- Toccata und Fuge d-moll
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Toccata und Fuge in d-Moll (BWV 565) ist wohl das mit Abstand bekannteste Orgelwerk europäischer Kunstmusik. Es wird traditionell Johann Sebastian Bach zugeschrieben, auch wenn dessen Autorschaft gelegentlich angezweifelt wurde. Die Komposition besteht aus zwei Sätzen: einer Toccata, also einem Präludium (Vorspiel) aus schnellen Läufen und vollgriffigen Akkorden, und einer sich anschließenden vierstimmigen Fuge. Die beiden Sätze sind durch deutliche motivische und harmonische Bezüge miteinander verbunden.
Inhaltsverzeichnis
Musik
Das Werk beginnt mit drei charakteristischen schnellen Rufen beider Hände in Oktaven; es folgt ein verminderter Septakkord über dem Orgelpunkt des Grundtons seiner Auflösung. Damit ist bereits das wesentliche melodische Material vorgestellt, aus dem sich der weitere Verlauf entwickelt. So wird der Septakkord immer wieder zur Gliederung schnellen Passagenwerks eingesetzt, und ähnlich bildet er in arpeggierter Form die Basis für die virtuose Figuren, in denen immer beide Hände parallel geführt. Wichtiger noch ist das Element des von der Quint zum Leitton (siebte Stufe) absteigenden Tonleiterfragments, aus dem die meisten melodischen Vorgänge abgeleitet sind und ein Motiv, das die Töne eines Tonleitergangs mit einem gleichbleibenden, repetierten Liegetons abwechseln lässt – eine latent zweistimmige Satzweise, die in Violinliteratur häufig ist und dort als Bariolagetechnik bekannt ist.
Auch die Fuge entwickelt ihr Thema aus dieser Idee; ein solches Thema ist zur Engführung nicht geeignet und wird konsequent auch eher locker durchgeführt: Schon die Exposition ist nur dreistimmig, auch später nehmen die Zwischenspiele einen breiten Raum ein, so dass der Schluss, der wieder Elemente der Toccata aufnimmt, ganz organisch aus der Fuge hervorgeht. Wirklich vierstimmig ist sie nur an wenigen kurzen Stellen, und auf kontrapunktische Finessen wird ganz verzichtet. Ähnliche Themen hatte Bach durchaus auch später in Fugen verwendet, etwa in der e-Moll-Fuge des Wohltemperierten Klaviers (BWV 855).
Stil
Toccata und Fuge d-Moll galt lange Zeit unbestritten als Werk von Johann Sebastian Bach. Wenn dies so sein sollte, wurde das Werk wohl zwischen 1703 und 1707 in Arnstadt geschrieben, stellt also ein Jugendwerk dar. Der Vergleich mit der wenig später entstandenen und deutlich reiferen C-Dur-Toccata zeigt Bachs schnelle Weiterentwicklung, aber auch, dass er sich noch in einer Experimentierphase befand. Während im späteren Werk Bachs Parallelführungen der beiden Hände in Oktaven praktisch nicht mehr vorkommen, erklären sie sich hier zwanglos daraus, dass die kleine Arnstädter Orgel nicht über oktavierende Register verfügt.
Toccata und Fuge d-Moll sind auffällig stark auf Wirkung angelegt; dem steht eine zwar ausdrucksstarke, aber zumindest in der Toccata überraschend einfache Harmonik entgegen: Der wesentliche und immer wieder durchgespielte harmonische Vorgang ist der verminderte Septakkord der siebten Stufe und seine Auflösung; stellenweise tritt noch die zweite Stufe hinzu. Auch größere Modulationen bleiben in der Toccata aus. Andererseits nötigt die wohl bewusste Beschränkung und der sehr ökonomische Einsatz dieses Materials Bewunderung ab. Die Frische der Erfindung und die bezwingende Einfachheit der Konstruktion haben dem Werk schnell Freunde gemacht.
