Sonderrechtsverhältnis

Sonderrechtsverhältnis

Als Sonderrechtsverhältnis (oder Sonderstatusverhältnis) bezeichnet man in der deutschen Rechtswissenschaft einen Zustand der gesteigerten Bindung des Bürgers an den Staat, welche in ihrer Intensität über die normale Bindung des Bürgers an den Staat (allgemeines Gewaltverhältnis) hinausgeht. Die Bezeichnung als besonderes Gewaltverhältnis wird heute meist vermieden, weil damit weitergehende inhaltliche Aussagen assoziiert werden, die ganz überwiegend nicht mehr geteilt werden.

Inhaltsverzeichnis

Beispiele

Kein besonderes Gewaltverhältnis wird begründet durch die Benutzung einer Anstalt (Beispiel: Museum), da hierdurch überhaupt keine oder nur eine sehr kurze gesteigerte Bindung des Bürgers an den Staat entsteht.

Wirkungen

Im Sonderrechtsverhältnis können Grundrechte eingeschränkt sein. Dies muss sich grundsätzlich aus einem grundrechtsbeschränkenden Parlamentsgesetz ergeben (Eingriffsermächtigung). Heutzutage unterscheidet man zwischen dem sogenannten Grundverhältnis und Betriebsverhältnis. Im Grundverhältnis ist jede Person Bürger und somit Grundrechtsträger. Nur im Betriebsverhältnis soll z. B. ein Beamter oder ein Schüler dem Staat als Teil der eigenen Organisation gegenübertreten, so dass er auch nicht Grundrechtsträger wäre.

Geschichte des Sonderrechtsverhältnisses

In einer Demokratie ist Fremdbestimmung zwar ausgeschlossen; doch auch in einer Demokratie gibt es Bereiche der Fremdbestimmung, denen eine demokratische Bestimmung zugesprochen wird; Beispiele sind etwa Gefängnisse, Gewaltapparate (Polizei, Militär) sowie psychiatrische Anstalten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte im deutschen Verwaltungsrecht die Ansicht vor, dass der diesen Bereichen Unterworfene auf die Ausübung seiner Grundrechte freiwillig verzichte. Er sei nicht Teil der Gesellschaft, sondern Teil des Staates und damit nicht grundrechtsberechtigt, sondern grundrechtsverpflichtet. Dies war mit der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis gemeint.

Nach der heute herrschenden Auffassung seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1972,[1] stehen jedoch auch Personen in Sonderrechtsverhältnissen die Grundrechte prinzipiell zu. Die Grundrechte können eingeschränkt werden, allerdings nur so weit, wie der Zweck des betreffenden Sonderrechtsverhältnisses dieses erfordert. Besondere Gewaltverhältnisse im eigentlichen Sinn gibt es also nicht mehr.

Beispiel: Die Einschränkung des Briefgeheimnisses der Strafgefangenen kann erforderlich sein, um die Sicherheit und Ordnung des Gefängnisses zu wahren. Das ändert aber nichts daran, dass er zunächst einmal Träger dieses Grundrechtes ist.

Die wesentlichen Entscheidungen zur Einschränkung der Grundrechte im besonderen Gewaltverhältnis sind dabei vom Gesetzgeber selbst (Wesentlichkeitstheorie) in einem Parlamentsgesetz zu treffen (Parlamentsvorbehalt). Das Grundrecht der Menschenwürde kann auch in Sonderrechtsverhältnissen nicht eingeschränkt werden.

Beispiel: Die Frage, ob ein verbeamteter Lehrer während des Dienstes in Ausübung seiner Religionsfreiheit religiöse Kleidung tragen darf, ist so wesentlich, dass sie vom (Landes)gesetzgeber in einem Parlamentsgesetz geregelt werden muss.[2] Anders dagegen die dissentierenden Richter mit Anklängen an die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis: Die Lehrerin sei nicht Bürger, sondern Teil des Staates; ihre Freiheitsentfaltung gehe zu Lasten der Bürger, weshalb ihr die Religionsfreiheit nicht zustehe.

Zudem wird beim Rechtsschutz gegen Maßnahmen im Sonderrechtsverhältnis noch zwischen Grundverhältnis und Betriebsverhältnis unterschieden, wobei nur Akte, die das Grundverhältnis berühren, Verwaltungsakte sein sollen. Diese sind mit einer Anfechtungsklage angreifbar. Im Einzelfall kann aber auch Rechtsschutz gegen Maßnahmen im Betriebsverhältnis möglich sein, beispielsweise über eine Feststellungsklage.

Außerdem betrifft das Sonderrechtsverhältnis nur den Zeitraum, in welchem der Betreffende diesem tatsächlich unterworfen ist,

Beispiel: Einem Polizeibeamten ist es untersagt, in seiner Dienstzeit für eine Religionsgemeinschaft missionarische Haustürwerbung zu betreiben; wohl darf er dies aber in seiner Freizeit tun.[3]

Einzelnachweise

  1. BVerfGE 33, 1
  2. BVerfGE 108, 282 - Kopftuchurteil
  3. BVerwGE 30, 29-34
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