Wohlfahrtspartei (Türkei)

Wohlfahrtspartei (Türkei)

Die Refah Partisi (deutsch etwa „Wohlfahrtspartei“, RP) war eine der Milli-Görüş-Bewegung zugehörige türkische Partei, die 1983 nach dem Verbot der Millî Selamet Partisi gegründet und 1998 selbst verboten wurde. Die Partei bildete zusammen mit der Doğru Yol Partisi 1996/97 die türkische Regierung. Ihre heute existierenden Nachfolgeparteien sind die Saadet Partisi und die derzeit allein regierende Adalet ve Kalkınma Partisi, die aus einer Spaltung der Fazilet Partisi, der direkten Nachfolgerin der RP, hervorgegangen sind.

Geschichte

Die Wohlfahrtspartei wurde am 19. Juli 1983 als Nachfolgepartei der nach dem Militärputsch von 1980 verbotenen Millî Selamet Partisi gegründet.

Zunächst war sie auf kommunaler Ebene in den Provinzen Konya, Şanlıurfa, Van, Kahramanmaraş und Sivas erfolgreich.

Bei den Parlamentswahlen 1991 erreichte ein Wahlbündnis aus RP, MÇP und IDP 16,88% der Stimmen bzw. 62 Sitze, von denen letztendlich 38 von RP-Abgeordneten eingenommen wurden.

Vorsitzende der Partei waren nacheinander Ali Türkmen, Ahmed Tekdal und Necmettin Erbakan, der auch Ministerpräsident der Türkei war. Der heutige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan war stellvertretender Vorsitzender der Partei und gehörte ihrer Nachfolgerpartei, der Fazilet Partisi, bis zu seinem Austritt 1998 an.

Die Regierungszeit und die Schließung der Partei

Bei den Wahlen vom 24. Dezember 1995 gewann die Wohlfahrtspartei mit 21,4% der Stimmen die Wahlen, doch weder mit der Anavatan Partisi von Mesut Yılmaz noch mit der Doğru Yol Partisi von Tansu Çiller kam es zunächst zu einer Einigung über die Gründung einer Koalitionsregierung. Präsident Süleyman Demirel beauftragte nun Yılmaz mit der Gründung der Regierung. Erst am 6. März 1996 konnte schließlich eine Regierung gegründet werden. Es kam zur kurzlebigen Koalition zwischen der Mutterlandspartei und der Partei des Rechten Weges (die Anayol-Regierung). Nach Auflösung dieser Koalition bekam erneut Erbakan den Auftrag zur Regierungsbildung. Am 28. Juni 1996 kam es zur Koalitionsregierung mit der Partei des Rechten Weges (die Refahyol-Regierung, die 54. Regierung der Türkei). In der Folgezeit kam es im Land verstärkt zu Laizismus-Debatten, die zu den Entscheidungen des Nationalen Sicherheitsrats vom 28. Februar 1997 führten. Zu diesen Entscheidungen führte die Untersuchung eines Berichts des türkischen Geheimdienstes über "fundamentalistische Aktivitäten im Land". Nach den Entscheidungen vom 28. Februar (auf die in der türkischen Literatur auch als Postmoderner Putsch verwiesen wird) wurde die Wohlfahrtspartei verstärkt unter Druck gesetzt. Als Versuch zum Erhalt der Regierung sollte es zum zwischen Erbakan und Çiller abgemachten Tausch der Ämter kommen: Çiller sollte Ministerpräsidentin werden, aber ihre Regierung wieder mit Erbakan gründen. Erbakan reichte am 18. Juni 1997 seinen Rücktritt ein.

Der Abmachung zwischen beiden Parteien zog Präsident Demirel einen Strich durch die Rechnung: er beauftragte nicht Çiller sondern Yılmaz mit Gründung der Regierung. Die 55. Regierung wurde am 30. Juni 1997 zwischen der Mutterlandspartei, der Demokratischen Linkspartei und der Demokratischen Türkei-Partei (die von Politikern, die aus Protest gegen die Koalition mit der Wohlfahrtspartei die Partei des Rechten Weges verlassen hatten, kürzlich gegründet worden war) gebildet.

Derweil hatte der Generalstaatsanwalt des Obersten Gerichtshofs Vural Savaş am 21. Mai 1997 ein Schließungsverfahren gegen die Wohlfahrtspartei mit der Begründung, die Wohlfahrtspartei sei zum Brennpunkt anti-laizistischer Aktivitäten geworden, eröffnet. Das Verfassungsgericht fällte am 16. Januar 1998 das Urteil zur Schließung der Wohlfahrtspartei. Am 28. Februar 1998 wurde die Partei dann endgültig geschlossen.

Das Urteil führte zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der hinsichtlich des Schließungsurteils allerdings keine Menschenrechtsverletzungen feststellte.[1]

Quellen

  1. Christian Moe: Refah Partisi (The Welfare Party) and Others v. Turkey. 6, Nr. 1International Center for Not-for-Profit Law, September 2003

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