Bach verwendete die meisten seiner Cembalo- und Orgelwerke Bach in Leipzig im Unterricht; so existieren oft Abschriften vieler seiner Schüler. Dabei nahm er selbstverständlich Werke aus, die er – Jahrzehnte nach ihrer Entstehung – nicht mehr für geeignet hielt; dies erklärt die vergleichsweise dünne Überlieferungslage vieler seiner Jugendwerke[1]. So ist auch die Toccata d-Moll nicht im Autograph, sondern nur in einer einzigen Abschrift des als recht unzuverlässig geltenden Kopisten Johannes Ringk überliefert.
Autorschaft
In letzter Zeit wurden vermehrt Zweifel an der Urheberschaft Bachs geäußert. Die stilistischen Eigenarten widersprechen stark den zweifelsfrei unter Bachs Namen überlieferten Werken; es sind keine Kompositionen erhalten, die eine stilistische Brücke zu diesen bilden würden. Weiter zeigt das Satzbild offensichtliche Schwächen – es enthält beispielsweise auffällig viele Quintparallelen, die Bach später sorgsam vermied; die Fuge ist in Exposition und Durchführung sehr frei, und die gesamte harmonische Entwicklung besonders der Toccata ist für Bach ungewöhnlich eingeschränkt. So wurde vermutet, dass Bach hier ein fremdes Werk abschrieb oder bearbeitete. Als möglicher Autor ist Johann Peter Kellner vorgeschlagen worden[2]. Eine andere Theorie geht davon aus, dass wir hier eine niedergeschriebene Improvisation Bachs vor uns haben, wie sie typischerweise im Rahmen einer Orgelprüfung stattfindet.
Wegen der erwähnten violintypischen Elemente, die gerade die Töne der leeren Violinsaite verwenden, ist auch vermutet worden, es handle sich um eine Orgelbearbeitung einer Violinkomposition Bachs.[3]. – Sicher ist momentan aber nur, dass es keinen Beweis für Bach als Komponisten gibt, positive Zeugnisse für die Urheberschaft eines anderen Komponisten allerdings auch nicht. Sowohl die alte als auch die Neue Bach-Ausgabe sowie das Bach-Werke-Verzeichnis führen sie als ein Werk Bachs.
Wichtige Bearbeitungen
- Ferruccio Busoni arbeitete die Komposition zu einem virtuosen Werk für Klavier um.
- Leopold Stokowski bearbeitete sie für Orchester.
- Stokowskis Bearbeitung wurde von Walt Disney in seinem Film Fantasia verwendet, wo die Musik und vor allem die Spieler ins Bild gesetzt werden.
- Andrew Manze arbeitete sie zu einer Fassung für Violine solo um.
- Enjott Schneider hat unter dem Titel „Ataccot“ eine „retrograde Version“ der Toccata veröffentlicht.
Toccata und Fuge in der Populärkultur
Gemessen an seiner Wirkung ist das Werk recht einfach zu spielen; dies wird auch ein Grund für seine überragende Bekanntheit sein. Vergleichbar wohl nur mit den ersten Takten der 5. Sinfonie von Ludwig van Beethoven, assoziiert heute schon ein auf der Orgel in einem halligen Raum in Oktaven gespielter Mordent reflexartig die d-Moll-Toccata und steht in der Populärkultur ikonographisch und stereotyp für „Ernsthaftigkeit“ und „sakrale Würde“. Das Werk wird häufig in Filmmusik und in zahlreichen Stücken der populären Musik zitiert.
Quellen
- ↑ Christoph Wolff: Johann Sebastian Bach, 2. Auflage 2007. S. Fischer, Frankfurt am Main, ISBN 978-3-596-16739-5
- ↑ Stephan Emele: BWV 565 – ein Werk von Kellner? (Staatsexamensarbeit)
- ↑ Peter Williams: BWV565: A toccata in D minor for organ by J.S.Bach?. In: Early Music, 1981.
Literatur
- Klaus Eidam: Das wahre Leben des Johann Sebastian Bach, Piper, München 1999, ISBN 3-492-04079-9 (4. Kapitel)
- Rolf Dietrich Claus: Zur Echtheit von Toccata und Fuge d-moll BWV 565, 2. Aufl., Dohr, Köln 1998, ISBN 3-925366-55-5
Weblinks
- Bachs Toccaten und Busonis Transkription: Freie Noten zum Herunterladen im International Music Score Library Project.
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