VIE-Theorie

VIE-Theorie

Nach der VIE-Theorie (für Valenz, Instrumentalität, Erwartung) von Vroom (1964) ist die Frage, ob eine Person Leistungsmotivation zeigt, nicht nur das Resultat ihrer individuellen Anlagen oder ihrer Sozialisation, sondern vor allem von Faktoren der Situation abhängig. Die VIE-Theorie zählt damit im Bereich der Motivationstheorien zur Kategorie der Prozess-Theorien, d. h. sie umschreibt nicht die inhaltlichen Aspekte (wie z. B. Bedürfnisbefriedigung, Streben nach Status), sondern betrachtet die Dynamik der Motivation (Wie kommt Motivation zustande? Welchen Regeln folgen motivationale Prozesse?). Innerhalb der VIE-Theorien wird versucht, die Intention des Verhaltens zu errechnen aus der Wertigkeit der Ziele, der Instrumentalität der Handlung für das Erreichen dieser Ziele und der subjektiven Wahrscheinlichkeit, dieses Verhalten auch zeigen zu können. (Lutz v. Rosenstiel, 2007)

Dabei behandelt die VIE-Theorie speziell jene Prozesse, die zur Entscheidung für eine bestimmte Handlungsalternative führen (prädezisionalen Phase nach Heckhausen).

Inhaltsverzeichnis

Grundlage der Theorie

Grundlage der VIE-Theorie ist der Weg-Ziel-Ansatz (Path-Goal Approach) von Georgopoulus, Mahoney & Jones (1957) [1]: demnach wird Leistung (der „Weg“) von Individuen nur dann als erstrebenswert angesehen, wenn damit ein erwünschtes Ziel erreicht werden kann. Entsprechend orientiert sich das Ausmaß an gezeigter Leistung an dem Aufwand, der notwendig ist, um das Ziel zu erreichen.

Dieser Ansatz beruht auf dem Paradigma des Nutzenmaximierers: die Wahrnehmung eines „relativen Nutzens“ ist wesentlich ausschlaggebend für die Bereitschaft zur Leistungserbringung.

Annahmen der VIE-Theorie

Vroom unterscheidet in seiner Theorie zwischen zwei Sorten von Konsequenzen, die sich aus menschlichem Handeln ergeben: die Handlungsergebnisse und die Handlungsfolgen.

  • Handlungsergebnisse (E) sind die direkten Ergebnisse, welche sich aus dem Handeln oder auch Nicht-Handeln einer Person ergeben, z. B. die Beförderung im Beruf, welche als Resultat engagierten Arbeitens angeboten wird.
  • Als Handlungsfolgen (F) wird die Wirkung bezeichnet, welche ein Handlungsergebnis auf andere Bereiche des Lebens hat. Im Fall der Beförderung wären dies z. B. mehr Verantwortung, weniger Freizeit, bessere Bezahlung und mehr Ansehen.

Um zu erklären, wie Menschen motivationale Entscheidungen treffen („Strenge ich mich an oder nicht?“), sind nach Vroom die drei folgenden Aspekte notwendig: die Instrumentalität des Handlungsergebnisse, die Valenz desselben und die zugehörigen Erwartung der Person.

Instrumentalität

Instrumentalität steht hier für die Beziehung zwischen dem Handlungsergebnis und den daraus resultierenden Handlungsfolgen, „d. h. Handlungsergebnisse können günstige oder ungünstige Auswirkungen haben“ [2]. Hinter dem Begriff der Instrumentalität verbirgt sich also die Frage, inwieweit das Ergebnis meiner Anstrengungen wünschenswerte Konsequenzen nach sich zieht.

Ein Handlungsergebnis kann also gleichzeitig positive und negative Instrumentalität (Auswirkung) haben, bezogen auf verschiedene Handlungsfolgen. Die o.g. Beförderung zum Beispiel hat positive Instrumentalität in Bezug auf das Einkommen (dieses steigt nach der Beförderung). Gleichzeitig hat sie aber auch negative Instrumentalität auf die Freizeit (mit der größeren Verantwortung ist man weniger entbehrlich und muss länger arbeiten).

