Biophilie

Biophilie

Unter Biophilie (altgr. bios ‚Leben‘ und philia ‚Liebe‘, wörtlich „Liebe zum Leben“) versteht man das Ethos (Handlungsgrundgesinnung), das Leben von Menschen in all seinen Dimensionen (physisch, psychisch, sozial, musisch, sittlich...) zu erhalten und zu entfalten. Den Begriff hat Albert Schweitzer als "Ehrfurcht vor dem Leben" in die Ethik eingeführt [1] und "Erich Fromm in die philosophisch-psychologische Sprache"[2].

Inhaltsverzeichnis

Ethik

In der Ethik wurde der Begriff von Rupert Lay mit Hinweis auf Fromm eingeführt[3]: "Wir entscheiden uns also, die Erhaltung und Entfaltung des personalen Lebens als höchstes Gut festzustellen. Daraus folgt unmittelbar als kategorischer Imperativ: Handle stets so, dass du das personale Leben in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen Menschen eher mehrst denn minderst."[4] Diese höchste Handlungsnorm, "das personale (soziale, emotionale, musische, sittliche, religiöse) Leben"[5] eher zu entfalten als zu mindern, nennt Lay Biophilie-Postulat[6].

Für eine kognitivistische Ethik, die einen Wahrheitsanspruch erhebt und nicht nur Geschmacks-Urteile, Vorlieben, abgeben möchte, ist die Frage entscheidend, wie „Biophilie gemessen werden [kann].“ [7] „Das einzig sichere Kriterium ist die Konfliktfreiheit über lange Zeit.“ [8] „Moralisch gut“ ist demnach, was auf die Dauer und im Ganzen zerstörerische Sozialkonflikte (z. B. Feindschaft, Ungerechtigkeit, Unfreiheit) und zerstörerische Individualkonflikte (massive Angst-, Schuld-, Scham und Mindergefühle) vermeidet und auflöst. [9]

„Biophil können aber nicht nur Orientierungen [...], Entscheidungen und Handlungen von Personen sein, sondern auch Strukturen und Funktionen sozialer Systeme. Wir sprechen ihnen genau dann die Eigenschaft »biophil« zu, wenn sie von ihrer Struktur her geeignet (vielleicht gar darauf ausgelegt ) sind“[10], das Leben von Menschen in seinen Dimensionen (soziale, psychische, ökomomische, musische, sittliche...) eher zu entfalten als zu mindern.

Sachlich führte jedoch schon Albert Schweitzer den Begriff in die Ethik ein: "Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern; böse ist, Leben vernichten und Leben hemmen."[11] Dieses ethische Prinzip erhielt den Namen "Ehrfurcht vor dem Leben".

Schon im Alten Testament wird im Buch Deuteronomium eine biophile Begründung für die Gebote gegeben: "Hiermit lege ich dir heute das Leben und das Glück, den Tod und das Unglück vor. Wenn du auf die Gebote [...] hörst [...], dann wirst du leben. [...] Wenn du aber [...] nicht hörst, [...] werdet ihr nicht lange in dem Land leben [...]. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen." (Dtn 30,15-19)[12]

Sozialpsychologie

Erich Fromm unterscheidet zwei grundlegende menschliche Charekterstrukturen: den biophilen und den nekrophilen Charakter. Der biophile Charakter möchte das Leben entfalten[13], der nekrophile Charakter engt mögliche Lebensentfaltungen ein und ist angezogen vom Zerstören[14]. "Die meisten Menschen sind individuell ausgeprägte Mischungen von nekrophilen und biophilen Orientierungen, und es kommt darauf an, welche der beiden Tendenzen dominiert."[15]

Soziobiologie

Der Begriff ist auch in der Soziobiologie geläufig. In seiner Biophilie-Hypothese hat Edward O. Wilson 1984 dargelegt, dass sich die Menschen aufgrund der ihnen angeborenen Biophilie zu anderen Lebewesen hingezogen fühlen und diesen Kontakt mit der Natur auch in einem ausreichenden Maße brauchen, um gesund zu bleiben, um den Sinn ihres Lebens zu finden und sich zu verwirklichen. Die aus diesem Ansatz resultierende Bioethik will im Sinne einer lebensbewahrenden und arterhaltenden Haltung die Biodiversität schützen.

