Leydicke

Leydicke
Außenansicht (2007)

Leydicke ist der Name einer Berliner Likörbrennerei, die eines der letzten Berliner Traditionslokale mit langer Geschichte beherbergt. Die 1877 gegründete Brennerei und Kneipe liegt im Berliner Stadtteil Schöneberg an der Grenze zu Kreuzberg und hat eine Innenausstattung, die im Wesentlichen unverändert aus den 1880ern bis 1920ern stammt. Zur Zeit der Berliner 1968er war sie fester Bestandteil der Kreuzberger-Schöneberger Szene. Die Kneipe ebenso wie die ehemalige Wirtin Lucie Leydicke gelten für manche Journalisten als Musterbeispiel eines „Berliner Originals“[1] und werden oft zur Handvoll Berliner „Kneipenklassiker“ gezählt.[2]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Innenansicht, Theke mit Registrierkasse (2007)

Gegründet wurde das Lokal im Jahr 1877[3] von den Brüdern Emil und Max Leydicke in der Schöneberger Mansteinstraße als Liqueur und Fruchtsaftfabrik beziehungsweise Schnapsbrennerei und Weinprobierstube.[4] Im Zweiten Weltkrieg traf eine Brandbombe das Haus, Kneipe und Brennerei blieben aber weitgehend unbeschädigt. In den 1960er und 1970er Jahren wurde das Lokal mit seinem urigen Schankraum von Studenten und Touristen bevorzugt. Spezialitäten heute sind selbst hergestellte Obstweine und Liköre. Leydicke steht damit als wichtiger für eine von den Niederlanden inspirierte Form deutscher Alkoholgewinnung.[3]

Seit den späten 1960ern bis zum Mauerfall wurde die Kneipe zum überregionalen Anziehungspunkt: neben dem Stammpublikum aus Studenten, Universitätsangehörigen und Berliner Szene kamen auch Touristen aus aller Welt, ebenso wie Schulklassen auf Klassenfahrten ein häufiges Ziel im „Leydicke“ sahen.[5] Bei Amerikanern hingegen war es vor allem als Rowdy-Lokal für Soldaten bekannt.[6] Das Leydicke lag damals zentral in der Westberliner Szene, nur wenige Schritt vom Risiko entfernt, neben der Music Hall und weit vor beispielsweise dem SO36 der zentrale Treffpunkt der Berliner Szene.[7] Die Kneipe lag auf dem sogenannten Kneipentrail, den die linke Szene in den 1970ern ablief.[8] Seither beschreiben Reiseführer die Destille als ein Muss, das man als Berlinbesucher nicht versäumen dürfe.[9]

In der Zeit vom 29. August 1980 erschien ein Nachruf auf Lucie Leydicke, die das Lokal bis zu ihrem Tod zuletzt als Seniorchefin führte.[10]

Die New York Times attestierte 1987 dem Leydicke: Selbst heute erwecken die Leute, die Atmosphäre und die Drinks, hausgemachte Beerenweine und Schnaps, den Eindruck rückwärts durch die Zeit gereist zu sein.[11] Die Washington Post beschrieb die Besucher 1991 noch als Mischung aus Yuppies und schwarzgekleideter alternativer Szene, die erschreckend süßes Selbstgebrautes trinken.[12]

Situation heute

Swing-Konzert im Leydicke 2009

Geschäftsführer Raimon Marquardt, Leydicke in vierter Generation, führt die Kneipe nach dem Motto „Das Prinzip: Nichts zu verändern“. Die Decke wurde noch nie gestrichen, an den Wänden hängen noch Filmplakate aus den 1950ern und Langspielplatten aus den 1960ern.[4] Regelmäßig finden Konzerte und Partys mit Swing-, Blues-, Jazz- oder Rock’n’Roll-Bands statt.[6][7] Punk-Urgesteine wie John the Postman kommen jährlich aus Manchester, um im Leydicke ihren Geburtstag zu feiern.[7] Marquardt selbst gehört zu den wenigen geprüften Destillateuren in Deutschland.[13] Die Berliner Zeitung hält die Existenz eines solches Ortes auch 20 Jahre nach dem Mauerfall mittlerweile für ein „Berliner Wunder“,[14] die zitty empfiehlt das Leydicke als einen der besten sechs Berliner Veranstaltungsorte, den man mieten kann.[15] Er dient als Filmkulisse.[16] Ein Dokumentarfilm mit dem Titel Lucies Erbe wurde 2006 ausgestrahlt.[17]

Einzelnachweise

  1. Ines Brzoka: Mal wieder im Leydicke Berliner Zeitung vom 9. April 2009
  2. Bernd Philipp: Jut jezwitschert - Berlins Kneipenklassiker, in: Berliner Zugpferde
  3. a b Peter Peter: Kulturgeschichte der deutschen Küche, C. H. Beck, München 2008, ISBN 3406572243, S. 151.
  4. a b Die bunte Welt: Hoch die Tassen!
  5. Elmar Schütze: Eine „ganz normale Kneipe“. In: Berliner Zeitung vom 31. Dezember 1999
  6. a b Newberlinmagazine: E.M. Leydicke
  7. a b c Bong Boeldicke: Nie wieder Neubauten
  8. Trokkenpresse: Erst Kneipe dann Alkoholikerberatungsstelle
  9. Ursula von Kardorff: Berlin. 4. Auflage, DuMont-Verlag Köln 1985, S. 37. ISBN 3-7701-1150-8
  10. My Fair Lady Lucie in Die Zeit vom 29. August 1980
  11. Krista Weedman: Berlin by Night, in: New York Times vom 10. Mai 1987
  12. Marc Fisher: Here's How to Shrink Boom-Town Berlin Costs 21. Januar 1991
  13. Ortwin Passon: Freue mich schon auf den nächsten Likör, an die Berliner Zeitung 21. April 2009
  14. Berliner Zeitung: „Berlinplaner“, 30. August 2007
  15. Zitty: It’s my Party: Bootstour oder Gartenfest – die besten Locations zum Mieten, 24. Mai 2007
  16. Sat1: Fototermin mit Marco Girnth, Robert Seeliger, Reiner Schöne, Sonsee Neu, Lukas Schust, Carolin Spiess u.v.a. am Set des Großen Sat.1-Films „Jetzt oder nie“
  17. Film der Dekra Hochschule

Weblinks

 Commons: Leydicke – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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