Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf

Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf

Berlin Alexanderplatz ist ein expressionistischer Großstadtroman des Schriftstellers Alfred Döblin aus dem Jahr 1929. Das Buch ist einer der bekanntesten deutschen Romane des 20. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

Form

Berlin Alexanderplatz ist in vielfacher Hinsicht ein moderner Roman: Nicht nur die Abkehr von traditionellen Helden und der chronologisch erzählten Fabel machen ihn dazu, sondern auch die Verwendung neuartiger Mittel des Erzählens (Bewusstseinsstrom, innerer Monolog, erlebte Rede) und die häufig eingesetzte Montagetechnik.

Montage ist das Gegenteil der Vermittlung. Eine verwendete Montagetechnik ist das Zitieren der Wirklichkeit durch Dokumente. Zum Beispiel werden Straßenbahnlinien und Schilder genau mitgeteilt. Der Erzähler tritt hierbei zurück; die Wirklichkeit wird als Dokumentation wahrgenommen. Die Extremform dieser Dokumentation ist der Zahlenrealismus und verwendete Statistiken und Listen.

Die Figurendarstellung und die personale Figurenperspektive ist ein weiteres Element der Montagetechnik. Das Figurenbewusstsein ist wie ein Spiegel der Umwelt. Die Figur dient als Schirm auf dem sich das Leben der Großstadt abbildet. Das Figurenbewusstsein ist aus Klischees aufgebaut. Lieder werden als Verstärkung dieser Klischees verwendet.

Auch der holzschnitthafte Bänkelsängerton zu Beginn jedes Buches wird zur Montagetechnik mit hinzugerechnet. Dieser Bänkelsängerton reicht teilweise bis in den Text hinein. Hier erfolgt eine Verschiebung mit der Figurenperspektive. Es wird eine radikale Entfernung vom realistischen und authentischen Erzählen bewirkt.

Die Auffassung der Wirklichkeit wird teilweise durch einen naturwissenschaftlichen Objektivismus vermittelt. Auch das zählt zur Montagetechnik.

Im Roman und den verwendeten Techniken steckt ein soziales Engagement bzw. eine soziale Botschaft. Die von Döblin verwendete Darstellungsweise erfolgt zeitgleich mit Brechts Entwicklung des epischen Theaters.

Handlung

Zu Beginn des Romans verlässt Franz Biberkopf die Strafanstalt Tegel. Er ist inhaftiert worden, weil er im Affekt seine Freundin Ida erschlagen hat. Döblin schildert im Folgenden Biberkopfs Weg durch Berlin, dessen Ziel es ist, Arbeit und Wohnung zu finden und „ein guter Mensch“ zu werden.

Biberkopf aber findet sich im Leben nicht mehr zurecht und weiß nichts mit sich anzufangen. Es zieht ihn zur Stätte seiner Tat zurück. Er läuft in das Haus, trifft dort Idas verheiratete Schwester Minna und vergewaltigt sie. Er ist zwar aus Berlin ausgewiesen, doch die Gefangenenfürsorge setzt sich für ihn ein. Wochenlang bleibt er anständig und verdient sich seinen Lebensunterhalt als ambulanter Gewerbetreibender mit Textilwaren. Abends geht er regelmäßig in die Kneipen am Alexanderplatz, wo er seine spätere polnische Freundin Lina und Otto Lüders kennen lernt. Lüders bereitet Franz eine schwere Enttäuschung: Als Franz beim Hausieren das Herz einer Witwe gewinnt, erzählt er dies seinem Freund. Dieser verschafft sich daraufhin auch Zutritt bei der Witwe und erleichtert sie um ihr Geld. Franz ist erschüttert von diesem Vertrauensbruch und fühlt sich von Lüders hintergangen.

Nach kurzer Erholung lernt er Reinhold kennen, durch den er in das Berliner Verbrechermilieu, insbesondere der Bande Pums' gerät. In Reinhold sieht er einen neuen Freund, der ihn mehrmals auffordert, ihm seine Mädchen, deren er überdrüssig geworden ist, abzunehmen. Weil Franz sich weigert, macht ihn Reinhold durch Geschenke gefügig, und schließlich wird Franz ihm so hörig, dass ein regelrechter Kettenhandel mit zweifelhaften Mädchen entsteht.

