Grundrechte (Deutschland)

Grundrechte (Deutschland)
Die Grundrechte des Grundgesetzes (Ursprungsfassung) im Jakob-Kaiser-Haus

Grundrechte werden in Deutschland in der Bundesverfassung und in einigen Landesverfassungen gewährleistet. Im Grundgesetz sind die meisten Grundrechte im gleichnamigen I. Abschnitt (Artikel 1 bis 19) verbürgt. Sie sind subjektive öffentliche Rechte mit Verfassungsrang, die alle Staatsgewalten binden. Für den Fall, dass die Grundrechte verletzt werden und auch der Rechtsschutz vor den übrigen Gerichten versagt, stellt das Grundgesetz mit der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht einen außerordentlichen Rechtsbehelf bereit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG).

Ausweislich dieser Regelung kann das Bundesverfassungsgericht nicht nur gegen die Verletzung von Grundrechten angerufen werden, sondern auch bei Verletzung der „in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte“. Diese Rechte werden daher als grundrechtsgleiche Rechte bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Abgrenzung

Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz

Daneben gewährt das Grundgesetz noch weitere subjektive öffentliche Rechte, etwa die kommunale Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung in Verbindung mit Art. 140 GG). Dabei handelt es sich aber weder um Grundrechte (mangels Stellung im Grundrechtekatalog) noch um grundrechtsgleiche Rechte (mangels Erwähnung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG).

Keine Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte, ja, überhaupt keine subjektiven Rechte, sind die Staatszielbestimmungen. Sie sind objektive Wertentscheidungen der Verfassung und bilden die Richtschnur zur Auslegung der Gesetze, geben jedoch dem Bürger kein eigenes subjektives Recht. Beispiel ist hier der Umweltschutz und der Tierschutz (Art. 20a GG). Auf daneben noch mögliche andere Grundrechte, die nicht einklagbar sein würden, wurde bei Abfassung des Grundgesetzes bewusst verzichtet, um es nicht „zu verwässern“. Solche Rechte finden sich in jüngeren Landesverfassungen wie denjenigen Berlins oder Brandenburgs, z. B. das Recht auf Arbeit, das Recht auf Wohnraum oder das Recht auf Sport. Solche Grundrechte haben ihren „politischen Wert“ darin, dass sie, als in den Verfassungsrang gehoben, von jeder Regierung beachtet werden sollten (unabhängig von Parteiprogrammen oder Koalitionsvereinbarungen).

Auch in den meisten Landesverfassungen gibt es Grundrechtskataloge, die sich jeweils etwas voneinander unterscheiden, aber niemals ein durch das Grundgesetz garantiertes Grundrecht außer Kraft setzen können („Bundesrecht bricht Landesrecht“, Art. 31 GG). Solche durch Landesverfassung garantierten Grundrechte bleiben ungeachtet des Vorrangs von Bundesrecht gem. Art. 142 GG in Kraft, soweit sie in Übereinstimmung mit den Art. 1 bis Art. 18 GG stehen. Landesverfassungen, die nach dem Grundgesetz entstanden sind, verzichten oft auf einen eigenen Grundrechtskatalog.

Adressat und Träger

Gemeinsam ist den Grundrechten, dass sie primär den Staat verpflichten, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Exekutive, Legislative oder Judikative, Bund oder Land handelt. Keine Rolle spielt auch, ob der Staat unmittelbar oder mittelbar (etwa durch Selbstverwaltungskörperschaften), ob er privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich oder gar durch juristische Personen des Privatrechts tätig wird: stets ist die öffentliche Gewalt grundrechtsverpflichtet (Art. 1 Abs. 3 GG).

