- Teilung Jugoslawiens
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Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien war ein Vielvölkerstaat in Mittel- und Südosteuropa, der in einer Serie von Kriegen zerfiel. Die Föderation bestand vor dem Zerfall aus sechs Republiken: Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro, Serbien und zwei autonomen Provinzen innerhalb Serbiens: der Kosovo im Süden und die Vojvodina im Norden. Wichtige Faktoren, die den Zerfall begünstigten, waren eine nicht erfolgte Aufarbeitung des Bürgerkriegs während des Zweiten Weltkrieges, der latente Nationalismus (besonders nach Titos Tod), eine von Hyperinflation geprägte Wirtschaftskrise sowie die sich entwickelnden Demokratiebestrebungen Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre.
Die im Jahr 1991 von der EG eingesetzte Badinter-Kommission kam zum Ergebnis, dass es sich um einen Zerfall in fünf Nachfolgestaaten handele, von denen keiner staatsrechtlich identisch mit dem alten Bundesstaat sei.
Politische Lage in den achtziger Jahren
Tod von Josip Broz Tito
Nach dem Tod Josip Broz Titos am 4. Mai 1980 nahmen zentrifugale Bestrebungen der einzelnen Republiken zu. Eine mit Tito vergleichbare Integrationsfigur Jugoslawiens fehlte. Neben einer Wirtschaftskrise, hervorgerufen durch eine Überschuldung des Staatshaushalts, die zu einer starken Inflation und Verteilungskämpfen zwischen den Republiken führte, kam es nach Titos Tod zu einer konstitutionellen Krise, die durch den Nationalismus der Slowenen, Kroaten, Kosovo-Albaner und insbesondere Serben und mit ihnen verbundenen Montenegriner letztendlich in mehrere Kriege ausartete.
Erste Anzeichen eines offenen Konfliktes
Serbien als größtes und bevölkerungsstärkstes Land im ehemaligen Jugoslawien wurde durch die Verfassung von 1974 in seinem Einfluss reduziert. So erhielten die Provinzen Kosovo und Vojvodina weitreichende Kompetenzen und die Sozialistische Teilrepublik Serbien konnte nur sehr begrenzt Einfluss auf diese Gebiete nehmen. Die Provinzen hatten ebenso wie die sechs Republiken jeweils einen Sitz im Regierungsrat.
Der serbische Kommunistenführer Slobodan Milošević wollte immer eine Lage wie vor 1974 wiederherstellen. Andere Teilrepubliken wie Kroatien und Slowenien sahen in diesem Vorhaben einen Schritt zu einem hegemonialen Großserbien. Dennoch konnte Milošević im Rahmen der so genannten Antibürokratischen Revolution das Mitspracherecht der Provinzen einschränken bzw. zu seinen Gunsten ausnutzen. So installierte er zwei loyale Serben als Vertreter der beiden Provinzen und hatte damit bei allen Abstimmungen vier Stimmen sicher, nämlich die von Montenegro und Serbien sowie die der beiden serbischen Provinzen.
Als Resultat dieser Geschehnisse organisierten die ethnischen Albaner im Kosovo eine Widerstandsbewegung gegen den serbischen Einfluss auf dem Kosovo. 1980 stellten Albaner 77 % der Bevölkerung des Kosovo. Die Zahl der dort lebenden Serben sank zum einen durch die Vertreibung durch die Albaner während des Zweiten Weltkrieges sowie durch teilweise Benachteiligung der serbischen Bevölkerung nach 1974. Abwanderung der Serben in wirtschaftlich stärkere Teile Jugoslawiens spielte ebenfalls eine Rolle. 1999 lebten nur noch etwa 10 % Serben im Kosovo, was auch durch die höhere Geburtenrate der albanischen Bevölkerung bedingt war.
So kam es in der Folgezeit zu großen Protesten im Kosovo, die durch serbische Polizeikräfte und die serbisch kontrollierte Jugoslawische Volksarmee (JNA) unterdrückt wurden.
Rolle der Jugoslawischen Volksarmee
Dies wurde vor allem in der Politik und den Äußerungen des seit 1987 amtierenden Chefs der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (BDJK), Slobodan Milošević, deutlich. Schon bis dahin waren die Polizei sowie ein großer Teil der Verwaltung auch in den Republiken serbisch dominiert, vor allem aber traf dies auf die Jugoslawische Volksarmee (JNA) zu. Die JNA selbst wiederum sah sich auch in dieser Zeit des europäischen Umbruchs noch uneingeschränkt in der Tradition der kommunistischen Partisanen und somit als Befreier Jugoslawiens von faschistischer Herrschaft. Vor allem für die Kriegspropaganda war die Gleichsetzung der Kroaten mit der faschistischen Ustascha und der Serben mit den Partisanen in den Kriegsjahren von großer Bedeutung.