Literatur

Siehe auch

Weblinks

Quellen/Fußnoten

  1. So Erich Fromm: "Gut ist die >>Ehrfurcht vor dem Leben<< [...]. Es ist dies die Hauptthese Alber Schweitzers, der in seinen Schriften wie auch in seiner Person einer der großen Repräsentanten der Liebe zum Leben war." (Erich Fromm, Die Seele des Menschen, Seite 46)
  2. Rupert Lay, Ethik für Manager, Econ-Verlag 1989, ISBN 3-430-15916-4, Seite 62
  3. Rupert Lay, Ethik für Manager, Econ-Verlag 1989, ISBN 3-430-15916-4, Seite 59 f. und 62 ff. und
    Rupert Lay, Über die Kultur des Unternehmens, Econ-Verlag 1992, ISBN 3-430-15936-9, Seite 54 f. und 69 f.
  4. Rupert Lay, Ethik für Manager, Econ-Verlag 1989, ISBN 3-430-15916-4, Seite 60
  5. AaO., Seite 21
  6. Ebd.1
  7. Rupert Lay, Ethik für Manager, Econ-Verlag 1989, ISBN 3-430-15916-4, Seite 63
  8. Rupert Lay, Ethik für Wirtschaft und Politik, Wirtschaftsverlag Lange-Müller/Herbig, ISBN 3-7844-7114-5, Seite 106
  9. Rupert Lay, Ethik für Wirtschaft und Politik, Wirtschaftsverlag Lange-Müller/Herbig, ISBN 3-7844-7114-5, Seite 8 und 86
  10. Rupert Lay, Ethik für Manager, Econ-Verlag 1989, ISBN 3-430-15916-4, Seite 63
  11. Albert Schweitzer, Kultur und Ethik. Kulturphilosophie, zweiter Teil, 1923, Seite 54, zitiert in : Helmut Gross, Albert Schweitzer. Größe und Grenze, Ernst Reinhardt Verlag 1974, ISBN 3-497-00731-5, Seite 516
  12. Siehe auch Dtn 6,24: Der Herr hat uns verpflichtet, alle diese Gesetze zu halten [...], damit es uns das ganze Leben lang gut geht und er uns Leben schenkt, wie wir es heute haben. Und Dtn 5,33: Ihr sollt nur auf dem Weg gehen, den der Herr, euer Gott, euch vorgeschrieben hat, damit ihr Leben habt und es euch gut geht und ihr lange lebt in dem Land, das ihr in Besitz nehmt.
  13. Wer das Leben liebt, fühlt sich vom Lebens- und Wachstumsprozeß in allen Bereichen angezogen. Er will lieber neu schaffen als bewahren. Er vermag zu staunen und erlebt lieber etwas Neues, als daß er in der Bestätigung des Altgewohnten Sicherheit sucht. Das Abenteuer zu leben ist ihm mehr wert als Sicherheit. [...] Er möchte formen und beeinflussen mit Liebe, Vernunft und Beispiel und nicht mit Gewalt, nicht indem er die Dinge auseinandernimmt und auf bürokratische Weise die Menschen verwaltet, so als ob es sich um Dinge handelt. Er erfreut sich am Leben und allen Lebensäußerungen mehr als an bloßen Reizmitteln.“ Erich Fromm, Die Seele des Menschen, Deutsche Verlags-Anstalt 1979, ISBN 3-421-01933-9, Seite 45 f.
  14. Nekrophile Menschen [...] sind kalt, auf Distanz bedacht und bekennen sich zu >Gesetz und Ordnung<. [...] Charakteristisch für den nekrophilen Menschen ist seine Einstellung zur Gewalt. [...] Ich möchte vielleicht einen Menschen nicht gerade töten, sondern ihn nur seiner Freiheit berauben; ich möchte ihn vielleicht nur demütigen oder ihm seinen Besitz wegnehmen - aber was ich auch immer in dieser Richtung tue, hinter all diesen Aktionen steht meine Fähigkeit und meine Bereitschaft zu töten [...], nekrophile Menschen [...] sind bereit, für das, was sie >Gerechtigkeit< nennen, zu töten oder zu sterben [...], und alles, was Gesetz und Ordnung bedroht, wird als teuflischer Angriff auf ihre höchsten Werte empfunden. [...] Aber das Leben [...] ist nie voraussagbar und niemals unter Kontrolle zu bringen; um es kontrollierbar zu machen, muss man es in Totes verwandeln“. Erich Fromm, Die Seele des Menschen, Deutsche Verlags-Anstalt 1979, ISBN 3-421-01933-9, Seite 37-40.
  15. Erich Fromm, Die Seele des Menschen, Deutsche Verlags-Anstalt 1979, ISBN 3-421-01933-9, Seite 47

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