Straßenbahn-Gelenkwagen

Straßenbahn-Gelenkwagen
6-achsiger Triebwagen mit 6-achsigem Beiwagen auf der Rhein-Haardtbahn

Gelenkwagen sind Straßenbahnwagen, die aus mehreren, mittels Gelenkverbindungen beweglich miteinander verbundenen Wagenkästen bestehen. Mit Gelenkverbindungen können auch sehr lange Wagen gebaut werden, die trotzdem die teilweise sehr engen Kurven der Straßenbahnen befahren können. Gelenkwagen gibt es in verschiedenen Bauformen als Gelenk-Triebwagen oder Gelenk-Beiwagen.

Inhaltsverzeichnis

Bauformen

Jakobs-Gelenkwagen

Der erste deutsche Gelenkwagen von 1926, erhalten als Museumsfahrzeug
Die ersten Gelenkwagen moderner Bauart fuhren ab 1946 in Rom

Bei einem Jakobs-Gelenkwagen trägt ein Jakobs-Drehgestell das Gelenk; beide mit dem Gelenk verbundenen Wagenteile ruhen mit diesem Ende auf dem Drehgestell.

Die beiden ersten deutsche Drehgestell-Gelenkwagen wurden 1926 für Duisburg bei der Firma Johann Caspar Harkort gebaut. Im Unterschied zum Jacobsdrehgestell , ist bei dieser Bauart die Lagerung zentrisch in Drehgestellmitte angeordnet. In großer Serie wurde diese Bauart allerdings erst ab 1956 von der Düsseldorfer Waggonfabrik (Düwag) hergestellt, weitere Hersteller folgten. Diese Bauart beruhte auf einem italienischen Patent, wo solche Wagen ab 1946 gebaut wurden. Das Gelenk bildet ein Portal, das direkt auf dem Drehgestell ruht.

Zunächst entstanden zweiteilige sechsachsige Wagen mit einem Gelenk, durch Einfügen eines Mittelteils und eines weiteren Gelenks wurde 1957 der erste achtachsige Wagen ausgeliefert. 1967 entstanden aus diesem Baukastenprinzip vier zwölfachsige Wagen für die Rhein-Haardtbahn, die mit 38,5 Metern die damals längsten Straßenbahnen der Welt waren. Mannheim und Duisburg verlängerten später einige Wagen mit einem weiteren Jakobs-Drehgestell um ein niederfluriges Mittelteil. Jakobs-Gelenkwagen wurden überwiegend als Triebwagen geliefert, nur für die Rhein-Haardtbahn und die Wiener U-Bahnlinie U 6 wurden Gelenkbeiwagen gebaut. Siehe auch: Duewag-Einheitswagen

Kurzgelenkwagen

Ein Kurzgelenkwagen "Typ Stuttgart" im Einsatz in Nordhausen

Als Kurzgelenkwagen werden Fahrzeuge bezeichnet, bei denen pro Wagenteil ein Drehgestell benötigt wird. Zwei unterschiedliche Konstruktionen wurden entwickelt:

Typ Stuttgart

Bei der 1959 für die Bergstrecken der Stuttgarter Straßenbahnen entwickelten Bauform der Maschinenfabrik Esslingen (Typ GT4) sind die beiden Drehgestelle durch einen Träger – den Gelenkträger – verbunden. Die Wagenkästen stützen sich auf einer Seite auf »ihr« Drehgestell und auf der anderen Seite auf das Gelenk, das auf dem Gelenkträger ruht. Eine Trennung der Wagenteile ist nicht möglich. Von insgesamt 380 Wagen gingen 350 an Stuttgart, weitere Wagen erhielten Freiburg im Breisgau, Reutlingen, Neunkirchen (Saar) und - gebraucht aus Stuttgart - Ulm, nach 1990 kamen gebrauchte Wagen auch nach Nordhausen, Halberstadt, Augsburg und Halle.

Typ Bremen

Bei der von Hansawaggon für Bremen entwickelten Bauform ruht jeder Wagenteil auf einem eigenen Drehgestell, das Gelenk hingegen wird nicht abgestützt. Die Bauform ist durch Einfügen zusätzlicher Wagenteile erweiterbar, die einzelnen Wagenteile können in der Werkstatt voneinander getrennt werden. Ab 1960 wurden diese Wagen jeweils als Züge aus Gelenktriebwagen und Gelenkbeiwagen an Bremen und später auch an Bremerhaven geliefert. Die Münchner Firma Rathgeber stellte die Wagen ab 1963 mit kleinen Änderungen unter Lizenz für die Straßenbahn München her.

ČKD und Tatra entwickelte für die DDR den Typ KT4D mit gleichartiger Gelenkkonstruktion, der ab 1976 in großer Stückzahl für Berlin und weitere Verkehrsbetriebe gebaut wurde. Diese Wagen wurden nur als Triebwagen geliefert, sie sind aber traktionsfähig.