Valenz

Unter Valenz versteht Vroom den Wert, den bestimmte Zustände für ein Individuum haben. Valenz gibt also den Grad an, in dem ein bestimmter Zustand für ein Individuum wünschenswert oder wie wichtig dieser ist. Dabei bezieht sich Valenz im Kontext der VIE-Theorie zwar zuerst auf das Handlungsergebnis, daneben jedoch auch auf die Handlungsfolgen. Denn die Valenz des Handlungsergebnisses (E) ergibt sich laut der Theorie aus den Valenzen und den Instrumentalitäten der Handlungsfolgen.

Vroom postuliert, dass eine Person für jede Handlungsfolge die spezifische Instrumentalität „I(F)“ des Handlungsergebnisses kalkuliert. Wie bedeutsam diese Auswirkungen im einzelnen für die Bewertung des Handlungsergebnisses sind, hängt von der jeweiligen Valenz der Handlungsfolge ab „V(F)“. Durch die Valenz einer bestimmten Handlungsfolge erhält ihre Veränderung durch das Handlungsergebnis mehr oder weniger Gewicht. Wie wünschenswert das direkten Handlungsergebnisses ist („Valenz(E)“), ergibt sich so aus der Summe der gewichteten Instrumentalitäten aller Handlungsfolgen. Dies lässt sich mathematisch wie folgt darstellen:

\text { Valenz(E) } = \;[\text { V(F1) } \; \ast \; \text { I(F1) } ] \;+\;[\text { V(F2) } \; \ast \; \text { I(F2) } ]\;+ \;... \;+\;[\text { V(Fn) } \; \ast \; \text { I(Fn) } ]

Am Beispiel der Beförderung hieße dies folgendes: Nehmen wir an, der Angestellte, dem eine Beförderung angeboten werden könnte, ist gerade Vater geworden. Er möchte so viel Zeit wie möglich mit seinem Kind verbringen, wird aber nach einer möglichen Beförderung weniger freie Zeit zur Verfügung zu haben (negative Instrumentalität für F1). Andererseits denkt der junge Vater vielleicht, dass er jetzt ganz alleine seine Familie versorgen muss, eine Gehaltserhöhung käme da genau richtig (positive Instrumentalität für F2). Je nachdem, wie wichtig für ihn die verbleibende freie Zeit oder das höhere Einkommen ist, wirkt entweder die negative oder die positive Instrumentalität stärker auf die Valenz der Beförderung. Diese erscheint ihm entsprechend insgesamt weniger oder mehr erstrebenswert.

An diesem Punkt ist jedoch erst entschieden, wie erstrebenswert das Ergebnis des Handelns ist. Damit geht jedoch noch keine Entscheidung einher, ob entsprechend gehandelt, ob Anstrengung investiert wird.

Erwartung

Der Terminus Erwartung beschreibt hier den Grad der subjektiv wahrgenommenen Eintretens-Wahrscheinlichkeit eines Ergebnisses. Die Erwartung misst Vroom auf einer Skala von 0 bis 1: Bei einer Erwartung von 0 hält das Individuum das Auftreten eines Ereignisses infolge einer bestimmten Handlung für unwahrscheinlich, bei einer Erwartung von 1 wird das Auftreten eines Ereignisses für sicher gehalten. Die Erwartung wirkt dabei sowohl auf die Valenz des Handlungsereignisses, als auch auf die Leistungsentscheidung.

In der VIE-Theorie werden zwei Erwartungen unterschieden:

  • Handlungs-Ergebnis-Erwartungen: Die angenommene Wahrscheinlichkeit, dass durch den Einsatz die Voraussetzungen für das Handlungsergebnis erfüllt werden wird. Diese Erwartung hängt überwiegend von Persönlichkeitsmerkmalen des Individuums selbst ab, etwa Fähigkeiten und Selbstvertrauen.
  • Ergebnis-Folge-Erwartungen: Die Wahrscheinlichkeit, mit der Leistung zu den erwünschten Handlungsfolgen führt. Diese wird überwiegend durch Vorgesetztenverhalten und organisatorische Regeln beeinflusst.