Nach dem Träger des Grundrechts (Grundrechtsberechtigung, persönlicher Schutzbereich) unterscheidet man die Jedermannsgrundrechte, deren Träger jeder Mensch ist (missverständlich auch als Menschenrechte bezeichnet), und die Deutschengrundrechte (auch: Staatsbürgerrechte, Deutschenrechte), die nur Deutschen zustehen. Grund für die Beschränkung ist zumeist ein besonderer Bezug zur demokratischen Willensbildung und damit zum Staatsvolk (Volkssouveränität). Unter die Deutschengrundrechte fallen etwa die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), die Freizügigkeit (Art. 11 GG) und die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) sowie im weiteren Sinne das Wahlrecht und der Zugang zu öffentlichen Ämtern. Zu beachten ist allerdings, dass „Deutscher“ hier nicht alleine auf die deutsche Staatsangehörigkeit abstellt, sondern Art. 116 GG auch die Statusdeutschen erfasst. Soweit ein Grundrecht nur für Deutsche gilt, wird jedoch auch Ausländern ein Grundrechtsschutz über die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gewährt, wobei dieser durch die größeren Einschränkungsmöglichkeiten eine geringere Schutzintensität hat. Schließlich kennt das Grundgesetz mit dem Asylrecht auch ein Grundrecht, dessen Träger nur Ausländer sein können.

Strittig ist, ob sich EU-Bürger auf die Deutschengrundrechte berufen können. Dafür spricht das Diskriminierungsverbot in Art. 18 Abs. 1 AEUV. Diese Vorschrift ordnet eine Gleichstellung aller EU-Bürger an und fordert für diese das gleiche Schutzniveau innerhalb der Gemeinschaft. Gegen eine Anwendung spricht der Wortlaut des Grundgesetzes. Hinsichtlich juristischer Personen mit Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat bejaht das Bundesverfassungsgericht eine Grundrechtsträgerschaft. Dies stelle eine „aufgrund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art. 26 Abs. 2 AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbots wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) vertraglich veranlasste Anwendungserweiterung des deutschen Grundrechtsschutzes dar“.[1][2]

Nach dem Inhalt der Grundrechte kann man sie in Freiheits- und Gleichheitsrechte einteilen.

Systematik und Statuslehre

Die Grundrechte haben eine multiple Funktion im Verfassungssystem. Aus ihnen lassen sich verschiedene subjektive Rechtspositionen ableiten, sie sind jedoch zugleich auch objektive Wertentscheidungen der Verfassung. Als solche beeinflussen sie den Staat auf allen Ebenen seines Handelns und können unmittelbar und jederzeit vom Bürger geltend gemacht werden (Art. 1 Abs. 3 GG). Sie stellen zugleich eine Rangordnung im System der Verfassungsgüter dar. Die verschiedenen Funktionen der Grundrechte beschreibt die Grundrechtstheorie.

Als Beispiel dafür lässt sich die Menschenwürde mit ihrem Dualcharakter anführen: Die Menschenwürde ist einerseits der zentrale und höchstrangige Wert des Grundgesetzes und geht allen anderen vor und ist mit keinem anderen Verfassungsgut abwägbar. Auch dem Recht auf Leben oder dem Schutz des Staates geht sie z. B. vor. Selbst wenn sie andererseits kein Grundrecht im engeren Sinne ist, lässt sich ohne Weiteres ein starker und in jeder Situation wirksamer Achtungs- und Schutzanspruch ggü. dem Staat ableiten.

Die Grundrechte sind bewusst schlagwortartig und abstrakt gehalten. Aus ihnen ist für jede Situation eine konkrete subjektive Rechtsposition ableitbar (Schutzbereich). Ausgehend von der staatsrechtlichen Statuslehre lassen sich folgende Modi grob einteilen: [3]

  • Status negativus ist ein Abwehrrecht gegen den Staat und bildet das klassische Freiheitsrecht ab, es setzt seinem Handeln Grenzen, gleich welcher Form (Bsp.: Der Staat darf den Bürger nicht fragen, ob man ein Kreuz im Klassenzimmer aufhängen dürfe, denn egal ob dafür oder dagegen, geht ihn dieses Meinungsbild nichts an. Umgekehrt darf der Bürger frei seine Meinung dazu verbreiten, der Staat braucht vor der Meinung seiner Bürger nicht geschont zu werden)
  • Status positivus ist ein Leistungs-, Teilhabe- und Schutzrecht, das den Staat zu einem bestimmten Handeln verpflichtet (Bsp.: Gewährung von Rechtsschutz durch ein effektiv funktionierendes Justizsystem; Gewährung von konsularischer Hilfe im Ausland)
  • Status activus ist ein Teilnahme- und Gestaltungsrecht innerhalb des staatlichen Gefüges (Bsp.: Teilnahme an Wahlen und indirekte Kreation von Staatsorganen)

