Protestantismus

Protestantismus

Mit dem (ursprünglich politischen) Begriff Protestanten werden im engeren Sinne die Angehörigen der christlichen Konfessionen bezeichnet, die im deutschen und im französischen Sprachraum durch die Reformation des 16. Jahrhunderts entstanden sind.

Allgemeiner werden auch nachreformatorisch entstandene Konfessionsrichtungen als protestantisch bezeichnet, die gleiche oder ähnliche Grundsätze wie die reformatorischen Kirchen vertreten und sich deshalb von der römisch-katholischen Kirche distanzierten. In diesem Sinne wird beispielsweise die Anglikanische Kirche zum Protestantismus gezählt. Auch die evangelischen Freikirchen gehören zum Protestantismus und sehen sich ebenso als „Erben der Reformation“. Dazu zählen in Deutschland zum Beispiel die Baptisten, die Methodisten, die Mennoniten, die Siebenten-Tags-Adventisten und die Pfingstler.

Die deutschen protestantischen (bevorzugter Name: evangelischen) Landeskirchen haben sich in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) organisiert. Die protestantischen Freikirchen sind in der Vereinigung Evangelischer Freikirchen zusammengefasst.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Begriff Protestanten geht zurück auf die Speyerer Protestation der evangelischen Stände auf dem dortigen Reichstag zu Speyer 1529: Sie protestierten gegen die Aufhebung des Abschieds von Speyer 1526, mit dem den Ländern, die Reformationen durchgeführt hatten, Rechtssicherheit zugesagt worden war, und beriefen sich dabei auf die Glaubensfreiheit des Einzelnen.

Weltliche Herrscher fürchteten um die Reichseinheit ihres katholisch durchdrungenen Machtbereichs, wobei der päpstliche Machtbereich als eigener gelten konnte. In einer Anzahl von Kriegen war Protestantismus der mehr oder weniger schwerwiegende Gegenstand, dazu gehören die Hugenottenkriege in Frankreich oder der Dreißigjährige Krieg, der ganz Europa und insbesondere Deutschland erfasste. Erst mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 wurde die lutherische Konfession und mit dem Westfälischen Frieden von 1648 auch die reformierte Konfession anerkannt, allerdings noch von Papst Pius X. als häretisch eingestuft. Den Täufern und anderen Bewegungen der sogenannten radikalen Reformation blieb weiterhin jede Form von Anerkennung versagt.

Von Ernst Troeltsch wurde die Unterscheidung von „Altprotestantismus“ und „Neuprotestantismus“ zum Thema der kirchlichen Diskussion gemacht.[1] Altprotestantismus bezieht sich danach auf die protestantische Bewegung unmittelbar zur Reformationszeit bis ins 17. Jahrhundert, die in dieser Zeit noch wesentlichen mittelalterlichen und katholischen Grundsätzen hinsichtlich der Rolle der Kirche folgte. Hierzu zählt auch die Lutherische Orthodoxie.

Erst mit dem Druck der Aufklärung im 18. Jahrhundert setzten sich die protestantischen Grundideen in der Lebenspraxis verstärkt um. Besonderen Rang bekamen nun die Prinzipien der Freiwilligkeit und der persönlichen Überzeugung. Die Existenz eines säkularen Staates wurde nun als selbstverständlich betrachtet, so dass die Identität von göttlichem Recht (Lex Dei) und, zumeist noch als Naturrecht verstandenem, weltlichen Recht (Ius naturae) in den Hintergrund trat. So ermöglichte die kritische Weltsicht der Aufklärung auch den Beginn der Bibelkritik. Die theologische Dogmatik wandelte sich von einer Begründung des Protestantismus zu einem innerkirchlichen Diskurs.

Protestantisch und Evangelisch

Heute werden die Begriffe protestantisch (geprägt aus der Fremdwahrnehmung durch die römisch-katholische Kurie und ihre Bischöfe) und evangelisch (geprägt aus der Selbstwahrnehmung der Gemeindemitglieder und ihrer Landeskirchen) in der deutschen Umgangssprache austauschbar verwendet. Jedoch bezeichnen sich die deutschen, in der Tradition der Reformation stehenden Kirchen selbst als evangelisch und nicht als protestantisch. Eine Ausnahme bildet hier die Evangelische Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche).

Daneben existieren die Bezeichnungen lutherisch bzw. A.B. (Augsburgischen Bekenntnisses), die die Kirchen in der Tradition der Wittenberger Reformation bezeichnen, und reformiert bzw. H.B. (Helvetischen Bekenntnisses), die die Kirchen in der Tradition der Schweizer Reformatoren Ulrich Zwingli und Johannes Calvin bezeichnen. Je nach Organisationsform gibt es Zusammenschlüsse, die eine Differenzierung aufgeben (Beispiel unierte Landeskirche der Bremischen Evangelischen Kirche in Bremen)

Evangelisch muss vom im 20. Jahrhundert entstandenen Begriff evangelikal unterschieden werden, besonders bei Übersetzungen in andere bzw. aus anderen Sprachen.

Glaubenslehre und Charakteristiken

Prägend sind die Konzentration auf die Bibel, die Anerkennung von Jesus Christus als alleiniger Autorität über Gläubige, sowie die Lehre, dass der Mensch „allein aus Gnade“ – und nicht aufgrund eigenen Handelns – errettet wird. Rechtfertigung erfährt der Mensch „allein durch den Glauben“. Entsprechend wird der Ablass (Sündenvergebung als Leistung gegen Geld, Bußübungen oder gute Werke) abgelehnt.

Die evangelische Lehre wird oft in den vier Sola sola scriptura (allein durch die Schrift), solus Christus (allein Christus), sola gratia (allein durch die Gnade) und sola fide (allein durch den Glauben) zusammengefasst.

Einige aus der katholischen Kirche bekannte Sakramente (z. B. Priesterweihe und Krankensalbung) werden von den evangelischen Kirchen nicht anerkannt, da sie als nicht von Christus eingesetzt betrachtet werden. Martin Luther sprach vom „allgemeinen Priestertum“. Als eindeutig von Christus eingesetzte Sakramente gelten die Taufe und das Abendmahl. Luther hält an der Beichte fest, sie gilt in der Regel jedoch offiziell nicht mehr als Sakrament, lediglich einige lutherische Kirchen erkennen der Beichte einen sakramentalen Charakter zu. Auch wenn Luther zunächst noch ein lateinisches Messbuch entwickelte, wurden spätestens seit seiner Veröffentlichung einer Messe in deutscher Sprache (Deutsche Messe B) Gottesdienste und Messen in allen reformatorischen Kirchen in der jeweiligen Landessprache abgehalten, während die Katholische Kirche bis heute offiziell an der lateinischen Sprache festhält, in der Praxis jedoch seit dem Zweiten Vatikanum auch zur Volkssprache übergegangen ist. Jedoch hat mit einer jüngeren Entscheidung von Papst Benedikt XVI., die tridentinische Messe wieder voll zugänglich zu machen, die lateinische Sprache im katholischen Gottesdienst erneut an Bedeutung zugenommen.

Siehe auch

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Literatur

Einzelnachweise

  1. Bereits in der Dissertation: Ernst Troeltsch: Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melanchthon, 1891, KGA 1, 204-206; als grundlegende These in: Ernst Troeltsch: Protestantisches Christentum und Kirche der Neuzeit, 1906, 2. erweiterte Aufl. 1909, KGA 7, de Gruyter, Berlin 2004; entsprechende Erläuterungen von Volker Drehsen und Christian Albrecht in der Einführung zu diesem Band

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