Die Krisenzeit der neunziger Jahre
Liga der Kommunisten in Jugoslawien
Im Januar 1990 wurde der außerordentliche 14. Kongress des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens abgehalten. Überschattet war das Treffen von Kritik seitens der Slowenen und Serben an der mangelnden Weitsicht der Politik. Die Serben wollten eine Legislative, die durch das Gebot „Ein Mann, eine Stimme“ die größte Volksgruppe, nämlich die Serben, bevorteilt hätte. Im Gegenzug wollten die Teilrepubliken Kroatien und Slowenien, dass sie mehr Selbstbestimmung zugesprochen bekommen, bekamen jedoch keine Mehrheit zusammen. Als Resultat verließen die kroatische und die slowenische Delegation den Kongress und das Treffen wurde abgesagt.
Zerfall des sozialistischen Systems
Mit dem Zerfall der kommunistischen Systeme in Ost- und Südosteuropa bzw. dem Sturz der kommunistischen Regime (in der DDR, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien jeweils 1989 sowie Bulgarien 1990, und letztlich ab 1990 in der UdSSR selbst) und der Demokratisierung in diesen ehemals kommunistischen Ländern war zu Beginn der 1990er Jahre die „Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien“, neben Albanien, das letzte Land in Europa unter kommunistischer Führung. Die beiden nördlichen Teilrepubliken der SFRJ, Slowenien und Kroatien, drängten unter dem Eindruck der beschriebenen Demokratisierung in Osteuropa zu Reformen des jugoslawischen Staatenverbundes.
Erste freie Wahlen seit 1945
Slowenien und Kroatien waren Ende der 1980er Jahre die wirtschaftlich stärksten Teilrepubliken Jugoslawiens: Slowenien vor allem durch seine Industrie, Kroatien sowohl durch die Industrie als auch durch den Tourismus. Auch im Bewusstsein dieser wirtschaftlichen Bedeutung forderten Slowenien und Kroatien eine Reform der jugoslawischen Föderation und eine Gleichstellung der Republiken, gerade was die finanziellen Ausgleichszahlungen zwischen den Republiken und dem Zentralstaat anbelangte. 1990 gingen aus den ersten freien Wahlen nach 1945 in Slowenien und Kroatien die Befürworter einer Reform des jugoslawischen Staatsverbundes, in Serbien und Montenegro hingegen die Kommunisten und somit die Befürworter eines weiterhin zentralistischen Systems als Sieger hervor. In Slowenien hatte mit Milan Kučan zwar auch ein ehemaliger Kommunist gesiegt, dieser bekannte sich aber klar zu einem Reformkurs. In Kroatien war Franjo Tuđman mit seiner neu gegründeten HDZ (Kroatische Demokratische Partei) der Sieger dieser Wahlen. Beide Wahlsieger fühlten sich nunmehr durch die Legitimation ihrer Landsleute in ihren Forderungen nach Reform der Jugoslawischen Föderation bestärkt und beide – Slowenien und Kroatien – brachten nun auch verstärkt die Option einer Unabhängigkeit der beiden Republiken ins Spiel, für den Fall, dass ihre Reformbemühungen scheitern sollten.
Erste Unruhen
Im März 1990, während einer Demonstration für die Unabhängigkeit Kroatiens in Split, wurde ein Soldat der JNA erhängt, nachdem er mehrere Demonstranten mit seinem Panzer verletzt und getötet hatte.
Im selben Monat traf die JNA das jugoslawische Staatspräsidium, um durchzusetzen, dass der Ausnahmezustand ausgerufen wurde und somit die Armee gegen Unruhen vorgehen konnte. Während Serbien, Montenegro, Kosovo und die Vojvodina dafür stimmten, stimmten Kroatien, Slowenien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina dagegen. So wurde eine weitere Eskalation verhindert und die Armee griff nicht ein.
