Skírnismál

Skírnismál
Seite aus dem Skírnismál.

Das Lied von Skírnir (altnordisch Skírnismál (Skm) oder Skírnisför) wird frühestens in das späte 12. Jahrhundert datiert, besonders die Verwendung der Runennamen sprechen für eine sehr späte Entstehung.

Inhaltsverzeichnis

Aufbau

Das eigentliche Gedicht besteht aus 42 Strophen, die im eddischen Versmaß Ljóðaháttr verfasst sind, und welche die ganze Handlung als einen Dialog präsentieren, den größten Teil zwischen Skírnir und Gerðr. Eine Kurzform dieses Dialogs hat Snorri in die Gylfaginning aufgenommen (Gylf 36).

Inhalt

Der Dichter berichtet in diesem Lied von einer außergewöhnlichen Brautwerbung, während der ein Diener Freyrs, eben Skírnir, für diesen um die Riesentochter Gerðr freit, deren Einwilligung aber letztlich nur durch magischen Zwang erreichen kann. Nachdem Gerðr die Geschenke Freyrs, elf goldene Äpfel und den Ring Draupnir abgelehnt hat, greift Skírnir zu seinem letzten Mittel und droht der Riesin mit Þ-Runen (th-Rune Þuroíaz), die er ritzen will, um sie in Schande und Irrsinn zu stoßen (Skm 36). Eine aus wenigen Sätzen bestehende, kurze Prosaeinleitung, ähnlich der der Grímnismál, schildert die Ausgangssituation: Freyr erblickte von Óðinns Hochsitz Hliðskjálf, der es erlaubt, die ganze Erde zu überschauen, die schöne Gerðr, in die er sich verliebte. Aus dieser Liebe erwuchs ihm eine tiefe Depression, da er Gerðr nicht besitzen konnte. Freyrs Vater Njörðr beauftragte dessen Diener Skírnir, seinen Sohn zu bewegen, seine Sorgen mitzuteilen. In der Folge erhielt Skírnir dann den Auftrag, nach Jötumheimr aufzubrechen, um für Freyr um die Riesin zu werben, und erhielt dafür dessen Schwert und Pferd sowie einige Geschenke.

Deutung

Magnus Olsen[1] sah darin 1909 die Darstellung der Wiedererweckung der Erdgöttin, die im Winterschlaf ruht und im Frühjahr von der Sonne wieder zum Leben erweckt wird, um zu Ergrünen, Blühen und Früchte zu tragen. Freyr, der Gott der Fruchtbarkeit, möchte sich mit Gerðr, der Göttin der Erde, vermählen, schafft es jedoch nicht sie zu erwecken und bittet daher Skimir, die Sonnenstrahlung, hier als Naturkraft (= Thurse = Riese) dargestellt, um Hilfe. Skimir schafft es Gerðr zu erwecken, die sich daraufhin mit Freyr vermählen kann und fruchtbar wird. Diese Art der göttlichen Vereinigung wird auch Heilige Hochzeit Hieros gamos genannt.

Die Namen der Götter und Thursen in dieser Geschichte haben folgende Bedeutung. Der Name Freyr bedeutet Herr. Der Name seiner Schwester Freya bedeutet Frau. Der Name des Thursen (Riesen) Skimir bedeutet Sonnenstrahlung. Und der Name Gerðr bedeutet die Umzäunte, gemeint ist das eingezäunte Feld.

Andere Deutungen

In den 80er Jahren deuteten andere Forscher diesen Mythos als Beispiel hochmittelalterlicher Liebesdichtung, die die Spannung zwischen Ehe als gesetzlicher Institution und der Liebe zwischen Mann und Frau als individuelle Leidenschaft zum Ausdruck bringe.[2]

Lotte Motz[3] geht davon aus, dass diese Mythe eine Repräsentation des Æsir-Vanir-Kriegs sein könnte: die Æsir, vertreten durch Freyr, die Vanir klassifiziert durch Gerðr. In der altnordischen Mythologie tritt Freyr aber nirgendwo als Eroberer auf (selbst in der Skírnismál benötigt er ein alter ego), und auch der Liebesschmerz und die Depression passen nicht recht in diese Deutung.

Steinsland hat neuerdings diese Dichtung von der Königsideologie her gedeutet. Freyr hat sich auf dem Hochsitz niedergelassen und hat die Herrschaftsinsignien Ring, Apfel und Stab (Szepter) bei sich, die er dann Skírnir mitgeben wird. In der Ynglinga saga Kap. 10 wird gesagt, dass der erste König Fjolne seinen Ursprung in der Verbindung von dem Gott Freyr und der Riesin Gerðr im Wald Barre hat. Den Ursprung eines Königsgeschlechtes in einem hieros gamos anzusiedeln ist gängige Königsideologie. So führt sich das Geschlecht der Ladejarle im Háleygjatal des Skalden Eyvind Finnsson auf die Verbindung zwischen dem Gott Odin und der Riesin Skade zurück, aus der der Stammvater Sæming hervorgeht. Das Motiv der Gewalt deutet Steinsland als das Bild für die Unterwerfung des Herrschaftsgebietes.

