Sozialauswahl

Sozialauswahl

Die Sozialauswahl ist ein Begriff aus dem deutschen Arbeitsrecht. Nach § 1 Abs. 3 KSchG ist eine Kündigung auch dann sozialwidrig und damit unwirksam, wenn zwar dringende betriebliche Gründe für eine Kündigung vorliegen, der Arbeitgeber aber bei der Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Die Notwendigkeit, eine Sozialauswahl vorzunehmen, setzt also in der Regel die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes voraus und ist nur bei betriebsbedingten Kündigungen erforderlich.

Die soziale Auswahl muss sich auf den gesamten Betrieb erstrecken (also nicht nur auf die Abteilung, in der der Arbeitsplatz weggefallen ist). Ihre Prüfung erfolgt im Rahmen folgender Schritte: Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer, Auswahlentscheidung, Herausnahme einzelner Mitarbeiter.

Inhaltsverzeichnis

Bestimmung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer

Einzubeziehen sind alle gegenseitig austauschbaren Arbeitnehmer der gleichen betrieblichen Hierarchieebene (sog. „horizontale Vergleichbarkeit“), also alle, die nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und nach den individuellen vertraglichen Regelungen im Rahmen des Direktionsrechts versetzt werden könnten. Zu prüfen ist dabei, ob der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, vom Arbeitgeber einseitig auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt werden könnte, um (ggfs. nach kurzer Einarbeitungszeit) die Funktion des dort beschäftigten Arbeitnehmers auszufüllen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Reichweite arbeitsvertraglicher Versetzungsvorbehalte; je weiter diese gefasst sind, umso umfassender ist ggf. der Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer. Diese Wechselwirkung ist Arbeitgebern bei der Arbeitsvertragsgestaltung häufig nicht bewusst.

Auswahlentscheidung

Nach den im Gesetz abschließend aufgezählten Gesichtspunkten ist dann unter den vergleichbaren Arbeitnehmern derjenige zu ermitteln, den eine Kündigung am wenigsten hart treffen würde. Dieser „sozial stärkste“ Arbeitnehmer ist dann zu kündigen. Seit 1. Januar 2004 sind dabei ausschließlich folgende Kriterien zu berücksichtigen:

In Betrieben, in denen ein Betriebsrat gewählt ist und die Betriebsparteien sog. Auswahlrichtlinien (vgl. § 95 BetrVG) vereinbart haben, sind dabei die Regelungen solcher Richtlinien zu berücksichtigen. In diesem Fall kann im Kündigungsschutzprozess die Sozialauswahl nur noch auf „grobe Fehlerhaftigkeit“ überprüft werden. Grob fehlerhaft ist die soziale Auswahl erst dann, wenn die gesetzlichen Auswahlkriterien überhaupt nicht zu Grunde gelegt wurden oder die einzelnen Gesichtspunkte in einem auffälligen Missverhältnis zueinander gewichtet wurden.

Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl

Es besteht die Möglichkeit, einzelne Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herauszunehmen. So kann der Arbeitgeber bei der Auswahl Arbeitnehmer herausnehmen, deren Weiterbeschäftigung "im berechtigten betrieblichen Interesse" liegt ("Herausnahme der Leistungsträger aus der Sozialauswahl", § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Zur Begründung eines solchen Interesses kann sich der Arbeitgeber nicht allein darauf berufen, der gekündigte Arbeitnehmer sei besonders krankheitsanfällig. Zu dieser Feststellung kam der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in einem Urteil vom 31. Mai 2007 - Az: 2 AZR 306/06 -.

Ein solches berechtigtes betriebliches Interesse kann aber nach der neuen Formulierung des Gesetzes, die „Erhaltung der Personalstruktur des Betriebes“ darstellen. Falls die Arbeitsgerichte diese Vorschrift weit auslegen, entwertet dies die sozialen Besitzstände vieler (vor allem älterer) Arbeitnehmer, die sie durch ihr Lebensalter und ihre langjährige Betriebszugehörigkeit erworben haben. Dann darf der Arbeitgeber neue jüngere Mitarbeiter behalten und älteren langjährigen kündigen.

Die Reichweite dieser seit 1. Januar 2004 geltenden Neuregelung, die bereits unter der Regierung Kohl in fast identischer Form vorübergehend eingeführt worden war, ist bislang von der Rechtsprechung noch nicht ausreichend geklärt.

Eine ähnliche Wirkung hat auch die wiedereingeführte Möglichkeit eines "Interessenausgleichs mit Namensliste". Hierbei einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf die zu kündigenden Mitarbeiter. Die Prüfung der Sozialauswahl ist auch in diesen Fällen, ähnlich wie bei der Auswahlrichtlinie, auf "grobe Fehlerhaftigkeit" beschränkt und die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast verschlechtern sich zu Lasten des Arbeitnehmers.

Sonderfall: Kündigungsschutz in Kleinbetrieben

Zwar gilt das Kündigungsschutzgesetz nur in Betrieben mit mehr als 10 Mitarbeitern (für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis bereits vor dem 31. Dezember 2003 begonnen hat, gilt eine Mitarbeiteranzahl von mehr als fünf Mitarbeitern). Aus diesem Grund ist auch erst nach Überschreiten dieser Grenzen eine Sozialauswahl der oben beschriebenen Art vorzunehmen. In einigen Ausnahmefällen hat das Bundesarbeitsgericht aber eine "Sozialauswahl in Kleinbetrieben" bejaht. Diese Entscheidungen betrafen Fallgestaltungen, in denen die gegenseitigen sozialen Belange und das Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme in eklatanter Weise verletzt wurden. (Urteil vom 21. Februar 2001 AZ: 2 AZR 15/00)

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • Thomas Dieterich u.a. (Hrsg.): Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Auflage, München 2010, Verlag: C.H. Beck, ISBN 978-3-406-60876-6
  • Martin Henssler, Heinz Josef Willemsen, Heinz-Jürgen Kalb: Arbeitsrecht-Kommentar, 2. Auflage, Verlag Otto Schmidt, Köln 2006, ISBN 3-504-42658-6
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