- Unterbringungsbeschluss
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Die freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland auf zivilrechtlicher Basis (durch Betreuer oder Bevollmächtigte gem. § 1906 BGB) bzw. bei Minderjährigen nach § 1631b BGB sowie auf öffentlich-rechtlicher Basis nach den Landesgesetzen zum Schutz psychisch Kranker (PsychKG) sind seit dem 1. Januar 1992 in einem einheitlichen gerichtlichen Verfahren - dem Unterbringungsverfahren - zu genehmigen. Das gleiche gilt für Eilverfahren nach § 1846 BGB (Eilverfahren vor Betreuerbestellung) sowie für sogenannte Unterbringungsähnliche Maßnahmen (Fixierungen, Bettgitter, Sedierungen usw. nach § 1906 Abs. 4 BGB).
Es handelt sich um ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach den §§ 70 ff. FGG. Daher gibt es weder Kläger noch Beklagte, sondern lediglich Verfahrensbeteiligte. Die Zuständigkeit liegt beim Vormundschaftsgericht, Ausnahme: bei Minderjährigen beim Familiengericht), beides sind Abteilungen des örtlich zuständigen Amtsgerichtes.
Rechtstatsachen
Im Jahre 2004 wurden in der Bundesrepublik Unterbringungen wie folgt genehmigt (Vorjahr in Klammern):
- § 1906 Abs. 2 BGB (zivilrechtl. Unterbringung durch Betreuer): 46.381 (43.383)
- § 1906 Abs. 4 BGB (unterbringungsähnl. Maßnahmen, z.B. Fixierungen, Bettgitter): 79.391 (74.783)
Bei den Unterbringungen Minderjähriger und bei den Unterbringungen nach den Psychisch-Kranken-Gesetzen werden lt. Justizstatistik nicht die Genehmigungsbeschlüsse gezählt, sondern die laufenden gerichtlichen Verfahren am Jahresende. Hier die Zahlen zum 31. Dezember 2004:
- Genehmigungsverfahren für Minderjährige (§ 1631 b BGB): 4.757 (darunter Verlängerungsverfahren: 702)
- Genehmigungsverfahren nach § 1906 (einschl. Absatz 4) BGB: 127.470 (dar. Verlängerungsver.: 25.438)
- Genehmigungsverfahren nach Psychisch-Kranken-Gesetzen: 62.981
- Genehmigungsverfahren nach § 1846 BGB (Eilverfahren): 17.240 (dar. Verlängerungsverf.: 1010)
(Quellen: Bundesministerium der Justiz; Sondererhebung Verfahren nach dem Betreuungsgesetz bzw. GÜ2 der Amtsgerichte)
Sachlich zuständig
Nach Art. 104 Grundgesetz darf über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.
Die Unterbringungsmaßnahmen sind ausnahmslos durch einen Richter des Amtsgerichtes zu genehmigen (§§ § 70 ff. Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit - FGG). Die Unterbringung nach Landesgesetzen wäre wegen der Gefahr der öffentlichen Sicherheit zwar systemlogisch eine Sache der Verwaltungsgerichte, das war vor 1992 auch so. Wegen der Überschneidungen beider Gerichtsarten gab es aber Zuständigkeitstreitigkeiten; jedes Gericht schob dem anderen die Entscheidung zu, so dass heute nach dem Gesetz (FGG) ausschließlich das Vormundschaftsgericht (bzw. das Familiengericht) entscheidet.
Örtlich zuständig
Örtlich zuständig ist bei Betreuten das Gericht, bei dem auch die Betreuungsakte geführt wird. Dieses Gericht kann das Verfahren aber auch an das Gericht am Ort der Freiheitsentziehung abgeben, falls der Betreute sich bereits in einer Klinik befindet. Bei Unterbringungen nach den Psychisch-Kranken-Gesetzen ist stets das Gericht zuständig, an dessen Ort die Unterbringung zu veranlassen ist (§ 70 Abs. 3 und 5 FGG).