Figuren der Dichtung

  • Æsir, die Angehörigen des Pantheons der altnordischen Götterfamilie, vorwiegend Götter des Krieges und der patrimonalen Herrschaft; sie sind Götter der Erhaltung und Ordnung der Schöpfung
  • Vanir, die neben den Æsir zweite große Götterfamilie, die als germanische Fruchtbarkeitsgötter gelten und von der Bevölkerung um gute Ernte, Sonne, Regen und guten Wind gebeten wurden (v.a. Njörðr, Freyr und Freyja, die am Ende des Æsir-Vanir-Krieg als Geiseln zu den Æsir kamen)
  • Freyr (altnordisch Herr), Sohn des Njörðr und Bruder der Freyja, der bedeutendste Gott der Vanir und Fruchtbarkeitsgott der germanischen Mythologie; ihm gehört das Schiff Skíðblaðnir und der Eber Gullinborsti
  • Skírnir (altnordisch der Strahlende), Diener und Bote des Gottes Freyr, der für diesen um die Riesentochter Gerðr wirbt
  • Njörðr, einer der Götter der Vanir, der über Wind, das Meer (reicher Fischfang), aber auch über das Feuer gebietet und Reichtum verleihen soll; er ist der Vater des Geschwisterpaars Freyr und Freyja
  • Gerðr, die Tochter des Riesen Gymnir, eine Erdgöttin und Partnerin des Fruchtbarkeitsgottes Freyr

Fußnoten

  1. Magnus Olsen 1909.
  2. Lönnroth, Mitchell, Bibire, Randlev.
  3. The Faces of the Goddess. Oxford 1997.

Literatur

  • Felix Genzmer: Die Edda. Götterdichtung, Spruchweisheit und Heldengesänge der Germanen. München 1996 (Skm.85-91).
  • Hans Kuhn (Hrg.): Edda. Die Lieder des Codex Regius nebst verwandten Denkmälern. II. Kurzes Wörterbuch. Heidelberg 1968.
  • Gustav Neckel (Hrg.): Edda. Die Lieder des Codex Regius nebst verwandten Denkmälern. I. Text, 5. verbesserte Auflage von Hans Kuhn. Heidelberg 1983 (Skm. 69-77).
  • Karl Simrock: Die Edda. Die ältere und jüngere Edda und die mythischen Erzählungen der Skalden. Essen, o.J. (Skm.97-103).
  • Baul Bibire: "Freyr and Gerðr. The story and its Myths." In: Rudolf Simek et al.: Sagnaskemmtun: Studies in Honour of Hermann Palsson. Wien, Köln, Graz 1986. S. 19–40.
  • [1] Carolyne Larrington, "What Does Woman Want? Mær and munr in Skírnismál", Alvíssmál 1 (1992): 3–16. (PDF-Datei; 252 kB)
  • [2] Heinz Klingenberg, "För Skírnis: Brautwerbungsfahrt eines Werbungshelfers", Alvíssmál 6 (1996): 21–62. (PDF-Datei; 318 kB)
  • [3] Anatoly Liberman, Review of Klaus von See et al., "Skírnismál": Modell eines Edda-Kommentars, Alvíssmál 6 (1996): 114–18. (PDF-Datei; 156 kB)
  • [4] Anne Heinrichs, "Der liebeskranke Freyr, euhemeristisch entmythisiert", Alvíssmál 7 (1997): 3–36. (PDF-Datei; 280 kB)
  • Lars Lönnroth: "Skirnismál och den förnisländska äktenskapsnormen." In: Christian Jacobsen et al. Opuscula Septentrionalia. Festskrift til Ole Widding 10. Oktober 1977. Kopenhagen 1978. S. 154–178.
  • Stephen Mitchell: "För Skirnis as Mythiological Model: Frið at kaupa." In: Arkiv for nordisk filologi 98 (1983) S. 108–122.
  • Julie Randlev: "Skírnismál. En tekst – og dens udsagn; digtning og tradition." In: Maal og Minne 1985. S. 132–158.
  • Gro Steinsland: "Die mythologische Grundlage für die nordische Königsideologie." In: Heinrich Beck, Detlev Ellmers, Kurt Schier (Hrg.): Germanische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme. Berlin 1992. Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Bd. 5. S.736–751.

Weblinks

 Wikisource: Skírnismál – Quellen und Volltexte

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