Die motivationale Entscheidung

Die Entscheidung einer Person darüber, ob sie Leistung investiert oder nicht, ergibt sich nach Vroom schließlich aus dem Zusammenspiel ihrer Erwartungen und der Wertigkeit des Handlungsergebnisses:

\text { Entscheidung } = \;\text { Valenz(E) } \; \ast \; \text { Erwartung(E) }

Die muliplikative Verknüpfung von Valenz und Erwartung zeigt, dass beide Aspekte ein Mindestmaß erreichen müssen, damit eine Person bereit ist, Leistung zu zeigen. Ein extrem wünschenswertes Ziel wird sich trotzdem nicht leistungssteigernd auswirken, wenn die Person annimmt, dass dieses Ergebnis nicht zu erreichen ist (z. B. weil man überzeugt ist, bei Beförderungen „sowieso immer übergangen zu werden“ oder weil man sich selbst für nicht kompetent genug hält). Gleichzeitig werden Handlungsziele, die sehr leicht zu erreichen wären, trotzdem nicht motivierend wirken, wenn sie keine positive Valenz besitzen (z. B. dem Nachbarn den Hof kehren).

Nach dieser Auffassung ist Arbeitsleistung also extrinisch motiviert, sie ist für den Einzelnen ein Instrument zur Erreichung von Handlungsfolgen mit positiver Valenz.

Bewertung der VIE-Theorie

Die Grundidee der VIE-Theorie ist sehr einleuchtend, zugleich aber auch relativ komplex. Trotz ihrer Komplexität bildet die VIE-Theorie eine nützliche Grundlage für die Ableitung konkreter Motivierungsstrategien im betrieblichen Alltag. Ihre mathematische Formulierung ermöglicht die präzise empirische Überprüfung der Theorie und macht sie auch für die Wissenschaft besonders interessant. Dadurch ist sie die zur Zeit dominante Motivationstheorie geworden.

Bei der Anwendung der VIE-Theorie muss jedoch beachtet werden, dass sie nur einen Ausschnitt des Leistungs- und Motivations-Prozesses betrachtet (Entscheidung für oder gegen Handlungsalternativen). Die Leistungsbereitschaft muss danach erst in Handlungen und Leistungen umgesetzt, gesteuert und bewertet werden.

Schlussfolgerung für die Praxis

Nach Vrooms Theorie würde ein Mitarbeiter gute Leistungen vollbringen, wenn er eine hohe Wahrscheinlichkeit sieht (hohe Erwartungen), dass:

  1. seine persönlichen Bemühungen (Handlungen) zu hoher Arbeitsleistung führen
  2. gute Arbeitsleistung zu erwünschten persönlichen Zielen/ Ergebnissen führt
  3. falls diese Ziele/Ergebnisse attraktiv empfunden werden (hohe Valenz besitzen)

Für die Frage der Motivierung im Sinne einer Führungsaufgabe kommt es also zuerst darauf an, „in Gesprächen mit Mitarbeitern deren Erwartungen, Valenzen und Instrumentalitäten zu ermitteln, um durch gezielte Beeinflussung dieser Größen ihre Leistungsbereitschaft zu erhöhen.“ [3]

Literatur

  • Nerdinger, F.W. (2001). Motivation. In: H. Schuler, Lehrbuch der Personalpsychologie. Göttingen: Hogrefe (S. 354–356).
  • Staehle, W.H. (1999). Management. München: Vahlen.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Georgopoulus, B.S., Mahoney, C.M. & Jones, N.W. (1957). A Path Goal Approach to Productivity. In: Journal of Applied Psychology, 41, S. 599–611.
  2. Nerdinger, F.W. (2001). Motivation. In: H. Schuler, Lehrbuch der Personalpsychologie. Göttingen: Hogrefe (S. 354).
  3. Nerdinger, F.W. (2001). Motivation. In: H. Schuler, Lehrbuch der Personalpsychologie. Göttingen: Hogrefe (S. 355).

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