- Südkurilen
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Die Kurilen (russisch: Курильские острова, japanisch: 千島列島, Chishima-rettō, deutsch „Archipel der tausend Inseln“) oder Kuril-rettō (クリル列島, Kuriru rettō, dt. „Kurilen-Archipel“) sind eine etwa 1200 Kilometer lange, zu Russland gehörige Inselkette mit mehr als 30 großen und kleinen Inseln vulkanischen Ursprungs in Ostasien. Sie verbinden wie eine Brücke das russische Kamtschatka mit dem japanischen Hokkaidō. Die Inselkette trennt den Pazifik vom Ochotskischen Meer.
Etwa 100 Vulkane, wovon 39 aktiv sind, sehr häufige Erdbeben, Schneestürme und Nebel im subarktischen Klima machen die in fischreichen Gewässern liegenden Inseln sehr unwirtlich. Die Natur auf den Inseln ist relativ unberührt. Die Kurilen gelten als eine der landschaftlich schönsten Gegenden der Welt. Sie gehören verwaltungsmäßig zur russischen Oblast Sachalin.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Europäische Entdeckung
Als 1643 der holländische Kapitän Maarten Gerritszoon de Vries die Kurilen als erster Westeuropäer erreichte, lebten etwa 3000 bis 3500 Ainu vom Fischfang, der Jagd und vom Handel bis hinauf zu den Aleuten-Inseln und nach Kamtschatka. Kur soll in den Ainu-Sprachen Mensch, Volk, Völker heißen. 1898 wurden 4413 Einwohner auf den Inseln gezählt. Viele der Ureinwohner waren bereits eingeschleppten Seuchen zum Opfer gefallen.
Erste Japanisch-Russische Vereinbarungen
1855 wurde im Vertrag von Shimoda (dem ersten Vertrag zwischen Russland und Japan überhaupt) festgelegt: die Grenze der beiden Staaten liege zwischen den Inseln Etorofu und Urup. Die Insel Sachalin (jap. Karafuto) wurde als Gebiet mit Interesse beider Seiten bezeichnet. Dies bedeutete, dass sich Angehörige beider Staaten dort ansiedeln konnten, was in den folgenden Jahren zu Konflikten zwischen russischen und japanischen Siedlern führte.
1875 wurde der Vertrag von Sankt Petersburg geschlossen, am 7. Mai (julianischer Kalender: 25. April) unterzeichneten der japanische Bevollmächtigte Enomoto und der russische Staatsmann Fürst Alexander Gortschakow folgende Regelung: die seit 1855 noch russischen Kurilen-Inseln (in §2 des Vertrags bezeichnet als die 18 Inseln zwischen Uruppu und Shimushu) nördlich von Etorofu wurden Japan zugesprochen; im Gegenzug wurde Sachalin vollständig an Russland abgetreten. Damit war der gesamte Kurilen-Archipel unter japanische Hoheit gefallen. Allein auf den nach 1945 von der Sowjetunion eroberten Südkurilen-Inseln Etorofu (russ. Iturup) und Kunashiri (russ. Kunashir) und den zur Präfektur Hokkaidō gehörenden Shikotan und Habomai-Inseln lebten 1945 insgesamt ca. 17.300 Japaner. 1946 mussten diese die Inseln verlassen. Bis heute gibt es Forderungen, diese südlichen Inseln an Japan zurückzugeben. Japan argumentiert dabei mit den Verträgen von 1855 bzw. 1875, dass nur diese 18 Inseln staatsrechtlich die Kurilen (oder Nord-Chishima) darstellen, während die beiden großen südlichen Inseln nicht zu den Kurilen gehören würden. Shikotan und die Habomai-Inseln gehörten sowieso nicht zu den Kurilen.
Die Kurilen im Zweiten Weltkrieg
Alle Kurilen-Inseln gehören heute zu Russland. Die Sowjetunion besetzte den gesamten Inselbogen im August/September 1945 am Ende des Zweiten Weltkrieges. Japan fordert seitdem die Rückgabe der südlichen Kurilen, die aus zwei großen Inseln vor der Nordostküste von Hokkaido bestehen, sowie der Habomai-Inselgruppe und der Insel Shikotan, die nach japanische Position nicht zu den Kurilen, sondern zu Hokkaido gehören und im September 1945 ebenfalls von der UdSSR besetzt worden waren. Zusammenfassend bezeichnet man in Japan diese vier Gebiete als Nördliche Territorien.