Dieses System wird nach modernem Verfassungsverständnis zwar nicht abschließend verwendet, gilt in seinen Grundzügen gewiss fort.

Systematische Untergliederung der Grundrechte

Die Systematik der Grundrechte lässt sich untergliedern in

  • Grundrechtsarten,
  • Grundrechtsträger,
  • Anwendungsbereich der Grundrechte,
  • Funktionen der Grundrechte,
  • Rechtsschutz bei Grundrechtsverletzungen,
  • Einschränkung von Grundrechten[4].

Katalog der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte im Grundgesetz

Artikel Inhalt
1 Schutz der Menschenwürde
2 Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Freiheit der Person, Recht auf Leben, Recht auf körperliche Unversehrtheit
1, 2 Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Datenschutz), Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, Recht auf sexuelle Selbstbestimmung[5]
3 Gleichheitssatz, Gleichberechtigung
4 Glaubens- und Gewissensfreiheit
5 Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Pressefreiheit, sowie die Freiheit der Kunst und der Wissenschaft
6 Schutz von Ehe und Familie
7

Recht auf Schulwahl, auf Erteilung und Teilnahme am Religionsunterricht, zur Errichtung von Privatschulen

8 Versammlungsfreiheit
9 Vereinigungsfreiheit
10 Brief- und Postgeheimnis
11 Freizügigkeit im Bundesgebiet
12 Freiheit der Berufswahl, Verbot der Zwangsarbeit
13 Unverletzlichkeit der Wohnung
14 Eigentumsrechte
15 Vergesellschaftung, Gemeineigentum
16 Verbot von Ausbürgerung und Auslieferung
16a Asylrecht
17 Petitionsrecht
19 Abs. 4 Justizgewährleistung, Rechtsweggarantie
20 Abs. 4 Widerstandsrecht
33 Staatsbürgerliche Rechte und Pflichten, gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern
38 Wahlrecht
101 Abs. 1 Satz 1: Verbot von Ausnahmegerichten (sog. Justizgrundrecht)
Abs.1 Satz 2: Recht auf einen gesetzlichen Richter (sog. Justizgrundrecht)
103 Abs. 1: Anspruch auf rechtliches Gehör (sog. Justizgrundrecht)

Abs. 2 (lat. nulla poena sine lege): Gesetzlichkeitsprinzip, Bestimmtheitsgrundsatz, Rückwirkungsverbot (sog. Justizgrundrechte)
Abs. 3: Verbot der Doppelbestrafung (lat. ne bis in idem) (sog. Justizgrundrecht)
NN : Selbstbelastungsverbot (lat. nemo tenetur se ipsum accusare) – Niemand darf gezwungen werden, sich selbst anzuklagen, sich selbst aktiv zu belasten (Derivat aus dem Achtungsgebot der Menschenwürde – sogenanntes Justizgrundrecht)

104 Rechtsgarantien bei Freiheitsentzug; siehe auch Habeas-Corpus-Akte (sog. Justizgrundrecht)

Der Bonner Kommentar[6] betont im Zusammenhang mit Artikel 21 Abs. 1 S. 2 GG, „[d]iese für jedermann geltende besondere Parteifreiheit ist ein echtes Grundrecht.“[7]