Weite Verbreitung findet der Kurzgelenkwagen Bremer Bauart seit 1989 als Niederflurwagen in dreiteiliger oder vierteiliger Form, für die jedoch in Gleisbögen besondere Übergangskurven notwendig sind. Fährt der Wagen in eine Kurve, beginnen die einzelnen Wagenteile zu wedeln, bis das Fahrzeug komplett in den Bogen eingelaufen ist. MAN, AEG und später Adtranz lieferten diese Gelenkwagen an Bremen, Berlin, München, Nürnberg und weitere; Düwag baute eine 40 Wagen umfassende Serie für Frankfurt am Main (Typ R).

Gelenkwagen mit aufgesattelten Endwagen

Diese Gelenkwagen bestehen aus einem selbständig tragenden Wagenteil, auf dem sich Endwagen abstützen. WUMAG konstruierte 1928 einen Prototypen mit einem zweiachsigen Mittelwagen, auf den sich zwei einachsige Endwagen abstützten. In den 1950er und 1960er Jahren entstanden zweiteilige Fahrzeuge, teils als Umbauten älterer Wagen, die durch einen Endwagen – den Nachläufer – verlängert wurden, so für Duisburg, Bremen und Augsburg, teils als Neubauten, so für Köln, Krefeld, Remscheid und ebenfalls Bremen und Augsburg. Ein Kuriosum stellt die 1963 gebaute Wiener Type F dar: Der selbsttragende Frontwagen verfügt über ein zweiachsiges Rahmenfahrgestell, der Nachläufer hingegen ist mit einem Drehgestell ausgestattet. Solche Wagen fuhren bis 1996.

Ab 1971 beschaffte Freiburg im Breisgau dreiteilige Fahrzeuge dieser Bauform, der sog. Düwag GT8 Typ Freiburg, mit vierachsigem Mittelwagen und zweiachsigen Endwagen. Ab 1989 entstanden verschiedene dreiteilige Niederflurwagen mit Niederflur-Mittelteil: als Neubauten für Würzburg und Freiburg, als Umbauten älterer Wagen für Cottbus und Mülheim. Düwag baute ab 1990 70%-Niederflurwagen mit vierrädrigem, später auch mit achträdrigem Mittelteil für Kassel, Bochum, Halle und weitere Betriebe, ähnliche Konstruktionen sind die Niederflurwagen von LHB für Magdeburg, DWA für Kassel und die Mittelflur-Zweisystemwagen von Bombardier für Saarbrücken.

Besondere Bauformen sind die Hochflur-Stadtbahnen in Hannover und die dreiteiligen Niederflurwagen in Karlsruhe, die nur mehr kurze Mittelwagen haben.

Gelenkwagen mit schwebendem Mittelteil

Diese Gelenkwagen bestehen aus zwei selbständigen Wagenteilen mit eigenem Fahrgestell, die durch zwei Gelenkverbindungen und ein Zwischenstück – dem frei schwebenden Mittelteil – miteinander verbunden werden. Das Mittelteil und die Gelenke dienen dabei als Ausgleich für die sich in Kurven gegeneinander verschiebenden Wagenteile.

Die ersten Wagen wurden ab 1928 für Berlin, Dresden und Leipzig gebaut, blieben aber zunächst Einzelgänger. In den 1950er Jahren wurde die Konstruktion wieder aufgegriffen, zunächst, um Zweiachserzüge aus Triebwagen und Beiwagen durch Einfügen eines Mittelteils zu vierachsigen Gelenkwagen zu verbinden, wie in Duisburg und Stuttgart, später auch als Neubaufahrzeuge, so für Dortmund, Kassel, München und Oberhausen. In Mülheim an der Ruhr wurden durch Umbau von zwei Triebwagen besonders leistungsstarke gebaut, die im Betrieb mit einem vierachsigen Großraumwagen fuhren. Ab 1959 lieferte VEB Waggonbau Gotha über 300 vierachsige Gelenkwagen des Typs G4 an Leipzig, Erfurt, Potsdam und weitere Betriebe, einige Wagen sogar in die UdSSR. In Westdeutschland und Österreich wurden die Wagen oftmals noch vor älteren Fahrzeugen ausgemustert. Gegenüber anderen Bauarten war die Gelenkkonstruktion zu aufwändig, bei zweiachsigen Fahrgestellen gegenüber Drehgestellwagen der Lauf zu unruhig. Hinzu kam bei vielen dieser Wagen die zu hohe Masse und eine damit verbundene Schwerfälligkeit: Besonders die Münchner Type P1 und die Wiener Typen D und D1 hatten darunter zu leiden.

In den ab 1993 gebauten niederflurigen Multigelenkwagen wird diese Konstruktion wieder aufgegriffen.

