Galenos

Galenos

Galenos von Pergamon, auch Aelius Galenus (griechisch Γαληνός, deutsch: Galēn, in frühneuzeitlichen Drucken auch Galienus; * 129 oder 131[1] in Pergamon[2]; † um 199, 201[3] oder 216 in Rom), war ein griechischer antiker Arzt und Anatom. Der erst in der Renaissance auftretende Vorname Claudius für Galenos ist eine Fehlinterpretation der Abkürzung Cl. für Clarissimus[4].

Inhaltsverzeichnis

Leben

Galen wurde in Pergamon geboren, wo sich das um die Mitte des 2. Jahrhunderts berühmteste Heiligtum des Asklepios befand. Sein Vater, der Architekt und Mathematiker Nikon, unterrichtete ihn zunächst in aristotelischer Philosophie, in Mathematik und Naturlehre. Seine Mutter wurde als ausgesprochen bissig charakterisiert, eine Eigenschaft, die auch Galen zugeschrieben werden kann.

Ab etwa 146 beschäftigte sich Galen vornehmlich mit der Medizin, studierte in der Nähe von Smyrna und reiste viel, unter anderem mit 19 Jahren nach Alexandria, dem Zentrum der Heilkunst zu jener Zeit und einzigem Ort der Antike, an dem Humansektionen und Untersuchungen an Leichen durchgeführt werden durften. Ob Galenos selbst Menschen sezierte, ist unbekannt. Die Bücher der Bibliothek von Alexandria mit alten Zeichnungen unterstützen die wissenschaftliche Ausbildung. Kuren wurden zu dieser Zeit von Ärzten geleitet, Heilung und Pflege erfolgten in einem Asklepieion, in dem Priester, Heilkundler und Ärzte tätig waren. 158 kehrte Galen nach Pergamon zurück, war als Sport- und Wundarzt der Gladiatoren tätig und unterhielt gleichzeitig eine Praxis. Während der Olympischen Spiele untersuchte er die Athleten und studierte die akuten Verletzungen der Sportler unmittelbar nach ihrem Auftreten.

Ab 161 war Galen in Rom tätig und nach der Heilung des geachteten Philosophen Eudemos von Pergamon Arzt der römischen Aristokratie. Um 166 verließ er wahrscheinlich aufgrund der dort ausgebrochenen Antoninischen Pest fluchtartig Rom und nahm seine Stelle als Gladiatorenarzt in Pergamon wieder an. 168 reiste er auf Bitte des römischen Kaisers Marcus Aurelius nach Aquileia, wo die „Pest“ unter den römischen Soldaten ausgebrochen war. Seine präzise Beschreibung der Krankheitssymptome lässt die Vermutung zu, dass es sich hierbei eher um eine Pockenepidemie gehandelt haben wird. Seinem Wunsch entsprechend wurde er in Rom ab 169 der Leibarzt des Kaisersohnes Commodus, später vermutlich auch des Kaisers P. Septimius Severus. Es ist umstritten, wann Galen starb, sicher ist, dass es in Rom geschah. Ging die frühere Forschung von seinem Tod im Jahr 199 aus, wird zunehmend ein Tod um das Jahr 216 vermutet.[5]

Werk

Titelseite der 1547 in Venedig erschienen „Opera“

Galens Hauptwerk ist Methodi medendi, bestehend aus 16 Büchern. Der Leitgedanke ist, dass alle Erscheinungen in der Natur und im Menschen einen bestimmten Zweck erfüllen.

Er übernahm die antike Vier-Elemente-Lehre (Feuer, Erde, Luft und Wasser) sowie die Viersäftelehre (Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle) und legte zudem vier Qualitäten fest: heiß, kalt, feucht und trocken.

Der Mensch war seiner Meinung nach eine Leib-Seele-Einheit, die von zwei Seiten beeinflusst werden konnte: von der Metaphysik und von der Materie. Seine Medizin wollte das Gleichgewicht der Säfte und Qualitäten erreichen (Idealzustand wird nie erreicht).

Die vier Geschmacksqualitäten waren: Blut: süß, Schleim: salzig, gelbe Galle: bitter, schwarze Galle: sauer u. scharf.