Verfahrensgrundsätze
Die Verfahrensgrundsätze finden sich in den §§ 70a ff. FGG. Sie ähneln den Grundsätzen des Betreuungsverfahrens, weichen aber in einigen Details von ihnen ab. Das Verfahren beginnt mit einem Genehmigungsantrag des jeweiligen gesetzlichen Vertreters bzw. Bevollmächtigten (wenn letzterer nach § 1906 Abs. 5 BGB zur Freiheitsentziehung ausdrücklich bevollmächtigt wurde). Bei öffentlich-rechtlichen Unterbringungen stellt die nach diesem Gesetz zuständige Stelle (meist Gesundheitsamt oder Ordnungsamt) den Unterbringungsantrag. Ein Tätigwerden von Amts wegen ist zwar auch möglich, in der Praxis aber die Ausnahme.
Verfahrensfähigkeit des Betroffenen
Der Betroffene ist unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit im Unterbringungsverfahren verfahrensfähig, kann also Anträge stellen, sich äußern, Rechtsmittel einlegen, einen Anwalt beauftragen (§ 70a FGG). Dies gilt auch für Minderjährige, sobald sie das 14. Lebensjahr vollendet haben.
Bestellung eines Verfahrenspflegers
Zu den Verfahrensgarantien im Unterbringungsverfahren gehört auch die obligatorische Bestellung eines Verfahrenspflegers (§ 70b FGG). Bestellt das Gericht dem Betroffenen ausnahmsweise keinen Pfleger für das Verfahren, so ist dies in der Entscheidung, durch die eine Unterbringungsmaßnahme getroffen wird, zu begründen.
Die Bestellung eines Verfahrenspflegers soll unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn der Betroffene bereits von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten wird.
Anhörung des Betroffenen
Der Vormundschaftsrichter muss den Betroffenen persönlich anhören. Den unmittelbaren Eindruck verschafft sich das Gericht, soweit dies erforderlich ist, in der üblichen Umgebung des Betroffenen, das ist in der Regel die eigene Wohnung. Das Gericht unterrichtet ihn über den möglichen Verlauf des Verfahrens (§ 70c FGG).
Die Anhörung findet in der Praxis jedoch meist innerhalb der Klinik statt, weil das Gericht zuvor bereits wegen der besonderen Eile die Unterbringung vorläufig genehmigt hat. Denn die genannten Verfahrensschritte, zu denen auch die Bestellung eines Verfahrenspflegers und ein Sachverständigengutachten gehört, können wegen der Eilbedürftigkeit der Unterbringung oft zunächst nicht stattfinden.
Vorführung zur Anhörung
Sofern der Betroffene sich weigert, an der Anhörung teilzunehmen, hat die Betreuungsbehörde oder die nach Psychisch-Krankenrecht zuständige Behörde ihn auf Anweisung des Gerichtes zur persönlichen Anhörung (§ 70c i.V.m. § 68 Abs. 3 FGG) und zur Untersuchung durch den Sachverständigen (§ 70e Abs. 2 I.V.m. § 68 b Abs. 3 FGG) vorzuführen.
Die zwangsweise Vorführung von Betroffenen zu Anhörungen und Untersuchungen stellt einen schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dar (Art. 2 Grundgesetz). Daher muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hier besonders streng beachtet werden.
Anhörung weiterer Personen und Stellen
Auch sind weitere Personen, z.B. nahe Familienangehörige, eine Vertrauensperson, die Betreuungsbehörde (bzw. die nach Psychisch-Krankenrecht zuständige Stelle, meist der sozialpsychiatrische Dienst des Gesundheitsamtes) und ggf. der Heimleiter der Einrichtung, in der der Betroffene wohnt, anzuhören (§ 70d FGG). Diese Verfahrensschritte können mehrere Wochen in Anspruch nehmen.
Sachverständigengutachten
Zur Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung durch den Betreuer nach § 1906 BGB ist stets ein Sachverständigengutachten erforderlich (§ 70e FGG). Der Sachverständige hat den Betroffenen persönlich zu untersuchen oder zu befragen.