Entwicklung

Die Anfänge bis in die 1970er Jahre

Ein typischer DUEWAG-Gelenkwagen der 60er Jahre

Ab 1918 wurden in Deutschland erste Gelenkwagen als Prototypen für einzelne Verkehrsbetriebe gebaut, so 1918 ein Beiwagen für Dresden und 1926 zwei Wagen mit Jakobs-Drehgestell für Duisburg. In Deutschland bestand allerdings zunächst wenig Interesse an diesen Fahrzeugen.

Erst nach dem Krieg wurden die Gelenkkonstruktionen wieder aufgegriffen. Ab 1953 wurden Jakobsgelenkwagen in Serie gebaut, in wenigen Exemplaren für Stuttgart und ab 1956 in großer Stückzahl von der Düsseldorfer Waggonfabrik (Düwag) für Verkehrsbetriebe in fast ganz Deutschland und auch für viele ausländische Verkehrsbetriebe.

Ab 1959 traten die Maschinenfabrik Esslingen – vor allem für Stuttgart– und Hansawaggon – für Bremen und in Lizenz für München – mit ihren Kurzgelenkwagen als Konkurrenten zur Düwag auf. Gegenüber dem Jakobs-Gelenkwagen blieb in Westdeutschland der Anteil dieser Konstruktionen nur gering. Die den westdeutschen Kurzgelenkwagen entsprechende Bauart von ČKD-Tatra wurde in Form des KT4D in großer Stückzahl für die Betriebe der DDR und anderer RGW-Länder gebaut.

Neben den großen Serien gab es auch Kleinserien als Sonderanfertigungen für einzelne Verkehrsbetriebe, so erhielten die Straßenbahnen in Bremen eine Serie dreiachsiger und Augsburg fünfachsige Gelenktriebwagen (Lenkdreiachser mit zweiachsigem Nachläufer).

Parallel entstanden in den 1950er und 1960er Jahren Umbau-Gelenkwagen aus älteren Fahrzeugen, zumeist als Einzelstücke. Ausgangsbasis waren Zweiachser, Dreiachser und Vierachser. Entweder wurden zwei Einzelwagen durch ein Gelenk mit schwebendem Mittelteil miteinander zu einem Wagen verbunden, oder einzelne Wagen wurden durch Gelenk und Nachläufer verlängert. Ziel war es, Schaffner einzusparen – zunächst aus Personalmangel, später um die Personalkosten zu senken. Triebwagen gingen beispielsweise an Augsburg, Braunschweig, Bremen, Duisburg, Mülheim, Beiwagen an Bremen, Duisburg und Stuttgart.

Die Entwicklung seit den 1980er Jahren

In den 1980er Jahren begann die Entwicklung der Niederflur-Gelenkwagen: Der Gelenkbereich kann nur dann niederflurig sein, wenn das Gelenk frei schwebt. Damit scheidet das Jakobs-Drehgestell für die meisten Niederflurwagen aus, andere Techniken werden benötigt. Weite Verbreitung fanden der 1990 vorgestellte niederflurige Kurzgelenkwagen des Typs Bremen von MAN, dann Adtranz, und der dreiteilige Gelenkwagen mit aufgesattelten Endwagen für Kassel von Düwag.

1993 begann der Bau von Multigelenkwagen in meist nur kleineren Serien für einzelne Betriebe, als erstes die Variobahn von ABB, später Adtranz, für Chemnitz, es folgten ab 1994 ähnliche Wagen von Düwag für die Betriebe im Rhein-Neckar-Raum und von Düwag und DWA für Dresden. Erst der von Düwag, jetzt Siemens gelieferte Combino erreichte wieder große Stückzahlen und weite Verbreitung.

Im Zuge der Konzentration der Straßenbahn-Hersteller fand auch eine allmähliche Produktbereinigung statt. Adtranz kombinierte die von den Vorgängerunternehmen entwickelten Konstruktionen im modularen Fahrzeugkonzept »Incentro«, Bombardier schließlich vereinigte die unterschiedlichsten Fahrzeugtypen in der »Flexity«-Familie, die Niederflur-Straßenbahnen bis Hochflurstadtbahnen in den verschiedensten Bauformen vom zweiteiligen Niederflur-Gelenkwagen für Dessau bis zum vielteiligen Multigelenkwagen umfasst.

Bis in die 1990er Jahre waren Gelenkwagen über 30 m Länge die Ausnahme. Es wurden eher kürzere Einheiten in Traktion gefahren oder mit Beiwagen behängt. Mit den niederflurigen Multigelenkwagen werden seit den 1990er Jahren eher längere Einzelwagen statt Züge beschafft. Wagen mit bis zu und über 40 m Länge sind nicht ungewöhnlich, so beispielsweise für die Rhein-Haardtbahn, für Augsburg, Dresden, Düsseldorf, Freiburg und Karlsruhe.

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