Krajina
Im August 1990 proklamierten die Serben in Kroatien ein autonomes Gebiet, die so genannte SAO Kninska Krajina. Sie blockierten die wichtigste Touristenstraße aus Nordkroatien Richtung Dalmatien, was in den Medien als balvan-revolucija, wörtlich „Holzstamm-Revolution“ bezeichnet wurde. Kroatische Spezialeinheiten sollten aus Zagreb mit Hubschraubern im Problemgebiet eingreifen, wurden jedoch von JNA-Kampfflugzeugen zum Abbrechen der Mission gezwungen. So wurde im Oktober 1990 die SAO Krajina gegründet. Offiziell gab die SAO Krajina ihre Unabhängigkeit am 21. Dezember 1990 bekannt. Regierungschef war Milan Babić.
Entwicklung im Winter 1991
Im Januar 1991 zeigte die „Kontraobaveštajna služba“ (militärischer Geheimdienst) ein Video eines geheimen Treffens zwischen dem kroatischen Verteidigungsminister Martin Špegelj und zwei anderen Personen, welches 1990 stattfand. Špegelj sprach davon, dass man sich im Krieg befinde und Waffenlieferungen und militärische Kontakte zu JNA-Offizieren in Kroatien geknüpft werden. Hierfür wurde Špegelj wegen Verrat und illegalen Waffenlieferungen (zumeist aus Ungarn) angeklagt.
Am 9. März 1991 fand eine Demonstration gegen Slobodan Milošević in Belgrad statt, welche durch das Militär niedergeschlagen wurde. Es gab zwei Tote. Außerdem gab es mit dem Bewaffneten Zwischenfall bei den Plitvicer Seen den ersten offenen Vorfall zwischen Kroaten und Serben. Obwohl das Militär (JNA) nicht für innenpolitische Ereignisse zuständig war, griff die serbisch dominierte Armee immer öfter in zivile Angelegenheiten ein.
Unabhängigkeitserklärungen
Am 1. April 1991 erklärte die SAO Krajina die Abspaltung von Kroatien. Andere serbisch dominierte Ortschaften an der östlichen Grenze zu Serbien gaben ebenfalls bekannt, sich der Krajina anzuschließen, und wollten keine Steuern mehr an Zagreb bezahlen.
Nach monatelangem Kräftemessen und Ringen um Reformen der Föderation, das vor allem im Gremium des Staatspräsidiums der SFRJ ausgetragen wurde, eskalierte die Situation, nachdem im Mai 1991 eine an sich turnusmäßige Übernahme des Vorsitzes durch den Kroaten Stjepan Mesić (HDZ) am Widerstand Serbiens und Montenegros scheiterte. Für Kroatien, aber auch für Slowenien war dies nun der endgültige Beleg dafür, dass die beharrenden kommunistischen Kräfte in Belgrad an keiner echten Reform interessiert waren und die gemeinsamen Regeln der Föderation verletzten.
Am 25. Juni 1991 gaben Slowenien und Kroatien als erste Teilstaaten die Unabhängigkeit bekannt. In Slowenien übernahm die auf Republiksebene organisierte Territorialverteidigung (Teritorijalna obramba) die militärische Aufsicht und jugoslawische Flaggen wurden durch slowenische ersetzt.
Unabhängigkeit Sloweniens
- Hauptartikel: 10-Tage-Krieg in Slowenien
Nur wenige Wochen nach diesem Ereignis erklärten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit vom jugoslawischen Staatsverbund. Kurz darauf – Ende Juni 1991 – begann in Slowenien die kriegerische Auseinandersetzung zwischen der slowenischen Territorialverteidigung, welche nach der Unabhängigkeit auch die slowenischen Grenzübergänge übernommen hatte, und der Jugoslawischen Volksarmee (JNA), die ihre Befehle aus Belgrad erhielt. Die Kampfhandlungen konzentrierten sich auf einzelne Grenzübergänge (z.B. nach Österreich), auf wichtige Verkehrsknoten und auf Kasernen der JNA. Die Slowenen forderten den Abzug der JNA aus Slowenien, unter Zurücklassung ihrer schweren Ausrüstung, da diese nun slowenisches Eigentum bzw. der rechtmäßige slowenische Anteil der bisherigen Jugoslawischen Föderation sei. Überrascht von der slowenischen Abwehrkraft und unter internationaler Vermittlung konnte nach wenigen Tagen ein Waffenstillstand ausgehandelt werden. Slowenien, aber auch die zweite nunmehr unabhängige Republik Kroatien verpflichteten sich darin unter anderem ihre jeweilige Unabhängigkeit für einige Monate auszusetzen sowie die Waffen ihrer neu gegründeten Territorialstreitkräfte an die JNA zu übergeben.