Anders als beim Gutachten zur Betreuerbestellung, bei der die Qualifikation des Gutachters nicht geregelt ist (§ 68a FGG), muss bei der Begutachtung für eine Freiheitsentziehung der Sachverständige Arzt mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie sein, in der Regel soll er Facharzt für Psychiatrie sein (§ 70e FGG).
Der Sachverständige rechnet sein Honorar direkt mit dem Vormundschaftsgericht gemäß den Bestimmungen des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) ab. Der Stundensatz beträgt derzeit 80 Euro.
Abhängig vom Sachverständigengutachten für das Vormundschaftsgericht wird auch ein Einweisungsattest (Verordnung stationärer Krankenbehandlung) für das Krankenhaus benötigt sowie in der Regel eine Krankentransportbescheinigung für den Transport in die Klinik.
Vorführung und Unterbringung zur Begutachtung
Weigert der Betreute sich, an der Untersuchung teilzunehmen, kann das Vormundschaftsgericht zur Erstattung des Gutachtens selbst eine Freiheitsentziehung für einen Zeitraum von bis zu 6 Wochen anordnen (§ 68a Abs. 3 FGG). Diese Freiheitsentziehung kann auf bis zu 3 Monaten verlängert werden.
Vorläufige Unterbringung - Einstweilige Anordnung
Obwohl im Gesetzestext als Ausnahme bezeichnet, ist es in der Praxis fast der Normalfall, dass die Unterbringungsgenehmigung als einstweilige Anordnung erfolgt (§ 70h FGG). Mit dieser einstweiligen Anordnung kann die Unterbringung für maximal 6 Wochen genehmigt werden. Diese Frist kann nach Anhörung des Sachverständigen (§ 70e FGG) auf insgesamt 3 Monate verlängert werden.
Die gleichen Fristen gelten auch, wenn bisher kein Betreuer bestellt ist und das Vormundschaftsgericht selbst die Unterbringung nach § 1846 BGB verfügt.
Folgende Mindeststandards sind auch bei Gefahr in Verzug vom Gericht vor Beschlussfassung einzuhalten:
1. Antrag eines Betreuers bzw. Bevollmächtigten (evtl. entbehrlich) oder der Verwaltungsbehörde (bei Unterbringung nach Landesgesetz)
2. psychiatrisches Gutachten über Krankheit (§ 70e FGG) (Psychiater; Hausarzt reicht nicht, auch nicht Amtsarzt, wenn dieser nicht auf dem Gebiet der Psychiatrie qualifiziert ist.)
3. Anhörung durch den Richter persönlich (nach dem BVerfG darf hiervon bei Gefahr in Verzug nur abgesehen werden, wenn dieser den ganzen Tag lang mit anderen Anträgen auf freiheitsentziehende Maßnahmen wie Haftbefehl, Abschiebung beschäftigt ist)
Das Gericht hat abzuwägen, ob die Gefährdung der Rechtsgüter anderer oder Gesundheitsgefährdung des Betroffen eine Unterbringung und somit eine Einschränkung des Freiheitsrechts des Betroffenen, einschließlich des Rechts des Betroffenen zur Krankheit rechtfertigt und verhältnismäßig ist (Verhältnismäßigkeitsprinzip).
Das Bundesverfassungsgericht stellt nach einer Entscheidung hohe Anforderungen an die Aufklärung des Sachverhaltes, so dass Unterbringungsverfahren nunmehr manchmal länger dauern, was manchmal z.B. den Tod des Betroffenen während des Verfahrens zur Folge hat.
Endgültige Unterbringung
Die eigentliche „endgültige“ Unterbringungsgenehmigung erfolgt, nachdem die genannten Verfahrensschritte erfolgt sind (§ 70f FGG). Sie darf in der Regel 1 Jahr nicht überschreiten. Nur wenn bereits erkennbar ist, dass die Unterbringung langfristig nötig ist, kann die Genehmigung für 2 Jahre erteilt werden. Dies muss dann vom Gericht speziell begründet werden. Bei Verlängerungen müssen gem. § 70i Abs. 2 FGG die gleichen Verfahrensschritte wie oben beschrieben wiederholt werden. Nach spätestens 4 Jahren Unterbringung soll ein anderer als der bisherige Sachverständige gehört werden.