Eines Tages bietet Reinhold ihm eine lohnende Gelegenheitsarbeit an, bei der Franz angeblich Obst verladen soll. In Wirklichkeit soll Franz bei einem Raubzug Schmiere stehen. Da Franz unbedingt ehrlich bleiben will, versucht er wieder auszuweichen, doch Reinhold rächt sich an ihm und stößt ihn bei der Rückfahrt brutal aus dem Wagen vor ein nachfolgendes Auto. Freunde bringen Franz in eine Klinik nach Magdeburg. Der rechte Arm muss ihm abgenommen werden. Obwohl er dadurch zum Krüppel geworden ist, bewahrt er über alle Vorgänge Stillschweigen und deckt somit die Täter.

Nach seiner Genesung erlebt Franz Biberkopf Berlin zum dritten Mal. Wieder ist er Gast in den Kneipen um den Alexanderplatz im Scheunenviertel. Er kauft sich ein eisernes Kreuz und täuscht eine Kriegsbeschädigung vor. Franz Biberkopf beschließt, seinen Eid zu brechen und als Lude (Zuhälter) zu "arbeiten". Bald lernt er durch Eva, einer ehemaligen Freundin Franzes, Mieze kennen, die Tochter eines Straßenbahnschaffners aus Bernau. Sie ist von ihren Eltern wegen ihres Lebenswandels verstoßen worden, da sie sich ihr Geld durch Prostitution verdient. Durch Mieze sinkt Franz wieder tiefer. Er lebt von Miezes Geld und ist gleichzeitig Geschäftemacher, Schieber und Hehler.

Obgleich ihn Reinhold töten wollte, übt dieser immer noch eine solche Anziehungskraft auf Franz aus, dass er sich ihm wieder nähert. Reinhold fasst den Entschluss, ihm Mieze wegzunehmen. Reinhold gelingt es, Mieze nach Bad Freienwalde zu locken, wo er sie vergewaltigt, ermordet und im Wald mit Hilfe Karls verscharrt. Franz ist über Miezes Ausbleiben nicht besonders traurig, da er glaubt, sie sei mit einem vornehmen Kavalier verreist. Als sich jedoch zwei Bandenmitglieder zanken, kommt die Polizei Reinhold auf die Spur.

Obwohl Franz an dem Verschwinden Miezes nicht beteiligt ist und ihr Schicksal erst später aus der Zeitung erfährt, zieht er es wegen seines Vorlebens doch vor, nach Wilmersdorf zu verschwinden. Franz und Reinhold werden nun steckbrieflich gesucht. Da Franz das Kneipenleben nicht lassen kann, zieht es ihn zum Alexanderplatz zurück. Dort sucht er ein Lokal auf, in dem gerade eine Razzia stattfindet. Als er von einem Polizisten angesprochen wird, schießt er auf ihn. Franz wird zum Polizeipräsidium gebracht, doch in der Untersuchungshaft verweigert er die Nahrung. Halb verhungert wird er in eine Irrenanstalt gebracht, wo er eine spirituelle Begegnung mit dem Tod erlebt, was ihn einsehen lässt, dass er die Schuld an all seinen Missetaten wie dem Spiel mit Reinhold oder dem Tod Miezes, trägt. Durch diese Einsicht „stirbt“ der alte Biberkopf und er kann ein neues Leben beginnen. Er wird aus der Anstalt entlassen. Reinhold, der als Mörder von Mieze entdeckt und angeklagt wird, wird zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Franz wird nicht angeklagt. Nochmals versucht er, sein Leben in den Griff zu bekommen. Nachdem er an Miezes Grab war, nimmt er eine Stelle als Hilfsportier in einer Fabrik an.