Einschränkbarkeit

Grundrechte können eingeschränkt werden. So ist etwa die Freiheit der Person eines inhaftierten Verbrechers eingeschränkt, die Strafbarkeit der Beleidigung schränkt die Meinungsfreiheit ein usw. Grundrechte dürfen gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG nur durch ein Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden (sog. Gesetzesvorbehalt). Erfolgt eine solche Einschränkung, muss das Grundrechte einschränkende Gesetz gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG das/die Grundrecht/e unter Angabe des Artikels nennen (Zitiergebot). Manche Grundrechte, wie die Gewissens-, Kunstfreiheit oder das Versammlungsrecht in geschlossenen Räumen, sehen keinen solchen Gesetzesvorbehalt vor. Das zuletzt genannte Versammlungsrecht unterliegt u. a. einer grundrechtsimmanenten Schranke. Dies bedeutet, dass die Voraussetzung seiner Gewährung direkt im Grundrecht bezeichnet ist (Art. 8 Abs. 1 GG, friedlich und ohne Waffen). Des Weiteren unterliegen Grundrechte verfassungsimmanenten Schranken, können also im Falle kollidierenden Verfassungsrechts gegenseitig insoweit eingeschränkt werden, als dass alle miteinander kollidierenden Grundrechte grundsätzlich trotz Kollision ausgeübt werden können (praktische Konkordanz). Auch insoweit bedarf es aber eines Gesetzes, um die kollidierenden Rechtsgüter optimal abzugleichen (Vorbehalt des Gesetzes).

Nur die Menschenwürde ist nach herrschender Ansicht als Höchstwert der Verfassung gänzlich „unantastbar“ und damit das einzig schrankenlose Grundrecht des Grundgesetzes.

Formelle Voraussetzungen

Die Einschränkung von Grundrechten ist exklusives Parlamentsrecht. Durch den sogenannten Parlamentsvorbehalt wird diese Rechtsetzungsmacht auf den Deutschen Bundestag und die Länderparlamente konzentriert und kann nicht auf andere Organe wie Regierung, Behörden oder Justiz delegiert werden: sie brauchen eine gesetzliche Eingriffsermächtigung. Gleichzeitig wird durch den Vorbehalt des Gesetzes gesichert, dass Grundrechtseinschränkungen nur auf der Ebene von Parlamentsgesetzen (des Bundes wie der Länder) kodifiziert werden und sich nicht in Regelungswerke wie Verordnungen oder Satzungen einschleichen.

Materielle Voraussetzungen

Materiell dürfen Grundrechtseinschränkungen gemäß Art. 19 Abs. 2 GG nicht den Wesensgehalt eines Grundrechts antasten. Diese Maxime gilt unabhängig von der juristischen Technik oder vom Standort der Einschränkungsnorm (durch Gesetz, aufgrund eines Gesetzes, Erweiterung von Schranken u. ä.). Selbst Verfassungsnormen dürfen in ihrer grundrechtseinschränkenden Wirkung nicht zu weit gehen oder zu weit interpretiert werden, es handelte sich dann ggf. um verfassungswidriges Verfassungsrecht.

Schranken (Rechtstechnik)

Wirksam eingeschränkt werden können Grundrechte durch:

  • einfachen Gesetzesvorbehalt in der Verfassung – wenn ein Artikel des Grundgesetzes die Klausel enthält „Dieses Grundrecht kann (nur) durch Gesetz (oder aufgrund eines Gesetzes) eingeschränkt werden“
  • qualifizierten Gesetzesvorbehalt in der Verfassung – wenn ein Artikel des Grundgesetzes die Klausel enthält „Dieses Grundrecht kann (nur) durch Gesetz (oder aufgrund eines Gesetzes) zum Zwecke … eingeschränkt werden“

Die Aufsplittung von qualifizierten und einfachen Gesetzesvorbehalt findet sich in mancher Literatur auch zusammengefasst als Vorbehaltsschranke.

  • verfassungsimmanente Schranken – Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter, die nicht als Einschränkungsmechanismen explizit vorgesehen sind, aber einen Eingriff in Grundrechte ermöglichen (Bsp.: Staatsziel Umweltschutz vs. Religionsfreiheit). Der Konflikt dieser widerstreitenden Prinzipien wird durch die Herstellung einer praktischen Konkordanz aufgelöst.

