Thränen des Vaterlandes

Thränen des Vaterlandes
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Tränen des Vaterlandes oder auch geschrieben Threnen des Vatterlandes ist ein Sonett von Andreas Gryphius, einem Dichter und Dramatiker des literarischen Barock. Es behandelt den Dreißigjährigen Krieg.


Inhaltsverzeichnis

Das Gedicht


(Originale "Rechtschreibung")

Threnen des Vatterlandes / Anno 1636

Wir sind doch nuhmehr gantz/ ja mehr den gantz verheeret!
Der frechen völcker schaar/ die rasende posaun
Das vom blutt fette schwerdt/ die donnernde Carthaun
Hat aller schweis/ vnd fleis/ vnd vorraht auff gezehret.

Die türme stehn in glutt/ die Kirch ist vmgekehret.
Das Rahthauß ligt im graus/ die starcken sind zerhawn,
Die Jungfrawn sind geschändt/ und wo wir hin nur schawn,
Ist fewer/ pest/ und todt der hertz vnd geist durchfehret.

Hir durch die schantz vnd Stadt/ rint alzeit frisches blutt.
Dreymall sindt schon sechs jahr als unser ströme flutt,
Von leichen fast verstopfft/ sich langsam fort gedrungen,

Doch schweig ich noch von dem was ärger als der todt,
Was grimmer den die pest/ vnd glutt vnd hungers noth,
Das auch der selen schatz/ so vielen abgezwungen.

Gedichtsanalyse

Inhaltsangabe

Historischer Bezug

Wie bereits im Titel („Tränen des Vaterlandes. Anno 1636“) klar dargestellt wird, ist das Gedicht während des Dreißigjährigen Krieges geschrieben worden. Im zweiten Vers der dritten Strophe wird mit der Zeitangabe der 18 Jahre, die der Krieg schon dauert, deutlich klar, dass sich dieses Gedicht mit diesem Krieg befasst. Der Dreißigjährige Krieg war ein Schauplatz für viele Konflikte: Es wurden dort nicht nur der Religionskonflikt zwischen Katholiken und Protestanten, sondern auch Staatskonflikte (die habsburgischen Mächte gegen Frankreich, Autonomiebestreben der Niederlande, Schwedens Expansion u.a.) auf dem Kriegsfeld ausgetragen. Da die Schlachten überwiegend im Heiligen Römischen Reich geführt wurden, waren die Leidtragenden hauptsächlich die Deutschen. Kriegsverheerungen, Hungersnöte und Seuchen verwüsteten ganze Landstriche des Reiches, die Sterberate wird auf bis zu 20 % der Bevölkerung geschätzt. Nach 30 Jahren waren die Truppen ausgeblutet und man erkannte die Sinnlosigkeit weiterer Kämpfe. Nach Friedensverhandlungen kam es 1648 schließlich zum Westfälischen Frieden.

Paraphrasierung des Gedichtes

Gryphius schildert, wie „verheert“ das ganze Volk ist: Rasende Horden überfallen mit Posaunen und Kriegsbegeisterung das Land und hinterlassen nur Tod und Zerstörung. Zusätzlich wüten die Pest und Feuersbrünste. Er spricht von ländlichen und städtischen Verwüstungen, aber auch von Vergewaltigungen, vom Zerfall aller moralischen Werte, der Abkehr des rechten Glaubens und somit vom Niedergang der Seele.

Formanalyse

Das Sonett

Das Sonett kommt ursprünglich aus Italien, dort wurde es im Mittelalter, v.a. durch Dante und Petrarca beliebt und rasch europaweit bekannt. Das vierzehnzeilige Gedicht besteht aus zwei über Reime miteinander verbundenen Quartetten und zwei anschließenden Terzetten. Das Reimschema in den beiden Quartetten ist strikt: abba, abba (umfassender Reim); in den beiden Terzetten kann es unterschiedlich sein, in diesem Gedicht ist das Schema ccd, eed (Schweifreim). Das Versmaß der vierzehn Verse ist bei strenger Regelbefolgung der Alexandriner, also ein sechshebiger Jambus mit Mittelzäsur:

v – v – v – ´ v – v – v –

Im folgenden Teil soll nun geklärt werden, inwiefern sich Gryphius mit „Tränen des Vaterlandes“ an die strengen Regeln des Sonetts gehalten hat oder ob Abweichungen vorhanden sind, die genauer zu klären wären.


Strukturierung

· Der Titel und der erste Vers bilden das „Inscriptio“: Einführung / Erläuterung des Themas.

· Die Verse 2-9 bilden das „Pictura“: Bildliche Darstellung des Krieges.

