Dienstgradangleichung

Dienstgradangleichung

Als Dienstgradangleichung wurde in der Zeit des Nationalsozialismus die Beförderung von Polizisten in der Schutzstaffel (SS) zu einem SS-Dienstgrad verstanden, der ihrem Polizeidienstgrad entsprach. Nach 1945 wurde der Begriff benutzt, um die SS-Mitgliedschaft von Polizisten als unter Zwang zustande gekommen zu erklären und als Folge einer kollektiven Übernahme von Polizisten in die SS darzustellen.

Inhaltsverzeichnis

Zeit des Nationalsozialismus

Am 17. Juni 1936 wurde der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, in das neugeschaffene Amt des Chefs der Deutschen Polizei eingesetzt. In den folgenden Jahren war Himmler bestrebt, möglichst viele Angehörige der Ordnungspolizei und der Sicherheitspolizei zum Eintritt in die SS zu bewegen. Ziel war, so ein Runderlass Himmlers vom 23. Juni 1938, die „Verschmelzung der Angehörigen der Deutschen Pol. mit der Schutzstaffel der NSDAP zu einem einheitlich ausgerichteten Staatsschutzkorps des Nationalsozialistischen Reiches“.[1] Die angestrebte Verschmelzung wurde auf dem Reichsparteitag 1938 sichtbar, als die Ordnungspolizei beim „Tag der Braunen Armee“ einen Marschblock zwischen der Allgemeinen SS und der SS-Verfügungstruppe bildete. Verschiedene Erlasse Himmlers erleichterten den Eintritt von Polizisten in die SS: So konnten ab 16. Juni 1938 Ordnungspolizisten unter „Außerachtlassung der Größe und des Alters“[2] in die SS aufgenommen werden. Für Sicherheitspolizisten bestand ab dem 23. Juni 1938 eine Aufnahmemöglichkeit, wenn die drei Jahre in der Sicherheitspolizei Dienst getan hatten.[1] In einem Schreiben an Ernst Kaltenbrunner wünschte Himmler am 24. April 1943 die Aufnahme eines Beamten der Sicherheitspolizei nur dann, wenn er sich „wirklich freiwillig meldet“ und „bei der Anlegung eines scharfen friedensmäßigen Maßstabes rassisch und weltanschaulich in die SS paßt“.[3] Himmlers Erlasse und Äußerungen zeigen Widersprüche: Einerseits sollte eine möglichst hohe Anzahl von Polizisten der SS beitreten. Dem stand andererseits der elitäre Anspruch der SS, die sich als Auslese nach nationalsozialistischen Vorstellungen verstand, entgegen.

Unterschieden werden muss die Aufnahme von Polizeiangehörigen in die SS und die darauf folgende Beförderung zu einem SS-Dienstgrad, der ihrem Polizeirang entsprach.[4] Nur letzteres wurde in der Zeit des Nationalsozialismus als Dienstgradangleichung bezeichnet. Die Dienstgradangleichung erfolgte dabei häufig, jedoch nicht in jedem Fall. Dem Beitritt von Polizisten zur SS ging ein Bewerbungs- und Aufnahmeverfahren unter Beteiligung der Bewerber voraus. Zugleich fand eine weltanschauliche Überprüfung des Bewerbers und seiner Zuverlässigkeit als Nationalsozialist statt. Zumindest zeitweise scheint Druck auf Polizisten ausgeübt worden zu sein, eine SS-Mitgliedschaft anzustreben.[5]

Nach Kriegsende

Nach 1945 rechtfertigten sich viele Polizisten, sie seien zum Eintritt in die SS gezwungen worden, ihren Dienstgrad hätten sie ohne eigenes Zutun erhalten.[6] Diese Behauptung wurde für die Ordnungspolizei erstmals von Adolf von Bomhard, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei, in einer Zeugenaussage im Nürnberger Prozess aufgestellt.[7] Otto Hellwig, vor 1945 Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF), verfasste während der Internierung im Januar 1948 eine eidesstattliche Erklärung, wonach Dienstgradangleichungen nicht auf Antrag, sondern ohne Befragung automatisch durchgeführt worden war.[8] Diese Erklärung wurde von einer Vielzahl von Polizeibeamten benutzt, so auch von Paul Dickopf, der von 1965 bis 1971 Präsident des westdeutschen Bundeskriminalamtes (BKA) war. Im September 1950 wandte sich der frühere Generalmajor der Ordnungspolizei, Rudolf Mueller, an Bundesinnenminister Heinemann, um für die Übernahme ehemaliger Polizeibeamter in die neugebildete Bereitschaftspolizei zu werben: Aus Muellers Sicht hatten die Polizeioffiziere ihren „SS-Titel ohne ihr Zutun angenommen […], denn eine Weigerung hätte die Beseitigung des betreffenden Offiziers, Konzentrationslager und Anwendung der Sippenhaft nach sich gezogen.“[9] Als am 6. März 1963 die nationalsozialistische Vergangenheit des BKA-Beamten Theo Saevecke Gegenstand einer Fragestunde im Deutschen Bundestag war, erklärte Bundesinnenminister Hermann Höcherl unter Berufung auf ein Entnazifizierungsverfahren, „dass die SS-Zugehörigkeit von Saevecke als unfreiwillige Dienstgradangleichung zu werten sei.“[10] Derartige Darstellungen bestätigten sich nicht, als Hans Buchheim vom Institut für Zeitgeschichte im September 1960 in einem Gutachten Quellen aus der Zeit des Nationalsozialismus auswertete.