Im Neutralitätspakt zwischen Japan und der Sowjetunion vom 13. April 1941 waren beide Vertragspartner die Verpflichtung eingegangen, die beiderseitige territoriale Integrität und Unverletzlichkeit zu respektieren. Am 5. April 1945 kündigte die Sowjetunion an, den Vertrag nicht mehr zu verlängern, so dass er am 25. April 1946 ungültig werden würde. Am 8. August 1945 erklärte die Sowjetunion Japan den Krieg und begann mit einer großangelegten Offensive (Operation Auguststurm), zunächst auf dem asiatischen Kontinent.
Auf den Inseln Paramushiru (russisch Paramuschir) und Shimushu, am Nordende der Inselgruppe kurz vor Kamtschatka, waren erst im Oktober 1940 Einheiten der 7. Division der japanischen Armee stationiert worden. Mit den Luftwaffenstützpunkten Kashiwabara und Kurabuzaki (letztere direkt neben dem Chikurachki-Vulkan, die Anlagen sind noch gut erhalten und heute Ziel vieler Touristen) im Süden der Insel und der Kataoka Luftwaffenbasis, dem Marinehafen Kataoka auf der Nachbarinsel Shimushu besaßen diese Festungsinseln allein sieben Landebahnen und mehrere Häfen. Dazu kam die Bomberbasis Miyoshino auf Shimushu. Von dort aus lieferten sich die Japaner Fernduelle mit den auf den Aleuten bzw. Alaska stationierten Einheiten der US Air Force. Im Sommer 1945 standen auf diesen zwei nördlichsten Inseln etwa 22.000 Mann japanische Truppen und 70 Panzer: die großangelegten Truppenverlegungen der Sowjetunion an die Grenzen der Mandschurei bzw. die Truppenkonzentrationen in den Häfen in der Maritimen Provinz bzw. Kamtschatka/Nordsachalin waren den Japanern nicht entgangen.
Ursprünglich sollten die Kurilen-Inseln noch vor der Kapitulation Japans erobert werden, da bis zum 23. August 1945 nicht klar war, ob die Kurilen und halb Hokkaido zur sowjetischen Besatzungszone Japans werden würden. Stalin beabsichtigte, quasi noch kurz vor Toresschluss Hokkaido zu besetzen.
Die Eroberung der Kurilen durch die Sowjetunion erfolgte - wegen der unübersichtlichen Ziele der Operation und des damit verbundenen Zeitdrucks - unter erheblichen Opfern. Sowjetische Marineinfanterie überwand am 18. August 1945 ab 4:30 Uhr die schmale Wasserstraße von Kamtschatka zur Insel Shimushu, auf der die Japanische 91. Division stand. Die sowjetischen Marineinfanteristen benutzten für die Landung 16 amerikanische LCI (L) - Landing Craft, Infantry (Large), die je etwa 180 Mann 10 Knoten schnell zum Landungsziel bringen. Vom 10. Juni bis zum 29. Juli waren insgesamt 30 LCI (L) von der US Navy über den Alaska-Stützpunkt Cold Bay an die Sowjetmarine übergeben worden. Das Projekt Hula war eines der wohlgehüteten Geheimnisse sowjetisch-amerikanischer Zusammenarbeit im Krieg gegen Japan. Trotzdem forderte die Einnahme Shimushus bis zum 21. August das Leben von 1567 sowjetischen und 1018 japanischen Soldaten, nur wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Das Tokioter Armeehauptquartier erlaubte dem kommandierenden General der 5. Armee Verhandlungen über die Kapitulation aufzunehmen, was für die Garnisonen auf Shimushu, Paramushiru und Onekotan am Abend des 19. August erfolgte.
