Gletscherarchäologie

Gletscherarchäologie

Die Gletscherarchäologie ist ein Spezialgebiet der Archäologie, das sich mit archäologischen Fundstücken befasst, die in Gletschern eingeschlossen waren und beim Auftauen des Eises freigelegt wurden.

Inhaltsverzeichnis

Erhaltung von Fundstücken im Gletschereis

Im Nährgebiet eines Gletschers wird der Firn zu Gletschereis und schließt dabei organische und anorganische Gegenstände ein, wie beispielsweise Körper von Menschen und Tieren, Pflanzenreste, sowie Ausrüstungsteile und Abfälle von Menschen. Durch die Kälte können die Gegenstände dabei gut erhalten werden. Während das Eis langsam talwärts fließt, nimmt es auch die Gegenstände mit und gibt sie schlussendlich durch Abschmelzung wieder frei.

Im Zehrgebiet, beim Auftauen des Eises, werden die Gegenstände freigelegt. Im Jahresverlauf erreicht die Eisschmelze auf der Nordhalbkugel in der Regel im Monat September ihren höchsten Stand, so dass zu dieser Zeit auch die Wahrscheinlichkeit archäologischer Funde sehr hoch ist.

Gletscherleichen

Besonderes Aufsehen erregen Funde durch die Kälte konservierter Mumien, sogenannte Gletscherleichen. Durch den Einschluss im Gletschereis werden organische Gegenstände mumifiziert und können so Jahrtausende überdauern. Während eine solche „Frostkonservierung“ an kalten, trockenen und gut belüfteten Orten häufig sehr gut funktioniert (etwa im Permafrostboden, beispielsweise in sogenannten Eiskurganen), sind die Bedingungen zur Erhaltung in einem Gletscher abgesehen von der Kälte meist nicht sehr gut: Weiche organische Materialien werden durch die enormen Kräfte im Inneren eines Gletschers meist schnell aufgelöst. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, werden sie meist (in Abhängigkeit von der Fließgeschwindigkeit) relativ schnell wieder freigegeben. Es wird angenommen, dass dies meist bereits nach 100 bis 200 Jahren der Fall ist. Die meisten Gletscherleichen datieren daher aus historischer Zeit. Ein weiterer Grund dafür ist die häufigere Begehung von Gletschern in jüngerer Zeit.[1]

Voraussetzung für eine Erhaltung organischer Materialien ist eine günstige Lage im Eis, etwa auf höheren, flachen Firnfeldern, allgemein aber in einer relativ ruhenden Zone des Eises.[1] Neben dem fließenden Eis gibt es vereinzelt Vertiefungen, wo sich Eis über längere Zeit stationär hält und das jetzt wegen der globalen Klimaerwärmung auftaut. Der Vorteil dieser stationären Eismassen liegt darin, dass die beim Fließen eines Gletschers entstehenden Kräfte auf die eingeschlossenen Gegenstände nur gering sind und so die Fundstücke sehr gut erhalten sein können. So fanden sich am Schnidejoch, einem Gebirgspass in den Berner Alpen, Fundstücke früherer Passgänger aus verschiedenen Zeitepochen.[2] Die berühmte GletschermumieÖtzi“ wiederum befand sich in einer rund 40 m langen, 2,5-3 m tiefen und 5–8 m breiten Felsmulde[3], über die sich über 5300 Jahre lang ein Gletscher hinweg bewegte, ohne das Eis im Untergrund zu verändern.

Apern organische Substanzen aus, so zerfallen sie meist relativ schnell. Wichtig ist daher in jedem Fall eine möglichst rasche und fachgerechte Bergung solcher Fundstücke.

Es wird vermutet, dass Funde von Gletscherleichen bereits lange vor der Zeit ihrer wissenschaftlichen Erforschung vorkamen. Ein Indiz dafür sind zahlreiche Volkssagen: Ähnlich wie Moore werden hier Gletscher als Wohnstätte dorthin verbannter „armer Seelen“ beschrieben, die hier keine ewige Ruhe finden (siehe beispielsweise Großglockner).[1]

Weitere Funde

Auch bei den weniger spektakulären Funden von Gegenständen handelt es sich meist um relativ junge Bergsteigerausrüstung. Auch hier ist das Fließen des Gletschers ein Grund, die geringere Anwesenheit von Menschen vor dem Zeitalter des Alpinismus ein weiterer. Die Erosionskräfte des Gletschers beeinträchtigen solche Funde hingegen weniger, sie bleiben auch nach ihrer Ausaperung länger erhalten. Insbesondere Metall-, aber auch Holzgegenstände weisen oft einen guten Erhaltungszustand auf. Am Lötschberg in der Schweiz wurden etwa 1944 neolithische Bogen und Armbrustbolzen gefunden, der Theodulgletscher (Schweiz) gab 1985 neben menschlichen Überresten unter anderem Waffen und Münzen aus dem 16. Jahrhundert frei.[1]

Literatur

  • Matthias Schulz: Hoffen auf Hannibal. In: Der Spiegel. Nr. 37, 2003 (online).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Werner Meyer: Der Söldner vom Theodulpaß und andere Gletscherfunde aus der Schweiz. In: Frank Höpfel, Werner Platzer, Konrad Spindler (Hrsg.): Der Mann im Eis - Bericht über das internationale Symposium in Innsbruck 1992. 2 Auflage. 1, Eigenverlag Universität Innsbruck, Innsbruck 1992, ISBN 3-901249-01-X., S. 321-333
  2. M. Grosjean, P. J. Suter, M. Trachsel und H. Wanner: Ice-borne prehistoric finds in the Swiss Alps reflect Holocene glacier fluctuations
  3. Südtiroler Archäologiemuseum: Die Fundstelle

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