Wostoksee

Wostoksee
Position des Wostoksees

Der Wostoksee ist der größte von mehr als 150 bisher bekannten subglazialen Seen, die sich unter dem Eisschild der Antarktis befinden. Er liegt in einer Tiefe von 3700 bis 4100 Metern unter dem Eis und erstreckt sich von der russischen Wostok-Station fast 250 km nach Norden, ist 50 km breit mit einer Wassertiefe bis zu 1200 m und ist ein Süßwassersee.

Inhaltsverzeichnis

Entdeckung

Radar-Aufnahme (RADARSAT-1) des Wostoksees aus dem All. Das Eis über dem See besitzt eine glatte Oberfläche

Andrei Kapiza, ein Wissenschaftler der Wostokstation, entwickelte bereits Ende der 1950er Jahre die These eines Sees unter der Station, konnte sie aber nicht beweisen. Erst an Weihnachten 1974 konnte diese Theorie durch ein schottisches Team erhärtet werden, dem bei der radargestützten Untersuchung der Gletscheroberfläche ein besonders ebener Bereich aufgefallen war.[1][2] Die Existenz des Sees wurde 1996 durch ein russisch - britisches Team, durch die Kombination verschiedener Daten zweifelsfrei bestätigt, unter anderem durch luftgestützte Radarmessungen, die tief ins Eis hineinreichten, weltraumgestützte Radar-Höhenmessungen und Analyse erzeugter seismischer Wellen. Aufgrund seiner Lage tief unter dem Eis handelt es sich um den wohl unberührtesten und ursprünglichsten See der Erde. Dass der See trotz seiner Durchschnittstemperatur von -3 °C nicht gefroren ist, ist auf den hohen Druck von etwa 30–40 Megapascal unter der Eisdecke zurückzuführen, da bei hohem Druck der Schmelzpunkt des Eises sinkt.[3]

Forschungsgeschichte

1957 errichteten russische Forscher die Wostok-Station zur Erforschung der irdischen Klimageschichte. 1983 wurde dort mit -89,2 °C die niedrigste Temperatur der Erde gemessen.

1990 wurde an der Wostok Forschungsstationen ein Gemeinschaftsprojekt zur Gewinnung eines Eisbohrkernes für die Klimaforschung unter russischer, französischer und US-amerikanischer Beteiligung gestartet. Wie sich später herausstellte, befindet sich die Bohrung genau über dem Wostoksee. Die Bohrung wurde bis zu einer Teufe von 3623 Metern geführt und erst im Januar 1998 aufgrund eines internationalen Abkommens etwa 130 m über dem See gestoppt, um eine Kontamination des Sees zu vermeiden.[4] Ein Grund war, dass Kerosin und Freon eingesetzt wurden, um das Bohrloch offen zu halten. Bei der Analyse der Bohrkerne stellte sich heraus, dass die letzten 60 Meter vor dem Stopp kein Gletschereis mehr sind, sondern aus akkretiertem Eis (gefrorenes Wasser des Wostoksees) bestehen. Die meisten bisherigen Erkenntnisse über den Wostoksee stammen aus dieser Bohrung.[5]

Kenntnisstand über den See

Daten (Literaturangaben variieren)
Lage 77° 0′ S, 105° 0′ O-77105Koordinaten: 77° 0′ 0″ S, 105° 0′ 0″ O
Länge 250 km
Breite 40–50 km
Fläche 15.690 km²
Tiefe (unter dem Eis) 3700–4100 m
Tiefe (des Wasserbeckens) 400–1000 m
mittlere Tiefe 344 m
maximale Tiefe 670 m[6]
Volumen 5.400 km3
Temperatur -3°C

Das Alter des Eises wurde auf 420.000 Jahre datiert und hat den See durch eine Eiskappe versiegelt.

Der über dem See liegende Gletscher bewegt sich mit geringer Geschwindigkeit und bringt Sedimente in den See. Auf der „ausströmenden Seite“ des Gletschers gefriert Seewasser. Dies führt zu einer Höhendifferenz der beiden Seeseiten von mehr als 400 m. Auch der Boden des Sees ist nicht eben, sondern es erheben sich sogar „Inseln“ über die Oberfläche des Sees hinaus in das Eis hinein.

Der Wostoksee bietet vermutlich einen sehr extremen Lebensraum. Neben seiner Temperatur ist auch der Sauerstoffgehalt extrem, nämlich etwa 50 mal höher als in normalem Süßwasser, zum einen aufgrund des hohen Drucks, zum anderen aufgrund des Vorkommens von Klathraten, bei denen der gasförmige Sauerstoff in eine Eisstruktur eingelagert ist.

Die in den letzten 85 Metern der Bohrkerne in dem gefrorenen Wasser des Wostoksees gefundenen Mikroben könnten entweder auf Leben im See hindeuten oder sind lediglich ein Anzeichen für eine Kontamination während der Bohrung.[1]

Gezeitenkräfte im Wostoksee

Im April 2005 untersuchten deutsche, russische und japanische Forscher die Wirkung der Gezeitenkräfte auf den See. Abhängig vom Stand der Sonne und des Mondes beträgt der Tidenhub dort zwischen 1 und 2 cm. Das Forscherteam vermutet, dass die Gezeitenkräfte Strömungen erzeugen, was für das Überleben von Mikroorganismen notwendig sei.

