Tableaux vivants

Tableaux vivants
Eine „Gruppe“ aus dem Mariinski-Theater in Sankt Petersburg 1890

Als Tableaux vivants (frz. „lebende Bilder“) bezeichnet man Darstellungen von Werken der Malerei und Plastik durch lebende Personen. Diese Mode kam gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf.

Als Erfinderin nennt Meyers Konversations-Lexikon Madame de Genlis, die Erzieherin der Kinder des Herzogs von Orleans. Sie soll zur Belehrung und Unterhaltung ihrer Zöglinge solche Darstellungen arrangiert und sich dabei der Hilfe der Maler Jacques-Louis David und Jean-Baptiste Isabey bedient haben. Bekannter wurden die öffentlichen Nachahmungen antiker Statuen durch Lady Hamilton, die oft für Gemälde Modell gestanden war und die Kunst des Stillhaltens auch auf die Bühne brachte. Mit ähnlichen Darstellungen wurde auch die Schauspielerin Henriette Hendel-Schütz bekannt.

Lebende Bilder im engeren Sinn sind allerdings keine Solodarbietungen (Attitüden), sondern Gruppenbilder. Seit dem 18. Jahrhundert enthalten die Aufführungen der Oberammergauer Passionsspiele in ununterbrochener Tradition zahlreiche lebende Bilder aus dem Alten Testament. Lebende Bilder wurden im 19. Jahrhundert zu einem zentralen szenischen Gestaltungsmittel, auf der Theaterbühne ebenso wie bei höfischen oder bürgerlichen Festen. Sie waren integrale Bestandteile von Militärparaden, Bühnen- und Gesellschaftstänzen. Geeignete Beleuchtung und auch Musikbegleitung hatten für ihre Wirkung einige Bedeutung. Jean Sibelius komponierte etwa seine Tondichtung Finlandia (1900) für eine Folge lebender Bilder.

Vor allem wurden lebende Bilder eingesetzt, um einen klaren Abschluss bewegter Aktionen anzuzeigen. Häufig anzutreffen war im Theater des 19. Jahrhunderts eine unbewegliche Gruppe der Schauspieler, während der Vorhang fiel. Dazu steht im Textbuch die Anweisung „Gruppe“. Bis heute bilden Tänzer nach einem Tanz oder Artisten zum Applaus nach einem gelungenen Trick eine Gruppe (das sogenannte Kompliment).

Gruppe in einem gedruckten Regiebuch von 1841

In „Gruppenbüchern“ wurden lebende Bilder für jede Gelegenheit zur Nachahmung empfohlen, manchmal mit Bändern und ähnlichen Requisiten. Das frühe Turnen bestand zum Teil aus dem Einstudieren lebender Bilder, etwa mit patriotischen Sujets. In manchen Sportarten haben sich bis heute Traditionsreste davon erhalten. Das Posieren zur Nationalhymne oder für ein Foto stammt von der Tradition der lebenden Bilder her. In der Fotografie wird der Ausdruck „lebende Bilder“ manchmal für eine gestellt wirkende, besonders symbolhafte Komposition verwendet, die an Historienmalerei oder Genremalerei erinnert.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekamen lebende Bilder einen Sensationswert, indem sie von nackten Darstellern präsentiert wurden, wie etwa von Olga Desmond. In der Revue wurden Nackte geduldet, solange sie sich nicht bewegten.

Bis in die heutige Zeit sind lebende Bilder in der Kunstform der Living Mannequins (auch Lebende Statuen genannt) populär geblieben, die häufig als Straßenkünstler oder als Walking Acts auf Festivals, Messen oder vergleichbaren Veranstaltungen auftreten. Der Reiz hierbei besteht im ungewöhnlich langen Verharren in einer regungslosen Pose, das gelegentlich durch eine überraschende, meist betont sparsame Interaktion mit dem Publikum (zum Beispiel ein Augenzwinkern) unterbrochen werden kann. Ensemble-Darbietungen mehrerer Personen sind in diesem Bereich jedoch eher die Ausnahme.

