Varieties of Capitalism

Varieties of Capitalism

Varieties of Capitalism bzw. Varianten des Kapitalismus ist ein politökonomischer Erklärungsansatz, den Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaftler nutzen, um die Unterschiede zwischen Spielarten von kapitalistischen Wirtschaftssystemen zu analysieren. Der Ansatz hat seine Vorgänger im Bereich des Neokorporatismus, Neo-Institutionalismus und durch die Neue Institutionenökonomik sowie der neueren Wirtschaftssoziologie, vor allem Mark Granovetter [1]. Hauptvertreter des Ansatzes, der hauptsächlich am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) entwickelt wurde, sind über ihr gleichnamiges Buch Peter A. Hall (Harvard) und David Soskice (Oxford und WZB).

Die Theorie lässt sich anhand dreier Merkmale zusammenfassen:

  • Die einzelne Firma ist Ausgangspunkt. Das heißt, Unterscheidungsmerkmal zwischen Kapitalismusformen ist, welche Art von Koordinierung des Wirtschaftsgeschehens einer Firma die vorherrschende ist. Demnach können Marktbeziehungen, Hierarchien, hybride Formen, aber auch Kooperation und Deliberation unterschieden werden. Je nachdem, welche Art vorherrschend ist, wird ein Land als liberale Marktwirtschaft (LME) oder koordinierte Marktwirtschaft (CME) bezeichnet.
  • Es gibt komplementäre Beziehungen zwischen Institutionen (institutionelle Komplementaritäten gehen auf den Ökonomen Masahiko Aoki (Stanford) zurück). Das bedeutet, dass die Effizienz einer Institution durch die Wirksamkeit einer anderen (komplementären Institution) gesteigert wird. Dies führt dazu, dass Wirtschaftssysteme relativ stabile Gebilde sind: Änderungen einzelner Institutionen führen zu weitreichenden Problemen.
  • Unterschiedliche Anreizmechanismen innerhalb der Systeme führen zu unterschiedlichen komparativen institutionellen Vorteilen. Das bedeutet: Firmen in einem bestimmten Institutionengefüge sind relativ besser in der Produktion bestimmter Güter und Dienstleistungen als andere, die in anderen Umgebungen operieren. Dies widerspricht einer weit verbreiteten Ansicht, dass unterschiedliche Marktwirtschaften sich einander angleichen und alle zu einem liberalen System tendieren (Konvergenz).

Siehe auch Kapitalismusmodelle.

Inhaltsverzeichnis

Kritik

Der Ansatz wird vor allem wegen seiner statischen Behandlung von institutionellem Wandel kritisiert.[2]

Weiterhin wird dem Varieties of Capitalism - Ansatz vorgehalten, dass er funktionalistisch sei. Man könne nicht davon ausgehen, dass Akteure in der Tat die Produktionskonfiguration unterstützen, die "ihrem" Modell des Kapitalismus entspricht. Insofern wird in vielen empirischen Arbeiten die Erosion des "deutschen Modells" nachgezeichnet und mit der von Hall und Soskice postulierten Stabilität dieses Modells kontrastiert. [3]

Hauptvertreter dieser Kritik sind unter anderem Wolfgang Streeck und seine Kollegen am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.

Literatur

  • Hall, Peter A. und David Soskice (2001) Varieties of Capitalism: The Institutional Foundations of Comparative Advantage. Oxford: Oxford University Press.
  • Amable, Bruno (2003): The Diversity of Modern Capitalism. Oxford: Oxford University Press.
  • Cernat, Lucian (2006) Europeanization, Varieties of Capitalism and Economic Performance in Central and Eastern Europe, New York: Palgrave Macmillan.
  • Crouch, Colin (2005): Models of Capitalism. In: New Political Economy, 10(4), 439-456.
  • Gingerich, Daniel / Hall, Peter / (2004): Varieties of Capitalism and Institutional Complementarities in the Macroeconomy. An Empirical Analysis. MPIfG Discussion Paper 04/5. Cologne: Max Planck Institute for the Study of Societies. URL: http://www.mpifg.de/pu/mpifg_dp/dp04-5.pdf - 14. März 2006.
  • Hay, Colin (2005): Two Can Play at That Game…or Can They? Varieties of Capitalism, Varieties of Institutionalism. In: Coates, David (ed.): Varieties of Capitalism, Varieties of Approaches. New York: Palgrave Macmillan, 106-121.
  • Pontusson, Jonas (2005b): Varieties and Commonalities of Capitalism. In: Coates, David (ed.): Varie-ties of Capitalism, Varieties of Approaches. New York: Palgrave Macmillan, 163-188.
  • Rhodes, Martin (2005): Varieties of Capitalism and the Political Economy of European Welfare States. In: New Political Economy, 10(3), 363-370.
  • Soskice, David (1999): Divergent Production Regimes: Coordinated and Uncoordinated Market Economies in the 1980s an 1990s. In: Kitschelt, Herbert / Lange, Peter / Marks, Gary / Stephens, John (eds.): Continuity and Change in Contemporary Capitalism. Cambridge: Cambridge University Press, 101-134.
  • Streeck, Wolfgang (1997b): German Capitalism. Does it Exist? Can it Survive? In: Political Economy of Modern Capitalism: Mapping Convergence and Diversity. London: Sage, 33-54.