· Die Verse 10-14 bilden das „Subscriptio“: Kommentar zum beschriebenen Thema.


Untersuchung auf phonologischer Ebene

Reimschema: Die strenge Regel bezüglich beider Quartetten hat er eingehalten. Die Terzette sind wie bereits geschildert nach dem Schema ccd, eed gegliedert.

Binnenreim: Die Reime innerhalb eines Verses („Schweiß und Fleiß“, „Rathaus – Graus“) bewirken ein flüssigeres Lesen. Somit wird die kurze Zeit dargestellt, welcher der Krieg benötigt, um Verwüstungen zu hinterlassen.

Versmaß: Das Sonett verlangt einen Alexandriner in allen vierzehn Versen. Bis auf zwei Ausnahmen hat sich Gryphius auch daran gehalten. · Im dritten Vers der 1. Strophe verlangt die Regel des Alexandriners eine Senkung bei „Blut“, der Leser ist jedoch geneigt, das Wort zu betonen. Somit wird die Wirkung des „vom Blut fette Schwert“ verstärkt und hervorgehoben. · Die vierte Zeile in der 1. Strophe lässt sich auf zwei Arten lesen: Mit der Zäsur wie nach der strikten Regel – aber auch ohne Zäsur, womit der enorme Verlust durch den Krieg als endlose Aufzählung dargestellt würde („aller Schweiß und Fleiß und Vorrat“).

Untersuchung auf syntaktischer Ebene

Satzstruktur: In der ersten Strophe sind erstaunlich wenig Verben enthalten, denn hier werden die Kriegsmittel und erste materielle Schäden dargestellt. In der zweiten Strophe lässt sich das Gegenteil beschreiben: Hier sind in jedem Vers gleich zwei Verben enthalten. Es werden die Auswirkungen des Krieges geschildert, dessen Größe durch die Fülle an Verben verdeutlicht wird. Die Sätze sind sehr bildhaft, doch auch wenn man die Assoziationen der einzelnen Bilder nicht gleich erkennt oder nicht versteht, sind die Sätze an und für sich gut verständlich.

Enjambement: Dieses lyrische Stilmittel des Zeilensprungs wurden von der 3. zur 4., von der 7. zur 8., von der 10. zur 11. und von der 13. zur 14. Zeile angewendet. In der ersten Strophe kann dadurch eine klare Verbindung zwischen Krieg und dessen Auswirkungen verdeutlicht werden.

Untersuchung auf semantischer Ebene

Wörter wie „Posaun“ oder „Karthaun“ sind Metaphern des Krieges: Die Posaunen stellen die Kriegsbegeisterung dar, zeitgleich sind sie jedoch auch eine Anspielung auf die kommende Zerstörung („Trompeten von Jericho“), die „Karthaun“ eine Kanone der damaligen Zeit. Das Gedicht enthält auch einige schmückende Beiwörter („rasende“, „donnernde“, „vom Blut fette“ usw.), die zeigen, dass der Krieg immer noch geführt wird (Kanonen sind immer noch am „donnern“; Präsens) und dass es ein äußerst blutiger Krieg ist („rinnt allzeit frisches Blut“). Diese Grausamkeit wird auch durch eine contradictio in adjecto (,,Die Jungfern sind geschänd´t") verdeutlicht. Die Wortfolge „mehr denn ganz“ stellt eine Hyperbel dar. Diese Übertreibung zu Beginn des Gedichts wird im letzten Terzett aufgelöst und geklärt: Für Gryphius ist der Verlust der Seele, die Abwendung vom christlichen Glauben (durch das Morden anderer Christen) schlimmer als all die materiellen Schäden. Eine weitere Hyperbel ist der Strom „von Leichen fast verstopft“, eine weitere Verdeutlichung der Brutalität des Krieges. Die zehnte Zeile weist mit "Dreimal sind schon sechs Jahre" auf die ungewöhnliche Kriegsdauer hin, also für die Menschen die dreifache Dauer, der für sie übliche und bekannte Kriege.

Interpretation

Antikriegsgedicht

„Tränen des Vaterlandes. Anno 1636“ ist wohl das bekannteste Antikriegsgedicht der deutschen Lyrik. Gryphius schildert die Kriegsfolgen mit gewaltiger Bildhaftigkeit, was für den Leser sehr beeindruckend wirkt. Diese Wirkung wird dadurch verstärkt, wenn man weiß, dass Gryphius an der eigenen Person die Schrecken des Krieges miterlebt hat. Bis heute hat das Gedicht nicht an seiner Aktualität verloren, gibt es schließlich keine Zeit ohne Krieg. Was die heutigen Kriege mit dem Gedicht gemeinsam haben, ist, dass die Bürger, also das Volk die Betroffenen sind, welche am meisten Leid erfahren müssen.