Unabhängigkeit Kroatiens
- Hauptartikel: Kroatienkrieg
Belgrad, das im Wesentlichen durch die JNA direkt in den Konflikt involviert war, sah in diesen Territorialstreitkräften nicht legitimierte paramilitärische Kräfte auf jugoslawischem Territorium, was juristisch auch durch die Nichtanerkennung der Unabhängigkeit der beiden Republiken gerechtfertigt wurde. Sowohl die Territorialkräfte Sloweniens als auch Kroatiens übergaben nach eigenen Angaben zum wesentlichen Teil im Sommer 1991 ihre meist leichten Waffen an die Jugoslawische Volksarmee. Vor allem für Kroatien sollte sich dies in den nächsten Monaten als entscheidender Nachteil erweisen. Major Veljko Kadijević, maßgeblicher Belgrader Militär der JNA, sprach Jahre später in einer BBC-Dokumentation (deutsch „Bruderkrieg“) offen darüber, dass das eigentliche Hauptaugenmerk Belgrads damals bereits auf Kroatien lag. Die Serben hätten schlicht keine nationalen Interessen in Slowenien gehabt bzw. ein offener Krieg gegen ein nach Unabhängigkeit strebendes Slowenien sei auf Dauer vor der internationalen Staatengemeinschaft schwer zu rechtfertigen gewesen, ganz im Gegensatz zu Kroatien. Aus heutiger Sicht scheint erwiesen, dass der rasche Rückzug der JNA aus Slowenien, und damit die faktische Aufgabe der Integrität der jugoslawischen Föderation durch Belgrad, vor allem dem Zweck diente, die Kräfte in einem bereits geplanten Krieg gegen ein nach Unabhängigkeit strebendes Kroatien zu konzentrieren.
Verlauf nach den Unabhängigkeitserklärungen
Gleich nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens proklamierten die Serben in Kroatien die Republik Serbische Krajina (RSK), die aber niemals international anerkannt wurde.
Am folgenden Tag gab das Innenministerium den Befehl die Grenzen der SFRJ zu kontrollieren.
Die Truppen der JNA planten innerhalb 48 Stunden von den Kasernen in Kroatien und Slowenien das Land wieder unter Kontrolle zu bringen. Mit einer geringen Zahl von Opfern konnte sich Slowenien abspalten.
Dem Brioni-Abkommen (7. Juli 1991, benannt nach der Inselgruppe Brijuni) zufolge sollten Kroatien und Slowenien auf Bitte der Europäischen Gemeinschaften die Unabhängigkeit auf drei Monate aussetzen.
Dennoch brachen im August 1991 auch in Kroatien offene Kämpfe aus. Der Krieg zwischen den zunächst von der JNA unterstützten Truppen der RSK und der neugebildeten kroatischen Armee dauerte mit Unterbrechungen bis 1995.
Im September 1991 erklärte Mazedonien seine Unabhängigkeit. Mazedonien war das einzige Land, das ohne Belgrader Widerstand die Unabhängigkeit erklären konnte. 500 US-Soldaten wurden danach in Mazedonien zur Aufrechterhaltung des Friedens unter UN-Mandat stationiert. Der Präsident Kiro Gligorov unterhielt gute Beziehungen zu Belgrad und den anderen Teilrepubliken.
Im November 1991 sollte die „Arbitration Commission of Peace Conference on Former Yugoslavia“ (die sog. Badinter-Kommission der EG) einen Bericht zum Zerfall Jugoslawiens auf Bitte von Lord Carrington erstellen. Der Kommission unter Robert Badinter kam zu folgenden Ergebnissen:
- Jugoslawien befindet sich im Begriff des Zerfalls.
- Die Grenzen der Teilrepubliken sind völkerrechtlich verbindliche Grenzen der Nachfolgestaaten.
Der UN-Sicherheitsrat veröffentlichte daraufhin die Resolution 721 am 27. November 1991, der zufolge Soldaten in den Teilrepubliken zur Friedenserhaltung stationiert werden sollten.
Dennoch konnte weder eine Fortsetzung des Kroatienkrieges noch der Ausbruch des Bosnienkrieges 1992 verhindert werden.
Fehlinterpretationen der internationalen Politik
Der Kommunismus als disziplinierendes Instrument
Der britische Premierminister John Major äußerte 1993 dass mit dem Zerfall der Sowjetunion auch ein "Element zur Disziplinierung der Ethnien verschwand", sodass es zu einem "erneuten Aufschwung historischen Hasses unter den einzelnen Ethnien Jugoslawiens kam".[1] Ob Jugoslawien nach dem Ausschluss Titos aus der Kominform 1948 überhaupt noch der "Disziplin" der Sowjetunion ausgesetzt war, ist zu bezweifeln.
