Straßenbahn Mülhausen

Straßenbahn Mülhausen
Mülhausener Straßenbahn auf Rasengleis.
Zug der Linie 1 am Bollwerk-Turm (Tour du Bollwerk)

Die Straßenbahn Mülhausen (französisch Tramway de Mulhouse) verkehrte zwischen 1882 und 1960 in der französischen Stadt Mulhouse. Im Mai 2006 kehrte die Straßenbahn nach Mülhausen zurück. 2010 soll eine Verknüpfung des Straßenbahn- und Eisenbahnnetzes nach dem Konzept des Tram-Train realisiert werden.

Inhaltsverzeichnis

Meterspuriger Betrieb von 1882 bis 1960

Mülhausen hatte bereits von 1882 bis 1960 eine meterspurige Straßenbahn.[1] Seit dem 23. Juli 1894 elektrisch betrieben, waren zuvor Dampflokomotiven eingesetzt worden. Zwei Überlandstrecken, zwischen 1885 und 1888 eröffnet, führten in die nördlich gelegenen Ortschaften Ensisheim (16 Kilometer) und Wittenheim (8 Kilometer). In Ensisheim bestand ab September 1907 eine Übergangsmöglichkeit zu einer Schmalspurbahn der Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen nach Colmar.[2] Mit dem Anschluss in Ensisheim hatte das Mülhauser Netz vorübergehend eine Verbindung zu einem Netz von Schmalspurbahnen, in dessen Zentrum die Überlandstrecken der Straßburger Straßenbahn standen. 1914 wurde die Verbindung von Ensisheim nach Colmar als Folge des Ersten Weltkrieges auf Normalspur umgebaut, da die Hauptstrecke Colmar–Mülhausen unter französischem Beschuss lag. 1912 standen für den Betrieb 9 Dampflokomotiven, 32 elektrische Triebwagen, 56 Beiwagen für Personen sowie 147 Güterwagen zur Verfügung.

1934 erreichte das Netz der Straßenbahn in Mülhausen mit 46 Kilometern seine größte Ausdehnung. Zu dieser Zeit verkehrten neben den beiden, 1929 elektrifizierten Vorortlinien fünf innerstädtische Straßenbahnlinien. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Netz schrittweise eingestellt. Die innerstädtischen Straßenbahnlinien, immer nur mit zweiachsigen Fahrzeugen betrieben, verkehrten zuletzt 1955. Der Überlandbetrieb, in dem auch vierachsige Triebwagen zum Einsatz kamen, konnte sich bis 1957 halten.

Besondere Bedeutung hatte in Mülhausen der Güterverkehr auf dem Straßenbahnnetz. Spinnereien und Webereien der örtlichen Textilindustrie erhielten per Straßenbahn ihre Kohle vom Hafen am Rhein-Rhône-Kanal. Rollwagen dienten dem Transport normalspuriger Güterwagen der Eisenbahn. 1934 lösten Diesellokomotiven die anfänglich eingesetzten Dampflokomotiven ab. Der Güterverkehr, 1960 auf die Straßen verlagert, war bis 1979 ein Geschäftsfeld der Verkehrsbetriebe.

Oberleitungsbus

Neben der Straßenbahn wurde ab 1908 die Gleislose Stadtbahn Mülhausen, ein Vorläufer moderner Oberleitungsbusse, zur Erschließung des Rebberges eingesetzt. Für dieses, auf Hügeln im Süden der Stadt gelegene Villenviertel schien die Straßenbahn als Verkehrsmittel nicht geeignet. Die „gleislose Bahn“ wurde schon am 14. Juli 1918 wieder eingestellt, nachdem ein Brand die Wagenhalle und alle Fahrzeuge zerstört hatte. Zwischen 1947 und 1968 übernahm erneut ein Obus-Betrieb einen Teil der zuvor von der Straßenbahn erbrachten Verkehrsleistungen.

Wiedereinführung der Straßenbahn

Zug der Linie 1 in der Innenstadt.
Das 2006 eröffnete Streckennetz.
Endstation Coteaux der Linie 2.