Der Roman endet mit scheinbar naiven Worten, die aber dennoch eindrucksvoll die Stadterfahrung des Franz Biberkopf widerspiegeln. Auf der einen Seite ein dämonischer Ort, in dem der Mensch nur als Masse existiert und durch beständige Gewalt das Leben des Individuums zerstört wird, auf der anderen Seite aber auch ein Ort der Möglichkeiten, in dem durch das Bekenntnis zur Reue, eine Umkehr und „Wiedergeburt“ möglich ist. So ist es letztlich doch immer der Mensch selbst, der Antworten auf den Umgang mit dem Leben in der Großstadt finden muss.

[...]Und Schritt gefaßt und rechts und links und rechts und links, marchieren, marchieren, wir ziehen in den Krieg, es ziehen mit uns hundert Spielleute mit, sie trommeln und pfeifen, widebumm widebumm, dem einen gehts gerade, dem einen gehts krumm, der eine bleibt stehen, der andere fällt um, der eine rennt weiter, der andere liegt stumm, widebumm widebumm.

Die Hauptperson

Franz Biberkopf ist 1,80 groß und kräftig gebaut. Zeitweise ist er fast zwei Zentner schwer und Mitglied eines Athletenklubs. Vor seiner Inhaftierung war er als Zement- und Möbeltransportarbeiter tätig. Er ist ein grober Mann und hat ein abstoßendes Äußeres. Überwiegend wird sein Charakter positiv gezeichnet. Immer wieder gilt Franz als gutmütig, treuherzig, friedfertig und naiv. Ein Charakterzug, der besonders auffällt, ist die Treue, die Franz seinen Freunden hält. Gegenüber Reinhold steigert sie sich allerdings zu blinder Ergebenheit.

Schon im Vorwort ist jedoch von einer negativen Entwicklung die Rede, die als hochmütig und ahnungslos, frech, dabei feige und voller Schwäche umschrieben wird. Er prahlt gern vor seinen Freunden, zugleich hat er Angst, seine Freunde könnten ihn verspotten, wenn ihm etwas Unangenehmes passiert. Franz rappelt sich zwar immer wieder auf, gelegentlich zeigt er aber doch auch Selbstmitleid. Sein größtes Problem ist sein Umgang mit Alkohol, ebenso wie der mit Frauen, weswegen er am Anfang aber auch am Schluss der Geschichte nach Tegel ins Gefängnis muss.

Verfilmungen

Der Roman wurde 1931 von Piel Jutzi unter dem Titel Berlin–Alexanderplatz erstmals verfilmt. Heinrich George spielte den Franz Biberkopf. Weitere berühmte Darsteller waren: Bernhard Minetti, Albert Florath, Hans Deppe und Käthe Haack.

1979/80 drehte Rainer Werner Fassbinder nach dem Döblin-Stoff eine Fernsehserie in 13 Episoden und einem Epilog (ca. 930 Min., siehe Berlin Alexanderplatz (Fernsehverfilmung)). Sie wurde 1980 erstmals ausgestrahlt. Günter Lamprecht ist Franz Biberkopf. Auf der Berlinale 2007 wurde erstmals eine aufgehellte restaurierte Fassung gezeigt. In der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wurde der gesamte Film, mit lediglich drei etwa 15 minutigen Pausen, vorgeführt. Außerdem brachte die Süddeutsche Zeitung eine DVD-Edition der restaurierten Fassung heraus.

Hörbücher

  • Die Geschichte vom Franz Biberkopf - Hörspiel nach Berlin Alexanderplatz, 80 min, Düsseldorf: Patmos Verlagshaus, 2007. ISBN 978-3-491-91244-1; Interpret/innen: Jule Böwe, Henry Hübchen, Andreas Leupold, Dieter Mann, Florian Martens, Otto Mellies, Katrin Saß, Andreas Schmidt, Rolf Zacher
  • Berlin Alexanderplatz, erzählt von Ben Becker, drei CDs; 175 min, Düsseldorf: Patmos Verlagshaus, 2003. ISBN 978-3-491-91075-1

Literatur

  • Matzkowski, Bernd: Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 393). Hollfeld: Bange Verlag 2003. ISBN 978-3-8044-1793-9

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