- Annexion
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Eine Annexion (von lat. annectere, „anknüpfen“, „anbinden“; auch als Annektierung bezeichnet) ist die einseitige rechtliche Eingliederung eines bis dahin unter fremder Gebietshoheit stehenden Territoriums in eine andere geopolitische Einheit. Die Annexion geht über die Okkupation (Besetzung) hinaus, da auf dem (ehemals) fremden Territorium die eigene Gebietshoheit de facto ausgeübt wird und das Gebiet de jure dem eigenen Staatsgebiet oder Kolonialreich einverleibt wird. Die Okkupation geht der Annexion meistens voraus.
Rechtswissenschaftler unterscheiden von der durch unmittelbare Androhung oder Durchführung militärischer Gewalt charakteristischen Annexion die staats- und völkerrechtliche Abtretung (Zession). Bei letzterer hat der Staat, der ein Gebiet verliert, dieses formell einvernehmlich in einem Vertrag abgetreten. Allerdings entstehen solche Verträge oftmals unter Zwang, daher sind beispielsweise Geschichtswissenschaftler dazu geneigt, den Begriff der Annexion auch für Zessionen anzuwenden. So hat Frankreich 1871 das als Elsaß-Lothringen bekannt gewordene Gebiet in einer Zession an Deutschland abgetreten, doch wird der Vorgang meist als Annexion bezeichnet.
Bis Mitte 1945 erlaubte das Völkerrecht dem Sieger einer militärischen Auseinandersetzung, die Gebiete seines Gegners ganz oder teilweise zu okkupieren und zu annektieren.
Nach Artikel 2 Zif. 4 der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 ist „jede gegen die territoriale Unversehrtheit […] eines Staates gerichtete […] Androhung oder Anwendung von Gewalt“ verboten. Daraus folgt das grundsätzliche völkerrechtliche Verbot von Okkupation und Annexion.
Nach Artikel 51 beeinträchtigt die Charta „im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung. […] Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen“.Beispiele
Beispiele sind die Annexionen
- des polnisch-litauischen Territoriums durch Preußen, die Habsburgermonarchie und das Russische Reich 1772, 1793 und 1795;
- des Fürstentums Monaco durch das revolutionäre Frankreich 1793;
- der Gebiete des Heiligen Römischen Reichs links des Rheins durch die (revolutionäre) Erste Französische Republik 1794/1801;
- Ostgeorgiens (Kartlien-Kachetiens) durch Russland 1801;
- der Freien Reichsstädte Augsburg und Nürnberg durch Bayern 1805 bzw. 1806;
- Hollands, Hannovers, des Fürstentums Salm, Teile Westfalens und der Hansestädte durch das napoleonische Frankreich um das Jahr 1810;
- des gesamten Schleswig-Holsteins, des Königreichs Hannover, Kurhessens, Nassaus und der Freien Stadt Frankfurt durch das Königreich Preußen 1866 (siehe Deutscher Krieg);
- des Königreichs Birma durch die Briten nach drei Kriegen, ab 1886 vollständig in Britisch-Indien eingegliedert;
- der Republik Hawaii durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1898;
- der Burenrepubliken Transvaal und Oranje-Freistaat durch Großbritannien 1900 infolge des Burenkrieges;
- Bosnien-Herzegowinas durch die Österreichisch-Ungarische Monarchie 1908;
- des Territoriums Südtirol durch Italien nach Auflösung des Staates Österreich-Ungarn infolge des Ersten Weltkrieges 1919 (Vertrag von Saint-Germain);
- des Sudetenlandes 1938 von der Tschechoslowakei durch das Deutsche Reich nach dem Münchner Abkommen,[1] 1939 dann die faktische Annexion Tschechiens;
- der Freien Stadt Danzig 1939 durch das Deutsche Reich;
- Bessarabiens durch die Sowjetunion am 2. August 1940 infolge des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes;
- Estland, Lettland und Litauen 1940 durch die Sowjetunion;
- Luxemburgs 1942 durch das Deutsche Reich;
- des Königsberger Gebiets (heutige Oblast Kaliningrad) durch die Sowjetunion am 17. Oktober 1945 und dessen Eingliederung in die RSFSR am 7. April 1946;
- der Südkurilen durch die Sowjetunion am 2. Februar 1946;
- Acehs durch Indonesien 1949;
- Portugiesisch-Indiens durch Indien 1961;
- Eritreas durch Äthiopien 1961;
- Sikkims durch die Indische Union 1971;
- Cabindas durch Angola 1975;
- Osttimors durch Indonesien 1976 (inzwischen beendet);
- der Westsahara durch Marokko 1976;
- der Walfischbai durch die Südafrikanische Union 1977;
- des Westjordanlandes und Ost-Jerusalems durch Jordanien von 1948 bis 1967;
- Ostjerusalems durch u. a. das israelische Jerusalemgesetz 1980;[2]
- der Golan-Höhen durch ein israelisches Gesetz von 1981;
- Kuwaits durch den Irak 1990, die den Zweiten Golfkrieg auslöste, der sie dann beendete.
Siehe auch
Wiktionary: Annexion – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, ÜbersetzungenEinzelnachweise
- ↑ Dies ist aber zum Zeitpunkt der Einverleibung juristisch nicht zutreffend gewesen, vgl. in diesem Zusammenhang insbes. Raschhofer/Kimminich, Die Sudetenfrage, S. 275: „Seiner völkerrechtlichen Natur nach war der Übergang der Gebietshoheit [hinsichtlich des Sudetenlandes, Anm.] von der Tschechoslowakei auf Deutschland im September 1938 nicht Annexion, sondern eine Adjudikation durch Großmächteentscheid auf Grund der Erklärung der Zessionsbereitschaft der Tschechoslowakei am 21. September 1938 […].“
- ↑ Wolfgang Gieler (Hrsg.), Handbuch der Ausländer- und Zuwanderungspolitik: Von Afghanistan bis Zypern (= Politik: Forschung und Wissenschaft; Bd. 6), LIT Verlag, Münster 2003, S. 220.
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