Facies hippocratica

Facies hippocratica

Die Facies hippocratica (lateinisch für Hippokratisches Gesicht) beschreibt einen charakteristischen Gesichtsausdruck bei sterbenden (moribunden) oder schwerst kranken Patienten. Die Facies hippocratica ist neben den sogenannten Kirchhofrosen bereits in der frühen Medizingeschichte ein bekanntes prognostisches Anzeichen für einen kurz bevorstehenden Tod, wenn diesem eine längere Agonie vorausging.

Bedeutung

Die Facies hippocratica resultiert aus einer Erschlaffung der Gesichtsmuskulatur und einer zunehmenden Drosselung der Durchblutung in den peripheren Körperteilen (Zentralisierung). Eine blasse Gesichtshaut, eingefallene Wangen und Augen und eine „spitze Nase“ sind Charakteristiken dieses Gesichtsausdruckes. Häufig findet man die Facies hippokratica bei einer schweren Bauchfellentzündung (Peritonitis abdominalis), weshalb diese besondere Form der facies auch als Facies abdominalis oder Facies peritonealis bezeichnet wird.

Herkunft

Die noch heute gebräuchliche und von frühen Ärzten wie Galenos eingeführte Bezeichnung geht auf Hippokrates von Kos zurück, der diesen Gesichtsausdruck im zweiten Kapitel seines Werks Prognostikon (Προγνωστικόν, Das Buch der Voraus-Kenntnis) als erster sehr genau beschreibt. Er geht dabei auf verschiedene Anzeichen ein, die einen nahen Tod vermuten lassen und sich an den Augen, Lippen, Ohren und der Gesichtshaut erkennen ließen. Hippokrates bezieht jedoch in diese Prognose auch den bisherigen Verlauf der Erkrankung und mögliche andere Umstände mit ein:

„Zuerst beobachte man das Gesicht des Kranken, ob es so wie bei Gesunden ist, besonders ob es so wie sonst aussieht, denn in diesem Fall stünde es am besten; ist es aber ganz gegenteiliger Art wie sonst, dann steht es am schlimmsten. Das wäre folgender Fall: Spitze Nase, tiefliegende Augen, eingesunkene Schläfen, kalte und geschrumpfte Ohren, zurückgebogene Ohrläppchen, spröde, gespannte und trockene Gesichtshaut, gelbe oder dunkle, bläuliche oder bleierne Farbe des ganzen Gesichts. Wenn nun das Gesicht im Beginn der Krankheit so aussieht und es nach den sonstigen Anzeichen noch nicht derart zu vermuten ist, so muß man fragen, ob der Kranke schlaflos war oder ob die Darmentleerungen sehr flüssig waren oder ob er etwas Hunger leide. Bejaht er irgendetwas davon, so hat man den Zustand für weniger schlimm zu halten, denn wenn das Gesicht infolge dieser Ursachen so aussieht, so entscheidet es sich binnen Tag und Nacht zum Besseren. Falls er hingegen all das verneint und die Krankheit auch in der genannten Zeit nicht zum Stillstand kommt, so muß man wissen, daß der Kranke dem Tode nahe ist.“

Hippokrates: Prognostikon[1]

Die Prognostik der Erkrankungen hatte in der frühen Medizin einen sehr hohen Stellenwert, insbesondere die Einsicht, wann ärztliches Handeln sinnlos sei und ob der hinzugezogene Arzt dies auch erkenne. In der Vorhersage eines baldigen Todes ersparte sich der Heilkundige den Vorwurf offensichtlichen Versagens, falls der Patient alsbald verstirbt. Die Kenntnis der genauen Anzeichen des Todes oder unheilbaren Krankheit war eine der Grundlagen für die vertrauensvolle Stellung des Arztes; sie wurde auch als „weltliche Version der Weissagungen[2] konnotiert: „Prognostisches Gespür machte einen guten Eindruck und erhob den begabten Heiler über Quacksalber und Wahrsager“.

Nachweise

  1. zitiert nach Henry E. Sigerist: Der Arzt in der griechischen Kultur. Zürich 1963 S. 58
  2. Roy Porter: Die Kunst des Heilens. Heidelberg, Berlin 2003, S. 62 ISBN 3-8274-1454-7

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