt, da von britischer Seite eine Anklage wegen der in Italien verübten Morde vorbereitet wurde. Im November 1947 erklärte die britische Behörde, es bestünde kein Interesse an einer Anklageerhebung und übergaben Saevecke wieder den Amerikanern. Saevecke sei nicht Mitglied einer verbrecherischen Organisation gewesen, so die britischen Behörden. Zu diesem Zeitpunkt war die SS im Nürnberger Prozess zur verbrecherischen Organisation erklärt worden; den Briten war die SS-Mitgliedschaft Saeveckes aus Vernehmungen im Juni 1945 bekannt. Saevecke gab an, er sei die ganze Zeit des Krieges einfacher Polizeibeamter in Berlin gewesen. Die mit der Auswertung der CIA-Akten befasste Historikergruppe spricht von „klarer Schönfärberei“ und kommt zu dem Schluss, dass Saevecke bereits zu diesem Zeitpunkt unter dem Schutz amerikanischer Nachrichtendienste gestanden haben muss.[17] Ein interner Bericht der CIA vom 24. Oktober 1950 lässt erkennen, dass der CIA auch Saeveckes Beteiligung an der Verfolgung der Juden in Tunesien bekannt war.

Im April 1948 wurde Saevecke aus der Internierung in Dachau entlassen. In der Entnazifizierung wurde am 25. August 1950 vom Spruchausschuss in Berlin „mit Rücksicht auf dreijährige Internierung eine Sühnezeit von 18 Monaten verhängt“.[18] Im beginnenden Kalten Krieg wurde Saevecke beim Berliner CIA-Stützpunkt unter dem Decknamen „Cabanjo“ eingestellt. Im Gegensatz zu anderen ehemaligen Nationalsozialisten war Saevecke offenbar eine wertvolle nachrichtendienstliche Quelle und verfügte zudem bereits über einschlägige praktische Erfahrungen. Seine politischen Ansichten verschwieg Saevecke der CIA nicht: Saevecke sehne sich nach den Tagen zurück, in denen die NSDAP an der Macht war, so einer seiner Führungsoffiziere bei der CIA an Richard Helms; er sei der Ansicht, dass die Grundsätze des Nationalsozialismus richtig gewesen seien.[19] Einem CIA-Vermerk vom Januar 1953 zufolge stand Saevecke zu seinem Vorgehen gegen die italienischen Partisanen. Für ihn seien die Partisanen Kommunisten gewesen, und die alliierte Unterstützung der Partisanen sei beklagenswert töricht gewesen. Es sei wenig sinnvoll, mit Saevecke hierüber zu streiten, da die Geschichte möglicherweise beweisen würde, dass er recht gehabt habe. Generell sei Nationalsozialismus ein Thema, das man Saevecke gegenüber besser vermeide.[20]

Kriminalrat beim Bundeskriminalamt

Noch im August 1951 gingen die CIA und Saevecke gleichermaßen davon aus, dass eine Rückkehr Saeveckes in den westdeutschen Polizeidienst unmöglich sei.[21] Wie und wann genau Saeveckes Beschäftigung beim Bundeskriminalamt zustande kam, steht nicht eindeutig fest: Nach den CIA-Unterlagen arbeitete Saevecke ab 1952 oder 1953 als „freier Mitarbeiter“ für das BKA. In diesen Jahren habe ein System „freier Mitarbeiter“ bestanden, mit denen belastete Personen – darunter eine beträchtliche Anzahl ehemals für die Gestapo Tätiger – von der westdeutschen Regierung beschäftigt wurden. Das System „freier Mitarbeiter“ sei geschaffen worden, um Regelungen des Beamtenrechtes zu umgehen. Nach anderen Angaben arbeitete Saevecke ab 15. Dezember 1951 für das BKA.[22] An Saeveckes Einstellung sei fast die gesamte Spitze des Bundesinnenministeriums beteiligt gewesen, darunter der Minister Gerhard Schröder (CDU) und der Staatssekretär Hans Ritter von Lex. Zunächst im Ermittlungsdienst beschäftigt, wurde Saevecke im August 1952 zum Kriminalkommissar, 1956[23] zum Kriminalrat befördert und zum Leiter des Referats Hoch- und Landesverrat bestellt.