Insbesondere bei Eingriffen in die Kommunikationsgrundrechte (z. B. das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. Var. GG) hat die Interpretation dieser Einschränkungsmechanismen jedoch im Lichte des Grundrechts selbst zu erfolgen, so dass sich der zulässige Eingriffsbereich und das Grundrecht sich gegenseitig bedingen und quantitativ definieren (sog. Wechselwirkungslehre).

  • grundrechtsimmanente (-unmittelbare) Schranken – Einzelne Grundrechte werden schon in der Verfassung selbst eingeschränkt bzw. unterliegt ihre Gewährung der Erfüllung bestimmter Bedingungen. Zum Beispiel haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis „friedlich und ohne Waffen“ zu versammeln. Von der Verfassung wird der Normbereich des Grundrechtes also unmittelbar eingeschränkt. Ein Teil der Literatur nimmt hingegen an, dass hier lediglich die sachliche Reichweite der Grundrechtsnorm beschrieben wird; ordnet ihn also unmittelbar dem Normbereich zu, als Beschreibung der sachlichen Gewährleistungsreichweite.

Gegen die Verletzung eines Grundrechts durch die öffentliche Gewalt kann jedermann nach Erschöpfung des Rechtswegs Verfassungsbeschwerde erheben.

Schranken-Schranken

In Art. 19 Abs. 1 u. 2 GG sind der Einschränkung von Grundrechten Schranken gesetzt.

Zu diesen vom Gesetzgeber zu beachtenden sogenannten Schranken-Schranken gehören stets:

Bei Beschränkung aufgrund eines qualifizierten Gesetzesvorbehalts sind als spezielle Schranken-Schranke außerdem dessen Anforderungen zu erfüllen.

Grundrechtsbeschränkende Gesetze sind nach der Wechselwirkungslehre verfassungskonform restriktiv auszulegen.

Verletzung von Freiheitsgrundrechten

Ein Freiheitsgrundrecht ist verletzt, wenn ein nicht gerechtfertigter staatlicher Eingriff in seinen Schutzbereich erfolgt ist. Ob ein Akt der Staatsgewalt in diesem Sinne grundrechtsverletzend ist, ist dreistufig zu prüfen:

  • Definition des grundrechtlichen Schutzbereichs
  • Eingriff: Tangiert dieser Akt der Staatsgewalt den Schutzbereich direkt oder indirekt (→ Edukationseffekt)
  • Rechtfertigung durch Normen auf Verfassungsebene.

Gerechtfertigt ist ein Eingriff, wenn er durch formelles (Parlaments-)Gesetz des Bundes (Vorbehalt des Gesetzes) oder eines Landes oder auf gesetzlicher Grundlage geschieht (Gesetzesvorbehalt), das Grundrecht also verfassungsrechtlich wirksam eingeschränkt ist. Dieses einschränkende Gesetz muss aber selbst verfassungskonform sein:

  • In formeller Hinsicht bedeutet das, dass der Gesetzgeber die erforderliche Gesetzgebungskompetenz besaß (Verbandskompetenz des Bundes oder der Länder) und das vorgeschriebene Gesetzgebungsverfahren eingehalten wurde.
  • In materieller Hinsicht muss das einschränkende Gesetz die Schranken-Schranken (Zitiergebot, Wesensgehaltsgarantie, Übermaßverbot) und die sonstigen Staatszielbestimmungen oder Verfassungsprinzipien (Demokratieprinzip, Gewaltenteilung etc.) beachten.
  • Selbst wenn eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage vorhanden ist, ist der Eingriff nicht gerechtfertigt, sofern er innerhalb dieses Rahmens unverhältnismäßig ist.

Verletzungen von Grundrechten können nicht nur durch typische Handlungsformen der Staatsgewalt wie Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geschehen, sondern durch schlicht jedes andere Handeln oder Unterlassen, direkt oder mittelbar. Für diese Fälle ist gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a, §§ 90 ff. BVerfGG der besondere Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde vorgesehen, mit dem sich der Grundrechtsträger an das Bundesverfassungsgericht wenden kann.