Das Gegenteil war der Fall. Die meisten kommunistischen Regierungen in der Welt beflügelten den Nationalismus in deren Staaten und benutzten diesen für deren eigene Zwecke. In den meisten osteuropäischen Staaten kam es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu einem Aufleben nationalistischer Ideen aus der Zeit vor dem Kommunismus. Zudem wechselten viele ehemalige kommunistische Parteifunktionäre in die Reihen der Parteien des extrem rechten Lagers, was u.a. auch in Serbien der Fall war.[2]
Historischer Hass unter den Ethnien
Der britische Premierminister John Major behauptete ebenfalls mehrfach, dass die Ereignisse in Bosnien Folgen eines historischen Hasses unter den Ethnien seien. Bestimmt existierten Hassvorstellungen und Rivalitäten in der bosnischen Vergangenheit. Bosnien war sicher kein Wunderland dauernder interreligiöser Harmonie. Die Hauptgründe für die Spannungen waren jedoch wirtschaftlicher Natur. Einerseits war es ein Gefühl der Ablehnung, das von der vornehmlich christlichen Bevölkerung gegenüber deren muslimischen Grundherren verspürt wurde. Andererseits bestand eine gewisse Feindschaft zwischen katholischen und orthodoxen Gemeinschaften, die stetig verändernden Einflüssen unterstand: Auseinandersetzungen betreff kirchlicher Hierarchien, politischer Druck von Seiten der Nachbarstaaten, usw. All diese Spannungen waren nicht permanent in das Gewissen der Menschen dieses Raumes eingebaut. Sie waren Produkte der Geschichte und veränderten sich im Laufe der Geschichte.[2]
Bürgerkrieg, ethnischer Konflikt und die politische Dimension
Ansätze, welche die Kriege im ehemaligen Jugoslawien lediglich als Folgen ethnischer Konflikte anzusehen versuchten, ignorierten oft die vorrangige Rolle der Politiker hinsichtlich der Schaffung dieser Konflikte auf politischer Ebene (vornehmlich die Rolle des serbischen Nationalisten-Kommunisten Slobodan Milošević). Tatsache war, dass die Auseinandersetzungen selbst nicht von einfachen Bürgern entfacht wurden, sondern von organisierten Streitkräften, die von oben gesteuert waren. In der "jahrhundertealten" Geschichte Bosniens oder Kroatiens gab es nie ethnische Kriege. Die einzigen Konflikte mit teils ethnischem Charakter waren moderne Kriege, zu denen es aufgrund besonderer geopolitischer Konstellationen kam (vornehmlich der Zweite Weltkrieg).[3]
Territoriale Integrität, Verwaltungsgrenzen
Einige Berichterstatter verneinten, dass Bosnien etwa jemals ein Staat gewesen sei. Als Lord David Owen 1992 zum Chefverhandler der EU in der Jugoslawienkrise wurde, wurde er tatsächlich von einem britischen Kolumnisten dazu beraten, dass die inneren Grenzen Jugoslawiens lediglich Verwaltungsgrenzen seien, ähnlich jener künstlicher Kolonialgrenzen in Afrika. Zudem wurde oft behauptet, dass die Grenzen Bosniens von Tito erfunden worden seien. In Wahrheit wurden die historischen Grenzen Bosniens von diesem lediglich wiederhergestellt, so wie sie in der Spätphase des Osmanischen Reiches und zur Zeit Österreich-Ungarns existierten.[3]
Der Drang von Seiten internationaler Politiker, die territoriale Integrität Jugoslawiens um jeden Preis weiterbehalten zu wollen und die demokratischen Unabhängigkeitserklärungen in Slowenien und Kroatien zu ignorieren, kam den Bewahrern der jugoslawischen Einheit entgegen. Westliche Politiker ignorierten jedoch die Rhetorik der vergangenen Jahre, die von serbischen Politikern und Philosophen wie Slobodan Milošević oder Mihailo Marković ausging. Diese strebten in Wirklichkeit ein Großserbien unter dem Deckmantel Jugoslawiens an. Lord Peter Carrington etwa glaubte auch weiterhin, dass ein loser jugoslawischer Staatenverbund möglich gewesen sei.