1954 wurde in Italien Saeveckes Verhaftung wegen Kriegsverbrechen gefordert.[24] Das Bundesinnenministerium suspendierte Saevecke und leitete ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Die CIA gab die entlastenden britischen Untersuchungen von 1947 an das Bundesinnenministerium weiter. Saevecke wurde dabei aufgetragen, er solle die Unterstützung durch die CIA den deutschen Behörden gegenüber nicht offenbaren. Der amerikanische Geheimdienst befürchtete, es könne auf deutscher Seite erkannt werden, dass die USA einen Spion im deutschen Sicherheitssystem unterhalte. Der Personalreferent des Innenministeriums kam vor Ort in Italien zu dem Ergebnis, die Zeugenaussagen seien widersprüchlich, beruhten weitgehend auf Hörensagen und es sei nicht mit ausreichender Sicherheit nachzuweisen, dass Saevecke an Übergriffen auf Juden und politische Gefangene beteiligt gewesen sei.[25] 1955 wurde das Disziplinarverfahren nach neun Monaten aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Im Oktober 1962 war Saevecke, mittlerweile stellvertretender Leiter der Sicherungsgruppe Bonn des BKA, in führender Funktion am Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen das Nachrichtenmagazin Der Spiegel beteiligt.[26] Saevecke leitete – in Vertretung seines im Ausland weilenden Chefs Ernst Brückner – seit dem 27. Oktober 1962 die Aktion, die sich zur „Spiegel-Affäre“ ausweitete. Dabei war er an der Verhaftung des stellvertretenden Chefredakteurs Conrad Ahlers in Spanien beteiligt. Ahlers wurde unter Einschaltung von Interpol verhaftet, obwohl Interpol beim Vorwurf des Landesverrates nicht tätig werden durfte. Nach Angaben des Spiegels setzte sich Saevecke später dafür ein, „den inhaftierten SPIEGEL-Journalisten das ungewohnte Gefängnisleben zu erleichtern.“[27] Seinem Vorgesetzten Ernst Brückner machte Saevecke später schwere Vorwürfe: „Für dessen [Brückners] Verhalten bei der Einleitung der Spiegel-Sache ich wenigstens im Hinblick auf den Grund der Kampagne zwei Jahre büßen musste und der nicht den Mut fand zu sagen, ich bin der Leiter der Dienststelle, ich habe das Feuer mit geschürt, ich habe bis zur Nacht die entscheidenden Gespräche geführt und Saevecke war nicht einmal mein Stellvertreter. Mut kann man nicht erlernen, und die Schüsse gegen mich verdeckten gut die Spur“,[28] so Saevecke später in einem Schreiben an den neuen BKA-Chef Paul Dickopf.

Saeveckes Rolle in der „Spiegel-Affäre“ führte zu Presseberichten, die seine nationalsozialistische Vergangenheit thematisierten. Im Februar 1963 forderte der Mailänder Stadtrat in einem einstimmig verabschiedeten Telegramm an Ministerpräsident Fanfani einen Prozess gegen Saevecke.[29] Am 6. März 1963 beschäftigte sich der Deutsche Bundestag mit Saevecke.[30] In einer Fragestunde bezeichnete Bundesinnenminister Hermann Höcherl Saevecke als „befähigten Beamten“, wertete die „SS-Zugehörigkeit von Saevecke als unfreiwillige Dienstgradangleichung“ und sah den BKA-Beamten „rehabilitiert“, so habe die Spruchkammer in der Entnazifizierung 1950 entschieden. Nachdem ein Bonner Ministerialbeamter erneut in Italien Zeugen gehört hatte, leitete Innenminister Höcherl am 24. April 1963 ein zweites Disziplinarverfahren ein.[29] Saevecke ließ über einen Beamten der Sicherungsgruppe in Bonn bei der CIA anfragen, wer nach seiner nationalsozialistischen Vergangenheit recherchiere.[31] Die CIA begann mit Nachforschungen, war sich aber unsicher, ob sie diese Informationen an Saevecke weiterleiten solle. Gegenüber den 1950er Jahren hatte sich die Haltung der CIA gegenüber Personen mit nationalsozialistischer Vergangenheit gewandelt: Dieser Personenkreis wurde für erpressbar gehalten und als potentielle Doppelagenten gesehen, so wie der 1961 enttarnte KGB-Agent Heinz Felfe. Tatsächlich hatte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR Nachforschungen zu Saevecke anstellen lassen.[32] Die Abteilung I der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) hatte ab 1961 – allerdings mit geringem Erfolg – zu Saeveckes Rolle in Polen ermittelt. Anhand der HVA-Unterlagen kann nachgewiesen werden, dass Saevecke beim deutschen Angriff auf Polen zur Einsatzgruppe VI gehörte. Die HVA stellte ihre Nachforschungen offenbar 1976 ein.