Ab 1991 wurde in Mülhausen über die Wiedereinführung eines öffentlichen Verkehrssystems auf eigener Trasse diskutiert.[3] Zur Debatte stand zunächst ein O-Bussystem. Unter dem Eindruck des Karlsruher Modells entwickelten sich Planungen für eine Tram-Train, einer Verknüpfung von Eisenbahn- und Straßenbahnstrecken. Im Mittelpunkt der Überlegungen stand die Eisenbahnstrecke im Thurtal über Thann nach Kruth im Nordwesten von Mülhausen. Die Region Elsass, seit 1997 für den regionalen Schienenverkehr zuständig, legte im Oktober 2000 eine Machbarkeitsstudie für ein Stadt-Regionalbahnprojekt vor. Schon 1997 war mit Modernisierung dieser Eisenbahnstrecke begonnen worden. 30 Millionen Euro wurden für die Erneuerung der Gleise, Bahnsteige und Bahnhöfe, ein modernes Signalsystem sowie den Bau einer zusätzlichen Ausweiche in Willer-sur-Thur investiert. Seit Dezember 2000 verkehren auf der Strecke moderne Dieseltriebwagen von Typ X73500, in der Hauptverkehrszeit teilweise alle 20 Minuten.

Für die Straßenbahn und den innerstädtischen Teil des Train-Tram ist das „Syndicat Intercommunal des Transports de l’Agglomération mulhousienne“ (SITRAM) zuständig, ein Kommunalverband ausschließlich für die Belange des öffentlichen Verkehrs. SITRAM gehören 24 Kommunen mit 235.000 Einwohnern und einer Fläche von 253 Quadratkilometern an.[4] Der Kommunalverband war der Auftraggeber einer Machbarkeitsstudie, die im April 1999 veröffentlicht wurde. Zwei Jahre später wurde das Streckennetz festgelegt, Baubeginn war Ende 2002.

Normalspuriger Betrieb ab 2006

Am 13. Mai 2006 ging ein 11,5 Kilometer langes Grundnetz aus zwei Linien in Betrieb. Zur offiziellen Eröffnung eine Woche später war der französische Staatspräsident Jacques Chirac anwesend. Die Buslinien wurden bis Anfang Juli schrittweise auf die Straßenbahnstrecken ausgerichtet. Die anschließenden Sommermonate mit dem ferienbedingt geringeren Fahrgastaufkommen dienten der Optimierung des neuen Verkehrssystems.

Strecken, Betrieb und Betriebshöfe

Das Grundnetz besteht aus zwei Strecken, deren Übergangspunkt die viergleisige Haltestelle Porte Jeune ist. Es umfasst insgesamt 24 Haltestellen.

Die Linie 1 mit einer Länge von 4,3 Kilometern verläuft in Nord-Süd-Richtung: An der derzeitigen nördlichen Endstation Rattachement besteht Anschluss an verschiedene Buslinien des städtischen und des Überlandverkehrs. Der südliche Endpunkt ist der Hauptbahnhof, der auf einer Wendeschleife angefahren wird. Dazwischen liegen beispielsweise das Stadion Bourtzwiller und das Verkehrsmuseum Cité de l’Automobile – Musée National – Collection Schlumpf. Die Haltestelle beim Ausstellungsgelände Parc Expo wird nur bei Messen angefahren.

Die Linie 2 verbindet das Neubaugebiet Coteaux im Südwesten von Mülhausen mit Nouveau Bassin, dem Standort eines Park-and-Ride-Platzes an einem Autobahnzubringer. Zwischenstationen der 7,2 Kilometer langen Linie sind unter anderem die Universität sowie der Sportpalast.

Der Betriebshof der Straßenbahn wurde in der Nähe des Ausstellungsgeländes auf dem Gelände einer vorhandenen Einrichtung für Busse gebaut. Die Straßenbahnen werden im Freien abgestellt.

In den Hauptverkehrszeiten verkehren beide Straßenbahnlinien alle 6 Minuten. Tagsüber wird der Takt auf 7½ Minuten und abends auf 30 Minuten ausgedünnt.

