Weissagen

Weissagen
Die Wahrsagerin
Michail Alexandrowitsch Wrubel (1895)

Als Wahrsagen, Wahrsagung oder Mantik (von altgr. μαντεία, manteia), abwertend Wahrsagerei, werden in der Kulturgeschichte, in der Ethnologie und in der Esoterik zahlreiche Praktiken und Methoden zusammengefasst, die dazu dienen sollen, zukünftige Ereignisse vorherzusagen oder anderweitig verborgenes Wissen zu erlangen, das den gewöhnlichen Sinneswahrnehmungen nicht zugänglich ist. Das Spektrum dieser Praktiken reicht von der Deutung zufälliger Ereignisse nach vorgegebenen Regeln bis zur Inanspruchnahme „hellseherischer“ Fähigkeiten (Hellsehen). Verbreitete Beispiele sind das Handlesen, das Kartenlegen und die Astrologie. Davon unterschieden wird die religiöse Prophetie, bei der nicht äußere Zeichen gedeutet werden, sondern eine unmittelbare göttliche Inspiration in Anspruch genommen wird; diese Unterscheidung ist jedoch nicht immer eindeutig möglich. Weitere verwandte, weitgehend synonyme Bezeichnungen sind Weissagung und Divination (von lat. divinatio).

Ob Wahrsager tatsächlich zukünftige Ereignisse vorhersagen könnten, ist bereits seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen, und der Glaube daran wird heute dem Aberglauben zugerechnet.[1] Zu den entschiedenen Gegnern des Wahrsagens zählen die katholische Kirche, maßgebliche evangelische Theologen und Vertreter der Skeptikerbewegung. Von theologischer Seite wird behauptet, das Wahrsagen sei mit dem christlichen Glauben unvereinbar. Vertreter der Skeptikerbewegung überprüfen Aussagen von Wahrsagern und behaupten, dass sich angebliche Wahrsagefähigkeiten bisher bei jeder Untersuchung als Täuschung oder Selbsttäuschung entpuppt hätten.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung

Die Wahrsagerin, Deutschland, 18. Jahrhundert

Nach Georges Minois, der 1996 die erste große Monographie der Geschichte der Wahrsagung und anderer Formen der Vorhersage vorlegte, sind (in Europa) 25 verschiedene Methoden gang und gäbe, „von der Kristallkugel bis zum Kaffeesatz, von der Geomantie bis zur Numerologie, von der Chiromantie bis zur Kartomantie. Kein Fehlschlag, kein Beweis für die Inkohärenz und Absurdität dieser Methoden erschüttert das Vertrauen eines überraschend großen Teils der Bevölkerung.“ Besonders populär ist die Astrologie, der nach verschiedenen Umfragen ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung Glauben schenkt. In Deutschland betätigten sich Mitte der 90er Jahre über acht Millionen Deutsche selber als Hobbyastrologen, und 20 % der Befragten sprachen sich sogar für die Anerkennung der Astrologie als Wissenschaft aus.[2]

Nach Minois basiert dieser Erfolg u. a. auf der sozialen Funktion der Wahrsagung: „Die Astrologie, die Kartomantie, die Parapsychologie [...] sind für das in den Massenphänomenen versinkende Individuum eine Zuflucht, eine Gelegenheit, die eigene Persönlichkeit zu erforschen und sich dabei von jeder Schuld freizusprechen. In diesem Sinne treten sie ein wenig die Nachfolge der einstigen Gewissensprüfung und Beichte an. Wie der Priester ist der Astrologe ein Vertrauter, dem man seine Geheimnisse entdeckt und der einem im Gegenzug die persönliche Zukunft enthüllt. Es besteht eine große Ähnlichkeit zwischen dem Psychoanalytiker und dem Astrologen, und schon die Hellseherinnen des letzten [19.] Jahrhunderts hatten erkannt, dass sie die Rolle von Psychologinnen und Trösterinnen spielten. Die Kunden der Astrologen und Hellseher sind Kranke, Verängstigte, aus dem Gleichgewicht geratene Menschen, die Trost und Sicherheit suchen und auf ihre Person aufmerksam machen wollen. Das wissen die Astrologen sehr genau, man braucht nur ihre stereotypen Vorhersagen zu lesen: dem Ego zu schmeicheln ist viel wichtiger, als die Zukunft vorauszusagen.“[3]