Europa/Wostok Initiative

Cryobot (NASA)
Hydrobot (NASA)

Aufgrund der Ähnlichkeit des Sees mit dem vermuteten Meer unter dem Eispanzer des Jupitermondes Europa beteiligte sich auch das Jet Propulsion Laboratory im Auftrag der NASA mit der Planung einer Bohrsonde als Modell für eine zukünftige Europa-Mission. Das Design der Europa/Wostok Initiative sieht eine zweistufige Bauweise vor. Der Kryobot schmilzt sich durch den Eispanzer und rollt dabei Versorgungsleitungen ab, durch die er von der Basisstation gesteuert und mit Energie versorgt wird. Nachdem der Kryobot auf dem Weg in die Tiefe einen Dekontaminationsstopp durchgeführt hat, wird bei Erreichen der Wassergrenze eine zweite Sonde, der Hydrobot, ausgesetzt, der die eigentliche Erforschung des Sees vornehmen soll. Später sollte der Hydrobot wieder am Kryobot andocken und mit Wasserproben den Weg zurück durch den Eispanzer antreten.

Nach dem 1998 verabschiedeten Zeitplan sollte die Mission 2002 starten und 2003 Wasserproben liefern. Technische Probleme und die hohen Risiken einer möglichen Kontamination des Sees führten allerdings dazu, dass der Start des Projekts um 8 Jahre aufgeschoben wurde.

Aktuelle Entwicklung und zukünftige Projekte

Die Einzigartigkeit des Wostoksees treibt viele Wissenschaftler bei der weiteren Erforschung des Sees an, aber man ist sich nicht über die Methoden oder den Zeitplan einig. Sollte es bei der Erforschung des Sees zu einer Kontamination kommen, wären die dabei gewonnenen Ergebnisse nahezu wertlos und auch die Auswertung späterer Forschungsmissionen würde deutlich erschwert, wenn überhaupt noch brauchbare Erkenntnisse gewonnen werden können. Aus diesem Grund arbeitet man bei der NASA zurzeit an einem selbstständig operierenden Roboter, der mit Hilfe einer sich durch die Eisschicht schmelzenden Bohrsonde in den See gebracht und möglichst viele Experimente und Messungen durchführen soll. Problematisch dabei ist, dass weder Bohrsonde noch Roboter eine Kontaminierung des Systems herbeiführen dürfen, daher will man die bestehende Bohrung aus den 1990er Jahren möglichst nicht nutzen, das entstehende Bohrloch direkt oberhalb der Sonde wieder zufrieren lassen und sowohl Sonde als auch den darin eingeschlossenen Hydrobot kurz vor dem Durchbruch ins Wasser selbstständig in einen keimfreien Zustand versetzen. Auf Grund des geplanten komplexen Aufgabenfeldes des Hydrobot muss eine Vielzahl von Geräten enthalten sein, dabei ist der Roboter an die Maße der Bohrung gebunden und dementsprechend in der Größenordnung einer PET-Flasche geplant. Gleichzeitig müssen alle Komponenten den immensen Druckverhältnissen unter dieser kilometerdicken Eisschicht standhalten können. Sollten alle oder einzelne Teile der Bohrsonde nach erfolgreicher Durchführung ihrer Aufgaben im See verbleiben, wird auch zu gewährleisten sein, dass sie ihrerseits keinen zukünftigen, schädlichen Einfluss wie beispielsweise durch Wechselwirkungen mit chemischen Substanzen auf mögliche Lebensformen und deren noch unberührten Lebensraum im See haben. Titan war hierzu unter anderem im Gespräch und kommt durch seine besondere Widerstandsfähigkeit als Material in Frage.

Anfang Januar 2011 kündigte das Arctic and Antarctic Research Institute in St. Petersburg an, den See anzubohren und Proben zu nehmen. Die benutzte Methode soll eine Kontamination ausschließen. Dazu wird 20–30 m über der Oberfläche der mechanische Bohrkopf durch einen thermischen ersetzt, der sich dann bis zum See durchschmilzt. Bei Erreichen der Oberfläche soll der Bohrkopf durch das unter Druck stehende Wasser wieder in das Bohrloch gedrückt werden und das Wasser im Bohrloch gefrieren. Bei einer Folgebohrung werden aus diesem gefrorenen Seewasser Proben gewonnen.[7] 29,53 m vor Erreichen des Sees musste die Bohrung vorerst abgebrochen werden, da die Temperaturen des einsetzenden arktischen Winters ansonsten die Hydraulikflüssigkeit des Flucht-Flugzeugs gefrieren lassen würden und die Forscher daher hätten überwintern müssen.[8]

Einzelnachweise

  1. a b Die verwunschene Welt des Wostok-Sees, TV-Sender Arte
  2. Alter See unter tiefem Eis - Der antarktische Wostoksee wird erschlossen, spektrumdirekt 28. Januar 2011
  3. Phasendiagramm des Wassers, (engl.)
  4. Vostok Ice Core, NOAA Naticonal Climat Data Center (engl.)
  5. Vasiliev et al., 2011, Twenty years of drilling the deepest hole in ice, Scientific Drilling, 11, 41-45, doi:10.2204/iodp.sd.11.05.2011
  6. Thermophile Bakterien im Wostok-See, FTEinfo Mai 2005
  7. wired.co.uk - Russian team prepares to penetrate Lake Vostok
  8. news.sciencemag.org - With 30 Meters Left to Drill, Scientists Leave Subterranean Lake Vostok For The Winter, Amid Controversy

Weblinks


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