Quellen

  1. Granovetter, Mark (1985): Economic Action and Social Structure. The Problem of Embeddedness. American Journal of Sociology, 91(3), 481-510.
  2. Streeck, Wolfgang / Thelen, Kathleen (2005): Beyond continuity: Institutional change in advanced political economies. Oxford: Oxford University Press.
  3. Schmidt, Vivien (2002): The Futures of European Capitalism. Oxford: Oxford University Press.

Weiterführende Links

Literaturliste auf der Wiwi-Werkbank erstellt durch die ZBW - Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft Theoretische Grundlagen und Anwendungsbeispiele


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Varieties of capitalism — (VoC) ist ein politökonomischer Erklärungsansatz, den Wirtschafts Sozial und Politikwissenschaftler nutzen um die Unterschiede zwischen Spielarten von kapitalistischen Wirtschaftssystemen zu analysieren. Der Ansatz hat seine Vorgänger im Bereich… …   Deutsch Wikipedia

  • State capitalism — State capitalism, in its classic meaning, is a private capitalist economy under state control. This term was often used to describe the controlled economies of the great powers in the First World War. [cite encyclopedia encyclopedia = Blackwell… …   Wikipedia

  • Anarcho-capitalism — Part of the Politics series on Anarchism …   Wikipedia

  • Kapitalismusmodelle — ist ein Sammelbegriff für die in den Sozial , Politik und Wirtschaftswissenschaften, insbesondere in den Teildisziplinen der vergleichenden Politischen Ökonomie und komparativen Industrial Relations Forschung, konstruierten und diskutierten Ideal …   Deutsch Wikipedia

  • David Soskice (Ökonom) — David Soskice (* 6. Juli 1942) ist ein britischer Ökonom. Er ist Research Professor für Vergleichende Politische Ökonomie und Senior Research Fellow am Nuffield College der University of Oxford, Research Professor an der US amerikanischen Duke… …   Deutsch Wikipedia

  • David Soskice (economist) — David Soskice is a British economist. Currently, he is Research Professor of Comparative Political Economy and Senior Research Fellow at Nuffield College, University of Oxford. Contents 1 Life 2 Research 3 Further reading 4 …   Wikipedia

  • André Nilsen — move=sysop:edit=sysop 163.1.81.147 André Nilsen (born April 13, 1976) is the chairman and managing director of the Oxford Council on Good Governance based at the University of Oxford. He is also the publisher and editor in chief of the Oxford… …   Wikipedia

  • Kapitalismus — bezeichnet zum einen eine spezifische Wirtschafts und Gesellschaftsordnung, zum anderen eine Epoche der Wirtschaftsgeschichte. Die zentralen Merkmale sind in Anbetracht des historischen Wandels und der zahlreichen Kapitalismusdefinitionen sowie… …   Deutsch Wikipedia

  • Kapitalismus contra Kapitalismus — Kapitalismus kontra Kapitalismus ist der Titel eines 1991 erschienenen Fachbuches des französischen Ökonomen Michel Albert. Albert definiert den Begriff des Rheinischen Kapitalismus als allgemeinen Typus einer vornehmlich aus dem deutschen… …   Deutsch Wikipedia

  • Golden Share — A Golden Share is a nominal share which is able to outvote all other shares in certain specified circumstances, often held by a government organization, in a government company undergoing the process of privatization and transformation into a… …   Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”