Titel

Was soll die Überschrift „Tränen des Vaterlandes“ dem Leser wohl mitteilen? Die Frage stellt sich natürlich bei beinahe jedem Gedicht, hier aber um so mehr, da das Vaterland anthropomorphisiert wird. Es gibt hier mehrere Erklärungen: Man kann den gesamten Titel als Hyperbel sehen: Die Tränen sind dann die enormen Landverwüstungen, die durch die Kriegsaktivitäten entstanden sind. Eine andere Möglichkeit ist, dass sich die Tränen auf die Bevölkerung des Vaterlandes beziehen, auf die Vorväter, die das Land bebauten und jetzt mit ansehen müssen, wie ihr ehemaliges Landgut zerstört wird. Der dritte Erklärungsversuch zielt auf die religiöse Ebene: Das Wort „Vaterland“ kann ja auch als „Land des Vaters“ gelesen werden, also das Land des Schöpfers. Der Titel würde somit aussagen, dass Gott sehr unglücklich über die momentane Situation ist, weil sein Land zerstört wird und vor allem dass die Menschen ihren Glauben an ihn verloren haben, womit eine Verbindung des Titels mit dem Schluss („dass auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen“) geknüpft wäre.

Die Rolle des lyrischen Dus

Der Ausdruck Lyrisches Du bezeichnet in der Literaturwissenschaft den fiktiven Sprecher oder die Stimme eines Gedichts. Sie unterscheidet sich von der realen Person des Autors. In den Quartetten und im ersten Terzett ist die Rolle des „lyrischen Ich“ die eines Reporters: In einem sachlichen und neutralen Ton werden die Kriegsschäden dargestellt. In der Schlussstrophe ändert sich dies jedoch markant. Hier wendet sich das lyrische Ich von der Wir-Form (1. Person des Plurals) ab und schildert nun in der 1. Person des Singulars, also in der Ich-Form. Es ist ein persönlicher Kommentar in anklagendem Ton, der den Leser daran mahnen soll, den Glauben nicht zu verlieren.

Allusion an die Offenbarung des Johannes

In dem Gedicht sind zwei Textstellen enthalten, die an diese Offenbarung anspielen: „rasende Posaun“ und „dreimal (...) sechs Jahr“. Die Offenbarung des Johannes, auch Apokalypse genannt, ist das letzte Buch im Neuen Testament. Es ist rein prophetisch und stellt damit eine einzigartige Ausnahme in der Bibel dar. Die Offenbarung wurde von dem Apostel Johannes auf der Insel Patmos niedergeschrieben. Es geht um den Untergang der Welt, der letzten Auseinandersetzung zwischen Gott und dem Teufel. Das jetzige Weltsystem wird dann mit der neuen vollendeten Schöpfung abgelöst („Tausendjähriges Reich“). Die Apokalypse wird mit der Öffnung des „Buch mit sieben Siegeln“ durch das Lamm (symbolisch für Jesus Christus) eingeleitet. Mit der Öffnung der ersten vier Siegel erscheinen die vier apokalyptischen Reiter (Symbol für Pest, Krieg, Hunger & Tod). Nach dem öffnen des siebten Siegels erscheinen sieben Engel mit Posaunen (die ersten sechs erzeugen die Zerstörung der Welt und des Universums, die siebente läutet den Endkampf ein). Die Zahl „666“ gilt als die Zahl des Tieres oder des Antichristen. (Interessanterweise wurde sie im Lauf der Geschichte mehreren Personen zugeschrieben, wie z.B. Hitler, Napoleon, Kaiser Nero etc.) Demnach empfindet Gryphius den 30-jährigen Krieg als biblischen Untergang der Welt. Ein weiterer Grund, weshalb sich Gryphius um das Seelenheil der Menschen sorgt. Somit erhält das Gedicht eine inhaltliche Tiefe, die man auf dem ersten Blick nicht sogleich bemerkt und die das Gedicht um so interessanter werden lässt.

Quellen

  • Bekker, Hugo: Andreas Gryphius. Frankfurt/Main: Lang, 1973.
  • Yu, Young-Hee: Feurige Dichtkunst. Die Lyrik von Andreas Gryphius und Friedrich von Spee im Spannungsfeld der Feuertheorien des 17. Jahrhunderts. Frankfurt/Main: Lang 1995.
  • Kaminski, Nicola: Andreas Gryphius. Stuttgart 1998.
  • Jens, Walter: Dichtung und Religion. München 1988.

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