Siehe auch

Literatur

  • Kirsten Gram Holmström: Monodrama, Attitudes, Tableaux vivants. Studies on Some Trends of Theatrical Fashion 1770-1815. Uppsala: Almquist & Wiksell 1967
  • Birgit Jooss: Lebende Bilder. Körperliche Nachahmung von Gruppenbildern in der Goethezeit. Berlin: Reimer 1999. ISBN 3496011971
  • Birgit Jooss: „Sinnreiche und reizende Festspiele“. Lebende Bilder in der Fotografie. In: La Bohème. Die Inszenierung des Künstlers in Fotografien des 19. und 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Bodo von Dewitz, Göttingen 2010, S.85-89 (englisch: S.344-345)
  • Birgit Jooss: Tableaux und Attitüden als Inspirationsquelle inszenierter Fotografie im 19. Jahrhundert. In: Rollenspiele - Rollenbilder. Hrsg. von Toni Stooss und Esther Ruelfs, München 2011, S.14-39
  • Sabine Folie, Michael Glasmeier: Tableaux vivants. Lebende Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video. (Ausstellungskatalog) Kunsthalle Wien, 2002
  • Edmund Wallner: Vierhundert Sujets zu lebenden Bildern. […] 2 Bde. Erfurt: Bartholomäus 1876-81. (Gruppenbuch)
  • Joanna Barck: Hin zum Film - Zurück zu den Bildern. Taleaux Vivants: "Lebende Bilder" in Filmen von Antamoro, Korda, Visconti und Pasolini. Bielefeld: Transcript Film 2008. ISBN 389942817X

Weblinks

 Commons: Tableau vivant – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Tableaux vivants — Tableau vivant Ta bleau vi vant ; pl. {Tableaux vivants}. [F.] Same as {Tableau}, n., 2. [1913 Webster] …   The Collaborative International Dictionary of English

  • Tableaux les plus chers — Liste des peintures les plus chères Cette liste rassemble les tableaux (œuvres d art) les plus chers du monde. Sommaire 1 Tableaux 2 Peintres vivants 3 Peintres vivants dont le record est au moins à 762 245 euros …   Wikipédia en Français

  • Tableau vivant — (plural: tableaux vivants) is French for living picture. The term describes a striking group of suitably costumed actors or artist s models, carefully posed and often theatrically lit. Throughout the duration of the display, the people shown do… …   Wikipedia

  • tableau — [ tablo ] n. m. • 1285 tabliau « panneau de bois, de métal... portant des inscriptions, des images »; de table I ♦ 1 ♦ (1355 « toile pour peinture ») Œuvre picturale exécutée sur un support rigide et autonome. ⇒ panneau, peinture, toile . Tableau …   Encyclopédie Universelle

  • Hypothypose — Hypotypose Lawrence Alma Tadema, La mort d Hippolyte, 1860. L hypotypose (ὑποτύπωσις[note 1]) (prononcé : [i po ti pô z ]) est …   Wikipédia en Français

  • Hypotypose — Lawrence Alma Tadema, La mort d Hippolyte, 1860. L hypotypose [ …   Wikipédia en Français

  • vivant — 1. vivant [ vivɑ̃ ] n. m. • 1050; de 1. vivre ♦ Temps de la vie (seult dans certaines loc., avec de). De son vivant : pendant sa vie. Du vivant des époux. Du vivant de ton père tu n aurais pas fait cela. vivant 2. vivant, ante [ vivɑ̃, ɑ̃t ] adj …   Encyclopédie Universelle

  • vivant — vivant, ante (vi van, van t ) adj. 1°   Qui vit. •   Je l adorais vivant, et je le pleure mort, CORN. Hor. IV, 5. •   Alors le roi [Salomon] prononça cette sentence : Donnez à celle ci l enfant vivant, et qu on ne le tue point ; car c est elle… …   Dictionnaire de la Langue Française d'Émile Littré

  • Cuno von Uechtritz — Steinkirch ( * 3. Juli 1856 in Breslau; † 29. Juli 1908 in Berlin) war ein deutscher Bildhauer. Der Künstler stammte aus der Dresdner Bildhauerschule und machte sich mit einer Denkmalgruppe für die Berliner Siegesallee und mit dekorativen… …   Deutsch Wikipedia

  • Cuno von Üchtritz-Steinkirch — Cuno von Uechtritz Steinkirch ( * 3. Juli 1856 in Breslau; † 29. Juli 1908 in Berlin) war ein deutscher Bildhauer. Der Künstler stammte aus der Dresdner Bildhauerschule und machte sich mit einer Denkmalgruppe für die Berliner Siegesallee und mit… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”