Gestaltung

Wie in anderen französischen Städten wurde in Mülhausen der Neubau der Straßenbahn als Teil eines umfassenderen Projekts zur Stadtgestaltung betrachtet. Besonderen Wert wurde auf die Einbettung der Straßenbahntrasse in die Umgebung sowie die künstlerische Ausgestaltung gelegt. 80 % der Linie 2 verlaufen als Rasengleis, etwa 1.000 Bäume wurden entlang der Strecken gepflanzt. Für die Gestaltung der Linie 1 wurde der deutsche Bildhauer Tobias Rehberger engagiert. Rehbergers Installationen nehmen Bezug auf die Umgebung der Haltestellen, an der Station Grand Rex verweist er auf die früher dort zahlreichen Kinos. Der französische Bildhauer Daniel Buren markierte die Haltestellen der Linie 2 mit acht Meter hohen, bunten Stahlbögen, an denen zugleich die Oberleitungen befestigt sind.

Fahrzeuge

Nach Utrecht ausgeliehene Straßenbahn in der dortigen Werkstatt.
Blick in den Innenraum einer Bahn

Zum Einsatz kommen 27 Niederflurbahnen vom Typ Alstom Citadis 302. Die Züge sind 32,5 m lang, 2,65 m breit und 3,3 m hoch. Sie haben 64 Sitzplätze und 175 Stehplätze. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 70 km/h. Die Stromversorgung erfolgt über eine mit 750 V betriebene Oberleitung. Für das 2006 in Betrieb gegangene Grundnetz sind zunächst nur 15 Züge erforderlich; aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte jedoch die Beschaffung aller für das geplante Stadtnetz erforderlichen 27 Fahrzeuge. Zwei Züge der Mülhausener Straßenbahn sind vorübergehend nach Buenos Aires ausgeliehen, ein weiterer ist in Utrecht unterwegs, weitere fünf Fahrzeuge wurden nach Melbourne abgegeben.

Die Grundfarbe der Straßenbahnen ist gelb, die einzelnen Fahrzeuge sind mit unterschiedlichen roten oder schwarzen geometrischen Motiven versehen. Die Bevölkerung konnte im September 2003 über das Design mit abstimmen; die Frontpartie der Citadis-Züge unterscheidet sich von normalen Ausführung des Herstellers. Die Ansage der Haltestellen in den Fahrzeugen erfolgt abwechselnd durch eine Frauen- und Männerstimme und wird eingeleitet durch Motive, die der französische Komponist Pierre Henry beisteuerte.

Für die Tram-Train-Verbindung ins Thurtal bestellte die französische Staatsbahn SNCF beim Hersteller Siemens Transportation Systems zwölf Zweisystemstadtbahnen vom Typ Avanto. Die SNCF setzt diesen Fahrzeugtyp seit 2006 auf der Linie 4 der Pariser Straßenbahn ein. Die Triebwagen sollen 2009 ausgeliefert werden und im Betriebshof der Straßenbahn am Ausstellungsgelände untergebracht werden.

Finanzierung

Für die 2006 in Betrieb gegangenen Strecken, das Depot und die Fahrzeuge – soweit für das Grundnetz notwendig – wurde vorab von Investitionen in Höhe von 250 Millionen Euro ausgegangen. Dieser Kostenrahmen wurde etwas unterschritten. Für die Fertigstellung des kompletten Stadtnetzes wird mit Kosten von weiteren 90 Millionen Euro gerechnet. Dies sind 17,3 Millionen Euro pro Kilometer, ein im innerfranzösischen Vergleich unterdurchschnittlicher Wert.

Bei der Tram-Train-Verbindung ins Thurtal ergaben sich in der Planungsphase Kostensteigerungen. Wurden anfänglich für die Gesamtstrecke Kosten von 90 Millionen Euro genannt, so wird jetzt nur für die Teilstrecke bis Thann von 77 Millionen Euro ausgegangen. Die zwölf Avanto-Züge der SNCF erfordern zusätzliche Investitionen von 53 Millionen Euro.