Aufhebung von Grundrechten durch Verfassungsänderung

Von der Einschränkung eines Grundrechtes durch Gesetz ist die Frage zu unterscheiden, ob Grundrechte im Wege der Verfassungsänderung beseitigt werden können.

Da eine Verfassungsänderung grundsätzlich zulässig ist, könnte ein solches Vorhaben nur an der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG scheitern. Diese schützt aber unmittelbar nur die Artikel 1 und (nicht: bis) 20 vor Änderungen. Allerdings werden Grundrechte auch als Derivat der Menschenwürde (Art. 1 GG) definiert und genießen damit einen gewissen Ewigkeitsschutz, soweit ihr „Menschenwürdekern“ betroffen ist. Andere Grundrechte sind für eine demokratische Regierungsform unerlässlich und damit über das Demokratieprinzip geschützt, jedoch in ihrer Ausgestaltung abänderbar. Schließlich bekennt sich Art. 1 Abs. 3 GG, der von der Ewigkeitsgarantie erfasst wird, zu Grundrechten „als unmittelbar geltendes Recht“, sodass es zumindest überhaupt Grundrechte geben muss. Damit sind der Aufhebung von Grundrechten durch Verfassungsänderung enge Grenzen gezogen.

Bezug zum Internationalen Recht

Nach Art. 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts vorrangiger Bestandteil des Bundesrechts und gehen den einfachen Gesetzen vor. Dazu zählen insbesondere Regeln des völkerrechtlichen ius cogens, des zwingenden Völkerrechts, von dem man davon ausgeht, dass es durch völkerrechtliche Verträge oder Gewohnheitsrecht nicht geändert werden darf.

Der Grundrechtsschutz in Deutschland wird durch die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergänzt. Infolge ihrer Einführung ins deutsche Recht durch Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG genießt die EMRK grundsätzlich nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes und steht damit in der Normhierarchie unterhalb des Grundgesetzes. Sofern jedoch Menschenrechtsgewährleistungen der EMRK zugleich völkerrechtliches ius cogens sind, genießen sie bereits aufgrund von Art. 25 GG Vorrang vor Bundesgesetzen.

Entwicklung

Bereits die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848 billigte am 21. Dezember 1848 einen Katalog von Grundrechten, der allerdings nicht soweit reichte wie der moderne Grundrechtskatalog des Grundgesetzes. Bereits aufgeführt wurden die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, Meinungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit sowie die Habeas-Corpus-Grundrechte. Die Verfassung mit dem Grundrechtskatalog wurde zwar im März 1849 noch verabschiedet, trat aber niemals in Kraft.

Nachdem die Weimarer Reichsverfassung lediglich Programmsätze enthielt, sollte mit dem Grundgesetz ein Regelwerk geschaffen werden, das dem Staat gegenüber verbindlich festlegte, inwieweit er in bestimmte Rechte des Bürgers eingreifen darf. Grundsätzlich sind Eingriffe, die die Grundrechte nicht selbst vorsehen und die sich nicht aus anderen Verfassungswerten ergeben, unzulässig. Gegen diese kann der Bürger sich wehren, z. B. mit Klagen vor den Verwaltungsgerichten oder vor den ordentlichen Gerichten. Sollte der Bürger nach Erschöpfung des Rechtswegs der Meinung sein, dass immer noch eine Grundrechtsverletzung besteht, kann er das Bundesverfassungsgericht im Wege einer Verfassungsbeschwerde anrufen.

Drittwirkung von Grundrechten

Grundrechte gelten zunächst, insbesondere in Form der klassischen Abwehrrechte, als Mittel der Machtbegrenzung gegenüber Hoheitsträgern, also dem Staat. Sie gelten damit ursprünglich nicht im Privatrecht, auch nicht im Verhältnis von natürlichen Personen einerseits und juristischen Personen andererseits. Demnach gäbe es keine Drittwirkung von Grundrechten, also keine Auswirkung auf das Verhältnis zwischen einem Rechtssubjekt (Mensch) und einem anderen Rechtssubjekt.