Seine Medikamente unterteilte er in Elementares (besitzt nur eine der vier Qualitäten), Kombiniertes (besitzt zwei Qualitäten – Kombinationspräparat mit Haupt- und Nebenwirkung) und spezifische Arzneimittel (für besondere Fälle: Abführ, Brech- und Entwässerungsmittel).

Die Wirkungsgrade seiner Stoffe waren:

  1. kaum merklich
  2. mit den Sinnen deutlich wahrnehmbar
  3. heftig, leicht schädigend
  4. heftig, zerstörend.

In seinem Werk synthetisierte Galen zwei über Jahrhunderte hinweg im Widerstreit stehende medizinische Herangehensweisen.

  • Die „empirische“ Tradition wurde von Hippokrates (um 400 v. Chr.) gegründet. Diese Herangehensweise war ausdrücklich nicht-anatomisch, prognostisch und bestand ausschließlich in der Analyse von Symptomen. Der Körper wurde vor dem Hintergrund der Viersäftelehre vor allem als aus vier Säften bestehend verstanden. Jeder Körper hat sein individuelles Gleichgewicht dieser Säfte. Geraten die Säfte ins Ungleichgewicht, kommt es zur Krankheit.
  • Die „dogmatische“ Tradition geht auf die alexandrinische Medizin aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. zurück. Im Gegensatz zu der empirischen Tradition beschäftigt sich die dogmatische mit den festen Bestandteilen des Körpers. Deren Urheber Herophilos von Chalkedon und Erasistratos waren möglicherweise die ersten, die je einen Menschen seziert haben. Die Symptome des Patienten wurden als Folgen von anatomischen Veränderungen betrachtet.

Durch seine Synthese wurde Galenos bis in die Renaissance hinein zur unwidersprochenen Autorität. Galen führte umfangreiche Sektionen und Vivisektionen an Tieren durch. Er verfasste nahezu 400 Schriften, die bis ins 17. Jahrhundert und darüber hinaus als medizinische Lehrgrundlage dienten. Diese wurden nach seinem Tod durch Oribasius (326-403) in 70 Büchern gesammelt.

Viele von Galenos' Ansichten über die menschliche Anatomie waren jedoch falsch, da er die Sektionen an Schweinen, Affen und Hunden durchführte und die so gewonnenen Erkenntnisse auf den Menschen übertrug. Galens Werke bildeten das Standardwerk für anatomische Vorlesungen. Galens Errungenschaften wurden als vollständig betrachtet, so dass man keinen Anlass zum selbstständigen Forschen sah. Vesalius war der erste, der erkannte, dass Galenos wohl nie einen Menschen seziert hatte. Vesalius' Arbeiten aus den 1540ern wiederbelebten die anatomische Forschung.

Galenos legte bei der Diagnose von Krankheiten besonderen Wert auf die Untersuchung von Puls und Harn. Weiter lehrte er, Krankheiten mit entgegengesetzten (allopathischen) Arzneimitteln zu therapieren, den sogenannten und nach ihm benannten Galenika. Grundlegender Bestandteil seiner Lehre war unter anderem die Humoralpathologie, die auch als Viersäftelehre bezeichnet wird.

Bis heute gültig sind die von Celsus beschriebenen und später von Galenos ergänzten Kardinalzeichen der Entzündung:

  • Rubor  (Rötung)
  • Calor  (Überwärmung)
  • Tumor  (Schwellung)
  • Dolor  (Schmerz)
  • Functio laesa  (Funktionseinschränkung)

Nachwirkung

Galenos, lithographisches Phantasieportrait der Neuzeit

Galens systematisch ausgebautes Werk, das im frühen Mittelalter von Hunayn ibn Ishaq (808-873) ins Arabische übersetzt wurde, war derart umfangreich und philosophisch abgesichert, dass es 1400 Jahre brauchte, es kritisch zu hinterfragen. Seine Auffassungen vom Fluss des Blutes wurden erst im 17. Jahrhundert durch William Harvey und Marcello Malpighi und teils gegen erhebliche Widerstände revidiert.

Seine Fassung der Humoralpathologie hatte als Krankheitskonzept Bestand bis ins 19. Jahrhundert.

Die Vena cerebri magna wird manchmal noch als „Galens Vene“ und der Ventriculus laryngis als „Galens Ventrikel“ bezeichnet.

Nach Galenus ist auch die Lehre von der Zubereitung der Arzneimittel, die Galenik, benannt.