Bis zum 5. September 1945 wurden die übrigen Kurilen-Inseln kampflos von sowjetischen Truppen besetzt: Etorofu am 29. August, Kunashiri, Shikotan und die seit dem 16. Jahrhundert zu Japan gehörende Habomai-Inselgruppe am 1. September. Am 20. September wurden die beiden großen Inseln in Iturup und Kunashir umbenannt und annektiert. Die japanische Bevölkerung von ca. 17.300 Menschen wurde bis Frühling 1946 vertrieben. Einige japanische Postler behielt man bis 1947 da, um die japanischen Post- und Fernmeldeeinrichtungen am Laufen zu halten. Viele männliche Zivilisten und alle Soldaten wurden in sibirische Lager verbracht, was die Mehrzahl nicht überlebte. Am 2. Februar 1946 wurden die Inseln vom Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR zu sowjetischem Hoheitsgebiet erklärt.
1951 stellte der Friedensvertrag von San Francisco zwischen Japan und den Alliierten (dem sich die UdSSR nicht anschloss) in Artikel 2(c) fest, dass Japan alle Rechte, Titel und Ansprüche aufgibt bezüglich der Kurilen und des Teils von Sachalin und ihm benachbarter Inseln, die Japan im Vertrag von Portsmouth 1905 abgetreten worden waren. Es wurden keine exakten geographischen Grenzen der Kurilen festgelegt, allerdings verstanden und akzeptierten die Teilnehmer an der Friedenskonferenz die Position Japans, dass die vier in der Diskussion stehenden Inseln nicht zu den Kurilen gezählt würden. Die USA bekräftigten dies in einer Note an die UdSSR vom 23. Mai 1957, die feststellte, dass das Wort Kurilen im Vertrag von San Francisco und im Abkommen von Jalta die Habomai-Inseln, Shikotan, Kunashiri und Etorofu weder einschließe, noch dass solch ein Einschluss beabsichtigt gewesen sei.
Bis heute ist der Kurilenkonflikt ungelöst, Japan fordert von Russland bislang vergeblich die Rückgabe der Inseln südlich von und einschließlich Etorofu.
In Japan wird der 7. Februar alljährlich als Tag der Nördlichen Territorien begangen. An diesem Tag (7. Februar 1855, japanisches Mondkalenderdatum Ansei 1. Dezember 1921) wurde der Vertrag von Shimoda zwischen Russland und Japan unterzeichnet, der die Grenze zwischen den Inseln Iturup (Etorofu) und Urup festlegte.
Kalter Krieg
Während des Kalten Krieges waren die Kurilen von großer strategischer Bedeutung. Sie bildeten eine Verteidigungskette vor dem sowjetischen Festland. Neben einer Division Bodentruppen (1978 eingerichtet - 1995 reduziert), wurden dazu etwa 40 MiG-23B Jagdbomber stationiert, die bis Tokio fliegen konnten. Insbesondere in den 1980er Jahren galt diese sowjetische Militäreinrichtung als Bedrohung Hokkaidōs.
Territorialstreit um die Südkurilen
Hauptartikel: Kurilenkonflikt
Die beiden größten Inseln im südlichsten Teil der Inselkette werden von Japan beansprucht. Dies sind: Etorofu (russ.: Iturup; 3139 km²) und Kunashiri (russ.: Kunashir; 1500 km²). Zusammen nehmen sie etwa die Hälfte der Fläche aller Kurilen-Inseln ein.
Außerdem fordert Japan die Rückgabe der Insel Shikotan (255 km²) und der Habomai-Gruppe vor Nemuro (102 km²). Eine der Habomai-Inseln, Kaigara, ist nur knapp 4 km von der japanischen Insel Hokkaido entfernt. Die Habomai-Inseln und Shikotan gehör(t)en zur Provinz Nemuro bzw. heute zur Unterpräfektur Nemuro der Präfektur Hokkaidō, nicht zu den Kurilen. Die Rote Armee hatte diese ebenfalls besetzt.
