Verdingbub

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Verdingung bezeichnet in der neueren Schweizer Geschichte die Fremdplatzierung von Kindern zur Lebenshaltung und Erziehung. Oft wurden die (faktisch schon durch die Behörden entrechteten) Kinder an Bauern vermittelt, von denen sie als günstige Arbeitskraft meist ausgenutzt, misshandelt und missbraucht wurden. Mittlerweile veraltet ist der Begriff Verdingung für den Abschluss eines Arbeitsvertrages.

Parallel läuft in Deutschland der Vorgang, dass im 19. Jahrhundert bis etwa 1921 Bergbauernkinder, die sogenannten Schwabenkinder, aus Vorarlberg, Tirol, Südtirol und auch der Schweiz alljährlich im Frühjahr durch die Alpen zu den Kindermärkten hauptsächlich nach Oberschwaben zogen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Verdingkinder, meistens Waisen- und Scheidungskinder, wurden zwischen 1800 und 1950 von den Behörden den Eltern weggenommen und Interessierten öffentlich feilgeboten. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Kinder oft auf einem Verdingmarkt versteigert. Den Zuspruch bekam jene Familie, welche am wenigsten Kostgeld verlangte. In einigen politischen Gemeinden soll diese Praxis noch nach 1950 üblich gewesen sein. Betroffene beschreiben, dass sie auf solchen Märkten "wie Vieh abgetastet wurden". In anderen Gemeinden wurden sie wohlhabenderen Familien durch Losentscheid zugeteilt. Zugeloste Familien wurden gezwungen, solche Kinder aufzunehmen, auch wenn sie eigentlich gar keine wollten.

Sie wurden meistens auf Bauernhöfen wie Leibeigene für Zwangsarbeit eingesetzt, meist ohne Lohn und Taschengeld. Nach Augenzeugenberichten von Verdingkindern wurden sie häufig ausgebeutet, erniedrigt oder gar vergewaltigt. Einige fanden dabei den Tod.

Misshandlungen wurden nur sehr selten verfolgt. Wenn solche behördlich festgestellt wurden, wurden den Pflegeeltern das Recht, neue Verdingkinder zu „erwerben“, für mindestens fünf Jahre entzogen.

Neben der Verfolgung der Jenischen durch die Organisation "Kinder der Landstrasse", deren Kinder selbst häufig von verschiedenen Amtsstellen und (auch privatrechtlichen) Institutionen verdingt wurden, gilt die Verdingung als eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren Schweizer Geschichte. Erst in den letzten Jahren griffen die Medien dieses Thema intensiver auf, nachdem es lange Zeit verdrängt worden war.

Die genaue Anzahl der Verdingkinder ist unbekannt. Nach Schätzungen sind es "Hunderttausende", welche sich bis in die 1960er und 1970er-Jahre verdingt haben[1]. Vor dem 1. Weltkrieg wurden laut dem Berner Historiker Marco Leuenberger im Kanton Bern gegen 10 Prozent aller Kinder verdingt[2]. 1910 sollen etwa 4 Prozent aller Schweizer Kinder unter 14 Jahren verdingt worden sein, von 1.17 Millionen Kindern sind es 47'000.[3]

Heutige Situation

Heute lebt in der Schweiz eine vermutlich fünfstellige Zahl ehemaliger Verdingkinder, welche nicht selten psychische Probleme haben. Sie erwarten heute von der Regierung eine öffentliche Entschuldigung und finanzielle Entschädigungen.

Der Staat hält sich bis heute bedeckt. Eine entsprechende Motion zur historischen Aufarbeitung wurde 2004 vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen [4].

Die Zahl der heutigen Pflegekinder ist statistisch nicht erfasst und wird auf ca. 15'000 geschätzt[5]. Kritiker bemängeln, dass die Vermittlung der Pflegekinder über Private teilweise profitorientiert erfolge und nicht staatlich geregelt sei[6]. Wenn die Platzierung jedoch auf Wunsch der Eltern geschieht, ist diese neue Form nicht mit der alten Verdingung, sondern eher mit einem familiären Hort zu vergleichen.

Literatur

Siehe auch

Quellen

  1. http://www.nzz.ch/2004/07/25/vm/article9okky_1.284003.html
  2. http://www.nzz.ch/2004/07/25/vm/article9okky_1.284003.html
  3. http://www.tagblatt.ch/index.php?artikelxml=1489519
  4. http://www.parlament.ch/afs/data/d/gesch/2004/d_gesch_20043065.htm
  5. http://www.kath.ch/index.php?na=11,0,0,0,d,17858
  6. http://www.kinderohnerechte.ch/kor/web/kinder.php

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