Castrum doloris

Castrum doloris
Pompe funèbre: ein temporäres Castrum doloris (Stich, 18. Jh.)
Castrum doloris für August
den Starken
in Warschau
(Joachim Daniel von Jauch 1733)

Das Castrum doloris (lat. = „Trauerlager“, „Trauergerüst“) ist ein geschmücktes hölzernes Gerüst, das in der Renaissance und im Barock anlässlich des Todes von hochgestellten Personen errichtet wurde. Das ungeschmückte Gerüst, auf dem ein Sarg aufgebahrt wird, heißt Katafalk.

Sekundär war die Bezeichnung „Castrum doloris“ in der frühen Neuzeit auch als Gattungsbezeichnung für Drucke gebräuchlich, die die Inschriften von Trauergerüsten dokumentierten.

Katafalk ist auch die Bezeichnung für eine meist holzverkleidete Kühltruhe mit geschlossenem, durchsichtigem Glasdeckel, in welchem sich der offene Sarg mit dem Leichnam befindet. So kann die Trauergemeinde bis zur Erdbestattung Abschied nehmen.

Katafalk ist auch die Bezeichnung für einen Leichenwagen

Inhaltsverzeichnis

Gestalt und Funktion

Am Castrum doloris (auch tabernaculum und tumulus genannt) wurden nach dem Caeremoniale episcoporum die Exequien, genauer die Absolution des Verstorbenen, gefeiert. Es bestand aus einem durch ein Gerüst überdachtes Totenbett und wurde im Kirchenschiff, nicht am Altar, errichtet. In der Mitte thronte der Katafalk, umgeben von Wachsbildern, Inschriften, Herrschaftsinsignien und brennenden Kerzen. Entwicklungsgeschichtlich haben wir es hier mit der Fortsetzung des spätmittelalterlichen Totenbetts zu tun: das Bett wird überdacht und mit Lichtern besetzt, im 16. Jh. wird daraus ein Gebäude, das den Toten selbst nicht mehr birgt, sondern ihn visuell vertritt und eine ausführlichere Trauer um ihn ermöglicht. Das Trauererlebnis war – durch Trauermusik, Leichenpredigt und Lichtspiel – eine überreiche sinnliche Erfahrung.

Im Castrum doloris wurde ursprünglich der Leichnam des Verstorbenen aufgebahrt. Bei Päpsten, Kardinälen und Bischöfen wurde er so ausgerichtet, dass das Haupt des Toten zum Altar zeigte, bei Laienchristen, wie Kaisern, Königen und Fürsten, hingegen die Füße, ebenso ein leeres Trauergerüst ohne gegenwärtigen Leichnam (absente corpore).

Die Ausschmückungen und der verschwenderische Reichtum, der zur Schau gestellt wurde, gehörten in das pathetische Weltbild, das vornehmlich dem Barock zuzuordnen ist. Die Castra doloris stellen den Sarg zur Schau aus, als Lichtspiel sollen sie aber von der Entfernung wie eine einzige Flamme aussehen, denn Tausende von Kerzen waren auf dem oberen, dachförmigen Teil des Gerüsts aufgestellt. Die Liturgie, angefangen mit der Vigil bis zur Feier der Hl. Messe, findet um das brennende Haus statt.

Die Lust zu Spektakeln und festlichen Anlässen fand hier ihren Ausdruck. Die Darstellung des Ruhmes und der eigenen Herrlichkeit rückte immer weiter in den Vordergrund der Riten und Bräuche. Kerzen wurden an die Besucher der Liturgie verteilt; die Anzahl der verteilten Kerzen war mit dem Prestige des Verstorbenen verknüpft. Weil Kerzen teuer waren, kam es in öffentlichen Kirchen regelmäßig zu Tumulten und Störungen wegen des Andrangs auf die Kerzenverteiler.

Das Castrum doloris hatte die Funktion, den Verstorbenen in seiner Macht und Größe zu repräsentieren und war eine kurzfristige Dekoration für den Augenblick. Ein bleibendes Denkmal konnte es nur durch einen vom Gerüst angefertigten Kupferstich werden, der die reiche Ausschmückung dokumentierte.

Abgeleitete Bedeutung

Heute wird die Bezeichnung „Katafalk“ benutzt, um eine repräsentative Gebeinkiste zu benennen. Diese Sargform dient der Umbettung von bereits längere Zeit Erdbestatteten bei denen die Zersetzung bereits zur Knochensubstanz geführt hat. Die Umbettungen zwischen und auf Soldatenfriedhöfen von Gefallenen des Zweiten Weltkrieges ab den 1980er Jahren erfolgten in sogenannten Katafalken. Wobei hier bereits die Änderung der Wortbedeutung zum Tragen kommt.

Bedeutung

Künstler und Maler übertrafen sich gegenseitig mit den prunkvollsten Entwürfen, so dass in mehreren Kirchen verschiedene Trauergerüste aufgestellt wurden. Beim Tode von Leopold I. wurden in Wien alleine fünf Gerüste erbaut. Es zeigte sich, dass das Trauergerüst und die Darstellung einer herrscherlichen Apotheose den tatsächlichen Umständen der Regierungszeit nicht selten widersprachen. Sie bildeten ein idealisiertes Gesamtbild, das auf der Illusion vom tugendhaften und verdienstvollen Fürsten beruhte.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und dem Anfang des 18. Jahrhunderts waren die Festapparate besonders beliebt. Im gesamten mitteleuropäischen Raum, an weltlichen sowie auch an geistlichen Fürstenhöfen, beim Adel so auch beim Klerus und in Klöstern waren sie vertreten. Bei den Habsburgern ist jedoch relativ früh eine besonders reichliche Ausschmückung des Castrum doloris, etwa mit Emblemen, zu verzeichnen.

Dirck van Delen: Porträt einer unbekannten Familie vor der Grablege von Willem I. von Oranien in der Nieuwe Kerk in Delft, 1645; Rijksmuseum Amsterdam

Überlieferung

Castrum doloris“ ist der Titel einer extraordinairen Abendmusik von Dietrich Buxtehude aus Anlass des Todes von Kaiser Leopold I. 1705 (BuxWV 134). Während das Textbuch erhalten ist, ist die Komposition verschollen. Da das Castrum doloris eine temporäre Inszenierung war, wurden seine Aufbauten und Dekorationen nicht erhalten, sondern lediglich in Illustrationen dokumentiert. Die barocke Kunst des Grabdenkmals referenzierte diese vergängliche Manier der Totenfeierlichkeit und hat sie in skulpturaler Form bewahrt.

Literatur

  • Benjamin Favrin: Praxis sollemnium functionum episcoporum ac praclatorum episcopis interiorum iuxta ritum Romanum. Editio altera. Pustet, Regensburg 1926, S. 124–131.
  • Magdalena Hawlik-van de Water: Der schöne Tod. Zeremonialstrukturen des Wiener Hofes bei Tod und Begräbnis zwischen 1640 und 1740. Herder, Wien u. a. 1989, ISBN 3-210-24945-8 (Zugleich: Wien, Univ., Diss., 1989).
  • Liselotte Popelka: Castrum Doloris oder „Trauriger Schauplatz“. Untersuchungen zu Entstehung und Wesen ephemerer Architektur. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1994, ISBN 3-7001-2089-3 (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Kommission für Kunstgeschichte 2).
  • Georg Schrott: Trauer- und Festdekorationen in den bayerischen Klöstern des 17. und 18. Jahrhunderts. Kunstgeschichtliche Hinweise aus der Personalschriftenforschung. In: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige. 109, 1998, ISSN 0303-4224, S. 275–290.

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