Eine Ausnahme davon befindet sich in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, der die Koalitionsfreiheit im Arbeitsleben regelt und davon abweichende privatrechtliche Vereinbarungen für nichtig erklärt. Weitere Ausnahmen befinden sich in Art. 20 Abs. 4 GG und in Art. 38 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 48 Abs. 2 GG. Dies sind die einzigen Formen der direkten Drittwirkung, also der unmittelbaren Wirkung der Grundrechte zwischen Privatpersonen.

Zusätzlich hat das Bundesverfassungsgericht im Lüth-Urteil eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht zugelassen. Praktische Bedeutung hat dies insbesondere bei unbestimmten Rechtsbegriffen, zum Beispiel innerhalb von Generalklauseln wie Treu und Glauben (§ 242 BGB) oder Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB): Die Grundrechte „strahlen über die Generalklauseln in das einfache Recht ein“. Weiterhin sind objektive Wertentscheidungen der Verfassung als Bestandteil der Grundrechte auch Beurteilungsmaßstäbe für privatrechtliche Rechtsbeziehungen und die Entscheidungen von Zivilgerichten. Sie beeinflussen die Entwicklung des modernen Zivilrechts, neuer Rechtsinstitute und die Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung. Eine ungenügende Beachtung dieser Maßstäbe macht Entscheidungen revisibel und eröffnet im Extremfall selbst im Zivilrecht die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde.

Beispiele für die Drittwirkung der Grundrechte im Zivilrecht sind:

Siehe auch

Literatur

  • R. Alexy: Theorie der Grundrechte, Suhrkamp, 3. Aufl. 1996, ISBN 3-518-28182-8.
  • Claus-Wilhelm Canaris: Grundrechte und Privatrecht, AcP 1984, S. 201–246.
  • D. Merten, H.-J. Papier: Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, C.F. Müller, Bd. I 2004, Bd. II 2005.
  • B. Pieroth, B. Schlink: Grundrechte – Staatsrecht II, C.F. Müller, 25. Auflage 2009, ISBN 978-3-81147-502-1.
  • M. Sachs: Verfassungsrecht II. Grundrechte, 2. Aufl. 2003.
  • K. Stern, M. Sachs: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, Bd. III/2 1994, Bd. IV/1 2005 (i. E.).
  • Rolf Schmidt: Grundrechte, 11. Aufl. 2009.
  • Torsten Hartleb: Grundrechtsschutz in der Petrischale. Grundrechtsträgerschaft und Vorwirkungen bei Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 1 Abs. 1 GG, Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2006.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Grundrecht – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. Juli 2011 – 1 BvR 1916/09 –, Leitsatz 1.
  2. Bundesverfassungsgericht: Zum Grundrechtsschutz juristischer Personen aus der Europäischen Union und zum Verbreitungsrecht nach dem Urheberrechtsgesetz (nachgeahmte Designermöbel). Pressemitteilung Nr. 56/2011. 9. September 2011, abgerufen am 9. September 2011.
  3. Uwe Keßler: Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik. Grundrechte – Abwehr- und Teilhaberechte. Bonn. Bundeszentrale für politische Bildung 2003
  4. Grundrechtsarten
  5. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008, Az. 2 BvR 392/07.
  6. Dolzer/Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar), Loseblattsammlung, S. 185, Art. 21 Rn 216: „Art. 21 Abs. 1 S. 2 gibt mit den Worten, die Gründung der Parteien sei frei, zunächst ein Grundrecht der Parteifreiheit für jeden Bürger“; S. 186, Rn 217: „Art. 21 Abs. 1 S. 2 schafft in Verbindung mit Art. 9 ferner ein Grundrecht der Parteien selbst.“
  7. A.A. Pieroth/Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, Rn 505, wonach ausdrücklich „Art. 21 […] selbst kein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht ist […]“.
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