1964 wurde das zweite Disziplinarverfahren gegen Saevecke aus Mangel an Beweisen eingestellt. Nach den CIA-Unterlagen gab es eine Vereinbarung zwischen Saevecke und dem BKA, wonach er bis zu seiner Pensionierung 1971 auf einem weniger exponierten Dienstposten eingesetzt werden solle. Ermittlungen der westdeutschen Justizbehörden führten nicht zu einer Anklage: In Berlin wurde gegen Saevecke im Verfahren gegen die Führungsebene des Reichssicherheitshauptamtes ermittelt.[33] Die Ermittlungen gegen Saevecke wurden am 9. Februar 1967 eingestellt: Es könne nicht widerlegt werden, dass Saevecke nicht zum Referat V A2 für vorbeugende Verbrechensbekämpfung gehört habe. Zwei weitere Ermittlungsverfahren – die Geiselerschießungen in Mailand betreffend – wurden 1971 und im Mai 1989 eingestellt.[34] Einem Ermittlungsvermerk der Polizei vom August 1960 zufolge hatte Saevecke erklärt, dass er für eine Aussage eine Genehmigung seiner damaligen Behörde benötige. Niemand könne ihn von seiner Schweigepflicht entbinden, da diese Behörde nicht mehr existiere.[35]

Verurteilung in Italien

In Italien wurden im Mai 1994 – auf der Suche nach Unterlagen zu Erich Priebke – auch Akten zu Ermittlungen gegen Saevecke aus der Zeit vor 1960 wiedergefunden.[36] Ein zum Aktenfund im – so Presseberichte – „Schrank der Schande“ eingesetzter parlamentarischer Untersuchungsausschuss blieb sich über die Hintergründe uneinig. Nach einer internen Untersuchung der italienischen Militärjustizbehörden hatte der Chef dieser Behörde im Januar 1960 die „einstweilige Archivierung“ der Akten angeordnet. Betroffen waren Unterlagen über 2.274 Verbrechen in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, die nach den gesetzlichen Vorschriften an die zuständigen Staatsanwaltschaften weiterzuleiten waren. Mitte der 1960er Jahre wurden etwa 1.300 Fälle abgearbeitet. 695 Akten verblieben im Sitz der Militär-Generalstaatsanwaltschaft in Rom in einem Schrank, der – mit der Schranktür zur Wand – zusätzlich mit einem Eisengitter abgesichert wurde.

Nach dem Aktenfund wurden im November 1997 in Italien Vorermittlungen gegen Saevecke eingeleitet, der zur dieser Zeit als Pensionär in Bad Rothenfelde bei Osnabrück lebte.[37] Einer Aufforderung der italienischen Behörden, sich zur Verfügung des zuständigen Turiner Militärgerichts zu halten, kam Saeveke nicht nach. Eine Auslieferung Saeveckes an Italien unterblieb, da deutsche Staatsangehörige gemäß dem Grundgesetz nicht ausgeliefert werden dürfen. Am 9. Juni 1999 wurde Saevecke vom Turiner Militärgericht wegen der Geiselerschießungen im August 1944 in absentia zu lebenslanger Haft verurteilt. Saevecke starb 2000.

Literatur

  • Dieter Schenk: Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001, ISBN 3-462-03034-5.
  • Timothy Naftali: The CIA and Eichmann’s Associates. In: Richard Breitman, Norman J. W. Goda, Timothy Naftali, Robert Wolfe (Hrsg.): U.S. Intelligence and the Nazis. Cambridge University Press, Cambridge 2005, ISBN 0-521-61794-4, S. 337-374.
  • Klaus-Michael Mallmann, Martin Cüppers: Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina. (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart. Band 8) Wiss. Buchgesellschaft WBG, Darmstadt 2006, ISBN 3-534-19729-1.