Übersicht der Dienstgrade von SS und Ordnungspolizei

Schutzstaffel[11] Polizei (1936-1941)[12] Polizei (1941-1945)
Führer (Polizeioffiziere)
Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei
Oberstgruppenführer (seit 1942) - Generaloberst der Polizei
Obergruppenführer General der Polizei General der Polizei
Gruppenführer Generalleutnant Generalleutnant der Polizei
Brigadeführer Generalmajor Generalmajor der Polizei
Oberführer (Oberst) (Oberst)
Standartenführer Oberst Oberst
Obersturmbannführer Oberstleutnant Oberstleutnant
Sturmbannführer Major Major
Hauptsturmführer Hauptmann Hauptmann
Revierhauptmann
Obersturmführer Oberleutnant Oberleutnant
Revieroberleutnant (seit 1939, vorher Inspektor)
Untersturmführer Leutnant Leutnant
Revierleutnant (seit 1939, vorher Obermeister)
Unterführer
Sturmscharführer (seit 1938) Oberinspektor (etwa 1936 bis 1939 existierend)
Inspektor
Obermeister
Meister
Meister
Hauptscharführer Hauptwachtmeister Hauptwachtmeister
Oberscharführer Revieroberwachtmeister (Schupo)
Bezirksoberwachtmeister (Gendarmerie)
Zugwachtmeister (kasernierte Bereitschaften)
Revieroberwachtmeister (Schupo)
Bezirksoberwachtmeister (Gendarmerie)
Zugwachtmeister (kasernierte Bereitschaften)
Scharführer - Oberwachtmeister
Unterscharführer Oberwachtmeister Wachtmeister
Männer
Rottenführer Wachtmeister über 4 Dienstjahren Rottwachtmeister
Sturmmann Wachtmeister unter 4 Dienstjahren Unterwachtmeister
SS-Mann - Polizeianwärter (nach sechs Monaten)
SS-Anwärter - Polizeianwärter

Zum Vergleich siehe auch die Übersicht über die Dienstränge der militärisch und paramilitärisch organisierten Verbände im Dritten Reich.

Die Dienstgrade bis einschließlich Oberst führten zusätzlich die Bezeichnung der Organisationseinheit, beispielsweise Wachtmeister der Gendarmerie, Oberleutnant der Schutzpolizei.

Einzelnachweise

  1. a b Runderlass des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei vom 23. Juni 1938 (RMBliV. S. 1089), zitiert nach Buchheim, Aufnahme, S. 177f.
  2. Runderlass des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei vom 16. Juni 1938 (RMBliV. S. 1007), zitiert nach Buchheim, Aufnahme, S. 176. Mit Größe ist die Körpergröße gemeint.
  3. Schreiben Himmlers an Kaltenbrunner vom 24. April 1943, zitiert nach Buchheim, Aufnahme, S. 179. (Nürnberger Dokument 2768-PS)
  4. Buchheim, Aufnahme, S. 174, 181.
  5. Buchheim, Aufnahme, S. 177, 181. Siehe auch Stefan Noethen: Alte Kameraden und neue Kollegen. Polizei in Nordrhein-Westfalen 1945-1953. Klartext Verlag, Essen 2002, ISBN 3-89861-110-8, S. 34.
  6. Stefan Noethen, Kameraden, S. 34. Ebenda S. 173-419 zahlreiche Beispiele.
  7. Stefan Noethen, Kameraden, S. 478.
  8. Dieter Schenk: Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA., Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2001, ISBN 3-462-03034-5, S. 70f.
  9. Schreiben Mueller an Heinemann, zitiert nach Stefan Noethen, Kameraden, S. 487.
  10. Bundesinnenminister Höcherl in einer Fragestunde des Bundestages vom 6. März 1963, zitiert nach Schenk, Auge, S. 264.
  11. Vgl. die Angaben mit dem (hinsichtlich der Polizei-Dienstgrade fehlerhaften <!>) Inneneinband der Urteilssammlung DDR-Justiz und NS-Verbrechen. Amsterdam, Amsterdam Univ. Press, Amsterdam 2002, ISBN 90-5356-540-X, entnommen.
  12. Ingo Löhken : Die Polizeiuniformen in Preussen 1866-1945. Monarchie, Weimarer Republik, Drittes Reich, Podzun-Palast-Verlag, Friedberg 1986, ISBN 3-7909-0267-5

Literatur

  • Hans Buchheim: Die Aufnahme von Polizeibeamten in die SS und die Angleichung ihrer SS-Dienstgrade an ihrer Beamtenränge (Dienstgradangleichung) in der Zeit des Dritten Reiches. Gutachten vom September 1960. In: Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.): Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte. Band II, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1966, S. 172-181.

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