Die jugoslawische Volksarmee begann in Folge der Unabhängigeitserklärungen und mit dem Wissen, dass die territoriale Integrität von außen befürwortet wurde, zunächst in Slowenien und dann in Kroatien militärisch hart einzugreifen.[2] Viele Analysten und ehemals-involvierte Politiker sind der Ansicht, dass gerade anhand der Stadt Vukovar - einem Miniaturjugoslawien - versucht wurde, ein Exempel zu statuieren, was zu erwarten ist, wenn man sich der Zentralgewalt Belgrads zu entziehen versucht.
Rasche Sanktionen
Bereits im September 1991 verhängten die Vereinten Nationen ein Waffenembargo über das gesamte Territorium Jugoslawiens. Tatsächlich hatte dies nur geringe Auswirkungen auf die Jugoslawische Bundesarmee, die massiv aufgerüstet war und über eine große Waffenindustrie verfügte (einige Schlüsselindustrien in Bosnien befanden sich in ethnisch serbischen Gebieten, wie etwa eine Produktionsanlage von Artilleriegeschossen in Vogošća unweit von Sarajevo, die zu Beginn des Krieges von serbischen Truppen eingenommen wurde). Die jugoslawische Volksarmee erwarb zudem 1991 unmittelbar vor Inkrafttreten des Embargos 14.000 Tonnen Waffenmaterial aus dem Nahen Osten. Einige serbische Kommandanten gaben sogar an, den Krieg weitere sechs oder sieben Jahre führen zu können. Das Embargo hatte keinerlei Effekt auf die militärische Einsatzfähigkeit der serbischen Truppen.
Tatsächlich schwächten diese Sanktionen die kroatischen Streitkräfte, die in vielen Teilen West- und Nordostkroatiens bereits beinahe eine Pattsituation mit der jugoslawischen Volksarmee zustande brachten. In der Folge wurde Vukovar von der jugoslawischen Volksarmee und serbischen paramilitärischen Einheiten (darunter Arkans Tigern) vollständig zerstört. Auch nach der Aufnahme Bosniens in die UNO am 22. Mai 1992 blieben die Sanktionen bestehen. Langfristig gesehen war dies ein Todesurteil für die bosnischen Streitkräfte.[2]
Ethnische Säuberung
Die internationale Staatengemeinschaft nahm im Laufe des Krieges an, dass die erzwungene Flucht der terrorisierten Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina ein Nebenprodukt der bewaffneten Auseinandersetzungen sei. Es wurde angenommen, dass das Hauptproblem militärischer Art sei, weshalb man sich auf Waffenstillstandsabkommen und humanitäre Lösungen konzentrierte. Man dachte, dass man diese "humanitäre Krise" durch die Verlagerung von Flüchtlingscamps außerhalb Bosniens lösen könnte. Der Begriff der ethnischen Säuberung war zwar in allgemeinem Umlauf, die grundlegenden Auslöser des Krieges wurden jedoch nicht erkannt. Es wurde nicht verstanden, dass ethnische Säuberungsaktionen kein Nebenprodukt der Kampfhandlungen darstellten. Dies war ein zentrales Ziel des gesamten politischen Projekts, welches darauf abzielte, homogene serbische Gebiete zu erstellen, die letztendlich an andere serbische Gebiete angegliedert werden sollten, einschließlich Serbien selbst, um einen großserbischen Staat zu schaffen.[4]
Siehe auch
Literatur
- W. Raymond Duncan und G. Paul Holman, Ethnic Nationalism and Regional Conflict: The Former Soviet Union and Yugoslavia, Westview Press Inc, USA, 1994. ISBN 0-8133-8813-9
- Srećko M. Džaja: Die politische Realität des Jugoslawismus (1918-1991), Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2002, ISBN 978-3-486-56659-8
- Branka Magas, The Destruction of Yugoslavia: Tracking the Break-up 1980–1992, Verso, Great Britain, 1993. ISBN 0-86091-593-X
- Paul Mojzes, Yugoslavian Inferno: in the Balkans, The Continuum Publishing Company, USA, 1994
- Micheal Parenti, To Kill a Nation: The Attack on Yugoslavia, Verso, London, 2000
- Peter Radan, Break-up of Yugoslavia and International Law, Routaledge, Great Britain, 2002
- Holm Sundhaussen: Geschichte Serbiens : 19. - 21. Jahrhundert Wien; Köln; Weimar: Böhlau 2007; 514 S. ISBN 978-3-205-77660-4
- Susan Woodward, Balkan Tragedy: Chaos & Dissolution after the Cold War, Brookings Institution Press, Virginia, USA, 1995
Einzelnachweise
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