Liste der zu den Kurilen gehörigen Inseln
Anziferow-Insel, aufgenommen von Landsat 7Name russischer Name japanischer Name Größe
(km²)maximale
Höhe (m)Kurilen Курильские острова/Курилы Chishima-rettō/Kuriru-rettō 10355,61Nordgruppe Awos Авось Aboshi Atlassowa (Alaid) Атласова Araido 1502339Schumschu Шумшу Shumushu 388189Paramuschir Парамушир Paramushiru/Horomushiro 20531816Anziferowa Ширинки Shirinki 747Makanruschi Маканруши Makanrushi 491171Onekotan Онекотан Onekotan 4251324Charimkotan Харимкотан Harimukotan 681157Tschirinkotan Чиринкотан Chirinkotan 6742Ekarma Экарма Ekaruma 301170Schiaschkotan Шиашкотан Shasukotan 122944Zentralgruppe Lowuschki-Inseln/-Felsen Ловушки Mushiru Retsugan 0,1542Raikoke Райкоке Raikoke 4,6551Matua Матуа Matua/Matsuwa 521446Rasschua Расшуа Rasushua/Rashowa 67948Uschischir-Gruppe Ushishiru/Ushichi-shotō 51. Jankitscha/Uschischir Янкича/Ушишир Yankicha/Ushishiru 4012. Ryponkitscha Рыпонкича Ruiponkicha 1213. Srednego-Inseln Среднего Suredonebo-guntō 36Ketoi Кетой Ketoi 731172Simuschir Симушир Shimushiru 3531539Südgruppe Broutona Броутона Buroton 7800Tschornyje Bratja-Inseln Чёрные Братья Chirihoi-shotō 1. Tschirpoi Чирпой Chirihoi/Cherupoi 216912. Brat Tschirpojew Брат Чирпоев Chirihoi Minami-jima/Buratto Cherupoefu 16749Urup Уруп Uruppu 14501426Iturup Итуруп Etorofu 32001634Kunaschir Кунашир Kunashiri 14901822Schikotan Шикотан Shikotan 250413Chabomaigruppe Хабомаи Habomai-guntō 1. Polonskogo Полонского Taraku 12162. Seljony Зелёный Shibotsu 51253. Tanfiljewa Танфильева Suisho 15124. Signalny Сигнальный Kaigara 2345. Juri Юрий Yuri 13456. Anutschina Анучина Akiyuri 3337. Lisji-Inseln Лисьи Kaiba 8. Schischki-Inseln Шишки Kabutojima 9. Storoschewoi Сторожевой Moemoshiri 10. Djomina-Inseln Дёмина Harukari 34Siehe auch
Literatur
- Arnold Gubler: Die Kurilen. Ein geographisch-ethnographischer Beitrag, in: Mitteilungen der Geographisch-Ethnographischen Gesellschaft Zürich, Band 32, 1931-1932, S. 3–104 (Digitalisat)
- Tsuyoshi Hasegawa: The Northern Territories dispute and Russo-Japanese relations. 2 Bde. University of California IAS, Berkeley 1998. ISBN 0-87725-197-5
- Tsuyoshi Hasegawa: Racing the Enemy. Stalin, Truman and the Surrender of Japan. Harvard University Press, Cambridge 2005, Belknap Press, 2006. ISBN 0-674-01693-9
- Tsuyoshi Hasegawa: Russia and Japan. An Unresolved Dilemma Between Distant Neighbors. University of California IAS, Berkeley 1993. ISBN 0-87725-187-8
- Joachim Glaubitz: Fremde Nachbarn - Tokyo und Moskau. Ihre Beziehungen vom Beginn der 70er Jahre bis zum Ende der Sowjetunion. Nomos, Baden-Baden 1992. ISBN 3-7890-1149-5
- Kevin Don Hutchison: World War II in Northern Pacific. Chronology and Fact Book. Greenwood Press, London 1994. ISBN 0-313-29130-6
- David Sirakov: Die russische Japanpolitik in der Ära Putin. Innerstaatliche Präferenzbildung und die Kurilenfrage, Institut für Asienkunde, Hamburg 2006. ISBN 3-88910-325-1
Weblinks
- Kurilen Inseln zwischen Japan und Russland
- Der Herr der Kurilen, Dokumentation 2003/NDR
- Artikel des Deutschlandfunk zur politischen Situation um die Kurilen
- Kurilen Inseln: aktuelle News zum Streit zwischen Japan und Russland
- Amtlichen Seite des japanischen Außenministeriums, die die verschiedenen Verträge und Dokumente aufführt:
46.5151.5Koordinaten: 47° N, 152° O
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