Hauptfinanzierungsquelle ist der Versement transport, eine Transportsteuer, die im Verkehrsgebiet von allen Arbeitgebern mit mehr als neun Beschäftigten erhoben wird. Die Höhe der Steuer wird vom Kommunalverband festgesetzt, in Mülhausen wird mit 1,4 % der Lohnsumme die zulässige Höchstgrenze von 1,75 % nicht ausgeschöpft. Daneben nahm die SITRAM Kredite zur Finanzierung der Investitionen auf. Bei dem 2006 eröffneten Grundnetz übernahm der französische Staat etwa 30 % der Investitionskosten, geringere Zuschüsse kamen von der Region Elsass und dem Departement Haut-Rhin. Mittlerweile hat sich der Staat aus der Finanzierung der Infrastruktur zurückgezogen, was zu Verzögerungen beim weiteren Ausbau führt.

Bilanz und weiterer Ausbau

Im November 2008 wurden auf beiden Straßenbahnlinien 55.000 Fahrgäste pro Tag und damit 17 Prozent mehr als ein Jahr zuvor gezählt. Für das gesamte Nahverkehrsnetz in Mülhausen werden 103.400 Fahrgäste pro Tag angegeben; dies entspricht einer Steigerung von 25 Prozent in zwei Jahren.[5]

Für den weiteren Ausbau der Straßenbahn werden folgende Termine genannt:[6]

  • Anfang Juli 2009 wird die Linie 1 im Norden um 1,5 Kilometer und 3 Stationen verlängert. Neue Endstation wird Châtaignier im Stadtteil Bourtzwiller sein.
  • Die Inbetriebnahme der Tram-Train ins Thurtal ist für 2010 vorgesehen. Dabei wird zunächst nur die Strecke bis Thann elektrifiziert und von Zweisystemstadtbahnen befahren, auf dem Streckenabschnitt im oberen Thurtal bleibt der Dieselbetrieb bestehen. In Lutterbach wird vom Stromsystem der SNCF mit 25 kV 50 Hz auf das Stromsystem der Straßenbahn mit 750 V Gleichstrom gewechselt. Ab Lutterbach wird eine zweigleisige Straßenbahnstrecke parallel zur Eisenbahnstrecke von Mülhausen nach Colmar gebaut, die bei Rond-point Stricker in die vorhandene Strecke der Linie 2 einmündet. Die Züge von Thann verkehren im Stadtnetz über Port jeune zum Vorplatz des Hauptbahnhofs.
  • Das Stadtnetz soll 2012 um zwei weitere Strecken ergänzt werden: Die Linie 2 soll im Osten von Nouveau Bassin um drei Stationen bis Jonquilles in der selbstständigen Stadt Riedisheim verlängert werden. Die Linie 1 soll im Norden über Kingersheim die Stadt Wittenheim erreichen. Diese Strecke soll teilweise eingleisig erbaut und nur von jedem zweiten Zug der Linie 1 befahren werden.

Literatur

  • Jörg Framenau: Ein Tram-Train-System für Mulhouse (Mühlhausen [sic] im Elsass). In: Stadtverkehr 3/2002, S. 10-18
  • Stefan Göbel: Straßenbahn Mulhouse in Betrieb. In: Stadtverkehr 6/2006, S. 16-21

Einzelnachweise

  1. Zur Geschichte siehe Framenau, Tram-Train-System, S. 11f., Göbel, Straßenbahn, S. 18f. Vorortstrecken bei Hans Kobschätzky: Streckenatlas der deutschen Eisenbahn 1893-1935. Alba Buchverlag, Düsseldorf, 1975, S. 49.
  2. Erhard Born: Das elsässisch-mittelbadische Schmalspurnetz. In: Erhard Born (Mitarb.): Schmalspur zwischen Vogesen und Schwarzwald. Selbstverlag, Schwäbisch Gmünd 1972, ISBN 3-9800014-0-7, S. 19ff.
  3. Framenau, Tram-Train-System, S. 12ff.
  4. Zahlenangaben bei Göbel, Straßenbahn, S. 16
  5. Kurzmeldung in stadtverkehr, 3/2009, S. 52
  6. Termine bei www.trams-in-france.net, zu den Details der Planungen: Göbel, Straßenbahn, S. 20f.

Weblinks


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