Einzelnachweise

  1. Angaben zum Lebenslauf bei: „Vom Windjammer zum Sturm aufs Pressehaus. Der Lebenslauf des Bonner Regierungskriminalrates Theo Saevecke.“, in: Der Spiegel 24/1963 (12. Juni 1963), S. 25;
    Mallmann, Cüppers, Halbmond, S. 202; Schenk, Auge, S. 267f, 348; Naftali: CIA, S. 354f; Ernst Klee: Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 518.
  2. Lebenslauf vom 25. Juni 1940, zitiert nach Der Spiegel, „Windjammer“, S. 25.
  3. Saevecke als Zeitzeuge zur Fernsehfahndung: Deutschlandfunk 12. Juni 1998.
  4. Im Lebenslauf vom 25. Juni 1940 schrieb Saevecke: „Meine Übernahme zur SS schwebt bei der SD Dienststelle in Posen.“ Zitiert nach Der Spiegel, „Windjammer“, S. 25.
  5. Schenk, Auge, S. 267f, 287f.
  6. Interner Schriftverkehr der CIA vom 6. Januar 1964; siehe Naftali: CIA, S. 354, 371.
  7. Schenk, Auge, S. 348 unter Bezug auf ein Telefonverzeichnis des RSHA.
  8. Mallmann, Cüppers, Halbmond, S. 207.
  9. a b Begründung der Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes I. Klasse durch Karl Wolff am 22. März 1944. zitiert nach: Schenk, Auge, S. 268.
  10. a b Naftali, CIA, S. 355.
  11. Schenk, Auge, S. 269, Zur Geiselerschießung siehe auch: „Der dritte von links.“, in: Der Spiegel 24/1963 (12. Juni 1963), S. 22-26; „Exekution am Morgen.“, in: Der Spiegel 25/1998 (15. Juni 1998), S. 66-68.
  12. Bild der Erschossenen in der italienischen Wikipedia. Die Leichen wurden bis zum Abend des 10. August 1944 auf dem Platz liegen gelassen.
  13. Naftali: CIA, S. 355, bezugnehmend auf ein Verhörprotokoll vom 4. Juni 1945. Verhört wurden fünf ehemalige Angehörige von Saeveckes Dienststelle in Mailand.
  14. CIA Documents/Files Declassified and Released to NARA as of 17 Mar 2004 (pdf) bei der George Washington University. Die Aktenfreigabe erfolgte gemäß dem „Nazi War Crimes Disclosure Act of 1998“.
  15. Breitman, Goda, Naftali, Wolfe: U.S. Intelligence. Die Auswertung der Akten erfolgte durch die „Nazi War Criminal and Imperial Japanese Records Interagency Working Group“ (IWG).
  16. Schenk, Auge. Das BKA erwog im August 2007 eine Aufarbeitung seiner Gründungsgeschichte. Siehe Hans Leyendecker: „Braune Wurzeln“ bei sueddeutsche.de vom 8. August 2007.
  17. Naftali, CIA, S. 356.
  18. Schenk, Auge, S. 267.
  19. Vermerk CIA-Chief Karlsruhe (Name unkenntlich gemacht) an Chief Foreign Division „M“, Richard Helms, vom 6. August 1951, zitiert bei Naftali, CIA, S. 355. Hier auch der Deckname Saeveckes und die Einschätzung seiner Arbeit durch die CIA.
  20. Vermerk CIA-Chief Bonn (Name unkenntlich gemacht) an CIA-Chief Berlin (Name unkenntlich gemacht) vom 8. Januar 1953, zitiert bei Naftali, CIA, S. 357f.
  21. Naftali, CIA, S. 356. Hier auch zum System der „freien Mitarbeiter“.
  22. Schenk, Auge, S. 266.
  23. Beförderung zum Kriminalrat nach Schenk, Auge, S. 269. Ebenda, S. 229, ein Organigramm des BKA vom 31. Oktober 1954, in dem Saevecke als Kriminalrat bezeichnet wird.
  24. Naftali, CIA, S. 357ff.
  25. Der Spiegel, „Dritte“, S. 24.
  26. Zu Saeveckes Rolle in der Spiegel-Affäre siehe Schenk, Auge, S. 261f; sowie: „Erinnerung an Tunis.“, in: Der Spiegel 9/1963 (7. Februar 1963), S. 28-30.
  27. Der Spiegel, „Erinnerung“, S. 30.
  28. Schreiben von Theo Saevecke an Paul Dickopf vom 7. März 1965, zitiert nach Schenk, Auge, S. 262.
  29. a b Der Spiegel, „Dritte“, S. 26.
  30. Auszüge aus dem Bundestagsprotokoll bei Schenk, Auge, S. 264.
  31. Naftali, CIA, S. 359 bezugnehmend auf internen CIA-Schriftverkehr vom 30. April 1963. Hier auch zur Haltung der CIA in den 1960er Jahren.
  32. Schenk, Auge, S. 287f.
  33. Schenk, Auge, S. 348.
  34. Der Spiegel, „Exekution“, S. 68.
  35. Schenk, Auge, S. 270.
  36. Georg Bönisch, Carsten Holm, Hans-Jürgen Schlamp: „Schrank der Schande“ (pdf), in: Der Spiegel 17/2001 (23. April 2001), S. 56-58. Den Autoren des Spiegelbeitrags lag eine interne Untersuchung der italienischen Militärjustizbehörden vor.
    Carla Giacomozzi, Guido Salvini: „Schrank der Schande” bei www.gemeinde.bozen.it.
    Wolfgang Most: Der Schrank im Palazzo Cesi - Späte Prozesswelle gegen ehemalige deutsche Soldaten in Italien bei www.resistenza.de.
  37. Der Spiegel, „Exekution“, S. 66ff.

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