Geschichte

Siehe: Geschichte des Wahrsagens

Gegnerische Standpunkte

Kirchen

Zu den schärfsten Gegnern des Wahrsagens gehört die Katholische Kirche, die in ihrem Katechismus festhält: „Sämtliche Formen der Wahrsagerei sind zu verwerfen: Indienstnahme von Satan und Dämonen, Totenbeschwörung oder andere Handlungen, von denen man zu Unrecht annimmt, sie könnten die Zukunft „entschleiern". Hinter Horoskopen, Astrologie, Handlesen, Deuten von Vorzeichen und Orakeln, Hellseherei und dem Befragen eines Mediums verbirgt sich der Wille zur Macht über die Zeit, die Geschichte und letztlich über die Menschen, sowie der Wunsch, sich die geheimen Mächte geneigt zu machen. Dies widerspricht der mit liebender Ehrfurcht erfüllten Hochachtung, die wir allein Gott schulden.[4]

Weitaus konzilianter ist die Haltung protestantischer Kirchen, in denen z.T. sogar gewisse Praktiken der Wahrsagung regelmäßig ausgeübt werden. Die Evangelische Informationsstelle erkennt die Inanspruchnahme der Wahrsagung ausdrücklich als menschliches Grundbedürfnis an, mit dem sich jede Religion zu befassen habe. Für die evangelischen Landeskirchen könne die Wahrsagerei jedoch kein Weg sein, weil diese Kirchen „bewusst mit der rational-wissenschaftlichen Erfassung der Welt in Übereinstimmung stehen“ wollen. Die Alternative sei, „sich der Ungewissheit der Zukunft zu stellen im Wissen, dass Gott die Gläubigen, egal wie das Kommende aussehen mag, nicht alleinlässt.“[5]

Skeptikerbewegung

Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften veröffentlicht alljährlich eine Prognosenauswertung, in der eine Reihe öffentlich getroffener Vorhersagen von Wahrsagern kommentiert werden.[6] Bei Prüfungen der Aussagen von Wahrsagern habe man bisher keine echten Wahrsagefähigkeiten bestätigen können; vielmehr handele es sich um Täuschung des Kunden oder auch um eine Selbsttäuschung, der sowohl der Wahrsager selbst wie auch der Kunde unterliege.[7]

Literatur

  • Gabriele Hoffmann: Wahrsagen. Wegweiser für Schicksal und Zukunft. Hugendubel, Kreuzlingen 2007, ISBN 3-7205-6022-8
  • Wolfram Hogrebe (Hg.): Mantik. Profile prognostischen Wissens in Wissenschaft und Kultur. Königshausen und Neumann, Würzburg 2005, ISBN 3-8260-3262-4
  • M. Hughes, R. Behanna, M.L. Signorella: Perceived accuracy of fortune telling and belief in the paranormal. In: J. Soc. Psychol. 141 (2001), S. 159–160, PMID 11294162
  • Albert S. Lyons: Das große Buch vom Wahrsagen. Dumont, Köln 2004, ISBN 3-8321-7389-7
  • Georges Minois: Geschichte der Zukunft. Orakel, Prophezeiungen, Utopien, Prognosen. Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich, 1998, ISBN 3-538-07072-5 (vergriffen)
  • Kocku von Stuckrad: Geschichte der Astrologie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. C.H. Beck (BsR 1752), München 2007, ISBN 3-406-54777-X
  • Eva-Christiane Wetterer: Der heiße Draht zur Zukunft, Heyne, 2006, ISBN 3-453-67011-6

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Georges Minois: Histoire de l'Avenir, Paris 1996; deutsch: Geschichte der Zukunft, Düsseldorf/Zürich 1998
  2. Minois, S. 712–714; Claudia Barth: Über alles in der Welt – Esoterik und Leitkultur, Aschaffenburg 2006, S. 12f
  3. Minois, S. 716
  4. Katechismus der Katholischen Kirche zum Dritten Gebot
  5. Georg Otto Schmid 1995 bei relinfo.ch
  6. Prognosenauswertung der GWUP für 2008
  7. Die GWUP über Wahrsager

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