Barbier-Paradoxon

Barbier-Paradoxon

Das Barbier-Paradoxon oder die Antinomie des Barbiers ist eine anschauliche Variante der Russellschen Antinomie und wurde von Bertrand Russell 1918 aufgestellt.

Inhaltsverzeichnis

Begriff und Problem

Russell formulierte 1918 das Barbier-Paradoxon mit folgenden Worten:

Man kann einen Barbier definieren als einen, der alle diejenigen und nur diejenigen, die sich nicht selbst rasieren, rasiert.
Die Frage ist: Rasiert der Barbier sich selbst?[1]

Beim Versuch, die Frage zu beantworten, ergibt sich ein Widerspruch. Denn angenommen der Barbier rasiert sich selbst, dann gehört er zu denen, die er laut Definition nicht rasiert, was der Annahme widerspricht. Angenommen es gilt das Gegenteil und der Barbier rasiert sich nicht selbst, dann erfüllt er selbst die Eigenschaft derer, die er rasiert, entgegen der Annahme. Logisch drückt dies folgende widersprüchliche Äquivalenz für den Barbier \,x aus:

 x  \mbox{ rasiert } x \iff \mbox{nicht}(x \mbox{ rasiert } x)

Russells Lösung

Russell sagte, dass dieses Paradoxon leicht zu lösen sei.[2] Das zeigte er bereits 1903 in einem indirekten Beweis mit einer variablen Relation.[3] Dieser lässt sich (rückwärts gelesen) in einen direkten Beweis umwandeln, in dem \,\mbox{ rasiert } für seine variable Relation steht:

Die Aussage x\mbox{ rasiert }y\iff \mbox{nicht}(y\mbox{ rasiert }y), die den Barbier definiert, sei mit \,\mbox{B}xy abgekürzt.
Aussagenlogisch gilt offenbar die Negation des oben genannten Widerspruchs, das heißt:  \mbox{nicht}\,\mbox{B}xx.
Daher kann der Existenzquantor eingeführt werden: \mbox{Es gibt }y \colon \mbox{nicht}\,\mbox{B}xy.
Durch Einführung des Allquantors ergibt sich: \mbox{Für alle } x \colon \mbox{Es gibt }y \colon \mbox{nicht}\,\mbox{B}xy.
Durch Umformung der Quantoren erhält man schließlich: \,\mbox{Es gibt kein }x \colon \mbox{Für alle }y \colon \mbox{B}xy.

Diese beweisbare Aussage heißt aber im Klartext: Es gibt keinen, der genau diejenigen rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Die auf den ersten Blick sinnvoll erscheinende Barbier-Definition erzeugt also einen harmlosen leeren Begriff beziehungsweise eine leere Menge. Die Antinomie führt die Barbier-Definition ad absurdum. Russells Lösung zeigt nur den Definitionsfehler auf, gibt aber keine Lösung an, wie der Barbier eines Ortes sinnvoll zu definieren wäre. Das ist auch unwichtig, denn seine fiktive Barbier-Definition diente ihm nur zur Veranschaulichung seines abstrakten Gedankengangs für beliebige Relationen. Darin liegt die Bedeutung des Barbier-Paradoxons. Mathematisch und philosophisch bedeutungsvoll ist hauptsächlich die Variante, bei der statt \,\mbox{ rasiert } das Elementprädikat steht,[4] also die Russellschen Antinomie, die einen Widerspruch in der naiven Mengenlehre betrifft.

Varianten des Paradoxons

Es kursieren allerlei ausgeschmückte Varianten des Paradoxons, in denen sich die Definition auf einen Barbier an einem bestimmten Ort bezieht und das Rasieren auf Männer eingeschränkt wird, zum Beispiel:

Der Barbier von Sevilla rasiert alle Männer von Sevilla, nur nicht die, die sich selbst rasieren. Bei dieser Version entsteht kein zwingender Widerspruch, das heißt, eine solche Definition oder Situation kann unter ungewöhnlichen Umständen auch Sinn ergeben. Aus den Annahmen zur gestellten Frage folgt hier nämlich statt eines Widerspruchs nur, dass der Barbier von Sevilla kein Mann von Sevilla ist. Es könnte eine Frau mit Beruf „Barbier“ sein, ein Barbier vom Nachbarort, der nur in Sevilla arbeitet usw. Erst eine sorgfältigere Formulierung scheidet solche Fälle aus, sodass wie in Russells Version eine sinnlose, leere Definition übrig bleibt, die keiner Wirklichkeit entspricht.

Weitere Varianten der Russellschen Antinomie erklären das Problem an verschiedenen Beispielen:

„In einem Land wurde der Befehl erteilt: Alle Bürgermeister müssen nicht in ihrer eigenen Stadt leben, sondern in einer eigens dafür eingerichteten Bürgermeister-Stadt (Bümstädt).“

Wo soll nun der Bürgermeister von Bümstädt leben? Er darf als Bürgermeister seiner eigenen Stadt nicht in Bümstädt leben, muss aber, weil er Bürgermeister ist, in Bümstädt leben.

„Eine Bibliothek möchte einen Bibliographie-Katalog erstellen, in dem alle Bibliographie-Kataloge aufgelistet werden, die keinen Verweis auf sich selbst enthalten.“ Soll der betreffende Bibliographie-Katalog auch aufgelistet werden? Wenn ja, erhält er einen Verweis auf sich selbst und gehört also nicht in die Menge der Kataloge ohne Selbst-Verweis. Wenn er nicht eingetragen wird, enthält er keinen Verweis auf sich selbst und gehört zur Menge der Kataloge ohne Selbst-Verweis, muss also folglich aufgelistet werden. Diese Darstellung entspricht am nächsten der mathematischen Formulierung der Russellschen Antinomie.

Die älteste bekannte Version ist die von Euathlos.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. You can define the barber as "one who shaves all those, and those only, who do not shave themselves." The question is, does the barber shave himself? Zitat aus: Bertrand Russell: The Philosophy of Logical Atomism, 1918, in: The Collected Papers of Bertrand Russell, 1914-19, Vol 8., p. 228.
  2. In this form the contradiction is not very difficult to solve. ebenda
  3. Bertrand Russell: The principles of mathematics, Cambridge 1903, §102.
  4. genauer das umgekehrte Elementprädikat \ni, mit dem man aus obigem Beweisschema genau den Beweis für die Nichtexistenz der Russellschen Klasse erhält.

Literatur

  • Die 42. Geschichte der Lösung, Patrick Hughes, George Brecht: Die Scheinwelt des Paradoxons. Eine kommentierte Anthologie in Wort und Bild, Titel der engl. Originalausgabe: Vicious Circles and Infinity, ISBN 3-528-08379-4


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