Ehrentaxon

Carl von Linné benannte ihm zu Ehren die Gattung Galenia der Pflanzenfamilie der Mittagsblumengewächse (Aizoaceae).[6][7]

Siehe auch

Werke

  • Clavdii Galeni Pergameni Historiales Campi / Per D. Symphorianvm Campegivm, Equitem auratum ... Lotharingiae Ducis archiatrum, in quatuor libros congesti, & commentarijs ... illustrati. - Basileae : Apvd And. Cratandrvm, Et Io. Bebelivm, Mense Avgvsto, 1532. Digitalisierte Ausgabe
  • Claudii Galeni Pergameni De Compositione Medicamentorum Secundum Locos : ... libri decem ... / nunc primum latinitate donatum ac in lucem aeditum per Ioannem Guinterium Andernacum. - Basileae : Cratander, 1537. Digitalisierte Ausgabe
  • Galeni septima Classis : curandi Methodum tum diffuse tum breviter descriptam, Victus Rationem in Morbis acutis, singulorum Morborum facile paranda Remedia, privatam quorundarum Morborum Curationem, Chrirurgiae Constitutionem, Fracturarum ac Luxationum Sanationem, Fasciarum denique & Laqueorum & Machinamentorum Tractatum continet. - Venetiis : Iunta, 1550. Digitalisierte Ausgabe der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf

Literatur

  • Gerhard Fichtner: Corpus Galenicum (Verzeichnis der galenischen und pseudogalenischen Schriften). Institut für Geschichte der Medizin, Tübingen 1997.
  • Cajus Fabricius: Galens Exzerpte aus älteren Pharmakologien. De Gruyter, Berlin u.a. 1972 (= Ars medica. Texte und Untersuchungen zur Quellenkunde der Alten Medizin, II. Abteilung, 2)
  • R. J. Hankinson (ed.): The Cambridge Companion to Galen. Cambridge University Press, Cambridge 2008, ISBN 978-0-521-52558-9 (Rezension)
  • Galenus: [Opera omnia] Claudii Galeni opera omnia Klaudiu Galenu hapanta. Hrsg. von Karl Gottlob Kühn. Leipzig 1821–1833. Nachdruck: Hildesheim: Olms, 1965 (Medicorum Graecorum opera quae exstant 1–20)
  • Vivian Nutton: Karl Gottlob Kühn and his edition of the works of Galen. A bibliography. Microform Publ., Oxford 1976.
  • Heinrich Schlange-Schöningen: Die römische Gesellschaft bei Galen. Biographie und Sozialgeschichte. De Gruyter, Berlin u.a. 2003, ISBN 3-11-01785-08.

Übersetzungen

  • Jutta Kollesch und Diethard Nickel: Antike Heilkunst – Ausgewählte Texte, 1994 Philipp Reclam jun., Stuttgart, ISBN 978-3-15-009305-4

Weblinks

 Commons: Galenus of Pergamum – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. http://www.medarus.org/Medecins/MedecinsTextes/galien_claude.html
  2. Johannes Ilberg: Wann ist Galenos geboren? Sudhoffs Archiv 23 (1930), S. 289-292
  3. http://www.medarus.org/Medecins/MedecinsTextes/galien_claude.html
  4. Der Neue Pauly, IV, Spalte 748
  5. The 11th century Suda lexicon states that Galen died at the age of 70, therefore about 199. However, there is a reference in Galen's treatise „On Theriac to Piso“ (which may however be spurious) to events of 204. There are also statements in Arabic sources that he died at 87, after 17 years studying medicine and 70 practicing it, therefore about 217. Nutton (Nutton V. Ancient Medicine. Routledge, 2004 226-7) believes that „On Theriac to Piso“ is genuine, the Arabic sources are correct and that the Suda has erroneously interpreted the 70 years of Galen's career in the Arabic tradition as referring to his whole lifespan. Boudon-Millot (Boudon-Millot V. Galien: Introduction générale; Sur l'ordre de ses propres livres; Sur ses propres livres; Que l'excellent médecin est aussi philosophe Paris: Les Belles Lettres. 2007, LXXVII-LXXX) more or less concurs and favours a date of 216.
  6. Carl von Linné: Critica Botanica Leiden 1737, S. 92
  7. Carl von Linné: Genera Plantarum. Leiden 1742, S. 168

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