Regelung des Unterbringungsvollzugs
Bei öffentlich-rechtlichen Unterbringungen können einzelne Maßnahmen des Vollzugs gerichtlich geregelt werden (§ 70l FGG). Genaueres ergibt sich aus dem jeweiligen Landesgesetz für psychisch Kranke. Gegen solche Maßnahmen können ebenfalls Rechtsmittel eingelegt werden.
Unterbrechung, Beurlaubung
Öffentlich-rechtliche Unterbringungen können durch Gerichtsbeschluss bis zu 6 Monaten ausgesetzt (unterbrochen) werden, § 70k FGG. Diese Aussetzung kann auf insgesamt 1 Jahr verlängert werden. Hierzu können dem Betroffenen Auflagen erteilt werden, z.B. sich in ambulante fachpsychiatrische Behandlung zu begeben. Bei der BGB-Unterbringung ist solches nicht vorgesehen; hier endet mit Entlassung des Betreuten die Rechtswirksamkeit der Unterbringungsgenehmigung selbst; bei erneuter Unterbringungsnotwendigkeit hat der Betreuer einen neuen Genehmigungsantrag nach § 1906 Abs. 2 BGB zu stellen.
Aufhebung der Unterbringung
Eine Aufhebung der Unterbringungsgenehmigung muss auch vor Ablauf der Genehmigungsfrist vorgenommen werden, sobald die Voraussetzungen zur Zwangsunterbringung nicht mehr gegeben sind (§ 70i FGG). Wird diese Pflicht verletzt, liegt u.U. der Straftatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) vor.
Rechtsmittel
Gegen Unterbringungsbeschlüsse kann als Rechtsmittel die sofortige Beschwerde (§ 70mm FGG) binnen 14 Tagen eingelegt werden. Zur Beschwerde ist neben dem Betroffenen selbst noch der in § 70d FGG bestimmte Personenkreis berechtigt (nahe Angehörige, Behörde, Heimleiter).
Siehe auch
- Schweiz: Fürsorgerischer Freiheitsentzug
- Österreich Unterbringung (Österreich)
- Betreuung, Betreuungsverfahren, Verfahrenspfleger, Fixierung (Medizin)
- Freiheitsberaubung, Freiheitsentzug, Psychisch-Kranken-Gesetz, Maßregelvollzug, Zwangseinweisung
Literatur
Bücher
- Bohnert: Unterbringungsrecht, ISBN 3-406-47174-9
- Coeppicus: Sachfragen des Betreuungs- und Unterbringungsrechts, ISBN 3-170-16333-7
- Deinert/Jegust: Das Recht der psychisch Kranken (Textsammlung), 2. Aufl, ISBN 3-887-84993-0
- Kopetzki: Grundriss des Unterbringungsrechts (f. Österreich), ISBN 3-211-82890-7
- Labhun: Familiengericht und Vormundschaftsgericht, ISBN 3-887-84919-1
- Probst: Betreuungs- und Unterbringungsverfahren; Berlin 2005, ISBN 3503087451
- Winzen: Zwang. Was tun gegen Betreuung und Unterbringung? ISBN 3-928-31608-7
Zeitschriftenbeiträge
- Rolf Marschner: Zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Unterbringung; BtPrax 2006, 125
- Peter Müller: Zum Recht und zur Praxis der betreuungsrechtlichen Unterbringung; BtPrax 2006, 123
- Andrea Tietze: Zwangsbehandlungen in der Unterbringung; BtPrax 2006, 135
Weblinks
- Rechtsgrundlagen für das Betreuungsverfahren (§§ 70 ff. FGG)
- BGH-Beschluss vom 11. Oktober 2000 zur ambulanten Zwangsbehandlung
- BGH-Beschluss vom 1. Februar 2006 zur stationären Zwangsbehandlung
- BVerfGE 58, 208, 224ff (Bundesverfassungsgericht zum Recht auf Krankheit)
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